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Spaghetti Bolognese

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Dieter hatte sich für Spaghetti Bolognese entschieden, obwohl er wusste, dass die Spaghetti zu weich sein würden, was sie natürlich auch waren, und Dieter einen Grund lieferten sich ärgern zu können. Andreas aß nur einen Salat, da er so früh noch keinen großen Hunger hatte. Dieter überlege, ob er Andreas von seiner Idee erzählen sollte, die so plötzlich und unerwartet in ihm auftauchte, als hätte ihn Gott persönlich diese Idee ins Hirn verpflanzt. Er war sich aber unsicher, ob Andreas ihn nicht auslachen würde. Nachdem sie einige Minuten stumm gegenübergesessen waren, fast Dieter nach reiflicher Überlegung den Mut Andreas in seine Idee einzuweihen.

„Letzte Woche, nach meinem Unfall hatte ich plötzlich eine Idee“, begann Dieter vorsichtig und beobachtet dabei Andreas genau, um an dessen Reaktion ablesen zu können ob diesen seine Idee überhaupt interessierte.

Andreas Gesichtsausdruck bliebt unverändert, er zeigte kein sonderliches Interesse, wirkte aber auch nicht gelangweilt, so dass sich Dieter entschloss mit der Vorstellung seiner Idee fortzufahren.

„Und zwar möchte ich so etwas wie ein Trike Fahrrad als E-Bike bauen, das hinten mit einem Aufbau versehen ist, ähnlich wie ein Zeltanhänger nur kleiner natürlich“

Dieter sah Andreas erwartungsvoll an, aber statt der erhofften Begeisterung konnte Dieter nur Unverständnis in Andreas Gesicht lesen, die letztlich in der Frage mündete,

„Was zum Henker ist denn ein Zeltanhänger?“

„Du weißt nicht, was eine Zeltanhänger ist? “ entgegnete ihm Dieter ebenso unverständig.

„Nein, weiß ich nicht, oder sehe ich etwa aus wie jemand, der seinen Urlaub in einer 6 Quadratmeter Behausung umgeben von unzähligen anderen Miniaturbehausungen verbringt und sich seine Dusche und Klo mit hunderten anderen Menschen teilt. Ganz bestimmt nicht, ich bin mehr der Typ Luxusurlaub. Das letzte Mal als ich im Zelt übernachtet war im Garten meines Freundes Alex. Da war ich 9 und selbst damals fand ich es beschissen.“

„Okay, ich sehe schon, Du bist kein Campingtyp“, stellt Dieter emotionslos fest.

„Du gehst doch auch nie zum Campen“, bemerkte Andreas durchaus wahrheitsgetreu.

„Stimmt schon, aber das liegt an Claudette, die würde ihren Urlaub lieber im Krankenhaus, natürlich in einem Privatpatientenzimmer, mit einem gebrochenen Bein verbringen als zum Campen gehen. Ich hätte es gerne mal probiert, mal etwas einfacher Leben, mehr in der Natur sein, nicht immer nur Luxus, das wird doch auf Dauer langweilig.“

„Ist dir das hier nicht einfach genug?“ fragte Andreas und deutet dabei auf Dieters Spaghetti mit Bolognese.“

„Ist ja auch egal. Jedenfalls ein Zeltanhänger ist ein Anhänger fürs Auto, den man aufklappen kann und es entsteht dabei ein Zelt, mit Betten und einer kleinen Küche manchmal klappt sogar das Vorzelt mit auf. Die Dinger gibt es fürs Auto schon seit 40 oder 50 Jahren. Vor allem in Holland sind die sehr beliebt.“

Und das willst Du an ein Fahrrad bauen, wahrscheinlich ein Hollandrad oder? “

Andreas sah Dieter entgeistert ja fast schon mitleidig an.

„Das muss aber ein kleines Zelt und eine kleine Küche und ein kleines Bettchen werden sonst wiegt dein Fahrrad ja 200 Kg.“

„Ist ja nur so eine Idee, aber ich sehe schon, Du hältst nicht viel davon.“

Dieter sah Andreas mit einem flehenden Blick an, immer noch in der Hoffnung, dass dieser seine Vermutung bezüglich der Bewertung seiner Idee nicht bestätigt.“

Nein wirklich nicht, so etwas braucht doch die Welt nicht, nicht mal die Holländer.“

Schweigend aß Dieter den Rest seiner Spaghetti Bolognese, die dieses Mal so verkocht waren, dass der Einsatz seiner Zähne nicht erforderlich war, und er diese nur mit der Zunge an seinem Gaumen zerdrückte, um sie herunter schlucken zu können, was den Vorgang der Nahrungsaufnahme erheblich beschleunigt.

