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Hauptsache gesund – eine persönliche Vorbemerkung
ОглавлениеDer Bauchumfang meiner Frau Christine ließ keinen Zweifel mehr zu. Auch Nichteingeweihte sahen es nun: Ein Baby war unterwegs. Und wer es sah, sprach uns darauf an. Sofort entspannt sich – sicher dutzende Male – folgender kleiner Dialog: „Ach wie schön, herzlichen Glückwunsch.“ „Danke schön. Es ist ein Wunschkind.“ „Toll, ich freue mich für euch.“ – Pause – „Wird es ein Junge oder ein Mädchen?“ „Das wissen wir noch nicht.“ „Ah so.“ – Kurze Pause – „Naja, ist ja auch egal.“
Weitere Pause – „Hauptsache gesund.“
Wenn du ein Wunschkind bekommst, freust du dich natürlich über das Interesse. Aber wenn sich so ein Dialog oft wiederholt, mit genau den gleichen Pausen an den gleichen Stellen, wirst du irgendwann stutzig. Auf jeden Fall hörte ich so etwa ab dem zwanzigsten Mal den obigen Dialog plötzlich mit einigen Zwischentönen:
„Ach wie schön. Herzlichen Glückwunsch.“ (Dabei studiert er noch, wie wollen die das bloß finanziell schaffen?) „Danke schön. Es ist ein Wunschkind.“ „Toll, ich freue mich für euch.“ (Ich hoffe, die haben sich das gut überlegt.) – Pause – „Wird es ein Junge oder ein Mädchen?“ (Das ist ja wohl das Minimum, was man heutzutage beim Frauenarzt erfährt). „Das wissen wir noch nicht.“ „Ah so.“ (Sollen mal nicht so tun, als ob’s ihnen egal wäre. Naja, wer weiß, aber wahrscheinlich haben die auch keine Fruchtwasseruntersuchung machen lassen, verantwortungslos, wie sie sind). – Kurze Pause – „Naja, ist ja auch egal.“ – (Obwohl, ein Junge wäre natürlich schön … aber es ist ja das erste, da spielt das noch keine so große Rolle. Was nicht ist, kann ja noch werden.) „Hauptsache gesund.“ (Wobei man das eben nie so genau wissen kann, wenn man keine Untersuchungen machen lässt. Und dann steht man eines Tages mit behindertem Kind da … wogegen natürlich an sich nichts zu sagen ist, aber wenn man es vermeiden kann …)
Wahrscheinlich, höchstwahrscheinlich war das alles nicht so gemeint. Trotzdem konnte ich mir irgendwann zumindest eine Rückfrage nicht verkneifen: „Und wenn es nicht gesund ist?“ Große Augen, Stottern, Verunsicherung, absolutes Unverständnis. (Das sagt man doch so, das macht doch jeder, warum fragt der jetzt so blöd?). Und keine Antwort.
Mir blieb die Frage: „Was ist, wenn das Kind nicht gesund ist?“ Und je länger ich darüber nachdenke, desto blöder finde ich die „Hauptsache-gesund“-Floskel. Was ist mit den Kranken? Den Behinderten? Ist das Nebensache? Sind sie weniger wert?
Wahrscheinlich ist man als werdender Vater übersensibel. Zumal man seinem Kind natürlich von Herzen wünscht, dass es gesund und munter auf die Welt kommt und dass es ihm so gut gehen möge, wie es nur irgend möglich ist.
Gleichzeitig fragt man sich natürlich, was es bedeuten würde, ein krankes Baby, vielleicht ein Tag und Nacht pflegebedürftiges Kind bei sich zu haben: Wie steht es da mit der Kraft? Würden wir das schaffen?
Hier gibt es keine billigen Antworten.
Aber ist Gesundheit die Hauptsache? Nein. Hauptsache eins: geliebt. Von Gott geliebt und von uns. Hauptsache zwei: von Gott geplant und von uns gewollt (ob geplant oder nicht).
Es soll mir keiner kommen und Kranke oder Behinderte als „Betriebsunfall“ oder „Erbsünde“ oder „lebensunwertes Leben“ oder weiß ich was bezeichnen – kein Sozialdarwinist, kein utilitaristischer Philosoph wie der Australier Peter Singer, kein Nachbar, kein Nazi, kein sonstwer.
Ich weiß, so war die höfliche Floskel nicht gemeint. Und ich habe mich aufrichtig darüber gefreut, wenn Menschen sich für Christines runden Bauch und das junge Leben darin interessierten und sich mit uns freuten.
Doch was ich mit der wirklichen Hauptsache angesprochen habe, das musste ich einfach loswerden, denn, gemeint oder nicht, es geht um mehr als „Hauptsache gesund“.