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Kapitel 8

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11. November 2006, Metz, Le Donjon

»Ist das nicht irre? Man könnte meinen, die Haare einer Toten …«

Fred hält ihm die Keksdose unter die Nase, in der er Alex’ Zopf aufbewahrt, und Anton ist kurz davor zusammenzubrechen. Schwarze Schmetterlinge flattern vor seinen Augen. Freds Satz hallt in seinem Kopf wider, und beim Anblick von Saschas zu einer Spirale aufgerolltem Haar auf dem Boden der runden Dose wird ihm ganz schlecht.

Es ist wahr, dass sie tot sein könnte und er nichts davon wüsste. Keiner würde auf die Idee kommen, Kontakt mit ihm aufzunehmen, um ihm zu sagen, dass Alex etwas zugestoßen ist. Seiner Sascha, die seit letztem Sonntag von seinem Radar verschwunden ist. Seit sechs Tagen.

Das macht ihn verrückt. Die Sorge frisst ihn auf. Er kann nicht klar denken, sich nicht auf seine Arbeit konzentrieren. Er dreht durch, im Kopf und in seiner Bude. Schaut alle fünf Minuten in seine Mailbox, und jedes Mal, wenn sie leer ist, wird der Knoten enger, der ihm den Magen abschnürt. Er möchte doch nur ein Zeichen haben. Ein kleines Wort. Wie etwa »Bis bald«, »Mach dir keine Sorgen« oder »Ich komme zurück«. Damit wäre er zufrieden. Sie soll ihm nur sagen, dass es ihr gut geht. Dass sie an ihn denkt in den wenigen Sekunden, die sie braucht, um das zu tippen. Doch ihr hartnäckiges Schweigen und ihre Abwesenheit machen ihn ganz kirre.

Er wünscht, er könnte heulen, bis ihm die Adern platzen, um den Druck zu lindern, er könnte mit Faustschlägen Mauern umhauen, oder er hätte sich für Bodybuilding entschieden und könnte Tonnen von Gusseisen hochwuchten, bis er verblödet. Irgendwas, um das Ohnmachtsgefühl zu vertreiben, das ihn erstickt. Es gibt keine Möglichkeit zu erfahren, wo sie ist. Damit kann er sich nicht abfinden.

Man könnte meinen, die Haare einer Toten.

Fred hat, ohne es zu ahnen, eine echte Katastrophe ausgelöst. Anton, der sowieso schon auf dem höchsten Ast der Angst sitzt, stürzt sich in morbide Gedankengänge hoch zehn.

Bilder der toten Alex und von gewaltsamen Todesfällen gehen ihm durch den Kopf wie eine schreckliche Diashow, wie eine Reihe von Pulp- oder Trash-Aufnahmen, die auf ihn einprasseln, ihn zu Eis erstarren lassen und erdrücken. Sascha erwürgt in einer Gasse, ausgestreckt zwischen zwei Müllcontainern. Sascha in einer Badewanne voller Blut, mit aufgeschnittenen Handgelenken. Sascha von einem Auto über den Haufen gefahren, ihr zertrümmerter Körper in einem nassen Graben. Sascha in einem leeren Krankenhauszimmer, die Nullinie und der Dauerpiepton des Monitors. Sascha zerschmettert in den zusammengepressten Blechen eines gegen einen Baum geknallten Wracks. Sascha zerfetzt auf den Gleisen, nachdem ein Zug vorbeigekommen ist.

Diese letzte Vision treibt ihn zum Kotzen auf die Toilette. Er hat Schluckauf, ist mit den Nerven am Ende. Er klappt den Deckel runter, setzt sich und versucht, sich zu erholen und sich wieder unter Kontrolle zu kriegen.

Wieder denkt er an Samstagabend.

Saschas späte Ankunft, wie kaputt sie aussah, ihre geschwollenen und geschundenen Fingergelenke, als ob sie sich geprügelt hätte. Er hat aber nichts dazu gesagt, weil er nicht als Inquisitor erscheinen wollte. Als er am Sonntag aufwachte, war sie bereits gegangen. Und zwar nicht, um Baguette und warme Croissants fürs Frühstück zu holen. Er hat mit ihr noch nie dieses vertrauliche morgendliche Tête-à-Tête geteilt. Im Allgemeinen zieht sie sich an, wenn sie Liebe gemacht haben, und geht nach Hause. Oder, wenn sie doch einmal bei ihm schläft, verschwindet sie am frühen Morgen, ohne ihn zu wecken, ohne ein Wort zu hinterlassen.

Und später am Tag, als er im Donjon ein Gläschen getrunken hat, sagte Fred ihm, dass sie kurz vorbeigekommen sei, bevor sie in einen Zug sprang. Überstürzter Abgang. Und weg war sie.

