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Der Unfall

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Regungslos lag Dieter im Dreck, noch immer hatte sich die Schockstarre nicht gelöst. Es spürte überhaupt nichts, er spürte noch nicht einmal den weiterhin unaufhörlich auf ihn einprasselnden Regen. Doch plötzlich schien der Regen aufzuhören, und Dieter fuhr im strahlenden Sonnenschein mit einem Fahrrad, fröhlich vor sich hin pfeifend eine wunderschöne Allee entlang, die dem Lauf eines friedlich dahinfließenden Flusses folgte. Aber es handelte sich nicht um ein gewöhnliches Fahrrad, es hatte auf der Hinterachse zwei Räder, war mit einem Aufbau versehen der einem Kofferraum glich, und fuhr ohne, dass er sich anstrengen musst, ohne dass ihm die Oberschenkel brannten.

Ein E-Bike dachte Dieter, es muss ein E-Bike sein. An einer besonders schönen Stelle, direkt unter einer großen Linde hielt er an. Im Hintergrund begann die Sonne langsam unterzugehen und verlieh den Himmel einen wunderschönen orangeroten Farbanstrich. Er stieg ab, ging um das Fahrrad herum und klappte einen Teil des hinteren Aufbaus um 180 Grad um, lies zwei Stützen herab, und stellte den umgeklappten Teil auf dem Boden ab, so dass dieser mit dem feststehenden Teil das Aufbaus in einer Linie stand. Dann entnahm er einige Kisten, und stellte diese unter den aufgeklappten Teil des Aufbaus. Aus einer der Kisten entnahm er eine Art Zelt, und baute dieses so auf, dass sein Fahrrad davon umschlossen war. Anschließend blies er eine Luftmatratze auf und legte diese auf die sich aus dem feststehenden und den klappbaren Teil des Aufbaus ergebende Liegefläche, packte einen Schlafsack aus und legte sich auf das gemütlich wirkende Bett. Genau in diesem Augenblick kam Dieter wieder zu sich.

Er wusste nicht ob er nur ein paar Sekunden zwischen den Bäumen im Dreck lag, oder ein paar Stunden. Langsam, aber unwiderstehlich kamen die Schmerzen und er spürte, dass er stark aus der Nase blutet. Sein Fahrrad lag immer noch halb auf ihm. Mit langsamen Bewegungen aus Angst er könne sich etwas gebrochen haben, packte er das Fahrrad und wuchtet es auf die Seite. Mühsam begab er sich zuerst auf die Knie, um sich dann ganz vorsichtig ganz aufzurichten, wobei er den Baum gegen den er geprallt war zur Hilfe nahm indem er sich an diesem hochzog. Zu seiner Erleichterung wurde der gesamte Bewegungsablauf nicht durch plötzlich auftretende Schmerzen begleitet, so dass er schloss sich zumindest an Armen und Beinen nicht ernsthaft verletzt zu haben.

Allerdings spürte er an seinem gesamten Körper ein Brennen. Als er sich genau betrachtet sah er, dass er unzählige mit Schlamm und kleinen Schottersteinen verzierte Schürfwunden aufwies. Wenigstens gebrochen scheint nichts zu sein, stellte er einigermaßen beruhigt fest. Seiner Nase entwich weiterhin eine nicht unerhebliche Menge Blut, überhaupt brannte sein Gesicht wie Feuer. Er war froh, dass er keinen Spiegel zur Hand hatte, und so wenigstens vom Anblick seines sicherlich schwer in Mitleidenschaft gezogenen Gesichtes verschont wurde. Er kramte in seinen Taschen nach einem Taschentuch, obwohl er wusste, dass er nie ein Taschentuch einstecken hatte. Normalerweise fragte der Claudette, wenn er ein Taschentuch benötigte, die hatte immer Taschentücher in ihrer Handtasche, die sie immer bei sich trug, außer beim Radfahren, da hatte sie selbstverständlich ein kleines Erste-Hilfe-Pack bei sich. Dieter hasste diese Besserwisserei. Aus Ermangelung eines Taschentuches oder gar Erste-Hilfe-Packs entschloss Dieter sich, seinen Schuh auszuziehen, um an seinen ohnehin völlig durchnässten Socken zu kommen, welchen er sich zur Eindämmung des Blutflusses vor die Nase hielt. Dieser etwas ungewöhnliche Lösungsansatz erfüllt ihn mit Stolz, zeigte er doch, dass auch er sich durchaus zu helfen weiß und nicht auf Claudettes Handtasche oder noch schlimmer auf ihr Erste-Hilfe-Set angewiesen war.

