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Das Tor zur Welt

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Ich lag auf meinem Bett und starrte an die Decke des Zimmers – schon den zweiten Tag. Meine Beine waren mit blauen Flecken und Schürfwunden übersät und ich fühlte mich hundeelend. Die große, weite Welt hatte ich kennenlernen wollen – als Arbeiter im Rostocker Überseehafen, dem Tor zur Welt der DDR.

Ich hatte auf einem Schiff, in dem es nach Nässe, Zement und rostigem Eisen gerochen hatte, Zementsäcke auf eine Palette gelegt, die ein Kran dann an Land hievte. Die 50-Kilogramm-Säcke waren mir bald aus den Fingern gerutscht und Schweiß war mir wie Regen vom Gesicht getropft. Der Kran musste ständig auf mich warten. Ein Gefühl der Taubheit zog sich von meinen Fingerspitzen bis in die Schultern. Schließlich war ich einfach stehen geblieben. Der Ausbilder hatte noch versucht, mich zu motivieren, aber ich konnte nicht einen weiteren Zementsack mehr tragen. Irgendwann war ich völlig erschöpft aus dem Schiff geklettert und in das Arbeiterwohnheim gefahren. Dort lag ich seitdem in meinem Bett und fragte mich, wie es weitergehen sollte.

Am dritten Tag fühlte ich mich kräftig genug, um aufzustehen und in den Überseehafen zu fahren. Ich erkundigte mich in der Kaderabteilung nach einer anderen Arbeitsmöglichkeit im Hafen, denn ich wollte die Stadt mit dem Tor zur Welt noch nicht verlassen.

»Ich mach alles. Alles! Haben Sie keine leichtere Arbeit für mich?«, bettelte ich beim zuständigen Sachbearbeiter.

»In unserem Hafen ist jede Arbeit schwer!«, belehrte er mich.

»Ich mach alles!«

»Auch Zähler?«

»Zähler?«

»Zähler werden immer gesucht.«

»Zähler?«

»Ladungskontrolleure.«

»Wie viel verdient ein Zähler?«

»Wenig.«

So wurde ich Zähler. Ladungskontrolleur im Stückgutumschlag. Ich kontrollierte Pakete, Ballen, Fässer, Kartons, Säcke aus Europa und Übersee. Darin befanden sich Waren, die Umschlagarbeiter vom Schiff an Land oder vom Land aufs Schiff verfrachteten. Vom ersten Tag an wartete ich auf einen Arbeitseinsatz an einem Schiff mit einer ganz bestimmten Ware aus Übersee. Eines Tages war es so weit. Mein Brigadier sagte mir zu Beginn der Schicht: »Für dich ist der Dampfer mit Bananen.«

Seit Wochen hatte ich auf nichts anderes gewartet und war dennoch überrascht.

»Bananen?«

Mein Brigadier sah mich an, als wäre ich dumm.

»Das ist eine ganz einfache Arbeit. Deshalb zählst du dort.«

In Vorfreude auf die Bananen und aufgeregt holte ich die Ladungspapiere des Schiffs aus dem Büro der Leistungserfassung. Zwei Leistungserfasserinnen arbeiteten in meiner Brigade: Rita Tennemann und Gerda Haase. Rita war eine zierliche Vierzigjährige mit grauem, verwüstetem Gesicht und glanzlosem Haar. Sie erschien ein- bis zweimal im Monat angetrunken zur Arbeit und manchmal auch gar nicht. Dann meldete sie sich am Telefon beim Brigadier für drei oder vier Tage krank. Der machte sich bisweilen einen Spaß daraus, indem er beim Gespräch in die Hörermuschel rief: »Rita, setz deine Zähne ein!«, denn sie nuschelte bei solchen Telefonaten aus Verlegenheit oder weil sie ihre künstlichen Vorderzähne im Alkoholrausch verloren hatte. Der Brigadier wusste, dass seine beste Leistungserfasserin nach der Rückkehr voller Scham noch fleißiger arbeiten würde als üblich. »Ich bin in Düsseldorf geboren; in Düsseldorf steht die längste Theke der Welt!«, sagte Rita gern. Sie war stolz auf ihren Geburtsort, weil sie als Einzige im Hafen, ja, vielleicht sogar als Einzige in ganz Rostock, einmal dort gewesen war. Düsseldorf war für gewöhnliche Bürger der DDR genauso unerreichbar wie die Rückseite des Mondes. Gerda Haase war dreißig Jahre alt. Sie hatte eine gelbliche Gesichtsfarbe und ging immer ein wenig nach vorn geneigt, als schämte sie sich ihres hohen Wuchses. Gerda trug gern altmodische Blusen und selbst gestrickte Jacken. Haasi war ihr Spitzname. Haasi bearbeitete als Leistungserfasserin die Unterlagen des Bananenschiffs, der »Ernst Thälmann«. Sie übergab mir schlecht gelaunt die Schiffspapiere. Ich war schon auf der Rampe unterwegs zum Schiff, als mir der Brigadier am Fenster seines Büros nachrief: »Pass auf die Leute auf, die Bananen klauen. Die das Zeug noch essen.«

