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Sechstes Kapitel:

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Drei Tage lang regnet es unaufhörlich. Die Temperaturen kühlen sich merklich ab und uns allen wird bewusst, dass der Sommer gerade erst anfängt. Ich nutze die Tage um meine Schränke auszuräumen und stelle fest, wie viel Schrott sich in den letzten Jahren angesammelt hat. Schulbücher von der Grundschule, Aufzeichnungen für die Abiturprüfungen, die ich nun genussvoll in den Kamin lege und abfackele.

„Hübsches Feuerchen“, lobt mein Vater. „Konnte das nicht bis November warten?“

Mein Vater ist ein schmaler mittelgroßer Mann, 45 oder 46 Jahre alt. Ich vertue mich immer um ein Jahr. Seine bezeichnendste Eigenschaft ist es, dass ihm der Stress, den er mit vier Teenagerkindern ertragen musste und muss, kaum anzumerken ist.

„Nein“, strahle ich ihn an. „Das konnte nicht warten. Ich sortiere schon mal aus, was ich mit auf die Uni nehme.“

„Kannst es wohl nicht erwarten wegzukommen?“, grinst mein Vater und tätschelt mir den Kopf.

„Ich kann´s auch nicht erwarten.“

Das kam natürlich von Tine, die gerade auf dem Weg von der Küche bis zur Treppe die Diele kreuzt.

„Immer noch Zoff?“, flüstert Papa mir zu und ich nicke nur. Er weiß natürlich nicht, worum es geht, genauso wenig wie Mama, aber die dicke Luft kann keinem entgehen. Natascha habe ich die letzten Tage überhaupt nicht gesehen. Gerüchte kursieren, sie sei bei ihrer Babyboom-Freundin Kati untergekrochen.

Apropos Natascha. Für morgen, also Sonntag, brauche ich etwas Kirchentaugliches zum Anziehen. Na ja, meine Leinenhosen sind zwar annehmbar, aber meine bollerigen Oberteile machen nun wirklich nichts her. Gut, ich gebe es zu, ich möchte mich für dieses Date auch ein wenig herausputzen. Ganz egal, welche Beweggründe Kitt auch leiten.

Nataschas Zimmer ist sauber und aufgeräumt wie immer. Cremeweiße Tapeten unterbrochen von Bordüren in altrosa mit lindgrünen Ranken darauf. Die Bilderrahmen aller Fotos hat sie eigenhändig im gleichen Altrosa angepinselt und überall hat sie Büttenpapier an die Wände gepinnt, auf das sie mit einem Kalligraphiefüller in Schönschrift Liebesgedichte geschrieben hat. Sie ist noch ein richtiges Baby und bald hat sie selbst eines.

Ab zum Kleiderschrank. Vier Klappen voller Schmetterlingskleidchen, Blüschen, Röckchen und allen möglichen –chens. Und mir wird klar: da werde ich nichts finden.

Wider besseres Wissen streife ich ein weißes Neckholderkleid mit roten Pünktchen über und stelle fest, dass ich es nicht zubekomme. Natascha war schon immer – von den letzten Wochen mal abgesehen – sehr zart gebaut und sie ist auch fast fünf Zentimeter kleiner als ich.

„Das wird wohl nix.“

Das ist Tines spöttische Stimme hinter mir. Großartig, sie spioniert mir nach. Sie steht da in ihrer ganzen schwarzen Pracht, als sei sie direkt einem Twilight-Film entsprungen. Absolut cool und gefährlich.

„Bist du jetzt fertig mit deiner Stichelei?“

„Spuck schon aus, was du hast“, fährt sie mich an.

Ich funkele zurück, darin bin ich ihr ebenbürtig.

„ICH? DU zischst doch dauernd Miststück sobald du mich siehst.“

„Ist auch nur gerecht, wo du mir meinen Geburtstag versaut hast. Erst machst du diese Riesenszene wegen diesem Nerd und dann spannst du mir auch noch den Kerl aus.“

Wie? Was? Wo? Ich verderbe ihre Party, rege mich alberner Weise auf, weil mich ein Typ begrapscht – mit Nerd meint sie natürlich Björn – und, und … Na gut, mit Kitt hat sie ja sogar recht. Irgendwie. Trotzdem ist ihre Sicht ganz schön verdreht.