Allerdings erwies es sich als ratsam, den Socken nicht gegen die Nase zu drücken, da eine direkte Berührung einen nicht unerheblichen Schmerz hervorbrachte. Dieter lehnte sich an den Baum an, mit dem er bereits Bekanntschaft geschlossen hatte, und überlegte, was er nun machen sollte. Noch immer regnete es, aber wenigstens hatte der Regen soweit nachgelassen, dass er keine Luftbläschen in den Wasserpfützen mehr bildete. Dennoch konnte Dieter nicht damit rechnen, dass in absehbarer Zeit Passanten den Weg entlangkamen, die er um Hilfe bitten konnte. Sein Handy hatte er natürlich nicht mitgenommen. Warum denn auch, wenn bitte sollte er an einem Sonntagmorgen anrufen, und angerufen wurde er sowie so gut wie nie.

Bisher war er immer stolz, dass er nicht so von diesem elektronischen Zeug abhängig war, dass er recht gut ohne diese Bürde der modernen Menschheit zurechtkam. Es versetze ihn regelrecht in Angst und Schrecken, wenn er beobachtet, dass vor allem junge Menschen kaum eine Sekunde ohne ihr Handy auskamen. Er fragte sich immer was es denn bitteschön ständig an diesem Ding herumzudrücken oder hineinzuglotzen gab. Wie lange wird es wohl noch dauern, bis die Menschen überhaupt kein direktes Wort mehr miteinander sprachen, sondern nur noch E-Mails oder SMS oder sonst irgendein Zeug schrieben. In diesem Moment musste er allerdings zugeben, dass es durchaus hilfreich wäre ein Handy bei sich zu haben. Er tröstete sich damit, dass er bei seinem Glück ohnehin kein Netz gehabt hätte.

Mühsam krabbelte er auf allen Vieren die Böschung hoch, die er noch vor wenigen Minuten hilflos auf seinem sauteuren Fahrrad sitzend hinunter gedonnert war, vergaß allerdings, den Socken aus der Hand zu nehmen, wodurch dieser erheblich mit Schlamm beschmutzt wurde. Oben angekommen überlegte er sich kurz ob er den Socken wechseln sollte, entschied sich aber dagegen, da ihm dies zu mühsam erschien. Er richtet sich so gerade auf wie es ihm im Augenblick möglich war. Er überlegte kurz (er zählte noch nie zu der Sorte Mensch, die sich mit langen Überlegungen aufhielt) ob er lieber aufwärts oder abwärts gehen sollte, und entschloss sich, nach oben zu gehen, da dies der kürzere Weg sein musste.

Es tat ihm im Herzen weh, sein sauteures Fahrrad zurückzulassen, aber es war ihm klar, dass er es unmöglich schaffen konnte das Ding den Berg hoch zu zerren. Kürzer erwies sich jedoch recht schnell als relativ. Es kostet Dieter alle Kraft, dem immer noch recht steilen Weg Richtung Gindelalm zu folgen, und er fragte sich erneut, warum Menschen ihren Gastronomiebetrieb unbedingt auf einen Berg setzen mussten. Wahrscheinlich, weil die Menschen, wenn sie oben angekommen waren völlig ausgehungert und vor allem ausgetrocknet waren, und dadurch der Umsatz pro Gast stieg. Allerdings war die Anzahl der Gäste geringer, da es vielen Menschen sicherlich vermieden eine solche Strapaze auf sich zu nehmen. Dieter riss sich von seiner wirtschaftlichen Überlegungen los, da er einsah, dass das nicht bringen konnte, und konzentrierte sich wieder auf die Bewältigung des Aufstiegs, wobei er entschied ganz bestimmt nichts in diesem Etablissement zu bestellen sollte er jemals ankommen.