»Was für eine Welt, in der man so über Bananen redet«, dachte ich.

Sehnsüchtig hatte ich auf mein erstes Schiff mit Bananen gewartet. Ich hatte bei der Arbeit mit Kautschukballen, Eisenplatten und Arbeitshemden davon geträumt. In der DDR gab es Bananen höchstens zu Weihnachten. Die Käufer warteten dann in langen Schlangen bei jedem Wetter stundenlang vor den Geschäften für Obst und Gemüse. Für ein paar abgezählte Bananen. Ich vergaß nie die Begegnung mit einem Seemann, der einmal mit meiner Familie in einer Gaststätte am gleichen Tisch gesessen hatte. Angetrunken hatte er uns von einer Schiffsreise nach Südamerika erzählt. Auf der Heimreise war die Bananenfracht des Schiffs vorzeitig gereift und die Matrosen hatten die zuckersüßen, goldgelben Bananen essen dürfen. So viele sie wollten. Ohne dafür bezahlen zu müssen. Sie hatten bis zum Erbrechen Bananen gegessen und sie am Ende zuhauf ins Meer werfen müssen, weil das Obst sonst als faulende Masse in Rostock angekommen wäre. Damals war ich sechs Jahre alt gewesen und das Bild der goldgelben, kostbaren Früchte, die vom Meer verschlungen wurden, hatte mich die ganze Kindheit verfolgt. Ich war vollkommen sicher, dass ich keine einzige Banane ins Wasser geworfen, sondern sie alle gegessen hätte. Auch wusste ich genau, wie viele Bananen ich schon gegessen hatte. Fünf Stück, Geschenke meiner Tante aus Westdeutschland. Ich hatte sie mir verdient als geduldiger Zuhörer ihrer Erinnerungen an die verlorene ostpreußische Heimat.

Marina erwartete mich schon auf der Rampe vor dem Schiff. Die Ladungskontrolleurin sollte die Ladung im Auftrag der Schifffahrtsgesellschaft kontrollieren, ich für den Überseehafen. Die Schifffahrtsgesellschaft wie auch der Überseehafen verlangten von ihren Ladungskontrolleuren, dass sie voneinander unabhängig arbeiteten, somit war uns der Kontakt zueinander eigentlich verboten. Die meisten Ladungskontrolleure glichen das Ergebnis der Arbeit jedoch ab, bevor sie ihre Unterlagen im Büro abgaben, weil sie pünktlich Feierabend machen wollten. Marina war in meinen Kollegen Nils verliebt. Viele Mädchen im Hafen schwärmten für ihn. Sie fragte mich sofort nach ihm.

»Nils arbeitet heute als Lagerverwalter in der Nordhalle. Kaffeesäcke aus Brasilien«, sagte ich.

»Bestell ihm einen schönen Gruß von mir, ja? Einen schönen Gruß von Marina. Nicht vergessen, ja?«

Wir setzten uns auf einen Stapel Paletten auf der Rampe und sahen hinüber zur »Ernst Thälmann«, einem eleganten, hellgrauen Schiff der Handelslinie Südamerika−Europa. Einige Hafenarbeiter bereiteten die Waggons an der Rampe zum Beladen vor, während andere durch die offene Luke ins Schiff stiegen. Der Kranfahrer hievte die leeren Paletten von der Rampe ins Schiff, wo sie beladen wurden. Meine Aufregung wurde immer größer. Es war für mich immer noch unvorstellbar, dass das große Schiff voller Bananen sein sollte. Früchte, von denen ich noch nie zwei auf einmal gegessen hatte. Sollte ich tatsächlich bald zwei, drei oder gar fünf Bananen essen können? So als wäre ich Erich Honecker? Marina, eine erfahrene Ladungskontrolleurin, kritzelte währenddessen gelangweilt auf ihrem Arbeitsblock. Schließlich konnte ich es nicht mehr aushalten.

