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Auf dem Weg zur Arbeit

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Dieter hätte gerne noch ein paar Tage krank gefeiert, aber sein Chef hatte ihn ohnehin auf dem Kieker, so dass er sich entschied, trotz der immer noch stark geschwollenen unter einen Schiene versteckten Nasen und der blau unterlaufenen Augen sowie diverser Schürfwunden in seinem Gesicht zur Arbeit zu gehen. Er wusste, dass seine Kollegen dumme Witze reißen würden, aber bei seinem Aussehen war ihnen das nicht wirklich zu verdenken. So zwang er sich am Mittwochmorgen gegen 6:30 Uhr aus dem Bett und schleppte sich müde durch den Flur in Richtung Küche, direkt an den neuen Kaffeeautomat, den Claudette schon allein aus Prestigegründen unbedingt haben musste, was insbesondere im Hinblick auf die Tatsache, dass sie eigentlich überhaupt keinen Kaffee trank, sehr bezeichnet für Claudette war, deren Handlungen häufig nicht darauf ausgerichtet waren, ihrer eigene Wünsche und Bedürfnisse zu stillen, sondern lediglich die ihrer Meinung nach von ihrem Umfeld an sie gerichtete Erwartungen zu erfüllen, oder eben jenem Umfeld zu zeigen, dass sie es zu etwas gebracht hatte, und dass sie allein schon aus diesem Grund glücklich sein musste. Vielleicht versuchte sie sich das auch nur selbst einzureden.

Eine Kaffeemaschine als Symbol eines glücklichen Lebens, die Welt war schon verrückt. Ihr Leben musste zwingend immer den neusten Trends folgen, der neusten Mode unterworfen sein. Und wenn dies bedeutet eine Kaffeemaschine oder wie sie zu sagen pflegte einen Kaffeevollautomaten für über 1000 € zu kaufen, obwohl man selbst eigentlich keinen Kaffee mochte. Dieter betätigte den Druckknopf, um die Maschine in Betrieb zu nehmen, was sofort zu einer erheblichen Lärmemission führte, die Dieter wie eigentlich jedes Mal bin ins Mark erschütterte. Eigentlich möchte Dieter die neue Kaffeemaschine, trotz des erheblichen Lärms den Diese von sich zu geben pflegte, verhalf sie ihm doch auf sehr bequeme Weise zu einer guten Tasse Kaffee, was er gegenüber Claudette aber nie zugeben würde. Zufrieden setzte er sich an den Esstisch und war froh darüber, dass Claudette Frühdienst hatte und aus diesem Grund bereits aus dem Haus war. So hatte er seine Ruhe und wurde nicht von Claudettes unerträglich guter Morgenlaune behelligt. Kurze Zeit später saß er in der Bob Richtung München. Mit seinem entstellten Gesicht zog er die Aufmerksamkeit der anderen ebenfalls überwiegend übel launischen Passagiere auf sich, und entlockt einigen eher ungewollt ein kurzes mitleidiges Lächeln. Wie üblich starren die Menschen vor sich hin, oder schauten aus dem Fenster, oder sie lasen in ihren Zeitung, wobei die Spezies der Zeitung lesenden Menschen im Aussterben begriffen war, verdrängt von der Handygeneration, die permanent auf ihr Handy glotzten, darauf herum tippten oder wischten, oder auch beides gleichzeitig, um ihren Gerät irgendwelche Neuigkeit zu entlocken, oder selbst die Welt mit Neuigkeiten die im Grunde keinen Menschen interessierten, zu beglücken.