Seit Sonntag denkt er immer wieder über das nach, was Fred ihm erzählt hat. Um in all dem einen Sinn zu sehen, um irgendeinen Hinweis aus diesen Informationen zu bekommen, irgendetwas, das es ihm ermöglicht, irgendwo zu suchen, ganz gleich wo. Und noch immer nichts.

Er hört noch einmal, was Fred ihm gesagt hat, als ob es eine Aufzeichnung wäre. Er sieht seine besorgten Augen wieder, seine Aufregung, die Worte, die sich überstürzten und ineinanderflossen, erinnert sich an seine tonlose, angespannte und verknotete Stimme.

»Alex ist heute Morgen vorbeigekommen. In Eile. Sie hatte ihr Haar zu einem langen Zopf geflochten. Und ich hab ihr gesagt, dass ihr das gut steht, dass es mir gefällt. Sie hat geantwortet, ich solle den Anblick noch schnell genießen, da sie einen kurzen Haarschnitt brauche, auf der Stelle, bevor sie in zwanzig Minuten in den Zug steigt. Du kannst dir vorstellen, dass ich geschockt war. Mir war nicht danach, ihr die Haare abzuschneiden. Aber sie hat nicht nachgegeben, also hab ich die Küchenschere für den Zopf genommen. Und über dem Gummiband abgeschnitten. Hab ihn übrigens aufgehoben, konnte ihn nicht wegwerfen. Ich hab ihn in eine Keksdose gelegt, auf Seidenpapier, falls Alex ihn wiederhaben will, wenn sie zurückkommt. Und dann hat sie mich gebeten, den Rest mit dem Rasierapparat abzuschneiden, mit einem 5-mm-Abstandhalter. Das hat mich wieder geschockt. Ich hab vorgeschlagen, die Länge auf einen Zentimeter einzustellen, aber es war nichts zu machen. Und dann kam die nächste Überraschung. Weißt du, was sie hinten auf dem Schädel tätowiert hat, unten in der kleinen Aushöhlung? Vier seltsame kleine Zeichen. Guck mal, ich hab versucht, sie zu zeichnen.«

Anton sieht immer wieder Freds Gesichtsausdruck, seinen besorgten Blick. Er war erregt, weniger gelassen als gewöhnlich. Und so geht es schon die ganze Woche. Das hat zu seiner Angst beigetragen.

Er dreht und wendet den Bierdeckel, auf den die vier kabbalistischen Zeichen gekritzelt sind, zwischen den Fingern. Er hat Stunden damit verbracht, die Zeichen im Netz zu suchen, aber bis jetzt nichts gefunden.

Als Fred ihm von Alex’ Tätowierung erzählte, hat er den Ahnungslosen gespielt. Doch er weiß natürlich, dass Alex tätowiert ist. Und nicht nur ein bisschen. Nicht die Art von Tattoo, die man sich an einem Strand machen lässt, einen Delfin, eine Sonne oder einen Schmetterling, um eine Erinnerung an die Ferien mitzunehmen. Jenes, das Fred freigelegt hat, als er ihren Kopf rasierte, hat er noch nicht gesehen, aber was die anderen betrifft … Er wird nicht müde, sie zu überfliegen, sie zu entziffern und zu verstehen, sobald sie ihm Gelegenheit dazu gibt. Er denkt sogar, dass er sein Leben damit verbringen könnte, so fasziniert ist er von diesen Texten. Und bei diesem Gedanken muss er wieder an ihre allererste Nacht denken. Diese Erinnerung lenkt ihn vorübergehend ab und lindert seine Besorgnis ein wenig.

Schon seit einigen Wochen hatte er Alex aus der Ferne beobachtet. Wie viele Typen in der Bar fragte er sich, ob sie mit jemandem zusammen war, und er hatte sich sogar bei Fred danach erkundigt, der ihm aber nur sagen konnte, dass er sie nie in Begleitung im Donjon gesehen hatte. Im Gegenteil, sie schien alle Typen auf Distanz zu halten. Sodass einige, die eine Abfuhr bekommen hatten oder beim Billard regelmäßig eine Niederlage einsteckten mussten, das Gerücht aufgebracht hatten, sie würde eher auf Frauen stehen.

Sie hatten sich schon öfter an der Theke unterhalten, sie und er, und einige Gemeinsamkeiten entdeckt. Eine ganze Menge sogar. Vor allem literarische und musikalische Bezugspunkte und auch viele Reisen wegen ihrer jeweiligen Jobs, er als Fotograf, sie als Freelancer, ständig auf der Suche nach Artikeln und Reportagen über verschiedene kulturelle Themen, die sie meistens verkaufen konnte. Es gab zwischen ihnen eine Art von unmittelbarer Vertrautheit, und etwas an Alex’ Körpersprache hatte ihn darauf gebracht, dass er Chancen bei ihr hätte.