„So ich muss jetzt wieder an die Arbeit, ich habe vor lauter Hektik noch nicht einmal meine E-Mails gelesen“, sprach Dieter mehr in das Belegschaftsrestaurant hinein als direkt zu Andreas und würdigte diesen nur mit einem flüchtigen Blick.

Beide erhoben sich und gingen wortlos zurück zu ihren Schreibtischen, die nur wenige Meter auseinander standen. Lustlos durchforstete Dieter seine neuesten Mails und entschied anhand des Absenders und der Betreffzeile, ob sich ein Öffnen beziehungsweise ein Lesen der jeweiligen Mail überhaupt lohnte. Von 25 erhaltenen Mails öffnete er 5 wovon er 3 tatsächlich las, allerdings nur eine davon auch bis zum Schluss. In dieser Mail teilte ihm Herr Bachmüller mit, dass er mit den Vortrag zufrieden war und Herr Müllerstein noch einen kurzen Bericht wünschte, in welchem dargelegt wird in wie weit die neusten Entwicklungsprozesse zum Gelingen des Projektes beigetragen hätten. Er möchte seinen Vortrag, welchen Dieter Herrn Bachmüller bitte zur vorherigen Überarbeitung zu mailen soll, ergänzt mit dem noch zu erstellenden Bericht bezüglich der Wirksamkeit der von der Geschäftsleitung entwickelten Prozesse gerne in der nächsten Geschäftsführungssitzung vorstellen um darzustellen wie erfolgreich die neuen Prozesse eingesetzt werden konnten.

Beim Lesen dieser Mail wurde es Dieter sofort übel und er spürte plötzlich wieder seine gebrochene Nase. Er hatte es wohl etwas übertrieben, und das könnte ihn zumindest beruflich den Kopf kosten. Noch während Dieter überlegte stand plötzlich Herr Bachmüller vor ihm.

„Hallo Herr Frei, wirklich sehr gute Arbeit, hätte ich ihnen gar nicht zugetraut. wobei die Zielvorgaben doch deutlich harmloser waren als ich sie in Erinnerung hatte “

„Tja auch ein nüchternes Huhn trinkt mal einen Korn.“

Dieters Versuch die Situation durch eine humoristische Einlage etwas erträglicher zu gestalten scheiterte an der Tatsache, dass der ohnehin absolut humorlose Herr Bachmüller gar nicht merkt, dass Dieter den Versuch unternommen hatte, lustig zu sein.

„Bitte senden sie mir den Vortag mit den gewünschten Ergänzungen gleich zu, damit ich überprüfen kann, ob alle Zahlen auch korrekt sind. Bei der Geschäftsleitungssitzung Übermorgen wird nämlich Herr Breitschwert vom Controlling anwesend sein, und sie wissen ja, der ist was Zahlen angeht immer sehr korrekt und hatte dummerweise die meisten Zahlen im Kopf. Weiß der Kuckuck wie der das macht.“

Dieter war kurz davor Herrn Bachmüller vor die Füße zu kotzen, besaß aber noch genug Körperbeherrschung dieses Bedürfnis zu unterdrücken.

„Ja Herr Bachmüller, ich schicke es ihnen sofort zu“, gab Dieter kleinlaut von sich.

„Stimmt etwas nicht mit ihnen? sie sehen plötzlich so blass aus“

„Nein Nein alles in Ordnung, es ist nur, dass sich meine Nase zwischendurch zu Wort meldet.“

„Ach ja, sieht im Übrigen recht übel aus ihre Nase. Ich rechne es ihnen hoch an, dass sie in diesem Zustand zur Arbeit kommen, um den wichtigen Vortrag vor Herrn Müllerstein zu halten. Ich habe es ihnen vorher nicht gesagt, um sie nicht nervös zu machen, aber Herr Müllerstein war kurz davor die Abteilung aufzulösen, weil ihm irgendjemand erzählt hat, dass unserer Entwicklungsprojekt in allen Punkten aus dem Ruder gelaufen sei. Gott sein Dank konnten sie ihm heute das Gegenteil darlegen.“

Dieter war nicht sicher, ob es wirklich angebracht war Gott für dieses vermeidliche Wunder zu danken, dass sich in kürzester Zeit zu dem von Markus prognostizierten Schuss nach hinten entwickelt hatte, und dessen tatsächliche Auswirkung auf Dieters Leben noch nicht absehbar waren. Während des Weggehens erinnerte Herr Bachmüller Dieter nochmals an die Dringlichkeit der Mail. Dieter fühlte nur noch Leere in seinem Kopf, Leere und absolute Ratlosigkeit.