Neben den Handyglotzern gab es auch noch die Handylauscher, die jeder auch nur geringste Beeinflussung durch die sie umgebende Umwelt dadurch entgegen wirkten, dass sie sich nicht nur geistig sondern auch akustisch mit Hilfe ihres Handy abkapselten indem sie Musik hörten und die neben ihnen sitzenden, mit einem Gewirr aus hellen, kurzen Tönen in mehr oder weniger schneller Abfolge überzogen. Dieter selbst gehörte zu den ebenfalls vom Aussterben bedrohten Spezies der Menschenbeobachter, die einfach nur so herum sahen und die sie umgebenden Menschen beobachten, statt in ihr Handy zu starren. Damit gehörte er zwar zu den Exoten was ihm durchaus bewusst war, aber es störte ihn nicht im Geringsten. Manchmal versuchte er sich vorzustellen wie diese Leute lebten, was sie von Beruf waren, ob sie glücklich oder einsam waren, wohin sie wohl fuhren. Heute fiel sein Blick auf eine junge recht hübsche Frau, die sich angeregt mit ihrer Nachbarin unterhielt die offensichtlich ihre Freundin war, denn es war nicht zu übersehen, dass die beiden in einer engen, freundschaftlichen Beziehung zueinanderstanden. Diese sehr angeregte Unterhaltung ermöglichte es Dieter, die beiden jungen Frauen intensiv zu beobachten ohne dass es diesen auffiel. Die außen sitzende Frau hatte schulterlanges gelocktes Haar mit einem leichten Rotstich und trug eine dieser modernen Mützen, die eigentlich viel zu groß waren, und aus diesem Grund am Hinterkopf schlapp herunter hingen, und die man nicht trug, um den Kopf zu wärmen sondern lediglich auf Anordnung einer der zahlreichen Modemachern. Eigentlich mochte Dieter diese Form der Kopfbedeckung nicht, aber bei der jungen Dame wirkte sie irgendwie süß, sie passte zu ihr, gab ihr etwas kindliches, naives, eine Eigenschaft die Dieter bei Frauen mochte.

Unter ihrer nicht zugeknöpften grünen Jacke konnte man eine bunte Bluse sehen, die den Blick auf ein schönes Dekolletee freigab und Dieters Phantasie angenehm beflügelt. Ihr durchaus figurbetontes Outfit wurde durch eine enganliegende Jeans komplettiert. Aber Dieter war gar nicht so sehr von ihrem Erscheinungsbild beeindruckt, obwohl ihm das durchaus zusagte. Was ihn wirklich in ihren Bann zog, war die Ausstrahlung dieser jungen Frau, dieses unglaubliche Lächeln, das die junge Frau ständig umgab, dass sie umhüllte und ihr diese faszinierende Ausstrahlung verlieh. Ein Lächeln aus dem Dieter unbändige Lebensfreude entgegen schrie. Lebensfreude von der Dieter nicht wusste, ob diese immer da war, oder ob sich die junge Frau nur in einer besonderen Lebenssituation befand, die sie so glücklich machte. Vielleicht war sie frisch verliebt oder sie hatte irgendetwas erlebt, dass sie einfach glücklich machte. Sie sprach intensiv mit ihrer Freundin, deren Rolle sich mehr aufs Zuhören beschränkte. Während sie sprach, war ihr Gesicht von einem ständigen Lächeln durchzogen. Manchmal war es ein warmes, gefühlsbetontes Lächeln, manchmal schwoll es an, wurde zu einem Lachen, um dann wieder abzuebben in das warme betörende Lächeln, das Dieter so sehr in den Bann zog. Ihre Freundin war ein völlig anderer Typ, etwas mollig, trug ein weites, hoch geschlossenes weises T-Shirt und einen Langen dunkelblauen Rock.

Obwohl sie im Gegensatz zu ihrer Freundin stark geschminkt war, wirkte sie wahrscheinlich aufgrund ihres Kurzhaarschnittes recht burschikos. Sie hörte ihrer Freundin intensiv zu, hatte einen freundlichen Ausdruck auf dem Gesicht, lächelte aber nur gelegentlich. Sie hing Ihrer Freundin regelrecht an den Lippen, schien jedes Wort gierig aufzusaugen, und stimmte gelegentlich in das Lachen ihrer Freundin mit einem leichten Lächeln ein. Ein solches Gespräch kann es wohl nur unter Frauen geben, eine redet, eine hört zu und beide sind völlig gefangen in diesem Gespräch und scheinen es wirklich zu genießen. Leider konnte Dieter nicht verstehen was die beiden Frau redeten da er zu weit weg saß, aber und da war er sich sicher, es konnte sich hier nur um ein Gespräch über eine neue Liebe handeln, das konnte Dieter den Gesichtern der beiden Frauen entnehmen und außerdem was sonst konnte eine junge Frau so glücklich machen wenn nicht die Liebe zu einem jungen Mann. Dieter wunderte sich über seine romantische Ader, die er eigentlich nicht an sich kannte. Er benahm sich als hätte er eine Überdosis Rosemunde Pilcher Filme abbekommen. Dieter musste selbst ein wenig über seine Gedanken lachen.

