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2. Umgang mit der Schuld
ОглавлениеUnd noch etwas kam hinzu. Gerade evangelische Christen wie Niemöller und Bodelschwingh beschönigten die Rollen der Kirchen und Christen keineswegs. Vielmehr waren sie sich auch ihrer Schuld bewusst. Schon im Oktober 1945 erklärte daher der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland gegenüber den Vertretern des Ökumenischen Rates der Kirchen:
„Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland begrüßt bei seiner Sitzung am 18./19. Oktober 1945 in Stuttgart Vertreter des Ökumenischen Rates der Kirchen. Wir sind für diesen Besuch um so dankbarer, als wir uns mit unserem Volk nicht nur in einer großen Gemeinschaft der Leiden wissen, sondern auch in einer Solidarität der Schuld.
Mit großem Schmerz sagen wir:
Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. Was wir unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir jetzt im Namen der ganzen Kirche aus: Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.
Nun soll in unseren Kirchen ein neuer Anfang gemacht werden. Gegründet auf die Heilige Schrift, mit ganzem Ernst ausgerichtet auf den alleinigen Herrn der Kirche, gehen sie daran, sich von glaubensfremden Einflüssen zu reinigen und sich selber zu ordnen. Wir hoffen zu dem Gott der Gnade und Barmherzigkeit, daß er unsere Kirchen als sein Werkzeug brauchen und ihnen Vollmacht geben wird, sein Wort zu verkündigen und seinem Willen Gehorsam zu schaffen bei uns selbst und bei unserem ganzen Volk.
Daß wir uns bei diesem neuen Anfang mit den anderen Kirchen der ökumenischen Gemeinschaft herzlich verbunden wissen dürfen, erfüllt uns mit tiefer Freude.
Wir hoffen zu Gott, daß durch den gemeinsamen Dienst der Kirchen, dem Geist der Gewalt und der Vergeltung, der heute von neuem mächtig werden will, in aller Welt gesteuert werde und der Geist des Friedens und der Liebe zur Herrschaft komme, in dem allein die gequälte Menschheit Genesung finden kann.
So bitten wir in einer Stunde, in der die ganze Welt einen neuen Anfang braucht: Veni, creator spiritus!“
Dieses sogenannte „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ hat nicht nur den Kirchen einen Neuanfang ermöglicht. Es steht stellvertretend für den Neuanfang einer ganzen Nation.
„Wer die Vergangenheit nicht kennt, ist gezwungen, sie zu wiederholen“ (George Santayana). Nur wer sich der Vergangenheit und seiner eigenen Schuld stellt, ebnet den Weg für die Zukunft. Die Kirchen setzten ein Zeichen, das weit über Deutschland hinaus gesehen wurde. Und so nimmt es nicht wunder, dass in die Präambel des Grundgesetzes ein Gottesbezug aufgenommen wurde.