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Fußball im Hinterhof

Es ist nun mehr als zwei Jahre her, dass Horst zur Behandlung ins Krankenhaus musste. Ein Speiseröhrenkrebs hatte sich bei ihm gebildet. Horst war einer der wenigen Klassenkameraden, mit denen ich in den zehn Jahren zuvor noch regelmäßig Kontakt hatte. Wir wollten ein Klassentreffen organisieren, nun besuchte ich ihn in der Klinik. Drei Monate dauerte die Behandlung. Bei jedem Besuch redeten wir über unsere Jugendzeit, unsere Streiche, unsere Schulzeit. Und wir machten Pläne für das nächste Treffen. Wir hatten Hoffnung, dann kam das schnelle Ende. Er war der Erste aus unserer Klasse, der verstarb.

Es war ein kalter Februartag. Mehrere Hundert Trauernde hatten sich in der Klosterkirche von Oberried eingefunden. Der eintönige Singsang der Rosenkranzbetenden erfüllte die Kirche, eine endlose halbe Stunde lang, bevor der Pfarrer den Trauergottesdienst eröffnete. Horst war unser Fußball-Anführer gewesen. Obwohl er zu den Älteren gehörte, war er einer der Kleinsten unter uns, aber sehr aufgeweckt und körperlich beweglich.

Horst und sein kleiner Bruder Rudi waren die Experten, später spielten sie in einem Fußballverein, Rudi legte eine kleine Karriere als Fußballer hin. Sie setzten die Regeln, wir hatten nichts dagegenzusetzen, denn wir waren keine anerkannten Experten. Wir merkten aber, wenn sie die Regeln zu ihren Gunsten auslegten. Dann stritten wir uns, aber wir prügelten uns nie. Mädchen mit fußballerischen Ambitionen gab es offenbar noch nicht. Ich kann mich zumindest nicht daran erinnern, dass ein Mädchen gewagt hätte, mit uns zu spielen oder auch nur zu fragen. Die Zeit war noch nicht reif dafür. Mädchen hatten nach unserem Verständnis nicht Fußball zu spielen.

Wir hatten einen tollen Rasenplatz in unserem großen Innenhof, und die Teppichstangen eigneten sich hervorragend als Tore. Teppiche wurden morgens geklopft, wenn wir in der Schule waren. Nachmittags waren die Stangen in der Regel frei. Für uns kleine Kerle waren sie allerdings zu hoch, zumindest solange wir nicht auf einen Meter siebzig springen konnten. Wir einigten uns darauf, dass Torschüsse in den oberen Teil nicht gewertet werden sollten. Das führte dazu, dass der Torwart recht oft ärgerlich, aber manchmal auch spitzfindig „zu hoch!“ rief, vor allem, wenn er nicht gut drauf war. Da es keinen festen Torwart gab, musste er nach einer Weile wieder ins Feld und bekam das Gleiche zu hören. Es war ein flottes Hin und Her, manchmal spielten wir nur zu dritt mit einem Torwart, das andere Mal kamen bis zu zwölf Spieler zusammen.

Die Anwohner, vor allem die Väter, fühlten sich nicht gestört. Die Ballkunst der Kleinen bestaunend, manchmal anfeuernd, standen sie auf den Balkonen oder an den offenen Fenstern. Die Eltern schienen zudem froh, ihre Zöglinge in der Nähe und damit unter Aufsicht zu wissen. Erst Jahre später waren Stunden der Ruhe vorgeschrieben und laute Spiele vor dem Haus generell verboten. Fußballspiele tagsüber waren dann mit einem gewissen Risiko verbunden: Weniger, weil die Rasenqualität unter unseren kleinen Füßen gelitten hätte, vielmehr war Fußballspielen laut Hausordnung verboten. In unregelmäßigen Abständen kam der Hausmeister Rotzinger vorbei. Meistens tauchte er wie aus dem Nichts auf, griff sich unseren Ball und versuchte, einen von uns an den Ohren zu ziehen. Der Ball war dann weg. Erschien Rotzinger zu oft, richteten wir eine Warnvorrichtung ein: Einer musste sich für jeweils eine halbe Stunde an die Durchfahrtstraße stellen und Ausschau halten. Der Ausruf „Der Rotzinger kommt!“ bewirkte etwa das Gleiche, wie wenn der Erdmännchen-Wächter einen gellenden Warnpfiff ausstößt und die gesamte Sippe in irgendwelchen Eingängen verschwindet. Der als nächster dran war, sollte sich den Ball schnappen. Das klappte leider nicht immer. Rotzinger nahm ihn mit. Viel Geld hatten wir nicht, aber erstaunlicherweise kam immer von irgendwo wieder ein Ball her.

