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Im Krankenhaus

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Im Krankenhaus angekommen wurde Dieter gebeten doch erst mal kurz im Wartezimmer Platz zunehmen, weil er den Fehler begangen hatte, auf eigenen Füßen in die Notaufnahme einzutreten, was die diensthabende Krankenschwester zu der Beurteilung verleitete, dass die Not wohl doch nicht so groß sein kann, und die Aufnahme daher zeitlich etwas flexibler gestaltet werden konnte. Dieter wollte nicht wehleidig erscheinen, und nahm daher ohne Widerspruch Platz. Nach einiger Zeit des Wartens und des vor sich hin bluten, wobei die Blutung inzwischen deutlich geringer war als zuvor, was Dieter nicht mit letzter Sicherheit auf den Behandlungserfolg der beiden Sanitäter zurückschließen konnte, da aus seiner Sicht ebenfalls die Möglichkeit bestand, dass er einfach nicht mehr genug Blut hatte um eine entsprechend stärkere Blutung zu generieren.

Jedenfalls wurde ihm die zeitliche Gestaltung seiner Aufnahme langsam zu flexibel und er überlegte bereits, ob er sich bei der diensthabenden Krankenschwester, die eher vom Typ resolutes Mannweib zu sein schien, in Erinnerung rufen sollte, als das Telefon klingelte. Die Resolute riss ohne wirklich Mitleid mit dem bedauernswerten Telefonhörer zu haben Selbigen mit einer ihr durchaus zuzutrauenden Gewalt von der Gabel obwohl wie alle Telefone heutzutage so auch das hier in Verwendung Befindliche nicht wirklich über eine Gabel verfügte, und brüllte in einer Stimmlage welche durchaus ihrer Körperfülle entsprach „ Notaufnahme Agatharied „ ihn den Hörer. Anschließend trat eine kurze Pause ein, die ihre Ursache entweder darin fand, dass ihr gegenüber Aufgrund der enormen Lautstärke einen kurzzeitigen Hörsturz erlitten hatte, oder die Resolute hörte tatsächlich zu, was ihr gegenüber zu berichten hat.

„Hallo Frau Dr. Karlmann Frei“ hauchte die Resolute plötzlich deutlich leiser in den Hörer.

„Ihr Mann?“ gab die inzwischen weniger Resolute fast schon kleinlaut von sich und blickte fragend in die meist desillusionierten Gesichter der Patienten, deren gesundheitlicher Zustand nicht als lebensbedrohlich eingestuft wurde, und die daher Stunden damit verbrachten darauf zu warten, endlich aufgerufen zu werden.

Vermutlich lag der langen Wartezeit die Hoffnung zu Grunde, dass einige Verletzungen von allein heilen könnten, beziehungsweise, dass der Patient inzwischen versterben könnte und sich so eine Behandlung ohnehin erübrigt hatte. Als ihr Blick auf Dieter fiel, hob er den rechten Arm und zeigte schon fast provokativ mit dem Daumen in Richtung seines Körpers. Die ehemals Resolute riss erschrocken und zugleich fragend die Augen auf, was Dieter zu einem leichten Kopfnicken veranlasste.

Diese kaum wahrnehmbare Bewegung lieb bei der inzwischen eher Kleinlauten als Resoluten jeglichen Zweifel versiegen und stattdessen Angstschweiß auf deren Stirn auftauchen. Dieter bekam fast Mitleid mit der Kleinlauten, da er wusste, wie unangenehm seine Frau werden konnte, wenn ihr etwas gegen den Strich ging und die Kleinlaute inzwischen fast schon Ängstliche scheint dies auch zu wissen.

„Ist der potentielle Nasenbruch ihr Mann Frau Dr. Karlmann Frei?“ gab die Ängstliche mit nicht zu übersehender Panik in den Augen von sich.

Einige Sekunden war von der Ängstlichen nichts mehr zu hören. Wenn man genau hinhörte, konnte man Claudettes Stimme hören, und Dieter wusste, dass diese sehr laut schreien konnte. Was das Schreien angeht, war Claudette wie ein in Zorn geratenes Baby, trotz ihrer eher zierlichen Statur war sie in der Lage eine Lautstärke zu produzieren, die man nicht für möglich halten würde, würde sie einem nicht gerade fast das Trommelfell in Stücke reißen. „Natürlich Frau Dr. Karlmann Frei“; wir kümmern uns sofort, wenn ich gewusst hätte.

