Читать книгу absolut solide - Vanessa S. Morolt - Страница 5

Drittes Kapitel:

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Dieser Samstag ist die reinste Folter. Shopping mit Natascha. Gutgelaunt hopst sie von Regal zu Regal. Natascha hopst immer, egal wie rund sie auch ist. Wahrscheinlich ist meine kleine Nichte schon seekrank. Ha! Ha! Beste Voraussetzungen für die Kleine einmal Stewardess auf der AIDA zu werden. Sinn des Bummelns ist es, ein Geschenk für Tine zu finden. Sie wird morgen einundzwanzig und will groß ´reinfeiern. Unsere Eltern sind vorsorglich und freiwillig zu meiner Tante gefahren und kommen erst zurück, wenn das Chaos wieder beseitigt ist. Die Fete wird sich durch unser ganzes Haus ziehen. Tanzen und Musik bei Thomas, Essen oben in der Küche und jede Menge Übernachtungsgäste im Wohnzimmer.

Ich hätte meine kleine Schwester einfach an irgendeiner Ecke absetzen und ihr das Geld für das Geschenk in die Hand drücken sollen, wie es Thomas gemacht hat, denn mit ihr auf einen Nenner zu kommen ist unmöglich. Damit meine ich, nichts, gar nichts, was ihr gefällt, würde ich freiwillig verschenken und umgekehrt findet Natascha alles langweilig, was ich aussuche. Bücher oder Parfüm oder so. Am liebsten würde ich Tine ein großes Fass schwarze Textilfarbe, einen Bottich und Färbesalz kaufen, damit sie ihre restlichen Klamotten auch noch schwarz färben kann. Da würde sie sich bestimmt tierisch drüber freuen. In den letzten beiden Wochen hat sie nicht nur ihre Haare und Nägel schwarz eingefärbt, sondern alles von den Socken bis zur Mütze. Meine Mutter war kurz vor dem Zusammenbruch, weil Tine anschließend die Waschmaschine nicht nachgespült hat und eine ganze Ladung weißer Kochwäsche nun rauchgrau aussieht.

„Oh, ich hab’s, ich hab’s“, begeistert klatsche ich in die Hände. Natascha hängt ein rosa gerüschtes Babykleidchen zurück und sieht mich aus ihren wasserblauen Augen erstaunt an. Sie war in Gedanken ganz in einem zuckerwatteweichen Babyparadies. Sieht man ihr sofort an, wenn ihre Sinne dorthin abdriften. Nur noch 11 Wochen, dann wird sie wieder auf unsere Erde katapultiert.

„Jetzt komm´ aber nicht wieder mit irgendwelchen Nasenringen und so einem Krams, das unterstütze ich nicht.“

„Wieso, bleibende Selbstentstellung ist doch nur noch der nächste Schritt.“

Diesen Montag hat Tine sich auf jeder Seite fünf Löcher in die Ohrläppchen stechen lassen. Die sind voll angeschwollen und entzündet. Wahrscheinlich ist das eine ganz normale Reaktion, doch Natascha und ich schütteln uns jedes Mal angewidert, wenn Tine die Haare hinters Ohr streicht. Da sind wir ausnahmsweise einer Meinung, die Öko-Tussi und das Blümchen-Girlie. Ich bin zwar kein Öko, aber in meinen bewegungsfreien Leinenhosen und den Schlabberpullis werde ich oft dafür gehalten. Zurück zum Thema:

„Nein, ich dachte auch nicht an Piercings. Was hältst du von schwarzen Pumps?“

„Pumps?“, Natascha streicht ihr Millefleurskleid glatt. „Wieso?“

Kurz wedele ich vor ihrem Gesicht hin und her, weil ich bemerke, dass ihr Blick zu einem violetten Strampler mit gelber Ornamentverzierung gleitet.

„Tine hat irgendwas davon gejammert, dass es ihr nicht gelungen ist, ihre Schuhe mit Lackstift schwarz zu malen. Sah wohl so abscheulich aus, dass sie die Pumas und auch die Chucks weggeworfen hat.“

„War sie nicht so stolz drauf, die in La Palma so günstig ergattert zu haben?“, wundert Natascha sich.