Die junge Frau aber strahlte immer mehr, und ihre Freundin freute sich mit ihr, es war kein Neid erkennbar, sondern eine ehrliche Freude über das Glück der anderen. Dieter starrte die beiden Frauen an, ohne dass diese es bemerkten. Er war beeindruckt von der Lebensfreude die in diesem Gespräch spürbar war. Für einen kurzen Moment musste er wieder an seinen persönlichen Engel, der ihm im Krankenhaus begegnet war, denken. Vielleicht war die junge Frau ja der gleiche Engel, nur in einer anderen Gestalt. Dieter musste erneut über seinen eignen Gedanken lachen. „So ein Blödsinn, ich glaube ich werde langsam senil“ ging es ihm durch den Kopf. Aber es wundert ihn, dass er plötzlich so häufig von ihn umgebender Lebensfreude belästigt wurde. Obwohl er es genoss die beiden Frauen zu beobachte, obwohl er das Gefühl hatte, ein Stück seines Lebensweges mit der jungen Frau zu teilen, vielleicht sogar ein Stück ihres Lebensglücks zu spüren, fühlte er sich bedroht, bedroht von etwas dass er in dieser Form nicht kannte, dass sich in aller Regel weit von ihm entfernt aufhielt, und dass ihn dazu zwang, sein eigenes Leben in Frage zu stellen.

Unverhofft schaute ihm die junge Frau auf einmal direkt ins Gesicht, und er spürte, wie ihr Blick kurz auf seinem Gesicht haften blieb. Für einen kurzen Augenblick wich das Lächeln aus ihrem Gesicht und sie sah ihn fast mitleidig an. Klar ging es Dieter durch den Kopf, für eine junge Frau war es eine unerträgliche Vorstellung so entstellt in der Öffentlichkeit herumlaufen zu müssen. Aber nur wenige Sekundenbruchteile später lächelte sie ihn kurz an, um sich dann wieder dem Gespräch mit ihrer Freundin zu widmen. Zum ersten Mal störte es ihn, dass sein Gesicht so entstellt war, gerne hätte er der jungen Frau ein ebenso freundliches Lächeln geschenkt, aber aufgrund seines derzeitigen Zustandes geriet jedes Lächeln unweigerlich zu einer Fratze.

Es tröstet ihn, dass es erkennbar war, dass sein augenblickliches Aussehen nur vorübergehend war und er bald seine alte Schönheit wieder zurückerlangen würde, die wenn er ehrlich war sehr im Auge des Betrachters lag, denn eine Schönheit war er nicht gerade. Bis dahin oblag es der Phantasie des Betrachters oder besser der Betrachterin sich auszumalen, wie er wohl ohne Schiene vor der Nase, blau unterlaufenen Augen und diversen Abschürfungen aussehen würde. Sicher hatte sich die junge Frau ausgemalt, dass er wie Brad Pitt aussehen würde, dass jedenfalls wünschte sich Dieter von ganzen Herzen. Leider standen die beiden jungen Frauen kurz darauf auf und begaben sich in Richtung Ausgang. Glücklicherweise taten sie ihm den Gefallen, dass sie sich in seiner Blickrichtung in Bewegung setzten, so hatte er noch die Möglichkeit den beiden Frauen nachzusehen ohne sich verrenken zu müssen, und bei dieser Gelegenheit den in der engen Jeans sehr vorteilhaft präsentierten Hintern der jungen Frau zu begutachten. Als die beiden Frauen ausgestiegen waren hinterließen sie ein Vakuum in Dieters Kopf, und er verbrachte den Rest der Fahrt mit dem Versuch Ordnung in seine Gedanken zu bringen, wozu die Fahrt aber eindeutig zu kurz war. Als er ausstieg war er und seine Gedanken immer noch sehr verwirrt, und er begab sich äußerst widerwillig in Richtung seiner Arbeitsstelle. Bevor er sein Büro betrat, um sich den Blicken seiner nicht allzu sehr geschätzten Kollegen und Kolleginnen auszusetzen, blieb er kurz stehen und überlegte ob er sich nicht einfach umdrehen sollte und wieder nach Hause gehen sollte. Dieser Vorgang wiederholte sich fast jedem Tage und wie jedes Mal entschied er sich, nicht nach Hause zu gehen, sondern seiner verdammten Pflicht nachzugehen.

