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Die Schrottkarre

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Der Zug hielt wie immer mit übermäßig viel Autoverkehr belästigten Miesbach und er machte sich auf den kurzen Fußweg nach Hause. Bei seinem Haus angekommen sah er einen alten Volvo Kombi direkt vor der Einfahrt seines Hauses parken. „Den alten Schrottkarren kenne ich doch“ murmelte Dieter vor sich hin. Er ging um das Auto herum und schaute durch alle Fenster ins Innere des völlig verdreckten und mit Müll vollgestopften Fahrzeuges. Nun war er sich absolut sicher, diese fahrende Müllhalde gehörte Sören, dem Kitelehrer seiner Frau. Genaugenommen war es einmal der Kitelehrer von ihm und von Claudette, aber aufgrund von unglücklichen Umständen war er inzwischen nur noch der Kitelehrer von Claudette. Dieter dachte ungern an diese unrühmliche Episode seines Lebens zurück in die er wie so oft ohne eigenes Verschulden ja man kann sogar mit Recht behaupten gegen seinen ausdrücklichen Willen, hineingeraten war.

Kaum dass der Kitesport das Licht der Welt erblickt hatte, oder doch zumindest den Weg nach Oberbayern gefunden hatte, war Claudette Feuer und Flamme und sie bildet sich ein, dass das genau der richtige Sport für Sie und Dieter wäre. Eigentlich eher für sie, aber Dieter war nun mal ihr Ehemann wie auch immer das passieren konnte, und musste gezwungener Maßen wenigsten in einige ihrer Lebenspläne mitberücksichtigt werden. Kiteboarding gehörte wohl dazu, obwohl die Chancen, dass Dieter für diese Art der Freizeitbeschäftigung in irgendeiner Weise geeignet sein könnte, doch eher gering waren. Nachdem sie knapp ein halbes Jahr immer wieder auf ihn eingeredet hatte, sah Dieter keinen anderen Ausweg, als zu versprechen sich das Ganze einmal anzusehen.

Dieses an und für sich harmlose und völlig unverbindliche Versprechen reichte für Claudette aus, sofort einen Kurs für beide zu buchen und zwar am Achensee, da dort häufig genügend Wild war, um sich von einem Stück Stoff an Schnüren und einem Brett unter der Füßen durch die Luft wirbeln zu lassen. Eines Tages war es dann soweit, man fuhr gemeinsam Richtung Achensee, um das Abenteuer Kiteboarding in Angriff zu nehmen. Kaum am Achensee angekommen wurden sie auch schon direkt von Sören begrüßt. Groß, muskulös, braun gebrannt, lange leicht ungepflegt wirkende Haare, einen gekonnt drapierten 3-Tage-Bart, der ein markantes Kinn ins richtige Licht rückte, blaue stechende Augen. Das musste einem der Neid schon lassen, Sören war ein Bild von einem Mannsbild. Dieter registrierte direkt, dass Claudette von diesem Erscheinungsbild unmittelbar beeindruckt war. Dieter stand dem Ganzen eher skeptisch gegenüber. Er wunderte sich nur über die hellseherische Begabung über welche die Erzeuger von Sören offensichtlich verfügt haben mussten, aber wie war es sonst zu erklären, dass sie ihrem Sprössling ausgerechnet den Namen Sören gaben.

Was kann ein Mensch mit dem Namen Sören mit seinem Leben anderes anfangen als Lehrer irgendeiner Modesportart zu werden. Ein anderer Beruf war doch gar nicht denkbar, aber wie um alles in der Welt konnten das seine Eltern in einem so frühen Stadium seines irdischen Daseins wissen. Da Dieter auf diese Frage keine Antwort finden konnte, fand er sich mit der Tatsache ab, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gab, die wir uns mit unserer Schulweisheit nicht erklären können. Sörens Begrüßung war nordisch unterkühlt, wie auch sonst. Er begann ohne große Umwege mit der ersten theoretischen Lektion, die er in einem alten Holzschuppen abhielt in welchem sich knapp 10 Kursteilnehmer eingefunden hatten. Claudette saß neben Dieter auf einem der wackligen Holzschemel und himmelte Sören regelrecht an, während Dieter eher gelangweilt den Ausführungen über Wind, und die Beschaffenheit von Kite Board und Bar lauschte.