»Isst du gerne Bananen?«

»Hin und wieder.«

»Hin und wieder?«

»Ich esse immer nur ein paar.«

Ich hatte – abgesehen vom versoffenen Seemann natürlich – noch nie jemanden so über Bananen reden hören. Als wären es Früchte, von denen man zu viel essen könnte.

»Du überfrisst dich nicht?«

»Bin ich neu hier?«, fragte Marina schnippisch.

Der Kran stellte die mit Bananen beladenen Paletten auf die Rampe. Die Bananen lagerten in hellbraunen, oben offenen Kartons und waren in Plastikfolie eingeschlagen. Ich ging um jede Palette herum, als zählte ich gewissenhaft deren Kartons. In Wahrheit war ich auf der Suche nach gelben Bananen, aber zu meiner Enttäuschung entdeckte ich nur giftgrüne. Ungeduldig wartete ich auf die ersten gelben Früchte. Marina redete unterdessen fast nur von Nils, meinem Kollegen. Sie machte Pläne für seine Zukunft. Nils sollte eines Tages Meister werden, denn Marina wollte auch etwas erreichen im Leben. Noch waren die beiden kein Paar.

»Kein Wunder, dass die Leute hier Bananen schnell satt kriegen. Sind ja alles grüne«, unterbrach ich sie.

»Die müssen doch grün sein! Sie reifen noch bis Weihnachten. Zählst du zum ersten Mal bei Bananen?«

»So gut wie.«

»Die gelben liegen ganz unten in der Luke, weil sie am längsten im Schiff sind.«

Als die Waggons des ersten Zugs mit Bananen beladen waren, fuhren die Arbeiter die vollen Paletten in die Lagerhalle, bis die Hafenbahn neue leere Waggons bereitstellte. Ich zählte und wartete. Marina vertraute mir derweil an, dass Nils im Leben mehr erreichen würde, wenn er freiwillig drei Jahre in der Armee dienen würde. Dann schickten die Hafenarbeiter im Schiff ihren Kollegen auf der Rampe eine Staude gelber Bananen auf einer Palette mit. Die aßen ein paar und legten die restliche Staude an die Lagerhalle. Ich musste immer wieder dort hinsehen. Der Anblick der reifen gelben Bananen war kaum zu ertragen.

»Siehst du die Bananen nicht?«, unterbrach ich endlich Marina. Sie hatte gerade von Nils’ Augen geschwärmt.

»Welche Bananen?«

»Die da. Sie essen sie!«

»Was sollen sie sonst damit machen?«

»Können wir auch welche von denen essen?«

»Die will ich nicht. Die sind nicht goldgelb. Es stört mich wirklich, dass alle Mädchen von Nils schwärmen. Diese Kinder.«

Mich dagegen quälten immer stärker die Gier nach den reifen Früchten und die Angst, dass ich keine Bananen bekommen würde. Als der Kran defekt war, ging Marina zum Schiff. Kurze Zeit später kam sie mit einer halben Staude goldgelber Bananen zurück.

»Sind die für uns?«, fragte ich ungläubig, als ich endlich wieder sprechen konnte.

»Für alle, die welche haben wollen.«

Ich ergriff vorsichtig eine goldgelbe Banane, betrachtete sie zärtlich, schälte sie sorgsam ab und aß. Sie schmeckte herrlich. Die ersten Bisse erinnerten mich an die glücklichen Momente meiner Kindheit. Und ich konnte jetzt so viele Bananen essen, wie ich wollte! Sie lagen direkt neben mir! Nach wenigen Sekunden hatte ich die erste Banane gegessen. Die zweite schmeckte genauso wie die erste.

»Das ist Glück. Ich bin glücklich!«, jubelte ich. Bei der vierten Banane dachte ich an alle Verwandten und Freunde, die diese beglückende Erfahrung nie machen würden. Während Marina auf der Toilette war, verschlang ich gleich drei Bananen. In der Mittagspause aß ich nichts, weil ich Angst hatte, mit vollem Magen weniger Bananen essen zu können. Die achte Banane aß ich etwas langsamer als die vorherigen. Die neunte Banane schmeckte fast so gut wie die ersten.

»Übertreibst du es nicht?«, fragte Marina. Sie hatte mir gerade erzählt, wie gut Nils in seinen neuen weißen Jeans aussehen würde.