Und eines Abends, nach einigen Whiskys, hatte er sich ein Herz gefasst. Was konnte schon passieren. Es klang ein wenig aufgesetzt, aber er schlug ihr vor, bei ihm ein letztes Glas zu trinken. Und dann, er konnte es kaum glauben, hatte sie Ja gesagt. Wie selbstverständlich.

Sie fanden sich schnell in seiner Wohnung wieder. Alex sah die CD-Stapel durch und wählte ein Album von Akosh Szelevényi aus. Pannonia. Sie unterhielten sich bei einem Glas weiter über Musik und alles andere, getragen von den exzentrischen, disharmonischen und einlullenden Spiralen des Saxofons. Bis sie aufstand und ihn küsste. Ein fester, drängender und verschlingender Kuss, dessen Intensität und Plötzlichkeit ihn überrascht hatten.

Dann hatte sie sich in aller Ruhe rittlings auf ihn gesetzt und sich ausgezogen, indem sie zunächst den Reißverschluss ihrer Sweatjacke öffnete, unter der sie nichts trug. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, mit einem etwas seltsamen Ausdruck im Blick, gespannt auf seine Reaktionen. Und dieses Mal war sie wohl nicht enttäuscht.

Er brauchte eine Weile, um zu begreifen, was er sah. Das gedämpfte Licht und vor allem die Regelmäßigkeit der Zeichnung ließen ihn denken, dass sie ein dünnes und enges T-Shirt trug, dessen durchsichtiger Stoff die Rundung ihrer Brüste, den leicht gewölbten Bauch und die Aushöhlung des Bauchnabels sehen ließen. Dann hatte er seine leicht zitternden Hände auf ihre Brust gelegt und war, etwas idiotisch, überrascht, als er die warme und weiche Haut und ihre Brustspitzen, die sich unter seinen Handflächen verhärteten, und all diese kleinen schwarzen Buchstaben berührte, die nicht auf Stoff gedruckt, sondern auf ihren ganzen Oberkörper, ihre Schultern und die Oberarme tätowiert waren.

Sie war in ein fröhliches, kindliches Lachen ausgebrochen, in das eines schelmischen Kindes, erfreut über den Streich, den es gerade gespielt hat, und das hatte ihn aus dem Zustand der Verwirrung oder vielmehr der Erstarrung, in den sie ihn versetzt hatte, herausgerissen. Dann hatte sie ihn erneut stürmisch geküsst, und sie hatten sich in dieser Nacht mit einer brutalen, tierischen Inbrunst, die von ihr ausging, geliebt.

Und diese junge Frau, die ihn schon von Weitem fasziniert und dann interessiert hatte, seit sie miteinander sprechen konnten, ist aus der Nähe noch faszinierender geworden …

Eine vollständig beschriebene Frau, eine Buch-Frau, direkt einem Comic von Bilal entsprungen, bedeckt mit einem dichten Text, in Schönschrift mit winzigen Buchstaben wie in einem mittelalterlichen Manuskript, ohne Punkt, Komma oder Akzent, ein Text, bei dem man weder Anfang noch Ende erkennen kann, der sich in einer ununterbrochenen Linie über den ganzen Oberkörper, den Hintern und die Schenkel schlängelt. Ein Text, der keinen Zugang bietet, auf den er sich seit jetzt vier Monaten konzentriert und für den er einen Schlüssel zu finden hofft, der es ihm ermöglicht, einige von Saschas Geheimnissen zu lüften.

Mehrere Male hat er, als sie schlief, ohne ihr Wissen Fotos von ihrem Körper gemacht. Ein paar Nahaufnahmen, die er vergrößert hat, die er zu entziffern versucht. Und das ist alles, was ihm jetzt von ihr bleibt.

Dieses Mosaik von Fragmenten ihrer Haut, die er in den letzten Nächten immer wieder angeschaut hat, bis ihm die Augen brannten, um eine Antwort auf seine Angst zu bekommen. Er hat diese auf trügerisch glänzendem Papier gedruckten Stücke von Saschas Haut gestreichelt. Trügerisch wie ihre Abwesenheit, trügerisch wie ihr Schweigen, trügerisch wie die Idee, dass sie vielleicht irgendwo gestorben ist und er sie nie wiedersehen kann.

»He, Anton, alles in Ordnung?«

Fred hämmert an die Tür, weil er fürchtet, dass Anton nicht mehr aus dem Klo rauskommt.

»Die Mädchen stehen draußen Schlange, es wäre nicht schlecht, wenn du ihnen Platz machst, sonst muss ich den Wischlappen rausholen!«

Aus lauter Zorn

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