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Zweites Kapitel:

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„Wir haben´s geschafft.“

Henrike räkelt sich wohlig auf der Strandmatte. Ihre Brille liegt auf einer Liebesschmonzette neben ihrem Kopf und sie blinzelt kurzsichtig in den Himmel. Das Wetter ist genial. Erste Mitte Mai und Temperaturen von 27 °C und wir liegen hier im Freibad und chillen. Und ich genieße es! Endlich, endlich ist es vorbei! Vier ganze Monate Ferien liegen vor uns. Die Erdkunde-Prüfung habe ich gepackt. Vierzehn Punkte!!! Das war echt der Wahnsinn, fast hätte ich einen NC von 2,3 geschafft, aber dann hätte ich mich in Englisch nochmal nachprüfen lassen müssen und da von elf auf dreizehn Punkte zu kommen, ist doch ein ziemlich risikoreiches Unterfangen. Somit heißt es ab 1. Oktober: Studiengang Geographie im Süden. Dort kann ich bei meiner Großtante zur Untermiete wohnen, das hatten wir alles schon im Januar ausgemacht. Yippie! Kein Bemühen um einen Praktikumsplatz, kein Rumgerenne wegen irgendwelcher Unterlagen, die noch verschickt werden müssen. Super! Ich habe endlich Ferien! Na bis auf die Dienstag- und Donnerstagnachmittage, an denen ich bis zu den offiziellen Sommerferien Mitte Juli noch Nachhilfe in Mathematik bei einem Nachhilfeinstitut gebe. Damit stocke ich schon seit eineinhalb Jahren mein Taschengeld auf. Immerhin 300 € in manchen Monaten und die habe ich gut gespart, um mir im Herbst ein Auto kaufen zu können. Natürlich ein gebrauchtes. Muss nichts Tolles sein, immerhin ist Thomas Autoschlosser und kann notwendige Reparaturen erledigen.

Henrike fängt zum 1. September eine Lehre als Zahntechnikerin an. Ich frage mich unwillkürlich, wie sie ihre widerspenstigen schwarzen Locken, die ihr dauernd in die Augen fallen dann gebändigt kriegen wird. Sie selbst hat schon oft gesagt, sie wolle sich einen Pixie schneiden lassen, dann hätte sie Ruhe, aber ihr Freund Hendrik ist da absolut gegen. Hendrik ist heute nicht dabei, er muss arbeiten. Er ist zwei Jahre älter als wir und ist Programmierer. Ist mir jetzt zu umständlich zu erklären, wie und was er programmiert, ich möchte einfach nur vor mich hindösen.

„Ahhh!“

Ein heftiger Regenschwall ergießt sich über mich. Quiekend reiße ich die Augen auf und sehe strahlendblauen wolkenlosen Himmel über mir und im Augenwinkel ein grinsendes Gesicht. Aber vor allem höre ich etwas: ein schallendes, dröhnendes und äußerst schadenfrohes Lachen. Unverkennbar: mein Bruder Thomas.

„Bist du meschugge?! Ich krieg‘ gleich einen Herzinfarkt!“

„Konnte nicht widerstehen.“

Er wirft sich neben Rike, nachdem er den kleinen Sandeimer wieder in das 10 Meter weit entfernte Planschbecken geworfen hat.

„Seit wann ist das Wasser im Babybecken so verdammt kalt?“

Ich streife das Wasser von meinem schokobraunen Badeanzug.

„Ich habe den Eimer speziell für dich an der extrakalten Dusche aufgefüllt“, grinst Thomas und heult sofort wie ein Mädchen auf, als ich ihm einen heftigen Fußtritt gebe.

„Eigentlich wollte ich dir DAS da zeigen“, er weist über die Bergwiese hinweg zum großen Schwimmbecken, wo eine junge Frau in einem sexy schwarzen Bikini auf einer Bank steht, umringt von einer Schar Menschen – vorrangig jungen Männern. Tine, war ja klar! In den Händen hält sie jeweils eine Schwimmnudel über den Kopf und tanzt auf der Sitzfläche hin und her. Ist eigentlich meine ganze Familie hier im Schwimmbad???