Nach etwa einer Stunde waren sich die Anderen Kurzteilnehmer und Sören einig, dass Theorie doch eher etwas für Sesselfurzer wäre, was Dieter zwar grundsätzlich bejahte, ihn aber dennoch nicht davon abhielt als Einziger für die Fortführung des Theorieunterrichtes zu stimmen, während sich der Rest der Truppe dafür aussprach, lieber gleich in den praktischen Teil überzugehen. Da es recht warm war, entschloss man sich, in Badekleidung an den See zu gehen, wobei Dieter solches nicht zu bieten hat und folglich mit einer leicht hoch geschlagenen langen hellbraunen Hose und freiem Oberkörper am See stand. Dieses etwas uncoole Outfit gepaart mit seinem über die Gürtelschnalle hängenden Bauchspeck verlieh ihm nicht gerade die Optik eines Trendsportlers. Ganz im Gegenteil er wirkte eher wie ein Fernsehsportler, dessen Fernseher defekt war und er sich deshalb die Zeit am Strand vertrieb.

Im Gegensatz dazu tauchte Claudette zu Dieters Verwunderung in einem aufreizenden, durchaus knapp bemessenen Bikini am See auf, was so wie von ihr erhofft die Aufmerksamkeit von Sören auf sich zog, der zumindest ihr gegenüber langsam seine unterkühlte nordische Verhaltensweise abzulegen begann. Das Erste was ein Kiter lernen muss sei das Gefühl für den Wind und für das Kite, wie der Drache unter den Kiter genannt wird. Die Querstange an welcher der Drache genauer gesagt das Kite befestigt wird nennt sich Bar, was ja auch kürzer auszusprechen ist, als Drachenbefestigungsgestänge. Nachdem auch dieses Grundwissen bezüglich des gebräuchlichen Wordings den Kursteilnehmern vermittelt war, hielt es Sören für angebracht, dass jeder Teilnehmer als Einstieg in den praktischen Teil einmal Kite und Wind spüren sollte.

Also ließ er zum ersten Mal den Drache, pardon natürlich das Kite steigen, nicht ohne jede seiner Handlungen den gebannten Zuschauern ausführlich zu erläutern, und gab jedem Kursteilnehmer für einen kurzen Moment die Bar in die Hände, dass diese sichtlich beeindruckt Wind und Kite spüren konnte. Es war auffällig, dass die hierfür erforderliche körperliche Nähe zum einem vom Geschlecht des Kursteilnehmers beziehungsweise der Kursteilnehmerin und zum anderen von der Attraktivität in diesem Fall allerdings nur der Kursteilnehmerin abhing. Der körperlichen Nähe bei dieser Übung nach zu urteilen, schien Claudette recht hohes Ansehen bei Sören zu genießen, was diese wiederum sichtlich genoss. Dieter hatte das Pech, dass er als Ehemann der in Sörens Augen attraktivsten Kursteilnehmerin wohl kein besonders Ansehen genoss, was dazu führte, dass Sören ihm die Bar aus einer Entfernung von ca. 1mm mehr oder weniger entgegen warf.

Was dann geschah kann man mit Recht eine Verkettung unglücklicher Umstände nennen. Genau zum Zeitpunkt der geplanten Übergabe kam es Claudette in den Sinn, ihren in knappen Bikinihöschen durchaus bemerkenswerten Hintern direkt in Sörens Blickfeld zu platzieren, sicherlich in der Absicht damit seine Aufmerksamkeit zu erregen. Dieser Plan ging indes voll auf, so dass Sören wohl zum ungünstigsten Zeitpunkt, zumindest aus Dieters Betrachtungswinkel, kurz abgelenkt war. Genau in dem Augenblick als Dieter die Bar übernahm und Sören sein Interesse mehr in Richtung Claudettes Hintern ausrichtet, kam eine recht starke Böe in Richtung See auf.

