Читать книгу Psychologie der Eigensicherung - Uwe Füllgrabe - Страница 13
3. Kompetenzillusion
ОглавлениеMan glaubt, für gefährliche Situationen gerüstet zu sein, ohne dass das tatsächlich der Fall ist. Dies wird z. B. am falschen Gebrauch des Wortes Routine deutlich, das sich auf regelmäßig vorkommende Handlungsabläufe bezieht.
Verkehrsüberwachung ist eine Aufgabe vieler Polizisten, die sie mit großer Häufigkeit ausüben. Deshalb werden derartige Kontakte mit dem Bürger als Routine angesehen. Relativ vielen Polizisten kommt aber überhaupt nicht in den Sinn, dass eine Verkehrskontrolle auch gewaltbereite Personen betreffen könnte.
Routine kann also in zweifacher Hinsicht gesehen werden: a) Nachlassen der Wachsamkeit, nachdem viele Interaktionen friedlich, unauffällig blieben oder b) es ist überhaupt, von Anfang an, keinerlei Wachsamkeit vorhanden (Gedankenlosigkeit).
Das Problem ist aber keineswegs, dass man durch harmlose Interaktionen in seiner Wachsamkeit „eingelullt“ worden ist. Das Problem ist vielmehr, dass man seit Beginn seiner beruflichen Laufbahn keine oder nur ungenügende kognitive Schemata für Gefahrensituationen aufgebaut hat, keinen „Gefahrenradar“ entwickelt hat. Lange Zeit spielte dieses Defizit im beruflichen Alltag für den einzelnen Polizisten keine Rolle, weil die Interaktionen harmlos waren. Das Defizit wird dann aber in Gefahrensituationen deutlich: Der Polizist weiß nicht, wie er sich verhalten soll, zögert, lässt sich vielleicht sogar die Dienstwaffe aus der Hand nehmen und damit erschießen, wie z. B. in einem Fall aus den USA (Pinizzotto & Davis, 1995).
Wie stark der Stress tatsächlich ist, wenn man nicht mental auf eine sachgemäße Gefahrenbewältigung eingestellt ist, zeigen folgende Verhaltensweisen deutscher Polizisten:
Eine Streifenbesatzung fuhr zu einer ‚häuslichen Auseinandersetzung‘. Bei ihrem Eintreffen kam ihnen ein Mann entgegengerannt, bedrohte sie verbal und hielt eine Geflügelschere hoch erhoben. Beide Beamten hatten die Waffe gezogen und im Anschlag, wobei der Sichernde durch seinen Kollegen kein freies Schussfeld hatte. Der vordere Beamte hatte es allerdings, und die Situation spielte sich auch im Hausflur, also bei gesichertem Umfeld, ab. Die Bedrohung war wohl recht offensichtlich – der Schusswaffengebrauch war prinzipiell angemessen und sicher möglich. Nicht für den Beamten vor Ort: Dieser entschloss sich, lieber mit seiner Waffe nach dem Täter zu werfen (!!!) und anschließend ‚manuell‘ einzugreifen. Bei dieser ‚Aktion‘ wurden Täter und Beamter nicht unerheblich, wenn auch nicht schwer, verletzt. Im Nachhinein äußerte der Beamte sich sinngemäß wie folgt: „Klar wusste ich, dass ich dabei verletzt werde. Aber wenn ich geschossen hätte, hätte ich eh keine Wirkung erzielt und dann hätt’ er mich abgestochen. So war’s wenigstens wirksam“ (Lorei, 2001).