Er war inzwischen so erschöpft, dass er noch nicht einmal bemerkte, dass der Regen aufgehört hatte. Schritt für Schritt quälte er sich den Berg hoch. Sein Socken war inzwischen völlig durchgeblutet, sodass das Blut vermischte mit dem ebenfalls am Socken hafteten Schlamm bereits heraustropfte und auf seinem T- Shirt landete welches ohnehin schon völlig verdreckt war. Blut und Schlamm bildete auf seinem T- Shirt ein obskures Muster, dass man mit etwas gutem Willen als moderne Kunst betrachten konnte, dass, wäre es von einem berühmten Künstler kreiert worden, sicherlich bei irgendeiner Auktion viel Geld eingebracht hätte. Überhaupt gab er eine äußerst klägliche Figur ab, über und über mich Schlamm und Blut verschmiert, übersät mit kleineren und größeren Schürfwunden, welche in seinem Gesicht den Höhepunkt erreichten, eine Nase aus der das Blut wie aus einem Wasserfall sprudelte, und deren Ausrichtung in Bezug auf den Rest seines Gesichtes sich deutlich geändert hatte. Man konnte auch ohne genau hinzusehen eine deutliche Tendenz nach rechts erkennen. Endlich erreichte Dieter den Linksknick des Weges den er tatsächlich mochte, und den er sich im Laufe der Zeit eingeprägt hatte und von dem er wusste, dass es der letzte war, bevor diese verdammte Gindelalm endlich auftauchte. Aufgrund des schlechten Wetters saß kein Gast auf der Terrasse und Dieter konnte unbemerkt den Eingang erreichen.

Mit letzter Kraft stieg er die wenigen Stufen hoch und drückte die Türklinke nach unten. Mit einem leichten Quietschen öffnete die Tür. Der Gastraum sah aus, wie der Gastraum einer Bergalm aussehen muss. Klobige mit einer undefinierbaren Patina überzogene Tische und Stühle bildeten die Grundausstattung. An den Wänden standen Sitzbänke gleicher Machart und die Decke zierten aus Hirsch- oder Rehgeweihen hergestellte Lampen, die eine gewisse Geschmacklosigkeit nicht verbergen konnten. Durch die kleinen Fenster wurde der Raum kaum erhellt und Georg der Wirt fand es wohl nicht für nötig, für die paar Gäste extra das Licht einzuschalten, sodass der Raum von einem fahlen Licht nur notdürftig erhellt wurde. Als Dieter in der Tür stand kam ihm das Bild aus alten Western in den Kopf, indem ein von Indianern verfolgter Cowboy mit letzter Kraft einen Saloon betrat, plötzlich jeder Lärm versiegte und alle auf ihn blickten. Genau in dem Augenblick fällt er nach vorne um, und man sieht, dass sein Rücken mit mindesten einem Dutzend Pfeilen verziert war, was zur Folge hatte, dass alle aufsprangen, die Männer ihre Waffen zogen und grimmige Kampfbereitschaft demonstrierten. Dieters Eintreten hatte nicht ganz den Effekt, was vermutlich im nicht Vorhandensein der Pfeile in seinem Rücke seine Ursache hatte.