„Was macht sie da?“, Henrike hat sich ihre Brille aufgesetzt, um das Szenario besser miterleben zu können.

„Sie zeigt ihr Mallorca-Animationsprogramm“, erkläre ich.

„Wow, sie hat das ja voll drauf“, staunt meine Freundin. „Warum ist sie nicht dabei geblieben?“ Darauf kann nur Thomas antworten, denn ehrlich gesagt habe ich Tine nie nach dem Grund ihrer Rückkehr gefragt.

„Tine hat es mit der Animation etwas übertrieben“, meint er nun auch und wackelt mit den Zehen, „ihr wurde wohl nahegelegt, eine Pause einzulegen.“

„Aha“, macht Rike und es ist klar, dass sie nichts verstanden hat. Inzwischen bin ich aufgestanden und habe das nasse Handtuch gegen ein Trockenes ausgetauscht. Ich habe immer mehrere mit, weil meine Haare hüft lang sind und ich sie nach dem Schwimmen nicht mit reiner Sonnenstrahlung trockenkriege. In unserer Familie haben alle sehr dichtes kräftiges Haar, ideal für Shampoowerbung, aber es saugt eben auch Wasser auf wie ein Schwamm. Da beneide ich Rike mit ihrem halblangen Wuschelkopf, aber ich könnte mich nicht von meinem Zopf trennen, der wächst nun schon so lange ich denken kann.

„Was ist eigentlich der Grund für das Theater?“

Mit dem Kinn weise ich auf meine Schwester oben auf der Bank, die gerade eine Schwimmnudel um ihr Hinterteil gewickelt hat und heftig damit wackelt.

„Kitt“, sagt Thomas nur.

„Kitt?“, echoen Rike und ich. Und von mir kommt noch „Kleber oder Leim?“ dazu. Ich kann‘s eben nicht lassen.

„Nein, Kitt wie K.I.T.T.! Kennt ihr Küken denn kein Knight Rider?“

Meine Freundin schüttelt ratlos den Kopf und ich seufze. Bei Thomas im DVD-Regal stehen vier Staffeln Knight Rider und schon habe ich die Melodie im Ohr, die oft genug von seinem Wohnzimmer, direkt unter meinem Schlafzimmer hochdröhnt.

„K.I.T.T. ist ein sprechendes Wunderauto“, ergänzt Thomas und Rike sieht immer verwirrter aus.

„Sowas wie Dudu, der Käfer“, erkläre ich.

Sofort wird mir widersprochen: „Na hör mal, K.I.T.T. ist ein schwarzer Trans Am, das kann man nicht mal vergleichen!“

„Ja, aber warum tanzt eure Schwester wegen eines Autos auf der Bank herum?“

Henrike stehen die Fragezeichen ins Gesicht geschrieben und unser Knight Rider Fan muss wieder seine heftige Lache tönen lassen.

„Sie tanzt ja nicht wegen K.I.T.T., sondern wegen Kitt.“

Das hört sich in unseren Ohren alles gleich an.

„Kitt ist mein Arbeitskollege und den habe ich heute nach Feierabend mitgebracht und Tine ist er natürlich gleich ins Auge gefallen.“

So, jetzt haben wir verstanden. Es geht um einen Mann, dann ist mir alles klar. Ein Blick auf mein Handy verrät: Es ist echt schon kurz nach 17 Uhr. Mensch, Rike und ich haben vier Stunden nur rumgelegen!

„Vielleicht sollten wir mal eine Runde schwimmen. Nass bin ich ja eh schon.“

„Bist wohl neugierig?“

Die blauen Augen meines Bruders blitzen. Und ich kann es nicht leugnen. Tines Männer sind immer ein Erlebnis für sich. Wenn ich da an den Hip Hopper denke, den Rapper und den Skin Head – den hat mein Vater nicht mal ins Haus gelassen. Was wohl dieses Mal angesagt ist???