Die arme Ängstliche konnte immer nur mit halben Sätzen antworten bevor sie von Claudette erneut niedergeschrien wurde. Es rührte Dieter fast ein wenig, dass sich Claudette seinetwegen so ins Zeug legt. Aber wahrscheinlich ging es nicht um Ihn, sondern um ihren Ehemann, und der war zumindest aus Claudettes Sicht einfach auch der Tatsache heraus, dass er ihr Ehemann war, bevorzugt zu behandeln. Endlich hatte Claudette mit der inzwischen völlig Eingeschüchterten erbarmen und gab ihr die Möglichkeit aufzulegen. Schon während des Aufstehens und des sich auf ihn Zubewegens konnte Dieter die Rückverwandlung der gerade eben erlebten Metamorphose von der Resoluten zur Ängstlichen erleben, wobei sie die Resolute zu überspringen schien, um sich sofort in die Zornige zu verwandeln.

„Wieso haben Sie das nicht gleich gesagt“ herrschte sie Dieter an.

„Ich wusste nicht, dass das von Belang ist“, gab Dieter kleinlaut zurück.

Um die angespannte Situation etwas aufzulockern, schob er noch die als humoristisch geplante Einlage

„Unsere Kanzlerin sagt doch immer es gibt keine Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland“.

Die Zornige sah ihn noch zorniger an, als dies zuvor der Fall gewesen war, und antwortete ihm wieder in dem ihr eigenen Tonfall

„Sie glauben wohl auch dass die Renten sicher sind“

Dieter war erstaunt, dass die Resolute wohl über so etwas wie Humor verfügte, und konnte ein Grinsen nicht verhindern, was auch die Resolute dazu veranlasste ein kaum wahrnehmbares Lächeln über ihr Gesicht huschen zu lassen bevor sie Dieter mit einem kurzen

„Mitkommen“, aufforderte ihr zu folgen.

Von den Anwesenden traute sich keiner zu erwähnen, dass er bereits deutlich länger die angenehme Atmosphäre des Wartezimmers als der soeben Aufgerufene genießen durfte, was bei der augenblicklichen Laune der Resoluten wohl eine sofortige Herabstufung der Dringlichkeit und damit eine automatische Aufenthaltsverlängerung in besagtem Wartezimmers zu Folge gehabt hätte. Die Resolute führte Dieter in ein Behandlungszimmer, wies ihn an Platz zu nehmen und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. Dieter blickte sich um, konnte aber nichts entdecken, dass es verdient hätte näher untersucht zu werden, und ließ sich erschöpft auf einen Stuhl sinken. Es dauerte noch etwas fünf Minuten, bis ein forscher junger Arzt den Raum betrat und ihm seine Hand entgegenstreckte.

„Sie sind der Mann von Frau Dr. Karlmann Frei“ gab der Arzt im gleichen Augenblick von sich und Dieter bildet sich ein, so etwas wie Mitleid im Blick des jungen Arztes zu erkennen.

„In erster Linie bin ich Dieter Frei, und erst in zweiter Linie der Ehemann von Frau Dr. Karlmann Frei“ gab Dieter etwas zu genervt zu Antwort.

Der junge Arzt der es vermied seinen Namen zu nennen, wahrscheinlich, dass es später erschwert wurde ihn aufgrund eines Behandlungsfehlers zur Rechenschaft zu ziehen, wie Dieter vermutet, ignorierte Dieters Aussage völlig.

„Ein ganz hervorragende Kollegin, wenn ich das einmal erwähnen darf“

Dieters Blutdruck begann merklich zu steigen, was einen erhöhten Blutfluss aus seiner Nase zur Folge hatte, wodurch der junge Arzt darauf aufmerksam wurde, dass Dieters Erscheinen im Krankenhaus seine Ursache nicht darin hatte ein Gespräch über seine Frau zu führen.

„Wie ich sehe haben sie sich an der Nase verletzt“, meldete sich der junge Arzt offensichtlich sachkundig zu Wort.

„Am besten wir machen eine Röntgenaufnahme, um zu sehen, ob die Nase gebrochen ist“.

Dieter wusste auch ohne Röntgenaufnahme, dass dies der Fall war, vermied es aber den jungen Arzt zu verunsichern.

„Schwester Sylvia wird sie zum Röntgen bringen“.

Der junge Arzt nahm das Telefon, um Schwester Sylvia über ihren neuen Auftrag zu informieren. Dieters Hoffnung auf eine junge, hübsche, mit einem etwas zu engen Oberteil bekleideten Krankenschwester wurde jäh zu Nichte gemacht, als die Resolute die Tür aufriss und diese dabei fast aus den Angeln gerissen hätte.

„Sind sie etwa Schwester Sylvia“ gab Dieter idiotischer Weise von sich, und konnte den enttäuschten Unterton nicht unterdrücken.

„Nein, ich bin der Engel der sie ins Paradies führen soll“ gab Schwester Sylvia zu Antwort.