Keiner der aufgrund des schlechten Wetters wenigen Gäste nahm Notiz von seinem Eintreten. Claudette saß unbeschwert bei einigen ihrer Sportkameraden, die ebenfalls, natürlich mit albernen Radklamotten ausstaffiert, den Weg nach oben gefunden hatten. Georg stand etwas gelangweilt an seinem Ausschank und hoffte wohl auf besseres Wetter. Dieter betrat den Gastraum und hinterließ eine Spur aus Schlamm und einzelnen Bluttropfen auf dem Boden. Ein kurzer spitzer Schrei brachte die fröhliche Unterhaltung der Sportkameraden, die sich sicherlich um irgendeine Tour auf irgendeiner gottverdammten Berg gedreht hatte, jäh zum Erliegen. Ausgestoßen wurde dieser von Maria Huber, eine Freundin wie Claudette sie wohl bezeichnen würde, wobei Dieter den Ausdruck Nervensäge wohl eher verwenden würde.

Diese hatte nichts ahnend und ohne ersichtlichen Grund ihren Kopf gedreht und war plötzlich mit dem schockierenden Anblick von Dieters erbärmlichem Erscheinungsbild konfrontiert. Maria wurde von der Urangst gepackt, Dieter könne nach vorne umkippen, um die Blick auf mindestens ein Dutzend in seinem Rücken steckenden Pfeile freizugeben, was für eine Horde mordlüsterner Indianer das Signal zum Stürmen des friedlich daliegenden Gastraumes darstellte. Zu ihrer Erleichterung kippte er nicht um, sondern bewegte sich leicht taumelnd auf die Gäste zu, die ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrten und für einen Moment regungslos verharrten. Claudette fand als routinierte Oberärztin im Krankenhaus Agatharied als Erste die Fassung und begrüßte ihn mit den Worten.

„Um Gottes willen, wie siehst Du denn aus?“

Dieter war sich nicht sicher ob es sich bei seinem Zustand tatsächlich um Gottes Willen handelte, aber wenn er sich an seine Zeit als Ministrant zurückerinnerte, so behaupten die Christen, dass nichts geschah ohne das Gott es wollte, oder es zumindest zuließ. Somit war sein Zustand wohl auch Gottes Wille, oder wurde von ihm wenigstens geduldet. Dieter hatte keine Zeit sich darüber zu ärgern oder sich gar zu fragen warum Gott es zuließ, dass er so zugerichtet wurde, da er sich eine passenden Antwort auf die Fragen seiner Frau überlegen musste.

„Wieso stimmt was nicht mit mir?“ gab er schnippisch zu Antwort.

Claudette überhörte den zynischen Unterton und begab sich stattdessen lieber zu ihrem Fahrrad und das Erste-Hilfe-Pack zu holen. Dieter konnte es nicht verhindern, dass er ihr beim Rausgehen auf den durch die Radlerhose in die Form einer Birne deformierten Hintern starrte. Lange Zeit war er der Meinung, dass es um eine Ehe nicht so schlecht stehen kann, wenn man seiner Frau noch auf den Hintern starrt, inzwischen war er sich da aber nicht mehr ganz so sicher. Irgendwie muss es da noch mehr geben, drängte es ihm unweigerlich immer öfter in den Kopf.

Die Anderen Gäste, die Dieter allesamt bekannt waren, und die er wie eigentlich alle Freunde oder Bekanntschaften seiner Frau allesamt nicht leiden konnte, glotzen Dieter noch immer ungläubig an. Es dauerte einige Sekunden, bis einer der Gäste sich aufraffte seiner Neugier nachzugeben und Dieter fragte, was passiert war. Dieter war zu müde und hatte ehrlich gesagt keine Lust das was er gerade erlebt hatte ausgerechnet diesem in Radler Klamotten gepressten Lackaffen zu erzählen und flüchtet sich daher in eine Lüge.

„Ich kann mich an nichts mehr erinnern“ gab er fast etwas zu theatralisch zur Antwort “ In meinen Erinnerungen klafft eine Lücke, ich weiß nur noch, wie ich die Tür öffnete und hier hereinkam.“

Die Anwesenden sahen in mit einem mitleidigem Blick an, so als müssten sie ihm ganz schonend mitteilen, dass er unheilbar an Krebs litt und nur noch wenige Tage zu Leben hatte. Claudette betrat den Gastraum und begann routinierte mit der Untersuchung ihres Patienten, der zufällig auch ihr Mann war, was sie bei ihrer Arbeite aber nicht nennenswert beeinflusste. Aufgrund der immer noch starken Blutung entschloss sie sich, mit der Untersuchung der Nase zu beginnen.

