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ОглавлениеKapitel 10
Beim Professor
„Tja, wie soll es nun weitergehen?“, fragte Benno in die Runde. „Ist es der Wahnwitz eines dementen Mannes, oder könnte es klappen und was wären die Konsequenzen, wenn wir es machen?“
Nachdem die vier Leute im Haus des Professors Dr. Kurt Martin in Zell-Weierbach eingetroffen waren und Benno und Lea sich beim Wiedersehen überrascht angesehen und sich ein kleines Lächeln geschenkt hatten, und nach und nach klar wurde, dass er alle Anwesenden schon in der Cafeteria oder auf dem Flur des Seniorenheimes gesehen hatte, außer den kahlköpfigen breitschultrigen Mann, waren sie nur zögerlich ins Gespräch gekommen.
Es war der kleine Professor, der den Bann brach. „Setzen wir uns erst einmal, meine Lieben. Ich habe Tee und Gebäck für alle bereitet. Dann können wir in Ruhe miteinander reden und uns kennenlernen.“
„Was haben Sie denn da auf dem Dach Ihres lustigen Autos befestigt, meine Liebe?“, wandte er sich an Maria.
Maria hüstelte ein wenig, weil ihr ein paar Krumen des Kekses im Hals kitzelten. „Ach, das ist ein Rollator“, antwortete sie wahrheitsgemäß. „Ich bringe ihn nachher noch ins Altersheim. Die Freundin einer Freundin von mir hat ihn sich gewünscht.“ Maria hatte sich ihrer Verkleidung entledigt, sah nun wieder gepflegt und attraktiv aus und wünschte, sie hätte etwas mehr von ihrem Parfum aufgetragen, angesichts der anwesenden Männer. Besonders der Glatzkopf hatte ihr Interesse geweckt, saß er doch lässig mit übergeschlagenen Beinen da, in seinem feinen Zwirn, und ließ seinen Mercedesschlüssel demonstrativ um seinen Zeigefinger kreisen. Er musterte sie aufmerksam.
„Womit haben Sie denn den Rollator gesichert?“, fragte Rudi und blickte erneut aus dem Fenster. Die rechte Seite des Rollators war im Schiebedach des Pandas versunken, die linken Räder ruhten auf dem Dach. „Das sieht ja aus wie eine Strumpfhose.“
Maria wurde tatsächlich rot und nickte. „Gut beobachtet“, brachte sie hervor. „Ich hatte keine… wie heißen denn diese Stricke… die man so zuziehen kann?“
„Spanngurte“, half Rudi.
„Ja, genau. Den Rollator gab es zum Sonderpreis, nur heute“, log sie. „Und ich wusste keinen anderen Weg.“
„Du meine Fresse“, gab Rudi von sich. „Soll ich´s denn glauben? Ja, das tue ich. Und da sagt man, Frauen hätten keinen Sinn fürs Praktische. Wenn Sie möchten, könnte ich Ihnen nachher den Rollator zum Altersheim bringen. Ich habe ein großes Auto.“
Maria blickte aus dem Fenster. Im Hof standen nur ihr Panda und der Touran des attraktiven bärtigen Mannes. „Wo haben Sie denn geparkt?“
Rudi deutete vage hinaus. „Gleich um die Ecke.“
„Wären Sie damit einverstanden, dass wir uns duzen?“, fragte Benno in die Runde. „Um uns ein bisschen besser kennenzulernen und lockerer zu werden. Schließlich haben wir unser Treffen unserem gemeinsamen Freund und Bekannten Vincent zu verdanken.“
„Das ist eine gute Idee“, stimmte der Professor gleich zu. Auch die anderen nickten, sahen sich aber fragend an. „Dann fange ich mal an“, sagte der Professor und rückte seine Fliege zurecht. „Ich heiße Kurt, bin seit geraumer Zeit im Ruhestand, war leitender Chefarzt der Gefäßchirurgie und habe plötzlich so viel Zeit, dass ich nicht weiß, sie sinnvoll zu nutzen. Vincent habe ich im Altersheim in der Cafeteria kennengelernt, als ich meinen ehemaligen Nachbarn besuchte und habe mit ihm interessante Gespräche geführt, wenn er mal wieder bei klarem Verstand war. Ich lebe allein in diesem viel zu großen Haus, bin und war noch nie verheiratet – und ich bin schwul.“
Rudi und Maria sahen erstaunt auf, äußerten sich aber nicht.