„Humor hat sie“, dachte Dieter und vielleicht werden sie ja sogar noch Freunde, jetzt wo sie schon fast per Du waren, er und Sylvia. Auf die bereits bekannte prägnant formulierte Aufforderung

„Mitkommen“, lief Dieter ihr wie ein Ehemann seiner Frau auf Shoppingtour unbeteiligt, aber ängstliche hinterher.

Die Röntgenuntersuchung brachte das zu Tage was ohnehin Allen bekannt war. Die Nase war gebrochen und zwar zwei Mal. Dieter musste eine unangenehme und zeitweise durchaus schmerzhafte Behandlung über sich ergehen lassen, bei welcher seine Nase mehrfach ausgerichtet wurde, um schließlich mit einer Art Schiene fixiert zu werden, welche ihrerseits mit Hilfe eines überdimensionalen Pflasters mit seinem völlig verunstalteten Gesicht eine wahrscheinlich unlösbare Verbindung einging.

Das dieses hierbei über diverse höllische brennende Schürfwunden geklebt werden musste schien Schwester Sylvia nicht näher zu beeindrucken. Dieter traute sich nicht, in den Spiegel zu schauen, um wenigstens die Illusion aufrecht zu halten, dass er vielleicht doch nicht ganz so bescheuert aussah wie er sich fühlte. Allerdings wurde diese Illusion durch den Gesichtsausdruck all deren Menschen welchen er auf seinem Weg ins Wartezimmer begegnete stark erschüttert, um durch das hämische Grinsen von Claudette, die inzwischen angekommen war und im Wartezimmer auf ihn wartet, endgültig zerstört zu werden.

„Du siehst richtig scheiße aus“ schleuderte Sie ihm die ganze Wahrheit unbarmherzig ins Gesicht

„Hoffentlich wächst die Nase wieder einigermaßen gerade zusammen, so ein Nasenbeinbruch kann eine ziemlich entstellende Sache werden“ ergänzte sie ihre Ermutigung.

„Danke, mir geht es gut“ antwortete Dieter, ohne auf das Gesagte einzugehen.

„Hast du dem behandelten Arzt gesagt, dass du unter lokaler Amnesie leidest?“

„Nein habe ich vergessen.“

„Vergessen? das ist wichtig, mit einer Gehirnerschütterung ist nicht zu spaßen“

Ohne ein weiteres Wort sprang sie auf, und ging zu Schwester Sylvia, die sie wohl in der Erwartung weiterer tadelnder Wort ängstlich ansah. Das Claudette nur wissen wollte wer der behandelte Arzt sei, hatte eine überaus beruhigende Wirkung auf Schwester Sylvia. Man konnte die sich in Schwester Sylvia ausbreitende Erleichterung fast greifen, welche fast freudig bereitwillig Auskunft gab. Claudette verließ nach einem kurzen Gespräch Schwester Sylvia und betrat ohne anzuklopfen eines der Behandlungszimmer in welchem sich der junge Arzt befand, dessen Namen Dieter immer noch nicht wusste, denn er aber unbedingt noch in Erfahrung bringen wollte, falls seine Nase tatsächlich nicht mehr ihre ursprüngliche Schönheit erlangen sollte. Nach kurzer Zeit kam Claudette wieder aus dem Behandlungszimmer, den jungen Arzt ohne Name im Schlepptau.

Dieser wirkte etwas aufgelöst und steuerte nervös auf Dieter zu.

„Herr Frei, Frau Dr. Karlmann Frei hat mich soeben informiert, dass sie unter einer lokalen Amnesie leiden“ wobei er ihn fast schon vorwurfsvoll ansah.

Dieter konnte sich nicht erinnern, den Begriff lokale Amnesie wobei es sich genau genommen um zwei Begriffe handelt, so oft in einem so kurzen Zeitraum gehört zu haben.

„Leiden kann man das eigentlich nicht nennen“ versuchte Dieter den jungen Arzt ohne Name zu beruhigen.

„Rede keinen Blödsinn“ ,blökte Claudette die sich direkt hinter dem jungen Arzt ohne Namen verschanzte, der wie Dieter soeben entdeckte doch einen Name hatte, welcher auf dem am Kragen seines weisen Kittels befestigten Namensschild zu lesen war und Müller lautete.

Dr. Müller fuhr erschreckt herum und starrt Claudette ungläubig ob deren durchaus vulgären Ausdrucksweise an. Es dauerte nur knapp eine Sekunde bis Dr. Müller realisierte, dass Claudette dieser entgeisterte Blick nun so überhaupt nicht behagen wollte, was Dr. Müller dazu veranlasste, jenen entgeisterten Blick wieder auf Dieter richtet

„Unter diesen Umständen sehe ich es als angemessen an, wenn wir sie zur Beobachtung ein oder zwei Tage hierbehalten.“

„Sehe ich genauso“, stimmte ihm Claudette zu, wodurch Dieters Schicksal endgültig besiegelt war.

