Читать книгу Aus lauter Zorn - Valentine Imhof - Страница 19

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Kapitel 7

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9. November 2006, Lerwick, Shetlandinseln, Polizeirevier

Die halten sie tatsächlich alle für blöd. Kelly schimpft und tobt im verlassenen Polizeirevier. Wütend brüllt sie die letzte Strophe von Nick Caves »Red Right Hand«. Eine völlig neue Version, noch beängstigender und bedrohlicher als das Original. Sie ist schwer am Grübeln, könnte um sich beißen. Seit drei Wochen guckt sie sich acht Stunden am Tag die Augen aus dem Kopf, um fotokopierte Listen und Informationsdateien zusammenzustellen. Listen mit allen Ein- und Ausreisen seit dem letzten 1. Januar, Tausende Namen von Leuten, die seit Anfang des Jahres die Fähre oder das Flugzeug genommen haben, und auch alle Hotelregister und Bed-&-Breakfasts der Inselgruppe. Sie hat den Eindruck, dass es sich um reine Schikane handelt und dass sie sich kaputtlachen.

Ihre Kollegen auf dem Revier haben ihr das übergeben, als ob sie ihr eine Freude machen würden, doch dämlich ist sie nicht, Detective Kelly McLeish, neunundzwanzig Jahre, seit Kurzem Sergeant, gerade von der Polizeischule in Edinburgh gekommen und seit Mitte Oktober auf die Shetlandinseln versetzt. Zehn Monate lang sind die Spürhunde dieses Lochs am Arsch der Welt kein Jota mit dem Mord in der Nacht ihres Lichtfestes weitergekommen und haben ihr das Baby in den Schoß gelegt.

Sie haben ihr die Nummer mit der weiblichen Sensibilität und Intuition vorgespielt und, Heuchler, die sie sind, ihre nagelneue Ausbildung als Ermittlerin und Absolventin des Criminal Investigation Departments gepriesen. Sie haben auch stark auf ihren Blick von außen abgehoben, der nützlich sein könne, um etwas zu sehen, was ihnen entgangen sein könnte. Sie haben sie gebeten, »den Fall neu aufzurollen«.

Alles Schwachsinn! Sie hat ihnen ihr Gewäsch keine zwei Minuten abgekauft. Sie wollen sie testen und dazu bringen, ihre Zeit zu verplempern, indem sie sie in ein unterirdisches Büro einsperren, obwohl sie draußen vor Ort sein müsste. Und sie müssen sich schön scheckig lachen, diese Arschlöcher! Die haben bestimmt Wetten über sie abgeschlossen, davon ist sie überzeugt. Wie viele Wochen sie hier durchhält. Das ist so die Art all dieser Spinner. Und bestimmt gibt es nicht wenige, die ihr kaum bis Weihnachten geben, bis sie wieder nach Hause geht. Da ist sie sich sicher. Sie ist die einzige Frau in diesem Kommissariat am Ende der Welt, und sie ist nicht von hier, also muss sie sich beweisen, und das nicht nur ein bisschen.

Genau genommen ist die Untersuchung an einem toten Punkt angekommen.

Es hat keinen Zeugen gegeben, als Richard McGowan, einundvierzig Jahre alt, am Abend des Up-Helly-Aa-Festivals mit siebzehn Messerstichen in den Unterleib niedergestochen wurde. Der Ort war menschenleer und die Straßenbeleuchtung erloschen. Alle Bewohner hatten sich auf der Esplanade King George V zur Verbrennung des Drakkar versammelt. Und keiner hat gesehen, was in der kleinen Straße von Lerwick passiert ist, in der ein Touristenpaar am 31. Januar um 23.30 Uhr bei einem Spaziergang vor der Rückkehr ins Hotel die Leiche entdeckte.

Der einzige an der Leiche gefundene Hinweis ist ein langes schwarzes Haar, dessen DNA-Analyse nur ergeben hat, dass es von einer Frau stammt. Doch bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt konnte nichts Greifbares von diesem Haar abgeleitet werden, das der Mann im Laufe des Abends überall bekommen haben konnte, vor allem wenn er sich unter die Menge gemischt hatte, die das Fest miterleben wollte …

Das Opfer, ein Shetlander, der auf der Insel Bressay wohnte, hatte am Abend seines Todes viel Alkohol im Blut. Kelly kann sich gut vorstellen, dass das Trinken hier ein verbreitetes Freizeitvergnügen ist, weil man sich auf dieser Inselgruppe zu Tode langweilen muss, vor allem im Winter … Der Mann hat keine Vorgeschichte, keine bekannten Freunde, und Raub war kein Motiv, denn man hat seine Brieftasche samt Papieren und allem Geld gefunden, eine hübsche Summe.

Das sieht aus wie ein zufälliger Überfall, der von einem Gespenst begangen wurde. Und wenn die Schotten neben dem Haggis noch eine Spezialität haben, dann sind es Gespenster!

Doch Kelly hat die zehnjährige Ausbildung nicht gemacht, um zu einem verdammten Ghostbuster zu werden oder um sich von einer Horde von Hinterwäldlern aus dem Norden, die halb Bullen und halb Wikinger sind, herumschubsen zu lassen.

Also wird sie sich ihre dämlichen Listen, die sich seit Tagen weigern, mit ihr zu sprechen, zum x-ten Mal vornehmen. Und bei all den Touristen, die kommen und gehen, vor allem in den Wochen vor und nach dem Fest, ist das kein Vergnügen. Als Nick Cave beginnt, mit seiner ernsten und dunklen Stimme »Let Love In« anzustimmen, begleitet sie ihn. Und wie bei ihm gibt es wirklich Tage, an denen sie das Gefühl hat, dass man sie dazu verdammt, lebenslänglich Konfetti vom Boden eines Betonlochs aufzukehren …

Aus lauter Zorn

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