Rike hat keine Lust, sich nasszumachen und ihre Neugier hält sich in Grenzen. Sie telefoniert lieber eine Runde mit ihrem Hendrik, der gerade Feierabend gemacht hat. Aber Thomas stapft dynamisch neben mir zum Pool. In Badehosen sieht mein Bruder richtig gut aus, weshalb einige Mädels neugierig hinter ihm hersehen. Wenn die ihn in seinen Fleddershirts und den Jogginghosen – Hauptsache bequem – sehen würden, gäbe es keinen zweiten Blick. Derzeit ist er solo, aber anscheinend nicht auf Jagd. Tja, aber dafür unser Tine.

„Was ist mit ihren Haaren los?“, frage ich, als wir schon fast bei der Truppe angekommen sind.

„Was meinst du?“

Thomas kneift die Augen zusammen. „Sie sehen aus wie immer, nur nass.“

Ja, nass sind sie und der Zopf reicht bis zum Hintern, wie immer, aber die Haare sind schwarz, pechschwarz und gestern waren sie noch nussbraun, so ein oder zwei Schattierungen dunkler als mein eigenes Haar.

„Die sind schwarz“, schnauze ich ihn an.

Männer! Die sehen gar nichts. Er zuckt die Achseln. Ich springe ins Wasser und er geht zu der Truppe. Nach ein paar Schwimmzügen kehre ich wieder um.

„Ach, Thomas“, er kommt zum Beckenrand, „wo ist denn nun ihr Adonis – oder besser Rennwagen?“ Ich grinse blöde.

„Kitt? Da vorne“, mein Bruder zeigt auf einen jungen Mann, der sich etwas entfernt von Tines Fans belustigt grinsend das Geschehen anguckt. Uff, da bin ich dann baff. Er sieht so, na so, NORMAL aus. Relativ normal für Tine jedenfalls. Er ist recht groß, so knapp 1,85 m, schlank und breitschultrig, mit flachem Bauch, aber ohne Sixpack, ziemlich hellhäutig, nur die Arme sind von den Ellbogen bis zu den Fingern braungebrannt. Typischer T-Shirt-Träger. Arme und Beine sind leicht behaart und vor allem sein Kopf ist vollkommen haarig. Anscheinend sind Bärte gerade wieder IN. Ich gucke kurz auf Thomas‘ Drei-Tage-Bart. Thomas wiederum beobachtet mich genau um an meinem Gesicht abzulesen, was ich von „Kitt“ halte. Geschwister brauchen nicht immer Worte.

Kommen wir wieder zu Kitt: Der trägt einen kurzen schwarzen Vollbart, aus dem das Wasser tropft und seine schwarzen Haare sind im Nacken zu einem Zopf zusammen gefasst, die offen sicher bis auf die Schultern reichen. Ich sehe ihn nur von der Seite und kann über sein Gesicht nicht viel sagen, nur dass er eine einigermaßen gerade, unauffällige Nase hat.

„Na, was sagst du?“

„Was soll ich sagen?“, schnoddere ich, weil mir peinlich ist, dass ich den Schrauberkollegen so genau gemustert habe. Er hat irgendwas … Interessantes.

„Ich dreh ein paar Runden“, und mit diesen Worten tauche ich ab.

Fünfzehn Minuten später habe ich richtig was getan, fühle mich gut und erfrischt. Während ich das Wasser aus meinen Haaren drücke, kommt Rike fertig angezogen und mit gepackter Tasche auf mich zu.

„Hendrik holt mich gleich ab. Wir wollen was essen und dann ins Kino.“

„Macht ihr mal.“

Solche überstürzten Aufbrüche bin ich schon gewohnt. Aber ich nehme es ihr nicht übel, als ich letztes Jahr die drei Wochen mit Tobias zusammen war, war ich auch nicht besser. Hendrik und Henrike sind seit sieben Monaten ein Paar und passen so gut zusammen wie ihre Namen sich gleichen. Die sehen noch alles durch rosarote Brillen und das gönne ich meiner Freundin. Diese Zeit ist ohnehin so schnell vorbei, dass man sie genießen muss.