„Eben. Also: Pumps? Klassisch, elegant, schwarz. Die kann sie noch gebrauchen, wenn sie von ihrem Trip runter ist. Ich habe die gleiche Größe und probiere sie an, du darfst sie aussuchen. Aber denk dran: schwarz! Nicht pink, keine Herzchen …“

„Mensch Rebecka, red‘ nicht mit mir, als sei ich deppert.“

Darauf antworte ich nicht, denke allerdings, dass sie in der letzten Zeit selten Intelligenz gezeigt hat.

Kurz darauf haben wir alle schwarzen Pumps, glänzend, matt, mit kleinem Absatz, hochhackig, offen, geschlossen, Peeptoes und was wir sonst noch in Größe 39 finden, aus dem Regal geräumt und lang vor uns auf dem Boden aufgereiht.

Ein paar andere Kundinnen gucken etwas irritiert und auch eine Verkäuferin kneift die Lippen zusammen und scheint unschlüssig, ob sie uns nun zurechtweisen soll oder nicht. Nach und nach sondern wir aus, sortieren ein Paar nach dem anderen wieder zurück. Natascha geht in ihrer Aufgabe richtig auf, zählt alle Vorzüge des einen oder anderen Schuhs auf, während ich nur sage, ob der Schuh an meinem Fuß kneift oder nicht. Tines und meine Füße sind nahezu identisch. Überhaupt sind wir drei Schwestern uns optisch so ähnlich, als wären wir die menschlichen Ausgaben des Klonschafs Dolly. Ist vielleicht ein wenig übertrieben, aber als unser Vater uns zum ersten Mal Die Schöne und das Biest aus der Videothek auslieh und ich die Drillinge sah, die den Schuft Gaston anschmachten, da dachte ich, das könnten genauso gut Kristine, Natascha und ich sein, nur in brünett.

Irgendwann ist aber nur noch ein Paar Peeptoes mit fünf Zentimeter hohen Absätzen übrig und Natascha und ich uns ziemlich einig: elegant und bequem. Ich setze mich auf den Hocker und drehe den rechten Fuß hin und her.

„Schick, schick!“, sagt da eine bekannte Jungenstimme hinter uns. „Da wird sich Tine aber freuen.“

Och nee, nicht das auch noch.

„Hallo, Björn.“

Björn habe ich vor ein paar Wochen auf einer Dorffete kennengelernt und seitdem versucht er, Kontakt mit mir aufzunehmen. Ich blocke jedes Mal ab, weil seine aufdringliche Art mir ziemlich auf die Nerven geht, nur leider ignoriert er das vollkommen. Und glaubt mir, ich zeige meine Abneigung mehr als deutlich. Besonders, wenn jemand immer wieder meinen Nacken krault und mich mit meiner eigenen Zopfspitze kitzelt. Ganz furchtbar, anfassen verboten!

Leider gibt es jemanden, der all meine Abblockversuche boykottiert: Tine! Aus irgendeinem Grund will sie Björn unbedingt mit mir verkuppeln. Bisher hatte ich keine Lust, sie zu fragen, welchen Grund sie dafür hat. Wahrscheinlich bekäme ich eine Antwort in der Art: „Du hast einfach einen Kerl nötig. Also stell‘ dich nicht an und nimm‘ was du kriegen kannst!“

Denkste, sowas brauche ich mir nicht anhören.

„Lass mich raten: Tine hat dich zu ihrer Party eingeladen.“

Ich ziehe die Schuhe aus und drücke sie Natascha in die Hand, welche Björn neugierig mustert. Stimmt ja, durch die Babysache war sie im letzten halben Jahr auf keiner Fete mehr. Erst war ihr immer schlecht von den Nebelmaschinen und dann wollte sie nicht von allen angestarrt werden, wie es auf dem Dorf eben so üblich ist.

„Exakt. Und dann habe ich dich eben hier gesehen, Süße, und dachte, du kannst mir sicher einen guten Tipp geben, was ich deiner Schwester schenken könnte.“

Er rückt gefährlich nah an mich heran und macht Anstalten, meinen Rücken zu tätscheln. In letzter Sekunde schaffe ich es, Natascha zwischen uns zu schieben und seine Hand landet unverhofft auf ihrem dicken Bauch. Jetzt macht selbst mein gutmütiges Schwesterchen ein grimmiges Gesicht.

„Anfassen verboten!“

Mit spitzen Fingern entfernt sie seine Hand und ich unterdrücke ein Glucksen.

„Ja, ich habe einen guten Tipp: bleib besser zu Hause. Wird ziemlich öde heute Abend. Ich gehe wohl selbst nicht hin.“

„Aber es ist doch der Geburtstag deiner Schwester“, wundert der Blondschopf sich.