Benno ergriff das Wort. „Benno Tornedde“, stellte er sich vor. „Ich bin einundsechzig Jahre alt, geschieden, lebe allein, bin arbeitslos und demnächst Anwärter auf Hartz IV. Ich kenne Vincent schon seit Jahrzehnten. Er war mein Ausbilder und auch späterer Arbeitskollege.“
„DU bist der Meerjunge“, entschlüpfte es Lea überrascht.
Benno lächelte. „Woher weißt du? Ach ja, Vincent hat mich ja beim vorletzten Besuch so genannt.“ Er sah in fragende Gesichter. „Ein Wortspiel“, klärte er auf. „Der verwirrte Geist eines alten Mannes. Ich sagte Lehrjunge und er verstand Meerjunge.“
„Na, dann will ich mal“, stellte sich Maria vor. Sie erzählte von ihrer Jugend, ihrem luxuriösen Leben, ihrem Schmuck und ihren Reisen, von dem ein oder anderen Liebhaber und ihren sechs Ehen sowie ihrem sozialen Abstieg.
„Du bist ja wie der Elbtunnel“, platzte es aus Rudi heraus. „Da ist auch schon jeder durchgesaust.“
„Blödmann“, wehrte sie sich und zeigte ihm den Mittelfinger. „Du hast bestimmt auch mehr als nur eine Freundin oder Frau in deinem Leben gehabt.“
„Ja, sorry“, bat er um Entschuldigung. „Ist ja auch keine Seife, so‘n Unterkörper. Nutzt sich ja nicht ab.“
Die anderen lachten, aber sie lachten Maria nicht aus, amüsierten sich eher über Rudis Wortwahl.
Maria berichtete weiter über ihren Abstieg, dem ausgeliehenen klapprigen Fiat Panda und die kleine Absteige, in der sie nun wohnte und die Aussichtslosigkeit, die soziale Leiter je wieder ein wenig höher zu klettern. Auch sie hatte mit Vincent in der Cafeteria anregende Gespräche geführt. Sie fühlte sich verdammt einsam und vom Glück verlassen.
„Rudolf Talheim“, lautet mein vollständiger Name“, stellte sich der Glatzkopf vor. „Aber alle nennen mich Rudi. Habe ich die sechzig auch schon überschritten? Ja, das habe ich. Ist das eine geile Zeit, wenn man sich von der Fünfzig verabschiedet hat? Ist es“, beantwortete er wieder seine eigene Frage und strahlte freudig in die Runde. „Das Leben steckt voller Möglichkeiten, auch jetzt noch.“
Es freute Benno, dass Rudi derart positiv dachte. Fast überschwänglich. Sicherlich war das sein Naturell. Auf jeden Fall war seine Art ansteckend.
„Vielleicht für Männer“, warf Maria ein. „Aber nicht für ältere Frauen …“
„Du meine Fresse! Ja, soll ich´s denn glauben? Nein, soll ich nicht. Alt ist man erst, wenn dir das Kacka-machen mehr Spaß bereitet als das Vögeln. Und so siehst du nicht aus, Mädchen.“
„Nochmal Blödmann“, hielt Maria dagegen, fiel aber mit den anderen in ein herzhaftes Lachen ein. Mädchen hatte er sie genannt. Sie würde ihm dafür alles verzeihen.
„Und wie hast du Vincent kennengelernt?“, fragte Lea Rudi.
„Ich habe gerade einen Fahrgast abgeholt, als mein Chef mich anrief, ich solle im vierten Stock noch jemanden abholen. Ich huschte hinein ins Zimmer und da saß er ganz zusammengesunken, mit geschlossenen Augen in seinem Stuhl.
Ich habe dann mein Maßband heraus geholt, ihn vermessen, was nicht ganz leicht war, so verkrümmt wie er da saß und plötzlich öffnete er die Augen und ich schrie los.“
„Ich verstehe nicht“, sagte Maria und auch die anderen sahen Rudi fragend an. „Ich dachte, er wäre tot und war selbst fast zu Tode erschrocken.
Es handelte sich um das falsche Zimmer. Na ja, auf jeden Fall haben wir uns danach prächtig unterhalten und so bin ich hier.“
„Was fährst du für einen Wagen?“, fragte Lea und sah ihn auf einmal so merkwürdig an.
„Einen mit einem Stern vorne drauf. Fast zweihundert PS, Alufelgen, getönte Scheiben und Klimaanlage“, sagte er stolz und zupfte ein Stäubchen von seiner Anzughose.