Eines Tages und das schwor er sich ebenfalls jedes Mal, können sie ihn Alle den Buckel herunterrutschen um das Ganze etwas vornehmer auszudrücken, Er stellte sich vor, wie er einfach die Tür aufreißen, „Ihr könnte mich alle Mal„ den verstört dreinschauenden Kollegen und Kolleginnen entgegen rufen sich umdrehen und wieder nach Hause gehen würde, um nie wieder zu kommen. In der Hoffnung, dass ihn keiner seiner Kollegen und Kolleginnen sieht, begab er sich möglichst unauffällig in Richtung seines Schreibtischs, obwohl er wusste, dass es unumgänglich war früher oder später seinen Kollegen und Kolleginnen in die Arme zu laufen.

„Ah unsere Sportskanone“, schallte es Dieter bereits nach wenigen Sekunden entgegen.

Gott sei Dank dachte er bei sich als er die Stimmer erkannte. Es war Andreas Krüger, einer der wenigen Kollegen mit denen Dieter gut zu Recht kam. Andreas war fast so etwas wie ein Freund, auch wenn es diese Freundschaft nie in den privaten Lebensbereich von Dieter geschafft hatte, sondern es sich um eine reine Arbeitsplatzfreundschaft handelte, mochte er Andreas sehr gerne. Vor allem mochte er seinen Humor und seine lockere Lebenseinstellung. Andreas sah nicht alles immer so verdammt verbissen, wie die Anderen Kollegen und Kolleginnen und vor allem wie er selbst. Er war nicht immer nur am Schimpfen und beteiligte sich nur selten am allgemeinen Gelästert während der Frühstücks- und Mittagspause.

“Na lass dich mal ansehen“, sagte Andreas während er ihm den Arm um die Schulter legte um ihn übertrieben gründlich zu mustern.

„Man sieht ja fast nichts“, schloss er mit einem breiten Grinsen seine Begutachtung ab.

„Tut es denn weh?“

„Nur wenn ich lache. Ist der Alte schon da?“ wollte Dieter wissen.

„Ja der wartet schon auf dich, hat irgendetwas von einer Zwischenpräsentation gefaselt“

Bei dem Wort Zwischenpräsentation läuft es Dieter eiskalt den Rücken herunter.

„Verdammt die Präsentation habe ich ganz vergessen wann soll die vorgestellt werden?“

Dieter blickt ängstlich zu Andreas in der Hoffnung von der schlimmsten aller denkbaren Antworten verschont zu bleiben.

„Heute um 10:00 Uhr. Der Entwicklungsleiter Dr. Müllerstein ist auch schon im Haus, ich wusste gar nicht, dass der heute auch dabei ist. Ich glaube der hat eine verdammt schlechte Laune, jedenfalls hat der den Alten schon ziemlich zur Sau gemacht.“, antwortete Andreas mit einem mitleidigen Blick in Richtung Dieter.

Diese Antwort übertraf die von Dieter als die schlimmste aller denkbaren Antworten erdachte um ein erhebliches Maß, auch wenn er der Vorstellung, dass der Alte zur Sau gemacht wurde, durchaus etwas Positives abgewinnen kann. Dieter wurde schlagartig klar, dass er ein Problem hatte und zwar ein großes. Er besaß eine Rohfassung der Präsentation die allerdings noch so roh war, dass das Blut noch daraus tropfte und er hatte genau eine Stunde Zeit, diese so aufzubereiten, dass sie zumindest einigermaßen verdaulich war. Dieters Puls beschleunigte sich rasant.

„Verdammt ich muss sofort retten was noch zu retten ist, der Alter wusste doch, dass ich krank war, warum hat er den Termin nicht verschoben?“ schaffte Dieter seiner Verärgerung Luft während er sich schon auf den Weg zu seinem Arbeitsplatz machte.

Amsterdam

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