Achselzuckend wende ich mich ab.

„Familienverbindungen werden oft überschätzt.“

Damit gehen Natascha und ich zur Kasse. Flüsternd fragt sie: „Was ist denn das für eine Pfeife?“

„Wenn es nach Tine geht, dein zukünftiger Schwager."


Der Abend kommt und damit auch Björn. War klar, dass er sich von meinem Spruch nicht abhalten lässt.

Das Haus sieht beeindruckend aus. Das muss man Tine lassen. Sie hat überall Lampions aufgestellt, die Tische mit fliederfarbenen Seidenbändern dekoriert und Ein-Euro-Topfblumen zu hübschen Blickfängen arrangiert. Und das Büfett! Unglaublich!

Ihre Freundinnen haben Salate und Rohkost mitgebracht und die Jungen Bierkästen und Würstchen, die Thomas im Garten grillt. Die Würstchen natürlich, nicht die Bierkisten.

Wenn Tine Einsatz zeigt, dann richtig. Wie bei ihren Männern.

Zu fortgeschrittener Stunde sehe ich sie rittlings auf dem Schoß einen Jungen sitzen. Beim zweiten Hinsehen erkenne ich Kitt. Er sitzt auf dem mahagoniroten Ledersofa meiner Eltern in der hinteren rechten Ecke des Wohnzimmers, wo nur eine kleine Leselampe minimales Licht spendet. Tines Cocktailkleid aus Satin ist bis zu den Schenkeln hochgerutscht und die neuen Pumps hat sie nachlässig abgestreift.

Plötzlich spüre ich Björns Lippen an meinem Ohr, seine Hände auf meinen Hüften und - Hilfe, ja! - sein Glied an meinen Pobacken.

„Spinnst du?“, kreische ich. Ja, ich kreische. Stoße ihn empört weg. „Habe ich dich in irgendeiner Weise ermutigt?“

Einige Umstehende starren mich an. Mir gelingt es doch wirklich Paranoid zu übertönen. Peinlich, aber ich kann die Distanzlosigkeit dieses Menschen einfach nicht ertragen.

„Verflucht, was ist denn mit dir los? – Tine hat doch gesagt …“, Björn sieht wirklich aus, als habe ihn jemand vollkommen aus der Fassung gebracht. Als hätte ICH ihn vollkommen aus der Fassung gebracht.

„KRISTINE!!!“

Das hört nun auch das Fast-Geburtstagkind, steigt von ihrem Lover und lässt den Rock diskret ihre Beine hinuntergleiten bis er dort angekommen ist, wo er hingehört. Unwillig kommt sie näher, als sie Björn an meiner Seite sieht. Kitt folgt ihr mit zwei Metern Abstand.

Ich bin furchtbar wütend auf sie. Gerade Tine, meine eigene Schwester, fällt mir in den Rücken. Die Stellen, wo Björns Finger meinen Rücken berührt haben, prickeln noch immer. Meine Gefühle spielen verrückt. Ich hyperventiliere, das ist mir irgendwo bewusst, doch es gelingt mir nicht, mich zu beruhigen. Meine Stimme hört sich an wie ein Fauchen, als ich meiner Schwester gegenüberstehe.

„Was hast du zu Björn gesagt?“

„Gesagt? Ich?“, unschuldig flattert sie mit den Wimpern.

„Na, du hast mich doch eingeladen und gemeint, ich würde hier Rebecka treffen und Rebecka würde sich sicher freuen, mich zu sehen …“, schaltet sich Björn kleinlaut aus dem Off ein.

„Habe ich mich so ausgedrückt? Hm, ja …“, Tine kratzt sich ratlos am Kopf.

Ich fühle, wie die Hitze in mir hochsteigt, Tränen in meine Augen schießen. Wahrscheinlich habe ich rote hektische Flecken im Gesicht und am liebsten will ich schreien. Ein Paar Hände legt sich auf meine Schultern und ich zucke heftig zusammen.

„Nicht anfassen“, höre ich jemanden kreischen. Mich selbst!

Der Griff lockert sich, aber nur leicht.

„Ruhig, ganz ruhig. Komm erst mal mit“, die Stimme ist sanft und einschmeichelnd. Überraschenderweise werde ich ruhiger, lasse mich auf die Terrasse und die Natursteintreppe hinab nach draußen in den Garten führen. Der Juni ist gerade angefangen und kurz vor Mitternacht hat sich die Temperatur stark abgekühlt. Ich zittere.

