Читать книгу absolut solide - Vanessa S. Morolt - Страница 7

Fünftes Kapitel:

Оглавление

Was mir nicht bewusst ist: es ist erst kurz nach sieben Uhr am Sonntagmorgen. Ein verschlafener Herr Müller lässt mich herein, ohne auch nur ein Wort an mich zu richten. An Rikes Tür muss ich zögern. Wird Hendrik da sein?

Zaghaft klopfe ich. „Hallo? Hallo, Rike?“

Meine Stirn ruht an dem Türblatt.

„Rebecka? Bist du das?“

„Ja, ich …“

Ich fange an zu schluchzen. Im Zimmer höre ich lautes Gerumpel. Anscheinend ist Henrike in ihrer Eile über einen Gegenstand gestolpert.

„Mensch, Rebecka, was ist denn nur?“ Die Tür wird geöffnet. Meine Freundin ist allein und zieht mich sofort in ihre Arme.

„Was ist denn nur?“

Unter tausend Schluchzern berichte ich von Ekel-Björn, von meiner Schwester, die mich hasst und von Kitt, der mich geküsst hat.

„Ach, Becka, ist doch nicht so schlimm. Tine kriegt sich wieder ein und Kitt … Was ist mit dem?“

„Was soll mit ihm sein?“

„Bist du verknallt in ihn? Glaubst du, er ist an dir interessiert? Wenn er mit Tine einfach so rumknutscht, dann hatte euer Kuss vielleicht gar nichts zu bedeuten. Nach dem, was über ihn gesagt wird …“

Ich horche auf. „Was wird gesagt?“

„Ach, Hendrik hat erzählt, Kitt sei kein unbeschriebenes Blatt. Er wohnt erst seit einem Jahr hier, aber fast jeder kennt ihn. Außer dir und mir anscheinend. Soll schon einiges angestellt haben und Dutzende von Freundinnen hatte er auch …“

Einiges angestellt? Was sollte das bedeuten? Schlägereien? Drogen? Einbrüche? Aus diesen Andeutungen werde ich nicht schlau und Henrikens Worten entnehme ich nur: einer, der einen kennt, hat gehört … Nicht gerade aufschlussreich. Ich wische mir die Tränen ab. In einem hat sie aber recht: Meine Schwester kriegt sich schon wieder ein. Möglicherweise verführt sie Kitt ja doch noch. Dieses Zwischenspiel spornt sie sicher nur an. Ob ich glaube, dass Kitt an mir interessiert ist? Nein, sein Eintreten gegen Björn war einfach eine freundliche Geste und der Kuss ein Spiel. Das Einzige, was ich nicht verstehe, ist, weshalb er unbedingt bei mir übernachten wollte und nicht in einem der anderen Zimmer. Mich hielt er jedenfalls für ungefährlicher als meine Raubtier-Schwester. Aber welcher Mann verzichtet freiwillig auf schnellen Sex?

„Wenn ich dich nicht hätte, Rike. Du rückst mir den Kopf wieder gerade.“

Für den Rest der Woche herrscht Funkstille zwischen Tine und mir. War auch nicht anders zu erwarten. Wir gehen uns gekonnt aus dem Weg, unsere Eltern wissen nicht, was der Grund für unsere Zankerei ist und einzig Natascha, die die Harmonie liebt, leidet.

Am Donnerstag fahre ich mit dem Bus zur Arbeit. Tine hat Mamas Auto und hätte mich hinfahren können, was unter diesen Umständen nicht in Frage kommt. In unserem Haushalt leben sechs Menschen und alle haben einen Führerschein. Zurzeit darf Natascha nur in Begleitung fahren, aber in zwei Monaten wird sie achtzehn. Mein Vater, ein Bürokaufmann, fährt einen Volvo V70, mit dem er meistens unterwegs ist. Meine Mutter hilft vormittags in einer Bäckerei aus und fährt mit ihrem Ford Fiesta dorthin. Sobald sie nach Hause kommt, beschlagnahmt eine ihrer Töchter den Wagen. Von uns Kindern besitzt nur Thomas ein eigenes Auto, einen VW Lupo, und den lässt er seine Schwestern wirklich nur fahren, wenn es brennt. Obwohl dieses Auto nicht gerade seinem Idealbild von fahrbarem Untersatz entspricht, ist es sein Heiligtum.

Feierabend habe ich um achtzehn Uhr dreißig. Mein Schüler, ein schlaksiger Achtklässler, und ich gehen die drei Stufen von der Eingangstür zur Straße hinaus. Es regnet leicht. Aus meiner ledernen Umschlagtasche hole ich mein Handy um es wieder einzuschalten und mögliche Nachrichten abzurufen.