Er hatte nicht die geringste Ahnung wie er aus dieser Nummer wieder unbeschadet, oder doch zumindest lebend rauskommen sollte. Hatte er die Geschäftsführung unterschätzt? Saßen dort entgegen seiner bisherigen Meinung doch nicht nur lauter Dummköpfe die ausschließlich aufgrund ihrer großen Klappe und den Einsatz ihres Ellenbogen die Karriereleiter erklommen hatten. Diese Unsicherheit bezüglich eines seit Jahren gehegten und gepflegten Vorurteils schmerzte ihn sogar fast noch mehr wie seine augenblickliche Ratlosigkeit und seine plötzlich so unsicher scheinende Zukunft. Eine Zukunft die immer so klar zu sein scheint, nichts was einem vom Hocker haut vielleicht noch nicht mal etwas was man sich wünscht, und ganz bestimmt nichts wovon man träumt, aber doch zumindest frei von Existenzängsten.

Klar verdiente Claudette genug, um beide über die Runden zu bringen, aber völlig von Claudette abhängig zu sein, war ein Gedanke den Dieter nicht zu ertragen im Stande war. Claudette würde ihn sein Versagen täglich spüren lassen, dann doch lieber vor Herrn Bachmüller zu Kreuze kriechen, wobei Dieter bezweifelte, dass das die erhoffte Wirkung zeigen würde. Herr Bachmüller war ein harter Hund, und er hasste es, wenn Männer Schwächen zeigten, wobei er die gleiche Verhaltensweise bei Frauen durchaus zu schätzen wusste. Dieter saß 20 Minuten wie versteinert vor seinem Bildschirm und starrte unablässige darauf, obwohl dieser gar nicht eingeschaltet war. Die Abteilung ist so gut wie im Arsch dachte er immer wieder, und alle werden ihm die Schuld dafür geben. Weiß der Geier wo sie die Mitarbeiter hin versetzen werden, im Grunde ist es ja auch egal, er konnte die meisten sowieso nicht leiden. Ihn werden sie höchst wahrscheinlich vor die Tür setzten und Claudette wird ihn mit Vorwürfen überhäufen.

Ausgerechnet direkt neben seinem Schreibtisch wurde eine dieser bescheuerten Kommunikationsecken eingerichtet. Auch so eine neue wissenschaftliche Erkenntnis. Man stellt mitten ins Büro einen runden Tisch oder, vorausgesetzt es ist genügend Platz vorhanden, noch besser eine bequeme Couch mit ein paar Pflanzen und ermöglicht es den Mitarbeiter sich von der Arbeit zu drücken, indem sie sich in der Kommunikationsecke aufhielten und schon strömt die Kreativität. So zumindest die neusten Erkenntnisse der Wissenschaft, die sie bewundernswerterweise immer wieder so darstellen konnten, dass in den Chefetagen der Wunsch entstand jede Menge Geld zum Fenster heraus zu werfen, um dies umzusetzen. Obwohl er musste zugeben, die Idee für seinen letzten Urlaub wurde ihm in der Kommunikationsecke zuteil. Nicht dass er sich nicht gerne von der Arbeit ablenken lies, vor allem, wenn dies von der Geschäftsführung geduldet ja sogar gewünscht war. Aber eine Kommunikationsecke direkt neben dem Schreibtisch konnte extrem nervig sein. Gerade als er sich seiner Verzweiflung völlig hingab, wurden einige seiner Kollegen und Kolleginnen von einem Kreativitätsbedürfnis übermannt beziehungsweise Überfrau, um politisch korrekt zu bleiben, welches sie in der Kommunikationsecke zur Entfaltung kommen zu lassen gedachten. Folglich trafen sein spezieller Freund Markus, Andreas der Markus eigentlich auch nicht leiden konnte, Tobias Hinze, ein eher zurückhaltender sportlicher Typ, dessen Lebensinhalt darin bestand zu joggen, radeln, klettern, schwimmen, Ski zu fahren, und was sich diese Leute sonst noch so einfallen ließen. Trotz seines Sportwahns war er aber ein netter umgänglicher Typ. Vervollständigt wurde das Quartett von Claudia Zimmermann, der Abteilungssekretärin, die im allgemeinen recht freundlich war und ebenfalls zu den Kollegen und Kolleginnen zählte für die es Dieter bedauerte, dass sie sich demnächst wohl nach einem neuen Arbeitsplatz umsehen mussten.

