Читать книгу Psychologie der Eigensicherung - Uwe Füllgrabe - Страница 7
Kapitel 1 Welche Rolle spielen psychologische Faktoren in Gefahrensituationen? 1. Was ist Survivability?
ОглавлениеDer Untertitel dieses Buches lautet: Überleben ist kein Zufall. Tatsächlich ist das Überleben gefährlicher Situationen kein Zufall. Siebert (1996) hatte nämlich darauf hingewiesen, dass Personen, die Gefahrensituationen und andere Krisen erfolgreich bewältigt hatten, sich durch bestimmte Merkmale und Verhaltensstrategien auszeichneten. Leider fehlte seiner Darstellung eine tiefer gehende Systematik. Ich habe deshalb die „Methode der kritischen Vorfälle“ (critical incidents), Cronbach (1966), benutzt, um die entscheidenden Faktoren herauszufiltern.
Bei dieser Methode werden Menschen, die in bestimmten Situationen erfolgreich handelten, mit solchen Menschen verglichen, die versagt hatten. Konkret auf die Gefahrenbewältigung bezogen, bedeutet das: Was taten Menschen, die Gefahren erfolgreich bewältigt hatten? Was dachten sie dabei? usw. Und was machten Menschen nicht oder falsch, die zum Opfer wurden? Dann kann man interessante und überraschende Muster finden, die man durch bloßes Nachdenken am Schreibtisch nicht finden würde. So stellte ich bei mehreren Fällen von Personen, die dem Ertrinken nahe waren, fest, dass in ihren Gedanken wichtige Bezugspersonen auftauchten, was dem Gefühl der Hoffnungslosigkeit entgegenwirkte und auf sie beruhigend und motivierend wirkte, also die Voraussetzung für das Entkommen aus der Gefahr schuf. Auch im Falle eines Piloten, der in den Anden abstürzte, und in vielen Fällen von Polizisten, die schwerste Verletzungen erlitten, war das Denken an Bezugspersonen der Grundstein für ihre Rettung (s. Kap. 16).
All dies kann man nicht ermitteln, wenn man z. B. nur Statistiken über Angriffe auf Polizisten analysiert. Denn diese sagen nichts aus über das Denken und Handeln von Menschen und vor allem nichts darüber, was sich in der Interaktion zweier Menschen konkret abspielte, wie man den Konflikt hätte vermeiden können usw. Statistiken haben also nur einen sehr begrenzten Wert für das Verständnis von Gewalt und Eigensicherung. Und vor allem geben sie keine praktischen Handlungshinweise.
Aber auch die bloße Darstellung einzelner Fälle ist aus theoretischen und praktischen Gründen nicht ausreichend. Denn es ist wichtig, übergeordnete Muster zu finden und einen inneren Zusammenhang der Faktoren herzustellen. Dazu habe ich aus den empirisch gewonnenen Informationen und wissenschaftlichen Erkenntnissen ein Modell entwickelt, das ich Survivability (von to survive und ability) nannte und sich auf die psychologische Seite des Überlebens bezieht. Dieses Modell ist umfassend, weil es sich mit allen Phasen einer Gefahrensituation beschäftigt: vor, während und nach dem Ereignis und dafür jeweils konkrete Handlungshinweise gibt.