„Nimm doch mal das Ding da weg“ fuhr sie Dieter etwas genervt an, und meinte damit den Socken, den Dieter inzwischen eher unbewusst immer noch vor seine Nase hielt.

„Was ist das überhaupt?“ vervollständigte sie ihren Satz, nachdem sie Dieter der Socken aus der Hand gerissen hatte und ihn angeekelte zwischen Zeigefinger und Daumen der rechten Hand haltend einer genaueren Untersuchung unterzog.

„Das ist meine rechte Socken“ erwiderte Dieter nicht ganz ohne Stolz über seinen aus seiner Sicht genialen Lösungsansatz.

Claudette rümpfte nur abfällig die Nase und unterstütze ihre eher ablehnende Haltung bezüglich der Verwendung eines bereits getragenen Socken zur Versorgung eine stark blutenden Verletzung durch das zusammenkneifen ihrer Augen, vermeidet es aber in Gegenwart ihrer Freunde sich diesbezüglich näher zu äußern. Typisch Claudette dachte Dieter, nie ist sie mit irgendetwas zufrieden was er macht. Claudette betrachtet die in ihrer Form deutlich veränderte Nase von Dieter, nahm sie vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinder der rechten Hand, wobei sie sich zuvor des Socken entledigt hatte, und begann vorsichtig diese nach rechts und links biegen.

Dieter reagierte darauf mit einem schmerzbedingten Aufschrei, was Claudette nicht darin hindert, die Nase nochmal nach rechts zu bewegen, um ihrer Diagnose die letzte Sicherheit zu geben.

„Ich befürchte die ist gebrochen“ teilte sie anschließend eher unbeteiligt mit.

Dieter der froh war, dass das Rumgebiegen an seiner Nase endlich zum Abschluss gekommen war, nahm diese Nachricht eher gelassen entgegen, was soll`s dachte er irgendwie begleiten mich gebrochen Nasen bereits mein ganzes Leben, nun hat es eben mal mich erwischt.

„Er leidet auch unter einer lokalen Amnesie, kann sich an den Unfall nicht mehr erinnern“ petze Joseph aus dem Hintergrund raus.

Dieter konnte ihn noch nie leiden. Er war, wenn er nicht gerade Radlerhosen trug Rechtsanwalt und einer von Claudettes Sportfreunden. Dieter hatte ihn schon lange in Verdacht, scharf auf Claudette zu sein, machte sich aber keine Sorgen diesbezüglich, da Joseph ganz bestimmt nicht Claudettes Typ war, viel zu alt und viel zu verklemmt. da half es auch nicht, dass er mehrmals wöchentlich Sport trieb, was Claudette normalerweise durchaus beeindrucken würde, aber als alleiniger Pluspunkt doch etwas zu dünn war. Claudette sah Dieter eindringlich an

„Stimmt das?“ fragte sie wobei ihre Stimme in einen Ton verfiel, der eigentlich darauf schließen lässt, dass sie sich mit einem Kind unterhält.

Wäre er nur etwas mutiger gewesen, hätte Dieter ihr gestanden, dass er nur keine Lust hatte diesen schadenfreudigen Obersportlern den Unfallhergang zu schildern. Leider fehlte ihm der Mut, vielleicht war es ihm einfach nur egal, jedenfalls bestätigte er Claudette, dass er sich an den Unfallhergang überhaupt nicht mehr erinnern konnte. Fast hatte er das Gefühl in Claudettes Gesichts so etwas wie Sorgenfalten zu erkennen, was so überhaupt nicht Claudettes Art war. Auch in diesem Fall waren es nicht Sorgen, die Claudette zu diesem Gesichtsausdruck verleitete, sondern vielmehr Ärger darüber, dass Dieter sie nicht präzise mit Informationen versorgte die es ihr ermöglichten eine exakte Diagnose zu stellen. Stattdessen musste sich Jochen in den Vordergrund drängeln, und sie mit seinem vorlauten Mundwerk wie eine Idiotin dastehen lassen.