Kurze Zeit später fand sich Dieter im Bett eines schlicht eingerichteten Krankenzimmers wieder. Natürlich ein Einzelzimmer wofür sicherlich Claudette gesorgt hat, dachte Dieter. Aber eigentlich war er ihr dankbar dafür, so hatte er jetzt wenigstens seine Ruhe. Schon nach kurzer Zeit schlief er ein, die Geschehnisse des Tages hatten ihn offensichtlich sehr mitgenommen. Während er schlief hatte er plötzlich wieder die gleiche Vision die er kurz nach seinem Unfall hatte.

Wieder schien die Sonne strahlenden hell und Dieter fuhr mit einem seltsam anmutenden Fahrrad fröhlich vor sich hin pfeifend eine wunderschöne Allee entlang, die dem Lauf eines friedlich dahinfließenden Flusses folgte. Dieses Fahrrad war wirklich seltsam dachte Dieter im Traum, falls man im Traum überhaupt denken kann. Es hatte auf der Hinterachse zwei Räder und war hinten mit einem Aufbau versehen der einem Kofferraum glich. Aber das Schönste war, dass es fast von allein fuhr. Wieder hielt er an einer besonders schönen Stelle an, und wieder unter einem großen Baum, eine Eiche oder war es doch eine Buche. Dieter kannte sich nicht besonders gut mit Bäumen aus. Ist doch wirklich absolut egal ärgert sich Dieter, dass er sich sogar im Traum mit solchen Belanglosigkeiten aufhielt. Und wieder klappte er den hinteren Aufbau auf, wodurch dieser zu einer Liegefläche wurde, baute das in Aufbau neben allen möglichen Utensilien verstaute Zelt auf, und legt sich Schlafen. Genau als er in seiner Vision oder war es nur ein Traum einschlief, wachte er in seinem realen Leben auf. Orientierungslos schaute er sich um.

Nein er lag nicht in einem Zelt unter einer Eiche oder Buche oder was auch immer für einen verdammten Baum, nein er lag in diesem schmucklosen Krankenzimmer und betrachtet das Kreuz, das direkt gegenüber seinem Bett an der Wand befestigt war. Lange starrte er vor sich hin und versuchte seine Gedanken zu sortieren. Erst jetzt erinnerte es sich daran, dass er genau diese Vision, allerdings lag er in dieser unter einer Linde, da war er sich ziemlich sicher, direkt nach seinen Fahrradunfall schon einmal hatte. Dieter war sichtlich verwirrt, er konnte das Erlebte nicht einordnen, versuchte dem Ganzen einen Sinn zuzuordnen, was ihm aber nicht gelang. Also beschloss er, dass es einfach nur Unsinn war, ein Traum und sonst nichts. Ein Seltsamer zwar, aber eben doch nur ein Traum. Dennoch spürte er, dass ihn dieser Traum mit einer nie gekannten Zufriedenheit, ja fast könnte er von einem Glücksgefühl sprechen, erfüllte. Immer noch starrte Dieter unbewusst das Kreuz an der Wand gegenüber an, ohne es wirklich wahrzunehmen.

„Jesus ist für Dich am Kreuz gestorben, aber er ist auch für Dich auferstanden“, riss ihn eine freundlich klingende Stimme aus seinen Gedanken.

Dieter zuckte etwas zusammen als er völlig unerwartet eine Stimme hörte.

„Oh entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken, mir ist nur aufgefallen, dass Sie das Kreuz so intensiv ansehen. Ich bin Schwester Margot und wollte nur kurz nach ihnen sehen“, erklang erneut die freundliche Stimme.

Als Dieter sein Gesichtsfeld nach dem Ausgangspunkt des soeben Gehörten ausrichtet, blickt er unversehens in das freundliche Gesicht einer jungen Frau. Sie war nicht wirklich eine Schönheit und wird sicher niemals auf dem Titelblatt einer Zeitschrift zu sehen sein, die sowieso niemand liest. Dennoch verschlug ihm ihr Anblick kurzfristig die Sprache. Es war eine besondere Art von Lebensfreude eine tiefe Zufriedenheit mit sich und der Welt, die von ihr ausging, die ihm aus ihren Augen entgegen strahlte, die ihn in ihren Bann zog, und die sie auf ihre Art doch zu einer Schönheit machte.

