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Vater und die Medizin

Die Gesundheit von Sohn Uwe war Vaters höchstes Gut. Er war bedacht darauf, dass der Sohn gesund war. Ich hatte alle Kinderkrankheiten, die im Lehrbuch standen, leider auch mehrmals jährlich Mittelohrentzündungen. Da Vater immer Schuldige für Missstände aller Art suchte, war meine Mutter schuld an jeder Krankheit, die ich bekam. Bei jedem Wehwehchen meinerseits jagte er uns zum Doktor oder sogar bis zum Professor, als ich einmal Spannungsschmerzen in der Brust hatte. Ich könnte Plattfüße haben, und so bestimmte mein Vater, ich solle orthopädische Übungen mit dem Bleistift machen. Zähneknirschend packte ich den Bleistift mit den Zehen, legte ihn nach links und rechts, bis er der Meinung war, dass die heutige Übungsstunde beendet werden konnte. Ich kannte bald mehr Ärzte als Einkaufsläden. Hunderte von Stunden muss ich mit meiner Mutter in Arztpraxen und Kliniken verbracht haben. Was genau gesucht wurde, ist mir noch heute schleierhaft. Außer meinen normalen Erkältungen, einer Mandelentfernung und einem Bandwurm hatte ich keine besonderen Erkrankungen. Die Arztbesuche fanden einzig und allein auf Vaters Geheiß statt. Ging es ihm wirklich um meine Gesundheit oder wollte er nur den Gegenwert für die Beiträge der Krankenversicherung haben?

Immer wieder rannte ich an Mutters Seite die lange Eschholzstraße entlang bis zu den Universitätskliniken. Ich hatte keine Ahnung, warum Mutter oft zu spät aufgebrochen war. Das Ende vom Lied war, dass wir hechelnd bei der Patientenaufnahme anstanden. Was nun kam, war auch immer wieder dasselbe: Wir warteten stundenlang, bis wir an die Reihe kamen. Mit fortschreitender Stunde wurde Mutter nervöser, denn um Punkt 12 Uhr hatte das Mittagessen auf dem Tisch zu stehen. Deshalb sollten wir um 11 Uhr wieder zu Hause sein. Selten gelang das. Wir kamen dort an, und Vater war schon wieder auf dem Weg zur Arbeit. Ich kann mir vorstellen, dass er statt Essen nun Wut im Bauch hatte und sein Fahrrad damit malträtierte. Er konnte nicht kochen und hat sich auch bis ins hohe Alter geweigert, es zu lernen. Das war die Sache der Frau.

In späteren Jahren, ohne Garten und Auto, beschloss Vater, selbst einen Teil seiner Zeit beim Arzt zu verbringen. Er war ein nahezu perfekter Hypochonder. Glücklich kam er mit einer Tüte voller Medikamente, der Beute seines Ausflugs, durch die Eingangstür. Der Beitrag für die Krankenkasse war in diesem Monat wieder erfolgreich in Form von Medikamenten herausgeholt worden. Das Bemerkenswerte dabei war, dass er die meisten Pillen davon auch schluckte. In seiner besten Zeit waren das bis zu acht verschiedene Tabletten, Kapseln, Tropfen oder Pülverchen, täglich. Und das dreimal am Tag. Die Leber wurde trotzdem 95 Jahre alt. Ernsthafte Krankheiten hatte er nie. Die Reste der Medikamente sammelte er in einem Koffer unter seinem Bett, später wurden daraus zwei Koffer. Ich fand sie, als meine Eltern ins Pflegeheim umzogen. Ich wusste inzwischen, dass sich Hunderte von Pillen darin befanden. Vater nahm mir die Koffer sofort aus der Hand, „die nehme ich selber“, und transportierte sie eigenhändig ins Pflegeheim, wo sie wieder unter dem Bett verschwanden. Wegen seiner Rückenschmerzen befanden sich auch einige starke Schmerzmedikamente darunter. Gerne nahm er ein paar mehr davon, bis er antriebslos auf dem Sofa lag. Die Pfleger brauchten einige Wochen, bis sie die Ursache in Form der versteckten Koffer fanden. Vater war inzwischen hochgradig tablettenabhängig. Erst mit Gewalt, schließlich mit der Drohung, die Polizei zu rufen, verteidigte er bis zuletzt seinen Pillenschatz. Erst die Ankündigung der Heimleitung, ihn sofort auf die Straße zu setzen, wirkte. Danach durfte sein Hausarzt, der ihm noch nie einen Wunsch abgeschlagen hatte, ihn nicht mehr betreuen und wurde durch einen anderen Arzt ersetzt. Wie zu erwarten, weigerte sich Vater standhaft wie ein Soldat, diesen Arzt zu akzeptieren. Es nützte ihm nichts.

Wie die Nummer 5 zum Halten kam

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