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Kapitel 3

Maria von Hückenberg

Die nicht gerade dezent geschminkte Frau im Café, die Benno beim Hereinkommen gemustert und ihn für interessant befunden hatte, seufzte leise auf, als der große Mann ihr den Rücken zuwandte und einen Cappuccino bestellte. Schade, dass er keinen weiteren Blick für sie übrig gehabt hatte. Dabei hatte sie sich heute besonders hübsch gemacht. Vielleicht bevorzugte er einen anderen Frauentyp? Oder er stand auf junges Gemüse. Einen Ehering hatte er jedenfalls nicht getragen, aber auch solch ein Zeichen ehelicher Bindung war für sie noch nie ein Grund gewesen, die Finger von einem Bewunderer zu lassen. Sie holte einen kleinen Spiegel aus ihrer Handtasche, klappte ihn auf und musterte ihre tadellos geschminkten Lippen. Erdbeermund. Immer noch hübsch anzusehen, dachte sie. Wirklich schade, dass sie in letzter Zeit so wenig Gelegenheit bekommen hatte, mit ihrem Erdbeermund Dinge zu tun, die sie so unglaublich beherrschte.

Sie blickte auf ihre Rolex Imitation. Es war Zeit, dass ihre frühere Nachbarin auftauchte, die seit einigen Monaten hier im Altersheim ein Zimmer bewohnte. Agnes war geistig voll auf der Höhe, aber ihr neunzigjähriger Körper wollte ihr nicht mehr so wie früher gehorchen. Maria hatte ihr vor einigen Wochen einen Rollator im oberen Preissegment geschenkt, den sie sich selbst bei einem Fachhändler mal kurz zum Probeschieben ausgeliehen hatte. Natürlich hatte sie ihren Namen nicht richtig preisgegeben, als der kompetente Mitarbeiter sie danach fragte. „Ich fahre nur eine Runde um den Block“, hatte sie gesagt und war mit dem Rollator fluchtartig zur Tür hinaus, bevor der Mann sie nach ihrem Ausweis fragen konnte.

Auf dem Weg zu ihrem Auto sah sie zwei junge Männer auf sich zukommen, die ihr mitleidige Blicke ob ihrer Behinderung zuwarfen und sie verfluchte den Rollator. So alt war sie nun auch wieder nicht. Den Rollator betrachtete sie als Dauerleihgabe, auch wenn der Händler nichts davon ahnte – nahm ihn als Geschenk, zum Weiterverschenken. Maria trank einen winzigen Schluck von ihrem Kaffee, so dass es aussah, als nippe ein Vögelchen daran, um sich sogleich erneut umzuschauen. Hinten am Fenster saß ein älterer Herr, vertieft in seine Zeitung. Der Mann war sehr gut gekleidet, trug eine Fliege zum weißen Hemd und dunklen Blazer, mochte Ende Sechzig sein und hatte auffallend schmale Schultern. Er schien kaum größer als sie, also knapp über 1,60 m. Seine zarten, langgliedrigen Finger passten zu seiner schmächtigen Erscheinung.

Der Mann hatte ihr vorhin flüchtig zugenickt, als er den Tisch am Fenster ansteuerte und ihr Interesse war sofort erloschen. Mist! Obwohl sie sicherlich nur einige Jahre jünger war, schätzte sie ihr eigenes Aussehen weitaus erfreulicher ein. Sie fand, dass sie noch als Mitte bis Ende vierzig durchgehen konnte, obwohl sie die Sechzig auch schon überschritten hatte. Mein Gott, bloß nicht daran denken. Sie zupfte ihr Halstuch zurecht, um ein paar Falten am Hals zu kaschieren. Besorgt blickte sie auf ihre Hände, die ebenfalls Rückschlüsse auf ihr wahres Alter zuließen. Sie wollte gern wieder dreißig sein, ohne diese Runzeln und Krater am Hals und ohne diese hässlichen Flecken auf den Händen. Wenn sie noch genug Vermögen gehabt hätte, wäre sie jetzt sicherlich irgendwo in den Staaten, käme aus einer dieser zahllosen Schönheitsfabriken und wäre wieder faltenfrei und attraktiv.


Sie blickte erneut zu dem älteren Herrn. Er sah gut aus, war teuer gekleidet, da kannte sie sich aus. Der hatte Geld.