»Ich habe doch erst sechs gegessen«, log ich.

Sie riss die Augen auf. »Sechs? Schon sechs?«

Ich konnte den Anblick zuckersüßer, überreifer Bananen nicht ertragen. Ich musste sie einfach essen! Aber schon bald bereitete mir das Essen Mühe, das wäre früher unvorstellbar gewesen. Als ich merkte, dass ich keine Banane mehr essen wollte, staunte ich über diese völlig neue Erfahrung. Und ignorierte das Gefühl. Längst war ich übersatt. Musste mich zum Essen der Bananen zwingen. Aß dennoch weiter. Bissen um Bissen. Das Schlucken fiel mir immer schwerer, aber die Erinnerung an stundenlanges Anstehen in endlosen Schlangen vor Geschäften in froststarren Wintern für ein paar schwarzfleckige Bananen gab mir die Kraft. Ich quälte mich weiter: Banane um Banane, Stück für Stück. Dann machte ich eine weitere unglaubliche Erfahrung: Ich ekelte mich vor dem Anblick einer goldgelben Banane. Als Nächstes hatte ich das Gefühl, dass die Bananen aus meinem Magen hoch auf meine Augäpfel drückten. Endlich weigerte sich etwas in mir, das Stück Banane im Mund zu schlucken. Etwas Unbekanntes, Starkes. Ich schaffte es dennoch. Nachdem meine Arbeitsschicht vorbei war, saß ich mit starken Bauchschmerzen bewegungslos vor meinem Schrank im Umkleideraum. Mein Freund Uwe, Ladungskontrolleur in einer anderen Brigade, stellte sich vor mich, zog eine goldgelbe Banane aus der Tasche und begann grinsend, sie zu essen. Ich drehte entsetzt den Kopf weg, aber es war zu spät. Uwes Gelächter verfolgte mich bis zur Toilette, in die ich alles erbrach, was ich gegessen hatte.

Uwe war ein echter Rostocker. Sein Großvater war ein englischer Seemann gewesen, der Anfang des Jahrhunderts in Rostock geblieben war. Der Name der Familie war gegen ihren Willen vor ein paar Jahren von einer Behörde eingedeutscht worden. Von Lee in Lieh. Uwe hatte seinen alten Namen mehrmals von der Behörde zurückgefordert – natürlich vergeblich. Es wunderte mich, dass er trotz des Widerstands gegen die Maßnahme einer Behörde im Überseehafen arbeiten durfte. Der war immerhin gesichertes Grenzgebiet zu Westdeutschland, zu feindlichem Ausland. Wir hatten uns kennengelernt, als ich Paletten mit Zementsäcken zählte, die mit einem Gabelstapler aus dem Lager gefahren wurden. Währenddessen war mir ein junger Mann aufgefallen, der sichtlich gut gelaunt die Hafenarbeiter bei der Arbeit beobachtete. Ich hatte mich über seine gute Laune gewundert und neugierig ein Gespräch mit ihm angefangen.

»Wie geht es?«

»Ausgezeichnet!«

Ich hatte wenige Menschen kennengelernt, die das von sich behaupten.

»Was machst du im Hafen? Du bist doch kein Umschlagarbeiter.«

Der junge Mann hatte fröhlich gelacht: »Umschlagarbeiter? Ich bin doch nicht doof und schufte! Ich bin Zähler wie du. Mein Brigadier hat mich zum Kistenzählen aufs Freilager geschickt, aber ich gucke lieber den Idioten bei der Arbeit zu.«

»Ich heiße Frank Grunwald.«

»Ich Uwe Lieh. Lieh ist aber kein chinesischer Name.«

Uwe war wie ich als Umschlagarbeiter gescheitert. Er hatte sich schon beim Anblick der Zementsäcke gegen diese Arbeit entschieden.