„Hey Dieter, der Bildschirm auf den du bereits seit einigen Minuten klotzt ist im Übrigen gar nicht eingeschaltet. Das wollte ich dir nur sagen, vielleicht erleichtert diese Information deine Arbeit.“

brüllt Markus aus der Kommunikationsecke und reist Dieter aus seinen apokalyptischen Gedanken.

Dieter von der plötzlichen Unruhe aufgeschreckt, reißt seinen Kopf hoch und schaute unvermittelt in die Augen von Markus, Dieter, Tobias und Claudia, die ihn laut lachend anstarrten.

„Ich versuche zu denken das ist neben dumm quatschen und in der Kommunikationsecke herum zu stehen auch eine Möglichkeit kreativ zu sein“, gab Dieter misslaunig zurück.

„Tja ich muss schon sagen, heute warst du wirklich sehr kreativ, hast wohl in der Kommunikationsecke übernachtet“, antwortete Markus laut auflachend und konnte damit erneut bei den anwesenden Kollegen und Kolleginnen punkten.

Dieter hatte nicht die Nerven sich auf ein Wortduell mit Markus einzulassen zumal dieser auf diesem Gebiet zugegebenermaßen recht schwer zu besiegen war. Deshalb erhob er sich von seinem Platz und gab vor die Toilette aufzusuchen. Er schloss die Toilettentür hinter sich, klappte den Klodeckel runter und setze sich darauf. Für einen kurzen Moment genoss er die ihn umgebende Ruhe, doch dann drängten sich seine nicht unerheblichen Sorgen wieder in sein Bewusstsein. Er legte seinen Kopf in die Hände und schüttelte der Verzweiflung nahe seinen Kopf. Belastete bei dieser Gelegenheit seine Nase allerdings etwas zu sehr, so dass ihn ein greller Schmerzblitz durchfuhr und ihn aus seiner Lethargie riss. Am besten ich gehe jetzt erst mal nach Hause für heute reicht es wirklich, dachte sich Dieter und erhob sich von seinem Thron. Hastig begab er sich zu seinem Arbeitsplatz und war froh, als er bemerkte, dass seine Kollegen und Kolleginnen ihre kreative Phase unbeschadet überstanden hatten und die Kommunikationsecke inzwischen verlassen hatten. Schnell packte er seine Sachen zusammen, aber nicht ohne Herrn Bachmüller die wohl sein Schicksal endgültig besiegelnde Präsentation zukommen zu lassen.

Er unternahm nicht einmal der Versuch die Zahlen wieder etwas in Richtung Wahrheit zu verschieben, sondern schickte sie genauso wie er sie vorgetragen hatte raus. Er war seinem Schicksal völlig ergeben, vorahnend, dass sie ihn wohl recht bald am Kragen haben würden. Bei seinem Glück war etwas anders wohl kaum zu erwarten. Einige Minuten später saß der in der Bob in Richtung Miesbach, welche wider Erwarten nicht direkt vor seiner Nase davon gefahren war, und er nicht den von einem hämisch grinsenden Zugführer ganz bewusst gerade in diesem Augenblick in Bewegung gesetzten Zug hinterher schauen musste. Ganz im Gegenteil, gerade hatte er im, im Münchner Bahnhof wartenden Zug, Platz genommen setzte Dieser sich unverzüglich in Bewegung.

Der Zugführer hatte sicher für einen Augenblick nicht aufgepasst und so seinen Einsatz verschlafen und war darüber ganz bestimmt äußerst verärgert. Anders konnte sich Dieter diesen glücklichen Umstand nicht erklären. Die Zugfahrt an sich war ereignislos, um nicht zu sagen langweilig. Aufgrund der für Berufstätige doch recht frühen Zeit für die Heimfahrt befanden sich nur wenig Fahrgäste im Zug und unter Diesen war keiner oder besser gesagt keine die es sich zu beobachten gelohnt hätte. Dennoch kam Dieter die Fahrzeit kurz vor, da er voll und ganz damit beschäftigt war, sich seinen unvermeidlichen sozialen Abstieg in allen Einzelheiten auszumalen. Arbeitslosigkeit, Scheidung, Obdachlosigkeit, Alkoholismus und am Schluss irgendwo am Viktualienmarkt erfroren aufgefunden zu werden. So hat er sich sein Ende nicht vorgestellt und da war er sich sicher, dass hatte er auch nicht verdient.

Amsterdam

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