Eine Schönheit die eine Kamera nicht einzufangen vermochte, die nur in der Realität existierte, die man nur erkannte, wenn man in ihrer Nähe war und die sie wie eine Aura umgab. Wenn er an Engel glauben würde, dann wäre er wohl heute Einem begegnet. Dieter musst sich zwingen sie nicht anzustarren, er versuchte zwanghaft irgendetwas zu sagen, aber es fiel ihm nichts ein, dass es wert gewesen wäre einem Engel mitzuteilen. Und so kam es eher trotzig aus ihm heraus: „Ich habe nicht auf das Kreuz gestarrt. Es ist mir gar nicht aufgefallen, dass hier überhaupt eins hängt“. Gab es in einem jetzt fast verlegenen Ton von sich. Der eigentlich nicht existierende Engel sah ihn nur mit einem Lächeln welches die Freundlichkeit der ganzen Welt in sich zu vereinigen schien an. „Versuchen sie noch ein wenig zu Schlafen ich schaue später nochmal nach ihnen“ Dann verließ er das Zimmer. Dieter hatte das Gefühl, dass er etwas von seiner Aura zurückgelassen hatte, etwas dass ihn in eine innerer Unruhe versetze, dass ihn unweigerlich dazu zwang seine eigenes Leben reflektieren zu müssen. Lebensfreude war etwas das Dieter nicht kannte.

Klar gab es Augenblick in denen es sich wohlfühlte, die er als schön empfand, die er manchmal sogar genießen konnte Aber eine wirkliche Freude zu empfinden einfach nur weil man lebte, eine Freude auf den nächsten Tag, obwohl das nur ein ganz gewöhnlicher Tag sein wird, war Dieter fremd. Nicht dass er unglücklich wäre. Nein das konnte man nun auch nicht sagen. Wenn er so recht überlegte, hatte er eigentlich überhaupt keine Gefühle bezüglich seiner Lebenssituation, die er im Stande gewesen wäre einzuordnen. Er lebte einfach so vor sich hin. Sein Leben hatte weder Höhepunkte noch Tiefpunkte. Es war weder heiß noch kalt, es war einfach lauwarm und hatte allenfalls kältere oder wärmer Strömungen, wie man sie vom Baden in einem See kannte. Sein Leben war eben sein Leben basta.

Vor einiger Zeit hatte ihn Matthias einmal gefragt, was ihn an seinem Leben eigentlich gefiel und Dieter musste erschreckt feststellen, dass ihm nichts einfiel, nichts dass er aufführen konnte, weder spontan noch nach reiflicher Überlegung. Ausgerechnet Matthias stellte so bescheuerte Fragen dachte Dieter bei sich, der den ganzen Tag in seiner Werkstatt hängt und an irgendwelchen alten Autos herumbastelt, der nicht einmal verheiratet war, der so weit Dieter wusste auch niemals eine Beziehung zu einer Frau hatte, was wusste der schon vom Leben, ein Eremit, gefangen in einer Werkstatt umgeben von alten vor sich hin rostenden Autos.

Und dennoch dachte Dieter bei sich, wenn es auch schwer vorstellbar war, Matthias machte eigentlich einen ausgeglichenen Eindruck, vielleicht war er sogar zufrieden so wie sein Leben war, vielleicht wollte er es genauso haben. Er hatte sein Dasein als Eremit selbst gewählt und schien sich damit arrangiert zu haben. Ob er wirklich glücklich damit war wusste Dieter nicht, genau genommen war er nicht einmal sicher ob er wusste was glücklich sein war. Gesprochen hatte er bisher mit Matthias nie über dessen Gefühle, über das was in ihn vorging. Er kannte Matthias schon so lange und wusste im Grunde nichts von ihm.

Endlich erbarmte sich erneut der Schlaf und riss ihn aus seinen deprimierenden Gedanken. Lebensfreunde konnte so deprimierenden sein, vor allem wenn es die Lebensfreude anderer ist. Die raue Stimme seiner Beinahe-Freundin Schwester Sylvia riss ihn aus einem unruhigen Schlaf. Sie hatte endgültig die ihr eigene Robustheit wiedererlangt und die Vorkommnisse des gestrigen Abends wohl unbeschadet überstanden.

„So Herr Frei, wie geht es uns denn heute?“

„Wie es ihnen geht weiß ich nicht, mir geht es soweit ganz gut“, antwortete Dieter mit einem Grinsen auf dem Gesicht ob seines seiner Meinung nach recht gelungen Scherzes, insbesondere wenn man bedenkt, dass er gerade erst die Augen geöffnet hat.

Schwester Sylvia teile die Begeisterung über seinen Scherz nicht und zog es vor, nicht näher darauf einzugehen. Stattdessen knallte Sie ihm das Tablett mit seinem Frühstück auf den neben dem Bett stehenden Tisch.