Es kam wie es kommen musste, Sören lies die Bar los und Dieter hatte sie allein fest in beiden Händen. Der plötzlichen auftretenden Böe gefiel es, das Kite und somit auch den daran hängenden Dieter ruckartig mehrere Meter hoch in die Luft zu katapultieren. Vor lauter Schreck ließ Dieter die Bar nicht los, sondern klammerte sich ganz im Gegenteil mit all seiner Kraft daran fest. Laut aufschreiend wurde er in einer Höhe von ca. 5 Metern Richtung See transportiert. „Loslassen Du Idiot“ schrie Sören aufgeregt hinterher, nachdem er sich schlagartig von Claudettes Hintern losgesagt hatte, die ebenfalls erschrocken Dieter hinterher schaut. Dieter allerdings sah sich außer Stande irgendwelche koordinierten Bewegungen durchzuführen, sondern hing starr vor Schreck wie eine Schaufensterpuppe am Kite, und bohrte seine Finger in die Bar. Aus irgendwelchen unerklärlichen Gründen verlor das Kite plötzlichen wieder an Höhe, nahm aber an Geschwindigkeit zu, so dass Dieter ins Wasser eingetaucht wurde. Da er die Bar immer noch nicht losließ, wurde er von Kite hinterher gezogen. Aufgrund der recht hohen Geschwindigkeit ging er nicht unter, sondern lag wie ein Brett flach auf dem Wasser, wobei sein Kopf unterhalb des Wasserspiegels war und dadurch die Fahrt zumindest ein wenig verzögert wurde. Sören dessen nordisch unterkühlte coole Ausstrahlung langsam in Panik abzudriften drohte, schrie permanent nur

„Loslassen Du Idiot,“ wobei Dieter trotz dieser doch eher diskriminierten Ausdrucksweise nur deshalb nicht beleidigt war, da er infolge seines sich unter Wasser befindlichen Kopfes nicht im Stande war, akustische Signale wahrzunehmen und er im Augenblick einfach nicht die Zeit hatte sich beleidigen zu lassen.

Die örtlichen Begebenheiten an welchen sich das Drama abspielt waren der Art, dass es sich hier nur um eine Seezunge handelte, die knapp 200 Meter breit war, was dazu führte, dass Dieter sich unaufhaltsam in Richtung Strand bewegt. Da die Böe unvermindert anhielt, wurde Dieter weiter durchs Wasser gezogen, wobei er aufgrund seiner Körperfülle und seines tiefer im Wasser hängenden Kopfes zum Glück weiterhin etwas gebremst wurde und nicht mit all zu hoher Geschwindigkeit auf den Strand zu steuerte.

Dieter kam immer noch nicht auf die Idee die Bar einfach loszulassen. Aus irgendwelchen Gründen hatte er das Gefühl, er müsse sich einfach daran festklammern, da er ansonsten verloren wäre. Hätte Dieter Zeit gehabt nachzudenken, so wäre ihm vielleicht aufgefallen, dass diese Situation ein Spiegelbild seines Lebens war. Immer klammerte es sich fest an dem was gerade war, ohne zu überlegen, ob das wirklich sinnvoll war. Ganz bestimmt wäre es oft besser gewesen einfach loszulassen, sich etwas anders zu suchen an dem er sich festklammern konnte. Aber diese Denkweise war Dieter bisher fremd. Dieter hatte in dieser Situation allerdings kein Bedürfnis sich mit lebensphilosophischen Fragen auseinanderzusetzen. Vielmehr ging im langsam die Luft aus, und er hatte das Gefühl, inzwischen den halben See in sich aufgenommen zu haben. Die gute Nachricht in diesem Augenblick war, dass sich das Thema Wasser schlucken in wenigen Sekunden von selbst erledigt haben dürfte.

Dieter war nur noch wenige Meter vom Ufer entfernt, was er allerdings nicht wusste, da er aufgrund seines sich unter Wasser befindlichen Kopfes auch zur Aufnahme optischer Reize nicht im Stande war. Der Aufschlag auf den Strand war hart und Dieter wurde noch ca. 5 Meter den Strand entlang gezogen, bis ihn die Kraft in den Händen verließ und er die Bar los lies. Das Kite machte sich allein auf den Weg, kam aber nicht weit, da es von den nahe am Strand stehenden Bäumen aufgehalten wurde. Für einige Sekunden herrschte Totenstille. Sören und seine entsetzt dreinschauenden Kursteilnehmer standen regungslos da und warteten auf ein Lebenszeichen von Dieter. Der war zwar nur ca. 200 Meter entfernt, konnte aber aufgrund des dazwischen liegenden Wassers nicht so ohne weiteres erreicht werden. Dieter rührte sich nicht. Sein Gesicht steckt etwa 20 cm tief im Stand, sein Munde hatte sich mit Sand gefüllt, wären sein Magen mit knapp 3 Litern Seewasser gefüllt war. Eine Kombination die nicht wirklich seinen Geschmack traf. Sein Gesicht brannte wie Feuer.