Rotzinger wiederum hatte eine Verbündete, Liebetanz mit Namen. So lieb war sie allerdings nicht, denn sie stand auf dem Balkon und verpetzte unsere Verstecke unter Balkonen oder Kellertreppen. Unsere Strafe war gehässig: Wir verbanden ihre Eingangstür mit einem Seil mit der gegenüberliegenden Tür, sodass sie ihre nicht aufmachen konnte. Wir klingelten heftig, wütend zog sie an der Tür, einer schnitt rasch das Seil durch, und Liebetanz, mehr fliegend als tanzend, flog in ihre Wohnung zurück. Neugierig auf den Ausgang unseres Plans spickten wir um die Ecke. Wie ein Käfer lag der dicke Körper auf dem Rücken. Aus der fetten Kehle drangen fürchterlich fluchende Töne. Aber sie lernte nichts und verpetzte uns weiter.

Das Fußballspielen ging über Jahre, der eine oder andere zog weg, neue Buben kamen hinzu. Als wir etwa fünfzehn Jahre alt waren, gab es andere Spiele – diejenigen mit Mädchen, nicht mehr offen auf dem großen Hinterhof, sondern eher in „Partyräumen“, wie die umgebauten Keller damals genannt wurden. Oder, sobald das zweisitzige Moped vor der Tür stand, an anderen Orten als im Viertel.

Sprecher des Schützenvereins, der Polizei und des Tischtennis-Clubs brachten ihre Erschütterung über den frühen Tod von Horst zum Ausdruck. Verdienste wurden aufgezählt, so manche Episode in Erinnerung gebracht. Die Arbeit bei der Polizei war sein Leben, er hatte aber viele Interessen. Horst diente als Einsatzleiter, auch bei großen Fußballspielen des SC Freiburg. Die Fans hatte er unter Kontrolle, nicht mit Gewalt und Drohung, sondern mit Überzeugungsarbeit. Horst war akzeptiert und beliebt. Seine Methoden waren schlau, stets effektiv. Immer wieder kam in den Trauerreden der Fußball ins Spiel. Kommissar Horst hatte auch manchen von uns aus unangenehmen Situationen geholfen.

Das Gesagte war ernst gemeint und wurde unter Tränen ausgesprochen. Der Pfarrer konzentrierte sich auf das religiös Zeremonielle, die Gemeinde war in Trauer vereint. Angeschoben von sechs Schützen des Schießsportvereins, alle waren nicht mehr die Jüngsten, gelangte der Sarg zum Grab. Letzte religiöse Worte, anschließend verschwand er langsam in der Grube. Der Himmel ließ Schneeflocken zum Abschied tanzen, ein kalter Wind die Trauernden frösteln. Weihwasser und Erde fielen auf den Sarg, und die Gemeinde löste sich langsam auf. Horst war zu früh gegangen, der Krebs hatte schnell zugeschlagen. Eine Heilung schien in Aussicht, doch es gab Komplikationen, er schaffte es nicht. Keine zwei Jahre in Pension waren Horst vergönnt gewesen. Er hatte sein Haus modernisiert, der Umbau war beinahe beendet. Auch die Heizung hatte er für die nächsten Jahre mit seiner Frau Elisabeth erneuert. Der Wald hatte genug Holz, gefroren hätte niemand, aber es fehlte Horsts menschliche Wärme.

Es wurde inzwischen Winter und es gab bei uns im Flachland ein wenig Schnee. Die weiße Pracht war selten geworden. Wir Kinder konnten uns damals noch oft daran erfreuen.

Wie die Nummer 5 zum Halten kam

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