„Ich nehme an sie können zum Essen aufstehen.“

Ohne ein weiteres Wort, drehte sie sich um und verließ das Zimmer. Dieter musste an seine Begegnung am gestrigen Abend denken. War es möglich, dass sein Engel gar nicht existierte und gestern Abend auch Schwester Sylvia in sein Zimmer kam, um nach ihm zu sehen? Nein so sehr kann er nicht neben der Spur gewesen sein. Dieter stand auf und setze sich an den kleinen schmucklosen Tisch auf dem das Tablett mit seinem Frühstück stand, das aus zwei äußerst dünn geschnittenen Scheiben Brot bestand, die wohl nur so dünn geschnitten werden konnten da das Brot aufgrund seines bereits fortgeschrittenen Alters die erforderliche Schnittfestigkeit aufwies.

Dazu wurde eine Scheibe Käse, und eine Scheibe Wurst gereicht, die ebenfalls eine erstaunliche Filigranität aufwiesen. Für Süßfrühstücker wurde noch ein kleines Schälchen Marmelade genau genommen Erdbeermarmelade dazugelegt. Der ebenfalls im Umfang des opulenten Frühstücks enthaltene Kaffee schaffte es geschickt, seine wahre Existenz zu verbergen und überließ es der Phantasie des Konsumenten einzuordnen um welche Art Heißgetränk es sich tatsächlich handelte.

Der Anblick seines Frühstückes ließ in Dieter die Gewissheit reifen, dass die allgemeine Finanznot der Krankenkassen nicht durch die Verpflegung der Krankenhauspatienten verursacht wurde. Dieter nippte vorsichtig an der mit Heißgetränk gefüllten Tasse und war zumindest darüber erfreut, dass das servierte Getränk tatsächlich die Temperatur eines Kaffees aufwies, wobei sich hiermit die Übereinstimmungen mit einem ihn an Kaffee erinnerndes Getränk auch bereits erschöpft hatte, wie er nach dem ersten vorsichtigen Schluck angewidert feststellte. In diesem Augenblick betrat seine Frau Claudette bewusst, ohne anzuklopfen das Zimmer.

„Was hast Du denn da?“ rief sie erschrocken aus, als sie das Tablett vor Dieter erblickte.

„Soll wohl ein Frühstück sein“, gab Dieter zurück.

„Das sehe ich auch, ich bin ja nicht blöd“

„Ich dachte nur weil Du gefragt hast wäre es höflich zu antworten. Im Übrigen geht es mir ganz gut, nur um die Antwort auf deine zweite Frage vorweg zu nehmen“

Claudette war indes mit weitaus wichtigeren Dingen befasst wie das Wohlergehen ihres Mannes

„Das hat bestimmt Schwester Sylvia gebracht“, äußerte Claudette ihren Verdacht mit einem fast schon hasserfüllten Unterton. „Richtig“ „Das macht die doch mit Absicht! rühre das Zeug bloß nicht an“, ermahnte Claudette Dieter eindringlich, als bestünde Vergiftungsgefahr.

„Zu spät, ich habe schon einen Schluck von diesem Zeug getrunken muss ich jetzt sterben?“ gab Dieter mit einem breitem Grinsen zurück.

“Hast Du heute einen Clown gefrühstückt oder was? „fauchte Claudette ihn an während sie wutentbrannt das Tablett vom Tisch riss und dabei einen nicht unerhebliche Menge des Kaffeeersatzgetränkes vergoss.

Es dauerte nicht lange und Claudette kam mit einem Frühstückstablett, genau genommen war es ein Frühstücksbuffet das auf einem kleinen aus drei Tabletts bestehenden Servierwagen drapiert war, mit einem nicht zu übersehenden Stolz zurück. Auf die Beschreibung der einzelnen Bestandteile des Privatpatientenfrühstückes wird hier bewusst verzichtet, da dies den Rahmen sprengen würde und den gemeinen Kassenpatient unter den Lesern zudem noch in eine tiefe Sinnkrise stürzen könnte.

„Der Kaffee fehlt,“ stellte Dieter wenig beeindruckt fest.

„Der wird frisch gebrüht und sollte jeden Moment kommen. Ich habe Dir einen Milchkaffee aus 100% Arabikabohnen bestellt, wenn es recht ist“

„Ist es meine Liebe“ gab Dieter in der Manier eines englischen Adligen aus dem 19 Jahrhundert zurück.

Kurz darauf klopfte es an der Tür und auf das eher unfreundliche

„Herein“, von Claudette betrat völlig unerwartet Dieters ganz persönlicher Engel den Raum.