Die knapp 5 Meter die er durch den groben Stand gezerrt wurde hatten ihre Spuren hinterlassen, und zu zahlreichen recht großflächigen Schürfwunden geführt, die mit reichlich Sand dekoriert waren. Langsam kehrt das Leben in seinen Körper zurück. Er hob vorsichtig seinen Kopf aus den Sand und versuchte die Augen zu öffnen, was ihm allerdings nicht sofort gelang da auch diese völlig mit Sand bedeckt waren und sich beim Versuch die Augen zu öffnen Sand unter die Augenlider schob und seine Augen heftigst zu brennen begannen. Auf der anderen Seeseite wurden die ersten Bewegungen mit Erleichterung aufgenommen, die allerdings recht schnell wieder in Entsetzen umschlugen als Dieter den Kopf in ihre Richtung drehte, und die Beobachter erschreckt feststellten, das Dieter wie ein Sandmensch aus Star Wars aussah, obwohl die 200 Meter Entfernung sein wirkliches Aussehen der Phantasie der Beobachter überließen, wobei klar zu erkennen war, dass er nicht wie ein Mensch aussah.

Dieter versuchte den Sand aus seinem Gesicht zu wischen, wurde aber durch ein noch stärkeres Brennen davon abgehalten sein Vorhaben weiter fortzusetzen. Vorsichtig versuchte er wenigstens seine Augenlider vom Sand zu befreien damit er zumindest in der Lage war ein wenig zu sehen. Nach einigen Sekunden und unter erdulden erheblicher Schmerzen gelang es ihm seine Augen einige Millimeter zu öffnen und die Umgebung zumindest schemenhaft wahrzunehmen. Aus den Sehschlitzen heraus, sah er das Sören sich ein zweites Kite geschnappt hatte und sich bereits auf dem Weg zu ihm befand zumindest vermutete er, dass es sich um Sören handelte, denn erkennen konnte er es nicht. Es dauerte nicht lange und Sören stand mit vorwurfsvollem Gesichtsausdruck vor ihm.

„Warum hast Du nicht einfach losgelassen?“ Den Idiot ließ er dieses Mal freundlicherweise weg, und dachte es sich nur. Statt zu antworten spuckte

Dieter erst einmal eine Ladung Sand aus. Es vergingen einige Minuten, aber Dieter war immer noch nicht im Stande zu sprechen, der Sand war bis in seine Kehle vorgedrungen und machte ein Sprechen unmöglich. „Das ist mir auch noch nicht passiert und ich wüsste von keinem Kollegen dem so etwas mal untergekommen ist“ redete Sören immer noch nach Fassung ringend vor sich hin. Einige Minuten später traf ein Rettungswagen ein, den die besorgten Beobachter dieses Dramas offensichtlich angefordert hatten. Dieter verdächtigte seine Frau, da diese selbst im knappsten Bikini noch ein Handy zu verstauen in der Lage war.

Die Sanitäter konnten sich auch nicht erinnern so etwas schon mal zu Gesicht bekommen zu haben, und machten heimlich ein Foto mit dem Handy, damit sie ihren Kollegen von ihrem sonderbaren Einsatz berichten konnte. Claudette stand unterdessen auf der anderen Seeseite und schämte sich in Grund und Boden. Unter dem Vorwand ihren Mann schnellst möglich im Krankenhaus besuchen zu können stahl sie sich verlegen davon. Hiermit war Dieters Kitekarriere bereits nach wenigen Minuten beendet und auch Claudette hegt nicht den Wunsch, dass ihr Mann sie bei ihren weiteren Kiteunternehmungen begleitete.

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