„Erst einmal durchatmen“, flüstert die Stimme. Wir sind an unserem Boskoop-Apfelbaum, den Papa zu Thomas‘ Geburt gepflanzt hat und darunter steht eine gusseiserne Gartenbank. Die Sitzkissen nimmt Mama jeden Abend mit ins Haus, um sie vor Tau und Regen zu schützen und so lasse ich mich auf die kalte Sitzfläche gleiten. Das Gesicht in Händen vergraben, versuche ich mich zu entspannen.

„Das war so schrecklich. Ich verstehe Tine nicht. Ich kann den Kerl nicht ausstehen und immer, immer wieder schleppt sie ihn an. Das habe ich echt nicht nötig.“

„Nein, das hast du nicht nötig“, sagt die Stimme ruhig. Meine Hände gleiten von meinem Gesicht und ich sehe meinen Helfer an. Vor mir hockt Kitt, eine Hand auf der rechten Armlehne ruhend, meiner eigenen ganz nah ohne sie zu berühren. Die andere liegt auf seinem eigenen Knie.

„Besser?“

Ich nicke.

„Danke.“

Ohne sein Eingreifen hätte die Situation ganz unangenehm eskalieren können. Aufstehend glätte ich meine cremeweißen Leinenhosen und ziehe die dunkelbraune Bluse zurecht. Wir gehen langsam zurück. Keiner sagt ein Wort. Ich sehe weder Björn, noch Tine.

Die taucht erst wieder um fünf vor zwölf auf, als Thomas‘ Freund Ingo seine Gitarre herausholt und Kitt sich an ein Keyboard setzt. Gemeinsam stimmen sie Happy Birthday und She´s so amazing an. Viele von Tines Freunden stimmen ein, manche grölen übertrieben. Die Stimmung ist auf dem Höhepunkt. Meine auf dem Tiefpunkt.

Was hat Tine sich nur gedacht? Hat sie Björn wirklich falsche Hoffnungen gemacht oder hat dieser Sturschädel sie einfach nur so verstehen wollen? Momentan bin ich ratlos und noch immer tierisch sauer auf meine Schwester, ob nun begründet oder nicht.

Besser, ich gehe ins Bett und schlafe über die ganze Sache. Im ersten Stock angekommen, habe ich plötzlich Schiss, Björn könne sich in mein Zimmer schleichen. Langsam werde ich paranoid.

Nataschas Zimmer liegt gegenüber von meinem. Ich klopfe an, weil ich sie schon seit Stunden nicht gesehen habe und sie vielleicht schläft.

„Natascha? Natascha?“, flüstere ich.

Keine Antwort. Bei dem Lärm unten kann ich auch keine Atemgeräusche hören. Auf Zehenspitzen schleiche ich zu ihrer Schreibtischleuchte und knipse sie an. Das Futonbett ist leer, nur Teddy Ed sitzt verwaschen und abgenutzt wie immer auf dem Kopfkissen.

„Na, du übernachtest heute auf dem Schreibtisch“, sage ich zu Nataschas bestem und ältestem Freund und entferne ihn vom Bett. Aus dem Schrank meiner Schwester ziehe ich mir ein oranges T-Shirt. Es ist aus der Zeit vor dem Baby und ziemlich knapp geschnitten. Egal, ich bin zu faul, einen Schlafanzug aus meinem Zimmer zu holen. Meine Bluse und die Hosen lege ich über den Schreibtischstuhl und meine bis eben locker aufgesteckten Haare flechte ich zu dem gewohnten Zopf. Ein Haargummi fehlt mir und ich wühle in Nataschas Schublade nach einer Alternative. Dort liegen sorgfältig sortiert Glitzerspangen und Klemmen und jede Menge Seidenbänder, die sie sich oft als Haarband um den Kopf wickelt. Also schnüre ich davon eines um das Zopfende und schlüpfe unter die Bettdecke. Die passt so gar nicht in das Kleinmädchenzimmer im Stil von Emily Erdbeer und Sara Kay, in dem ich mich gerade befinde und ich sehe sofort: Das ist meine eigene Bettwäsche! Dunkelviolett mit hellgrauen Streifen. Da war wohl jemand zu faul, die eigenen Bezüge zu waschen. Nochmal egal, ich schließe die Augen und döse sofort ein.


absolut solide

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