Ihr Gang konnte wahrlich als elfenhaft bezeichnet werden und wurde von einer leichten fast schon tänzerischen Beckenbewegung sehr dezenten untermauert. Dieter verlor für einen kurzen Moment das Bewusstsein, und war nicht mehr in der Lage, seinen Blick bewusst zu steuern, so dass dieser sich völlig auf den Busen des Engels fokussierte.

„Ihr Kaffee Herr Frei, ich hoffe er ist recht“.

Hätte Dieter in diesem Augenblick von der hübschen jungen Krankenschwester vernehmen können, wäre er bei Bewusstsein gewesen. Auch die dazugehörige Lippenbewegung konnte er in diesem Moment nicht wahrnehmen, da sich diese knapp oberhalb seines Gesichtsfeldes befand. Claudette bemerkte den apathischen Zustand ihres Ehegatten und versuchte mit einem gezielt gesetzten Ellenbogenhieb ihren Mann wieder in die reale Welt zurückzuholen. Unter normalen Umständen hätte sie wohl auch Erfolg damit gehabt, wenn sich der Engel nicht genau in diesem Augenblick umgedreht hätte, um den Weg aus dem Zimmer in Angriff zu nehmen.

Diese ebenfalls elfengleiche Bewegung versetzte Dieter erneut in eine tranceähnlichen Zustand in welchem er lediglich in der Lage war, sein Gesichtsfeld der Art zu justieren, das er den, den Busen in nichts nachstehenden, Hintern seines persönlichen Engels ins Zentrum seines Bewusstsein rücken konnte. Aus dieser Perspektive hatten die den schwebenden Gang begleitenden dezenten Hüftbewegungen der jungen Krankenschwester eine noch betörende Wirkung auf Dieter.

Der erneut eingesetzte aber diesmal mit einer unbarmherzigen Härte ausgeführte Ellenbogenhieb seiner Frau riss Dieter schmerzhaft aus seinem apathischen Zustand zurück in die Realität.

„Sag mal hast Du sie noch alle, kannst Du der Krankenschwester noch auffälliger auch der Arsch glotzen, da muss man sich ja schämen, fehlt nur, dass du anfängst zu sabbern“, schnauzt in Claudette an, kaum dass der Blick auf die Hüftbewegungen durch die geschlossene Tür Dieters Sichtfeld entrückt war.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb sich Dieter der Bizeps seines rechten Armes und sah Claudette ungläubig ins Gesicht.

„Ich habe doch nicht geglotzt“, gab er eingeschüchtert zurück, wohl wissend, dass es nicht klug wäre, sich jetzt auf eine weitere Diskussion mit seiner Frau ein zulassen.

„Nicht geglotzt, dass ich nicht lache“.

Glücklicherweise betrat Dr. Müller mit einer Schar anderer Ärzte und Krankenschwestern das Zimmer zur morgendlichen Visite. Leider war anstelle seinen Engels Schwester Sylvia unter den begleitenden Krankenschwestern, die einen verstohlenen fast ängstlichen Blick auf Claudette warf, und offensichtlich den Robustmodus wieder für eine kurze Zeit zugunsten des Verängstlichtmodus verlassen hatte.

„Ah Frau Dr. Karlmann Frei welch eine Freude sie zu sehen, wie ich sehe kümmern Sie sich bereits um ihren Mann“, warf Dr. Müller in der ihm eigenen äußerst schleimigen Art in den Raum.

Claudette schaffte es gerade so ihrem zur Faust geballtem Gesicht so etwas wie ein Lächeln abzuringen, wobei ihr die Gesichtszüge etwas entglitten, sodass Dr. Müller eine kaum wahrnehmbare Abwehrhaltung einnahm

„Ja, ich bin etwas besorgt um meinen lieben Mann“, gab Claudette zurück wobei sie die von Dr. Müller in den Raum gesetzte Schleimspur ansatzlos verlängerte.

Dieter war sichtlich beeindruckt von den schauspielerischen Fähigkeiten seine Frau, auch wenn die Lieblichkeit ihrer Stimme nicht so ganz in Einklang mit ihrer immer noch wie eingefroren wirkenden Gesichtsmimik stand.

„Wie fühlen wir uns denn?“ fragte Dr. Müller den Blick auf Dieter gerichtet.

Dieter überlege, ob er den zuvor bei Schwester Sylvia eher mäßig erfolgreichen Scherz erneut ins Spiel bringen sollte, entschied sich aber dagegen.

„Ich fühle mich eigentlich ganz gut“, antwortet Dieter in einem unsicher wirkenden Tonfall.

„Und uneigentlich?“

Dr. Müller war von seiner als Scherz gedachten Frage sichtlich begeistert, was er durch eine unmittelbar auf die Frage folgende Lachattacke zum Ausdruckt brachte. Alle anderen im Raum befindlichen Personen vermochten es nicht sich an Dr. Müllers Lachen zu beteiligen, was diesen veranlasste seine Lachattacke jäh abzubrechen.