„Kann sein, dass Du eine Gehirnerschütterung hast, damit ist nicht zu spaßen, besser wir rufen den Krankenwagen.“

Dieser Vorschlag entsprach nicht gerade Dieters Vorstellungen. Auf der anderen Seite war ihm durchaus bewusst, dass seine Nase einer gründlichen Untersuchung bedarf. So gesehen war der Krankenwagen die bequemste Art und Weise, von diesem Berg herunter zu kommen. Genau betrachtet fehlte es ohnehin an brauchbaren Alternativen, er konnte ja wohl kaum auf dem Gepäckträger von Claudettes Fahrrad mitfahren. Schon deshalb, weil so ein durchaus praktischer Nutzgegenstand an einem Supersportbike wie es Claudette ihr eigen nannte gar nicht vorhanden war.

Dieter entschied sich daher auf einen Protest zu verzichten, obwohl er eigentlich in Protestlaune war. Zumal er wusste, dass sich Claudette ohnehin nicht umstimmen lassen würde, und er zum Schluss wie ein pubertierender Querkopf dastehen würde. Claudette rief mit ihrem Handy, welches sie im Gegensatz zu Dieter immer mit sich trug, den Krankenwagen, nicht ohne zu betonen, dass es sich nicht um einen Notfall bei dem es um Leben und Tod ging, handelte. Während sie auf den Krankenwagen warteten, saß Claudette bei Dieter und versorgte seine zahlreichen Schürfwunden, während sich die Sportgemeinschaft bereits wieder über ihre letzten großen Sportaktivitäten austauschte.

Es freute Dieter, dass sich seine Frau mit ihm abgab, und nicht wie gewöhnlich Teil der Sportgemeinschaft war, und ihn links liegen ließ. Dieter hatte es sich abgewöhnt an den Gesprächen der Sportgemeinschaft teilzunehmen, da es ihn furchtbar langweilte und er ohnehin keinen Beitrag zu den üblichen Gesprächen leisten konnte. Er erinnert sich noch sehr gut, was das letzte Mal passierte als er sich an einem Gespräch dieser illustren Runde beteiligte. An diesem Tag war zum ersten Mal ein Mann anwesend, welcher der irrigen Meinung, dass Dieter Teil der Sportgemeinschaft wäre, nur weil der dabeisaß. Wahrscheinlich hatte er Mitleid und wollte Dieter mit ins Gespräch einbinden, dass sich wie fast immer darum drehte wer am Wochenende welche Höchstleistung vollbracht hatte, und fragte Dieter was er denn so am Wochenenden gerne mache. Dieter antwortet nur kurz.“ Beine hoch, Glotze an jede Menge Bier, und Chips.“ Man konnte nun nicht gerade behaupten, dass der als Scherz gemeinte Ausspruch (der genau genommen einen ernsten Hintergrund hat) eine großer Lacherfolg gewesen wäre.

Vielmehr strafte ihn die Sportgemeinschaft die restliche Zeit des Zusammenseins mit Nichtbeachtung und auch das Jungmitglied vermied von nun an jegliche Konversation mit Dieter. Claudette war wie so oft peinlich berührt und schämte sich für ihren Mann, der dem hingegen das ganze recht locker sah und fast ein wenig stolz war, auf das was er von sich gegeben hatte. Während er in Erinnerungen schwelgte und hierbei fast seine schmerzende Nase vergaß, öffnete sich die Tür und zwei Sanitäter betraten die Bildfläche.

Es bot sich den Gästen ein durchaus komisch anmutender Anblick, da die beiden Sanitäter in ihrer Statur nicht unterschiedlicher sein konnten. Der Vordere war groß und schlank, um nicht zu sagen lang und dürr. Der nach ihm Eintretende war klein und kräftig, um nicht zu sagen winzig und fett. Dass beide die gleiche Berufsbekleidung trugen, deren Konfektionsgröße sich wohl an den jeweiligen Enden des Beschaffbaren befand, machte den Anblick noch grotesker.