„Lies‘ dir die Formeln nochmal durch und rechne die Aufgaben auf dem Zettel aus. Die Lösungen habe ich auf der Rückseite aufgeschrieben, mit Lösungsweg. Sobald du damit fertig bist – sieh mich an.“

Ich fange den Blick des Jungen ein, der mich schon um ein paar Zentimeter überragt.

„Legst du alle Bücher weg und spielst eine Runde Fußball oder Tischtennis. Versprichst du mir das? Du machst kein Buch mehr auf.“

Dieser Schüler neigt dazu, sich beim Lernen so zu überfordern, dass er bei Leistungsdruck alles durcheinander bringt.

„Ja, gut“, er grinst verlegen. „Ich lasse alle Bücher zu.“

„Gut. Und viel Erfolg.“

Ich sehe ihm nach, wie er nach Hause schlendert und drehe mich in die andere Richtung, wo die Bushaltestelle liegt. Ein Schirm wäre jetzt nicht schlecht. In diesem Moment bemerke ich an die Hauswand gelehnt Kitt stehen. Damit hätte ich zuletzt gerechnet! In einem hellgrau-melierten T-Shirt, das auf den Schultern schon total durchnässt ist und in ölverschmierten Jeans.

„Hi, Rebecka!“

„Hi!“

Ich kann ihn einfach nicht mit Kitt ansprechen. Der Spitzname ist mir zu albern.

„Du hast dich rasiert“, stelle ich fest und sehe in ein ganz fremdes Gesicht mit markanten Gesichtszügen. Die glatte Haut rund ums Kinn ist ein wenig heller als Stirn, Wangen und Nase, weil sie noch keine Sonne abbekommen hat.

„Ja, irgendwann juckt es mich zu sehr und dann müssen die Haare runter.“

„Ach so“, murmele ich und bin bemüht, nicht immer wieder in seine runden Augen zu starren. Grün und braun. Das nennt man haselnussfarben, richtig?

„Was machst du eigentlich hier?“

„Hörte, du hast einen Taxiservice geordert?“

Er übergeht meinen skeptischen Blick und nimmt mir die Tasche ab.

„Und, hast du schon mal einen frisch rasierten Mann geküsst?“ Unverschämt beugt er sich zu mir herab und bemächtigt sich meiner Lippen. Bin ich überrumpelt, willenlos oder erfreut? Jedenfalls wehre ich mich nicht, erwidere den Lippendruck, öffne den Mund leicht, lasse meine Zunge kurz seine berühren und streichle mit der rechten Hand sogar seine glatte Wange. Er löst sich zuerst von mir.

„Das kannst du auf deiner Liste dann auch abhaken.“

„Ach“, ich muss kurz nach Luft ringen und mich sammeln, „die Liste kenne ich gar nicht. Führst du die für mich?“

Bloß nicht nach dem Nächstliegenden fragen: Warum küsst du mich? Magst du mich oder spielst du mit mir?

„Ja, und da sind noch viele, viele Punkte abzuhaken.“

„Zum Beispiel?“

„Zum Beispiel am Sonntag mit mir zur Messe in den Dom zu fahren.“

Er geht langsam um die Ecke, meine Tasche lässig auf der Schulter und ich stolpere ihm nach. Habe ich mich gerade verhört?

„Wir gehen in die Kirche?“

„Nein, in den Dom.“

Er schließt die Türen zu einem silbergrauen Opel Vectra auf und ich steige schnell ein, bevor er mir noch die Tür aufhalten kann. Das ist doch alles ganz irreal. Auf der sechs minütigen Fahrt, mein Blick klebt an der Uhr des Armaturenbretts, fragt er mich dies und das über die Nachhilfe und ob ich Lehrerin werden will. Ich verneine dies, antworte ziemlich knapp auf seine Fragen. Mir ist einfach nicht klar, was er von mir will. Meine Güte, er hätte Tine haben können. Tine! Die selbstbewusste, sexy Animateurin, mit der jeder Tag zum Safaritrip geworden wäre. Was will der nur von mir? Aber anstelle ihn zu fragen, beschließe ich mit unverhofftem Mut, dass ich mich diesmal einfach auf ihn einlasse und sehe, was da auf mich zukommt.

Als ich aussteige, ruft er mir hinterher: „Sonntag um 8.30 Uhr hole ich dich ab.“

Tine öffnet mir die Tür.

„Miststück!“

Die Funkstille ist offensichtlich beendet.


absolut solide

Подняться наверх