„Keine Schmerzen, keine Übelkeit, Sehstörungen oder dergleichen“, mischte sich eine grauhaariger möglicherweise aus einer der zahlreichen Krankenhausserien im Fernsehen ausgeliehener, gutaussehender Arzt ein, nicht ohne Dr. Müller mit einem prüfenden Blick zu strafen, was diesen dazu veranlasste verschämt auf den Boden zu sehen.

„Hallo Herr Prof. Dr. Brinkmann, es freut mich, dass sie sich persönlich um meinen Mann kümmern“, verlängerte Claudette die von ihr und Dr. Müller gesetzt Schleimspur, dass diese inzwischen durch den kompletten Raum reichte.

Inzwischen hatte sie ihre Gesichtsmimik wieder so weit unter Kontrolle, dass man ihren Gesichtsausdruck mit etwas guten Willen als ein freundliches Lächeln interpretieren konnte.

„Freut mich sie zu sehen Frau Dr. Karlmann Frei“, gab der Herr Professor sichtlich unberührt von der Schleimattacke Claudettes zurück.

Dieter bemerkt wie die Nervosität von Claudette bei der kleinen Pause die der Professor zwischen dem Frau Dr., welches es zusätzlich noch merklich in die Länge zog, und ihrem Namen, offensichtlich weil ihm dieser nicht sofort einfallen wollte, machten musste, stetig anstieg, und welche sichtbare Erleichterung es für sie brachte, dass er ihm doch noch einfiel.

Wäre diese nicht der Fall gewesen, hätte sie das bei ihrem Bemühen eine Chefarztstelle zu bekommen um Jahre zurückgeworfen.

„Nein ich fühle mich tippi toppi“, gab Dieter zurück, nicht ohne den Hintergedanken seine Frau mit dieser saloppen Formulierung in Verlegenheit zu bringen, die diese allzu lockere Ausdrucksweise auch mit einem kurzen, bösen Seitenblick quittierte.

„Na dann ist ja alles guddi guddi“, antworte der Professor leicht grinsend, was wiederum bei Claudette eine wohl von ihrem beruflichen Ehrgeiz inspirierten Lachattacke ausgelöste, welche aber ähnlich wie bei Dr. Müller eher den Unmut des Professors auslöste.

„Gut, da sie zu Hause ja in besten Händen sind, könne wir sie wohl entlassen“, sprach der Herr Professor während er Dieter die Hand drückte und verließ gefolgt von seinem Hofstaat den Raum.

Claudette stand noch einige Sekunden orientierungslos herum bevor sie mit einem

„Tippi Toppi, ich glaub es hackt“, ebenfalls den Raum verließ.

Was wohl so viel heißt wie

„Du kommst sicher allein nach Hause.“ Kurze Zeit später befand sich Dieter mit einer von Schwester Sylvia wenig sensibel neu geschienten Nase auf dem Weg Richtung Bob, die ihn nach Miesbach bringen sollte. Obwohl er nur eine reine Fahrzeit von 4 Minuten hinter sich zu bringen hatte, benötigte er für die ganze Aktion doch fast eineinhalb Stunden. Dies lag daran, dass er die erste Bob knapp verpasste und die zweite, ca. 20 Minuten Verspätung hatte, wegen technischen Schwierigkeiten wie er später erfuhr. Es machte Dieter wider Erwarten nichts aus zu warten, das Wetter war schön, die Sonne strahlte ihm entgegen und er konnte den schönen Blick in die Berge die sich Richtung Bayrischzell auftaten genießen.

Während der Wartezeit dachte er nochmal an die Ereignisse der Letzten Stunden zurück. Seinen Unfall, die Vision, und vor allem an seinen persönlichen Engel, an dessen körperliche Vorzüge und die unbeschreibliche Lebensfreude die von ihm ausging. Aber was war mit seinem Leben, mit seiner Ehe mit Claudette, war dass das was er wollte? Wieder überkam ihn eine melancholische Stimmung die auch der Sonnenschein nicht zu bändigen vermochte. Wieder fiel ihm die Frage seines besten genaugenommen seines einzigen Freundes Matthias ein und wieder hatte er keine Antwort auf diese einfache Frage was ihm an seinem Leben eigentlich gefiel. Endlich schloss sich die Schranke, und die Bob kam an der Haltestelle mit einem leichten quietschen zum Stehen. Dieter stieg ein, blieb aber direkt an der Tür stehen, da er sowieso gleich wieder Aussteigen musste. Seine anfangs gute Laune war wieder der Melancholie gewichenen, daran konnten auch die Sonne und die Berge nichts ändern.

Amsterdam

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