Einige Wochen später wollten Uwe und ich zum ersten Mal gemeinsam nach der Spätschicht mit der Hafenfähre nach Warnemünde fahren. Wir fuhren mit dem Bus zu der Anlegestelle der Fähre im Hafen. Ich hätte gern an der frischen Seeluft auf dem Oberdeck der Hafenfähre gesessen, aber Nils und Uwe wollten lieber Skat bei Dieselgeruch unter flackerndem elektrischen Licht im Unterdeck spielen. Neben Nils saß Marina, sie hatte einen Arm unter seinen freien Arm geschoben, ihren Kopf an seine Schulter gelegt und betrachtete mit einer Mischung aus Desinteresse und Sympathie unser Spiel. Nils, groß, sehr schlank, blond, sehr blauäugig, war mir auf Anhieb unsympathisch gewesen. Er hatte den Beruf des Ladungskontrolleurs im Gegensatz zu mir erlernt und ich hatte den Verdacht, dass er mich aus dem Grund nicht akzeptierte. Vor allem aber störte mich, dass viele Mädchen im Hafen von ihm schwärmten. Am S-Bahnhof in Warnemünde trennten wir uns. Uwe und ich suchten vergeblich zwei freie Plätze in einer Gaststätte in Warnemünde.

»Gehen wir in den Teepott«, sagte Uwe schließlich. »Meine Cousine ist dort Kellnerin.«

»Du glaubst, wir kriegen dort Plätze?«

»Sie ist meine Cousine!«

Die Gaststätte »Teepott« lag direkt an der Mole und sah wahrhaftig wie ein riesiger Teepott aus. Es wunderte mich, dass die zuständige Behörde der DDR diesen Bau genehmigt hatte: Er sah so gar nicht aus wie ein sozialistischer Plattenbau. Ich hatte keine große Hoffnung auf Plätze für uns – trotz Uwes Verwandtschaft mit einer Kellnerin. Wir erblickten durch die gläserne Eingangstür im ersten Stock nicht weit von uns entfernt einen freien Tisch in der Gaststätte, aber Uwes Cousine arbeitete heute nicht und ihre Kollegin beachtete uns nicht. Warum auch. Wir warteten dennoch vor dem Eingang, dass die Kellnerin uns irgendwann einlassen würde. Uwe wurde bald übermütig: »Ich frage sie, ob wir an den Tisch dürfen. Meine Cousine ist hier Kellnerin!«

»Du kannst doch nicht einfach reingehen!«, sagte ich.

»Ich gehe rein! Manuela ist meine Cousine!«

»Wir warten doch erst eine halbe Stunde!«

Es war vergeblich. Uwe öffnete die Tür und betrat die Gaststätte. Ich war sicher, dass er keinen Erfolg haben würde, Cousine hin oder her. Als er zurückkehrte, sagte er nur: »Willst du nicht endlich reinkommen?«

»Wie hast du das geschafft?«

»Die Kellnerin wollte mich rausschmeißen, weil ich sie angesprochen habe. Ich habe ihr gesagt, dass Manuela meine Cousine ist. Sie wollte mich trotzdem rausschmeißen, aber der Koch hat sich an mich erinnert.«

»Nein!«, staunte ich.

»Es gibt nur noch Nudeln mit Tomatensoße, weil der Koch heute noch was vorhat. Ich habe schon Bier für uns bestellt. Und Nudeln.«

»Das hast du richtig gemacht«, lobte ich.

Wir setzten uns an den freien Tisch. Die Kellnerin stellte wortlos zwei große Gläser Bier vor uns.

»Äh, das ist ja ›Hafenbräu‹!«, stellte ich nach dem ersten Schluck fest. Die Matrosen der Handelsflotte der DDR erhielten auf ihren Schiffen nur dieses stark nach Chlor schmeckende Bier. Vielleicht sollte es das Heimweh in fremden Gewässern bekämpfen. Nachdem die Kellnerin zwei Teller mit Nudeln auf unseren Tisch gestellt hatte und schon wieder wortlos gehen wollte, reagierte Uwe schnell: »Dürfen wir noch zwei große Bier bekommen?«

»Nein. Jeder kriegt noch ein kleines«, entschied sie.

Die Nudeln waren sehr bissfest und die rötliche Tomatensoße war fast geschmacklos.

»Na, wie ist es hier?«, wollte Uwe nach dem Essen von mir wissen.

»Toll!«

»Das meine ich auch.«

Und dann geschah das, worauf Uwe und ich und bestimmt alle anderen Gäste gewartet hatten. Ein großes weißes Schiff mit vielen hell erleuchteten Fenstern verließ den Hafen von Warnemünde. Es glitt scheinbar lautlos durch das dunkle Meereswasser, wurde kleiner und kleiner und verschwand schließlich als ein kleiner heller Punkt in der schwarzen Ferne. Das war die Fähre nach Trelleborg, ein Ort, für uns genauso unerreichbar wie die Sterne am schwarzen Nachthimmel.

In deutschen Zeiten

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