Bevor sie ihr eigenes Vermögen verlor, hatte sie auch aus dem Vollen geschöpft; schöner Schmuck, tolle Reisen, rassige Autos sowie attraktive Männer, die ihr das luxuriöse Leben finanzierten. Mit Wehmut dachte sie an ihre letzte Eroberung und verdrängte den Gedanken schnell wieder. Vielleicht sollte sie ihre Ansprüche mal langsam ihrem Alter anpassen? Und ältere Herren waren vielleicht auch nicht schlecht im Bett, sofern ihre Prostata es zuließ.

Und vielleicht war er auch so einsam wie sie.


Bis zur Pubertät war Maria klein und pummelig gewesen, hatte ein lückenhaftes Gebiss und große runde Augen. Bereits mit fünfzehn Jahren galt sie nicht gerade als Augenweide, aber als unersättlich und Experimenten nicht abgeneigt, vorausgesetzt, die Jungen verfügten über Geld und Auto.

Ihr Ruf eilte ihr voraus und änderte sich auch nicht nach ihrem Schulabgang. Sie fing eine Lehre als Bürokauffrau an und ließ sich ein paar Wochen später vom Juniorchef schwängern. Sie heiratete mit siebzehn.

Auch nach der Schwangerschaft, die im vierten Monat mit einer Fehlgeburt endete, galt sie als unschöne Nymphomanin, die allerdings in den nächsten Jahren Chefin über dreihundertsechzig Mitarbeiter sein würde. Nachdem ihr Mann innerhalb einiger Monate das Interesse an ihr deutlich verloren hatte, begann sie eine Affäre mit ihrem Schwiegervater, der allerdings auch nur eineinhalb Jahre durchhielt und sie dann fallen ließ, als sie ihm zu anstrengend wurde. Vier Mal die Woche Liebe machen, das war nichts mehr in seinem Alter.

Ihre erste Nasenkorrektur und Brustvergrößerung bezahlte noch ihr Schwiegervater, als er noch nicht genug von ihr bekommen konnte.

Im Laufe der nächsten Jahre folgten Zahnbehandlungen sowie weitere Schönheitsoperationen und sie verwandelte ihr Äußeres immer mehr in eine hübsche junge Frau. Die Männer begannen, sich nach ihr umzudrehen. Manch einer stieß einen anerkennenden Pfiff aus, als sie vorüberging. Einige ihrer Eroberungen sahen in ihr eine entfernte Ähnlichkeit mit Senta Berger, was sie ja auch mit den Korrekturen ihres Erscheinungsbildes bezweckt hatte.

Als sie zweiundzwanzig wurde, musste die Firma ihres Schwiegervaters Insolvenz anmelden und wurde letztendlich liquidiert. Da ihre Ehe nur noch dem Namen nach bestand, ließ sie sich kurzerhand scheiden und suchte sich in den nächsten paar Jahren den einen oder anderen potenten und solventen Liebhaber. Es folgten im Laufe der Jahre Ehe Nummer zwei, drei, vier und fünf. Jeder neue Ehemann hatte ein relativ kurzes Verfallsdatum. Schnell begann sie, sich in ihren jeweiligen Ehen zu langweilen. Sie war bereits Ende vierzig, als das Schicksal ihr einen unglaublich attraktiven Mann beschenkte. Sie heiratete zum sechsten Mal. Dieses Mal war der Angetraute achtzehn Jahre jünger als sie, was ihrer Liebe keinen Abbruch tat, war sie doch der Meinung, man sehe ihr den Altersunterschied nicht an. Ihr Mann brachte nur wenig Geld mit in die Ehe und war so lieb, ihren Nachnamen anzunehmen, da von Hückenberg besser klang, als Peter Sperlich. Sie war sich sicher, dass der Name von Hückenberg ihm manche bisher verschlossene Türe öffnen würde. Maria war zum ersten Mal in ihrem Leben überzeugt, dass diese Liebe die einzig wahre Liebe in ihrem Leben sei. Sie würden lange, lange glücklich miteinander sein.

Peter von Hückenberg sah nicht nur umwerfend aus, er verfügte ebenso über einen durchtrainierten Body, konnte nicht genug von ihren erfahrenen Liebesspielen bekommen und verdiente sein Geld als mäßig erfolgreicher Immobilienmakler, der beruflich sehr viel in Deutschland, Österreich und der Schweiz tätig war. Er war ziemlich glücklich mit Maria verheiratet, gestand er sich ein – zeitgleich mit drei weiteren Frauen, die der potente Mann auf seinen beruflichen Reisen in seine Arme schloss. Alle vier Frauen waren deutlich älter als er.