„Gerade du solltest wissen, weshalb ich mich so aufgeregt habe. Nur du weißt von der Sache … und halst mir dann auch noch einen Spinner wie Björn auf, den ich gar nicht gebrauchen kann.“

„Die Sache ist jetzt über ein halbes Jahr her. Deshalb wollte ich dir Björn andrehen. Du musst darüber hinwegkommen und das geht nur mit einem neuen Typen und so ein Langweiler schien mir am Ungefährlichsten … Aber du suchst dir Kitt aus. Den aufreizendsten und schwierigsten Typen überhaupt.“

„Ich glaube, in diesem Fall ist Björn der Wolf im Schafspelz“, murmele ich kleinlaut. „Kitt hat sich nichts herausgenommen.“

Was haben die nur alle mit Kitt? Was ist denn so schlimm an ihm? Gut, er sieht aus wie der letzte lebende headbangende AC/DC-Fan, den gerade eine Zeitmaschine aus den Neunzigern vor unserer Haustür herausgeworfen hat – kurz flimmert das Bild von Keanu Reeves in einer dampfenden Telefonzelle vor meinem inneren Auge auf -, aber ansonsten habe ich noch nichts Angsteinflößendes an ihm finden können.

Tine sieht überrascht aus.

„Ich hatte ihn schon fast rum. Küssen kann der …“

Ihr Blick verklärt sich und mir wird ganz flau. Meine Schwester und ich küssen den gleichen Mann, wie grauenhaft.

„Und dann schreist du die ganze Bude zusammen, sämtliche Aufmerksamkeit liegt auf dir und Kitt ist weg. Mit DIR! Als er wiederkommt sagt er irgendwas davon, das würde nichts mit uns und blockt mich total ab.“

Sie seufzt.

„Begraben wir unseren Streit“, überrascht sie mich. „Wenn Kitt dich will, ist er eh nichts für mich.“

Sie zieht mir das Kleid vom Kopf.

„Ich weiß nicht, ob er was von mir will“, murmele ich.

„Aber du bist doch mit ihm verabredet, oder weshalb durchwühlst du Nataschas Kleiderschrank? Und häng‘ die Sachen wieder ordentlich auf. Natascha hasst es, wenn man ihren Schrank in Unordnung bringt. Das weiß ich noch aus meiner Girlie-Phase, da habe ich mich hier oft bedient.“

Ach ja, DIE Phase, die hatte ich fast verdrängt. Tine zerrt mich hinter sich her in ihr Zimmer.

„Was wollen wir bei dir? Ich gehe mit Kitt in eine Messe, da kann ich nicht als Vampirella auftauchen.“

„Eine Messe? Meinst du einen Gottesdienst? Werdet ihr gleich getraut?“

Okay, Tine scheint mir nicht mehr böse zu sein. Manchmal ist ihre Flatterhaftigkeit auch von Vorteil. Sie öffnet den Eckschrank, in dem sie ihre Winterjacken aufbewahrt. Dort hängen auch noch einige Kleidungskombinationen, die nicht der schwarzen Farbe zum Opfer gefallen sind.

„Aus meiner Sekretärinnenlehre“, erklärt sie und sieht die Hosenanzüge durch. „Spießig, spießig… Das ist es!“

Skeptisch komme ich näher.

Sie hält mir einen cremefarbenen Blazer mit passendem Bleistiftrock hin. Der schlichte Schnitt wird aufgepeppt durch eine gefältelte Rüschenkante an den Handgelenken und am Kragen. Die Rüschen werden am Rockbund wieder aufgenommen. Das gefällt mir nun wirklich. Ich berühre die großen metallenen Knöpfe.

„Und drunter?“

„Reicht ein schwarzer Spitzen-BH nicht? – Schon gut. Wie ist die?“ Sie zeigt mir eine blauweiß gestreifte Bluse mit kurzen Trompetenärmeln und Stehkragen. „Perfekt, oder? Wird dir sicher passen, ist aus meinen dicken Zeiten.“

Jau, das musste sie ja noch anbringen. Tine war noch nie dick, aber seit zwei Jahren macht sie regelmäßig Sport, geht Joggen und Schwimmen und da zeigt sie wirklich Kondition. Durch die zusätzliche Bewegung ist sie straffer geworden und dadurch sieht sie natürlich auch schlanker aus als ich unsportliche Nudel. Aber sie hat recht, die Sachen passen wie angegossen und: sie stehen mir.


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