„Und deine Patienten liegen hinten drin?“, bohrte sie weiter.
„Ist das gut kombiniert? Ja, das ist es“, freute sich Rudi.
„Du fährst einen Krankenwagen?“, fragte Maria erstaunt, doch Rudi schüttelte den Kopf.
„Leichenwagen“, sagte er mit Stolz in der Stimme. „Ich bin Bestattungsgehilfe und darf den Wagen auch privat nutzen.“
„Du fährst privat mit ’nem Leichenwagen? Ich fass es nicht.“ Maria musste erst einmal innehalten.
„Ja“, antworte Rudi, „ist das nicht toll? Ja, das ist es.“
„Ich glaube, jetzt muss ich mal was über mich erzählen“, beendete Lea Rudis freudiges Grinsen, doch er unterbrach sie.
„Aber ich bin heute nicht privat mit dem Wagen hier, ich habe einen Gast hinten drin.“
„Du hast WAS?“, fragten Kurt und Benno wie aus einem Mund.
„Ich wäre doch sonst zu spät gekommen“, entschuldigte sich Rudi.
„Und der Gast wird mich nicht verraten, das ist nun ein ganz Stiller, auch wenn er schon ein bisschen streng riecht, du meine Fresse, ja das tut er.“
Lea erzählte vom Unfalltod ihres ersten Mannes. Wie sie ihre Kinder die ersten Jahre allein versorgt und erzogen hatte. Ihr Redefluss stockte, als sie von ihrer zweiten Ehe sprach. Wie Paul der Spielsucht erlegen war. Nächtelang blieb er weg, roch nach Rauch und billigem Fusel, manchmal nach anderen Frauen. Er verlor viel Geld und seinen Arbeitsplatz, weil er irgendwann einfach nicht mehr zur Arbeit ging. Er wurde immer aggressiver und das nicht nur verbal. Es folgten Brutalität, tränennasse Entschuldigungen, und wieder und wieder Rückschläge. Paul nahm eine neue Hypothek auf das gemeinsame Haus auf, wobei er ihre Unterschrift fälschte. Danach setzte er sich einfach ab und verschwand spurlos von der Bildfläche. Manchmal erhielt sie Postkarten mit nichtssagenden Grüßen aus Lateinamerika, aber immer ohne Unterschrift.
Nach einem Jahr ohne Nachricht von Paul ließ sie sich scheiden. Zuvor hatte sie bei der Bank vorgesprochen, die ja nun ihr Geld zurück wollte. Der feiste Filialleiter, Dirk Bächle, gab ihr zu verstehen, dass sie vorerst in ihrem Haus bleiben könne, wenn sie ihm ab und zu einen Gefallen täte, so ein- bis zweimal die Woche, sie wisse ja, was er meine. Seine Zunge stieß dabei gegen die Innenseite seiner Backe und beulte sie demonstrativ aus. Sie ohrfeigte ihn links und rechts, sodass ihr hinterher die Hand schmerzte.
Obwohl sie versicherte, dass es nicht ihre Unterschrift auf dem Kreditvertrag sei, konnte sie es nicht beweisen. Dirk Bächle grinste feist, als er sie anlog, dass das Dokument derzeit in der Zentrale sei, es aber Zeugen gäbe, die bestätigen würden, dass beide Unterschriften gültig wären. Außerdem musste sie die Lebensversicherung in Höhe von einhundertfünf-undzwanzigtausend Euro an die Bank überschreiben. Es folgten die Zwangsversteigerung des Hauses und der Umzug in eine kleinere Wohnung.
Sie erzählte von dem Versuch, in ihrem gelernten Beruf als Maskenbildnerin wieder Fuß zu fassen, doch weder in Freiburg, Basel, Baden-Baden noch in Karlsruhe wollten die Intendanten eine alleinerziehende Mutter einstellen. Außerdem scheuten etwaige Arbeitgeber Gehaltspfändungen, die bei ihr anstanden.
Ihre Kinder waren schon lange außer Haus, sie war dreifache Oma und musste noch gute vierunddreißig Jahre arbeiten, bis ihre Schulden getilgt waren. Sie zuckte die Achseln. „Ja, das war mal die Kurzfassung meiner Vita“, sagte sie und schenkte der Runde ein etwas melancholisches Lächeln.
„Eine bezaubernde Frau mit einer traurigen Geschichte“, ergriff schließlich Benno wieder das Wort.
„Vielen Dank für die Blumen“, erwiderte Lea und merkte die Röte in ihrem Gesicht aufsteigen.