„Nah wo ist denn unser Patient“ rief der Kleine hinter dem Großen vor, welche Dieter bereits erblickt hatte, und ohne Worte auf ihn zusteuerte.

Der Lange musterte Dieter kurz und öffnete dann seinen mitgebrachten Koffer.

„Na da waren wir wohl etwas unvorsichtig“ redet der Dicke mit einem breiten Grinsen auf Dieter ein.

Dieter überlegte kurz was er dummes antworten sollte, verkniff sich aber aus Rücksicht auf seine Frau jeglichen Kommentar.

„Hallo Frau Karlmann Frei, was machen Sie denn hier, wohl Erste Hilfe geleistet, immer im Dienst was“ sage der Winzling als er Claudette erblickte, die er offensichtlich aus dem Krankenhaus kannte und hielt ihr freudig die Hand entgegen.

Claudette drückte ihm eher unwillig die Hand.

„Nein leider nicht, der Verletzt ist mein Mann“

„Das tut mir leid, aber ich sage immer Augen auf bei der Partnerwahl“, antwortet der Fette mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

„Nichts für ungut, ein kleinen Scherz, zur Aufheiterung unseres Patienten, sie wissen ja, Lachen ist die beste Medizin“

„Wir wäre es, wenn sie ihrem Kollegen unterstützen würden, und ihre Medizin im Schrank lassen? die hat nämlich erhebliche Nebenwirkungen und ich fürchte, ich habe sogar eine Allergie dagegen“, konnte Dieter nicht mehr an sich halten.

Beleidigt trollte der Kleine zu seinem Kollegen, der endlich mit dem Gewühl in seinem Koffer fertig war, und mit einem dicken Verband auf Dieter zukam. Diesen wickelte er ihm um seinen Kopf, um den Blutfluss aus seiner Nase einzudämmen.

„So das reicht erst mal“ gab der Lange von sich“

„Kommen Sie bitte mit zum Krankenwagen, Sie können doch selbst gehen oder? „warf der Dicke sichtlich um Sachlichkeit bemüht ein.

„Ja Ja kein Problem“ antwortete Dieter während er sich erhob und Richtung Krankenwagen ging.

„Ich komme später vorbei und schau nach Dir, ich muss aber erst noch duschen, kann also etwas dauern. Aber Du hast ja heute eh nichts mehr vor“ rief ihm Claudette nach.

Plötzlich fiel es Dieter ein, dass sein sauteures Fahrrad immer noch irgendwo in der Böschung lag. Daher blieb er kurz in der Tür stehen um Claudette zu bitten es zu bergen.

“Wo liegt es denn genau“, wollte Claudette wissen.

Dieter überlegte kurz, aber es war ihm schnell klar, dass er nicht wusste wo genau er mit seinem Fahrrad den regulären Weg verlassen hatte.

„Keine Ahnung“ gab er kurz zurück.

Claudette sah ihn ungläubig an.

„Und wie soll ich es dann finden?“

Dieter hatte bereits die Tür hinter sich zu geschlagen so dass er Claudettes Frage nicht mehr hörte.

„Ich kann mich ums Verrecken nicht daran erinnern, wo ich das Fahrrad zurückgelassen habe“, ging es Dieter im Kopf herum, habe ich etwa doch eine lokale Amnesie?“ fragte sich Dieter.

Im Krankenwagen ging es Glücklicherweise recht ruhig zu. Der Lange schien eh nie zu reden, und der Breite war wohl immer noch beleidigt, weil Dieter in dessen Witzen beim besten Willen keine Veranlassung zum Lachen fand. Dieter war recht froh über die ihn umgebende Stille, konnte er sich doch in Ruhe Sorgen machen, ob er nicht vielleicht doch eine Gehirnerschütterung hatte.

Amsterdam

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