Plötzlich steht Tine vor mir. „Nimmst du mich mit, Becky?“

„Ich bin mit dem Bus hier.“

„Och Mann, da kommt der nächste ja erst in einer Stunde.“

„Frag doch Tom.“

„Der ist mit seinem Kollegen da … Ist der nicht heiß?“

„Ja, kochend.“

„Blöde Kuh“, zischt Tine, hält aber dann die Klappe, weil unser Bruder mit dem Wunderauto angetrabt kommt.

„Na, Schwestern …“, er klopft Kitt auf die Schulter. „Das sind meine kleinen Schwestern: Kristine und Rebecka.“

Tine grinst strahlend, ich nicke.

Kitt mustert uns beide freundlich. „Ich bin Kitt.“

„Warum eigentlich?“

Meine Schwester nähert sich ihm wie ein kleiner schwarzer Panter. Der Vergleich passt. Ihre schwarzen Haare wellen sich nun offen um ihre Schultern bis zu dem nachtschwarzen Bikinihöschen. Ein ganz knappes, das meiner Meinung nach gestern noch zitronengelb war. Zum Glück trägt sie nicht den orangen Bikini, der über den Hüften mit einem Schleifchen zusammengehalten wird. Den hat unsere Mutter nämlich sofort entsorgt, als er im Koffer zum Vorschein kam. Das passende Oberteil dazu war so winzig, dass Mama fast in Ohnmacht gefallen wäre.

„Den hast du doch nicht etwa in der Öffentlichkeit getragen?“, hat sie schockiert gefragt.

„Aber nein, Mami“, hat Tine gezwitschert und Mama ein Küsschen gegeben, „den trage ich nur im Solarium.“

Wer’s glaubt!

„Solarium ist gar nicht gut für dich“, hat Mama dann gemeint und Kristine begütigend weitergezwitschert.

Aber nun stößt eine solariumgebräunte Schulter wie zufällig an Kitts hellen Oberarm.

„Warum eigentlich was?“

Er lächelt. Unter den vielen Haaren ist er richtig attraktiv. Nicht so unbedingt gutaussehend, aber anziehend. Oh Gott, wie peinlich, mir gefällt der gleiche Typ wie meiner Schwester- Noch tiefer kann ich nicht sinken. Meine Laune sinkt noch um etliche Stufen ins Negativ.

„Na, Kitt. Warum Kitt? – Auf Mallorca habe ich mal einen Engländer kennengelernt, der nannte sich Kit, das soll aber eine Kurzform von Christopher sein.“

Kitt zuckt die Achseln. „Ich heiße nicht Christopher. Meine Kollegen haben mich irgendwann im Betrieb so genannt. Sie meinten, ich könnte sicher auch ein Auto wie K.I.T.T. zusammenschrauben … Tja, und wenn man erst so einen Namen weghat, bleibt der auch.“

Er ist also ein Wunderschrauber und kein Wunderauto.

„Solltest du dann nicht eher den Namen des Erfinders verpasst bekommen?“, töne ich.

Mist, ich beiße mir auf meine spitze Zunge. Jetzt richten sich alle Augen und vor allem ein besonders intensives grünbraungesprenkeltes Augenpaar auf mich. Gerade das wollte ich vermeiden. Bloß nicht in den Vordergrund geraten!

Kitt grinst.

„Ach, wer weiß schon den Namen des Erfinders?“, schüttelt Thomas meine Frage lässig ab.

Tine flüstert ihrem Schwarm etwas ins Ohr und er nickt.

„Ja klar, ich nehme euch mit. “

Auf dem Weg zum Ausgang knurre ich Thomas ins Ohr: „Du hast ihm diesen Spitznamen verpasst, richtig?“


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