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Stefan Kiechle SJ | Frankfurt a.M.
geb. 1960, Dr. theol., Chefredakteur der Kulturzeitschrift „Stimmen der Zeit“, Beauftragter des Jesuitenordens für ignatianische Spiritualität, Beiratsmitglied von GEIST & LEBEN
Vom Sterben der Orden
Eher schleichend, halb heimlich, jedenfalls öffentlich kaum thematisiert sterben in Europa die Orden und Klöster vor sich hin. Wird irgendwo ein Ordenshaus geschlossen, gibt es in der lokalen Presse ein Aufstöhnen – aber man hatte ja schon länger damit gerechnet. An manchen Orten waren die Schwestern oder Brüder jahrhundertelang präsent – nach der Schließung sind sie bald vergessen. Allein in Deutschland geht es nicht um einige Dutzend, sondern um hunderte Häuser. Was bedeutet dies für die Kirche und für ihr spirituelles Leben?
Viele Kommunitäten sind überaltert. Sie sehen ihre Aufgabe darin, in Würde zu altern, ihr Leben schrittweise loszulassen und Abschied zu nehmen. Wo das Miteinander gut gestaltet und das Gebet, persönlich und im Chor, gut gepflegt wird, kann dies zum beeindruckenden Zeugnis werden – für eine insgesamt alternde und dennoch den Tod verdrängende Gesellschaft. Stützt und würdigt die Kirche dieses Zeugnis alter Ordensleute genügend?
Oft hat man den Eindruck, dass die Kirche arg von internen Querelen absorbiert wird und wenig Sinn hat für diese geistlichen Wege. Zum Sterben gehört das Loslassen des Materiellen: Was wird aus dem Mobiliar, den Bibliotheken, den Kunstschätzen? Was aus den gewaltigen Mutterhäusern, den barocken Klosteranlagen? Der Denkmalschutz stemmt sich zwar gegen die rücksichtslose Kommerzialisierung und bewahrt auf diese Weise viele alte Gemäuer, aber zugleich musealisiert er die Anlagen, denn ohne die Menschen, die in ihnen leben und beten, sind sie entleert. Die Ordensleute selbst, indem sie so viel aufgeben, bekommen nochmals die Chance, arm im Sinn ihrer Gelübde zu werden: Sie verlassen die Welt und gehen auf den Himmel zu. Für die Kirche ist das Sterben der Orden ein unfassbarer Verlust: Nicht nur sind es die Gäste- und Exerzitienhäuser, die vielen Menschen Einkehr, Besinnung, Wege der Gottsuche ermöglichen – sie werden enorm fehlen! Noch nicht einmal sind es nur die durchbeteten Kirchen, die auch säkulare Menschen anziehen, sie staunen machen und irgendwie auf den Himmel verweisen; Museen ersetzen das niemals. Vor allem werden fehlen: Menschen, die in existentieller Hingabe ihr Leben Gott weihen und so – auch wenn persönlich oft in beschämendem Mittelmaß – eben dennoch auf Gott verweisen, einfach durch ihr Dasein und durch ihren Dienst. Klöster und Ordenshäuser sind Orte des Heiligen, in denen das sonst meist perfekt verwaltete und (auch pastoral) funktionale Agieren der Kirche durchbrochen wird und auf das Eigentliche, auf Gott hin, transparent wird. Ohne diese heiligen Orte: Was wird aus der Kirche in unseren Landen? Eine Kultur von 1500 Jahren geht zu Ende – warum haben wir noch nicht angemessen zu trauern begonnen?
Anfang des 19. Jahrhunderts starben schon einmal die Klöster, allerdings meist durch äußeren Eingriff. Vorher waren viele von ihnen recht heruntergekommen: Sie waren aufgeklärt-säkular im Geist, verankert in einer feudalen Struktur, die sich überlebt hatte, und außerdem übermäßig reich geworden – vermutlich war dieser harte Abbruch nur heilsam. Ab etwa 1850 blühte das Ordensleben wieder auf, vor allem in den zahlreichen neu gegründeten Kongregationen, wie durch ein Wunder, mit einer enormen Wirkung für Kirche und Gesellschaft. Können wir heute ein neuerliches Erblühen erhoffen? Die Hoffnung stirbt ja zuletzt. Dennoch ist es wohl nicht zu pessimistisch, wenn man feststellt, dass heute im Gegensatz zu damals der spirituelle Humus der Kirche – in Familien, Jugendgruppen, Gemeinden… – zu sehr vertrocknet ist, um einen baldigen größeren Neuaufbruch des Ordenslebens realistisch erwarten zu lassen.
Braucht Gott die Ordensleute, die Mönche und die Nonnen nicht mehr? Manche überkommene Form und Kultur stirbt ab. Das ist vielleicht auch gut so. Mancher Missbrauch geht zu Ende, etwa der Einsatz von Ordensfrauen als billige Arbeitskräfte; durch solches Sterben reinigt sich etwas in der Kirche. Aber das viele Gute, dass die Orden beitrugen? Ja, vielleicht will Gott eine andere Kirche, säkularer, laikaler, mit anderen Formen der Hingabe. Aber wir Ordensleute oder auch spirituell Interessierte dürfen zugeben, dass wir hierbei den Willen Gottes nicht oder noch nicht verstehen. Wir dürfen auch öffentlich sagen, dass wir nicht meinen, allein in den immer stärker aufgeblähten „Ordinariaten/Generalvikariaten“ läge die Zukunft der Kirche oder in den „neuen pastoralen Strukturen“ oder in den bleibend konfliktbeladenen, oft polarisierenden und dann doch ergebnisarmen „synodalen Prozessen“ – schon die Wortungetüme verraten das Unbehagen mit diesen Phänomenen. Und die neuen geistlichen Bewegungen? Vor einigen Jahrzehnten weckten sie große Hoffnungen, und viele Kirchenobere bauten auf sie, doch derzeit sind viele von ihnen – wie eben auch manche Orden und die Kirche insgesamt – durch Missbrauch und andere Missstände gebremst und gedemütigt. Nochmals neu und dringend stellt sich die Frage: Wo bleiben die heiligen Orte? Wo das Zeugnis der sich ganz und nachhaltig Gott hingebenden Menschen? Das Sterben der Orden in unseren Landen – wir trauern, und wir verstehen es nicht.