Dass ihr Mann mehrfach der Bigamie überführt und verurteilt worden war, hatte Maria hart getroffen. In ihrer Eitelkeit gekränkt, zog sie sich einige Monate in sich zurück, wollte nichts und niemanden sehen und mit ihrer Trauer allein sein. Am schlimmsten trafen sie seine Worte vor Gericht. „Meinst du, ich hätte dich wegen deines Aussehens geheiratet? Du könntest als meine Mutter durchgehen.“ So ein Dreckskerl! Er wurde zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Noch schlimmer traf sie der Verlust ihrer Immobilien und Ersparnisse. Alles, wirklich alles hatte sie ihm überschrieben und mit der Spekulationsblase in den USA verschwand auch ihr Vermögen.

Ihr Anwalt machte ihr wenig Hoffnung, jemals wieder an ihr Geld zu kommen. Seither lebte sie von Sozialhilfe, musste zwangsweise in eine kleine Sozialwohnung umziehen und fühlte sich von der Welt betrogen und alleingelassen und war irgendwie nur noch fehl am Platze.

Den Gedanken, Suizid zu begehen, verwarf sie wieder, nachdem sie über verschiedene Selbstmordszenarien nachgedacht hatte. Pulsadern aufschneiden – nein, sie konnte kein Blut sehen.

Erhängen – nein, was würden denn die Leute denken, wenn man sie mit entleerter Blase und Darm fand, schaurig mit heraushängender Zunge vor sich hin baumelnd? Schlaftabletten – auch nicht. Schreckliche Krämpfe würden sich einstellen. Vor einen Zug werfen, kam auch nicht in Frage. Sie sah sich auf den Schienen liegen, nur noch der Torso übrig. Furchtbar! Was sollten die Sanitäter oder der Notarzt von ihr denken? Wahrscheinlich passte der Arzt auch noch in ihr Beuteschema… jung, gut gebaut und potent. Und sie lag da, mit ‚appen‘ Beinen… Das Wort ‚appen‘ war nicht richtig, gab es auch nicht, aber über abgetrennte Beine mochte sie nicht einmal nachdenken.


Der einzige Trost in ihrem tristen Alltag war Agnes, ihre Nachbarin, die jetzt hier im Altersheim lebte und die sie jede Woche einmal besuchte. Agnes hatte ihr auch ihren uralten Fiat Panda überlassen; eine Blechbüchse auf vier Rädern, aber noch fahrbereit und frisch über den TÜV gekommen. Dass er überhaupt ein Lenkrad hatte, empfand Maria schon als Luxus. Aber einem geschenkten Gaul…

Endlich. Agnes rollte mit ihrem Rollator durch die Tür. Die beiden Frauen umarmten sich herzlich und ein breites Grinsen erschien auf Agnes zerfurchtem Gesicht. „Du glaubst nicht, wie sehr ich mich freue, dich zu sehen, Maria. Du wirst es nicht glauben, wie neidisch meine Zimmernachbarn sind, seitdem ich diesen tollen Rollator habe. Ein rasantes Teil“, gickerte sie. „Danke nochmals. Der war bestimmt teuer?“

„Ähh…, ging so“, druckste Maria herum und freute sich, dass ihr Geschenk so gut ankam. Sie streichelte Agnes sanft über die faltige Wange.

„Meinst du, Maria, du könntest Gertie, meiner Nachbarin hier, auch so einen besorgen?“

Maria bestellte Tee und zwei Stück Erdbeertorte ohne Sahne. „Ich muss mal schauen, der war im Angebot…“

Agnes Hand verschwand in ihrer Handtasche, die sich im Ablagekorb des Rollators befand. Sie zückte ihren Geldbeutel und holte sechs Fünfzig-Euro-Scheine hervor.

„Meinst du, das reicht?“

Zunächst lehnte Maria das Geld ab, doch Agnes drängte es ihr förmlich auf. „Es ist von Gertie, und die kassiert eine unverschämt hohe Pension von ihrem verstorbenen Mann.“ Maria nahm das Geld an sich. „Ich schaue mal“, lächelte sie verschmitzt.

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