Читать книгу tali dignus amico - Vicente Flores Militello - Страница 23
ii) condicio humana im dives-pauper-Kontrast: carm. 2,18
ОглавлениеHorazcarm. 2,18Die Ode 2,18, mit der sich Horaz an ein Enkomion des Bakchylides anlehnte,1 beginnt mit einer Selbstinszenierung des horazischen Ichs, das sich voll Dankbarkeit für Maecenas äußert. Ab der Mitte der Ode wird das kontrastive Bild eines habgierigen und geizigen Reichen ausgeführt, der seinen armen Klienten um dessen Existenz bringt, was in einer archaisch wirkenden Szene gezeigt wird. Der Sprecher appelliert schließlich an den geizigen Reichen mit der mahnenden Erinnerung an die condicio humana. Von Bedeutung für die vorliegende Arbeit ist die Unterteilung des Gedichts in drei Abschnitte, da die patronus-cliens-Problematik dabei von großer Bedeutung ist: a) Einerseits wird die Erwähnung von clientes als Prestige-Symbol einflussreicher Familien betont, um sie später mit der persönlichen Beziehung zu Maecenas als potens amicus aus der Ich-Perspektive zu kontrastieren (1‑14). b) Andererseits spielt eine allgemeine Warnung an reiche patroni vor Anmaßung gegenüber bedürftigen clientes eine zentrale Rolle; damit wird eine Parallele zwischen der clientela und dem dives-pauper-Diskurs geschaffen (14‑28). c) Daran schließt Horaz den Appell an den überheblichen Reichen über den ethischen Diskurs an, in dem die jeweiligen Figuren des pauper und des dives (parallel zu den Figuren des cliens und des patronus) im Mittelpunkt stehen (29‑40).2
Wenig überzeugend ist die Deutung bei Nisbet und Hubbard, denen zufolge die kritische Tendenz der Ode auf Maecenas ziele (N./H. 1978, 287ff., insb. 289f.), weil die im ersten Teil der Ode erwähnten Luxus-Motive auf Maecenas’ Wohlstand anspielten und die villa maritima des Maecenas an die Villa in Baiae erinnere, die Horaz im zweiten Teil der Ode dem habgierigen Reichen als Zeichen seiner hemmungslosen Bausucht zuschreibt. Schließlich stelle die Unterwelt-Thematik eine evidente Anspielung an „Maecenas’s own morbid obsessions“ dar.
Da Maecenas aber in der vorausgehenden Ode von Horaz als pars animae meae (carm. 2,17,5) und in der abschließenden Ode 2,20,7 als dilecte Maecenas angesprochen wird, wirkt eine solche Kritik im Kontext des Odenbuchs eher deplatziert – dass zwischen dem hochadligen Maecenas (edite regibus, carm. 1,1,1), und einem Attali ignotus heres (carm. 2,18,5f.) eine gedankliche Assoziation hergestellt werden soll, ist kaum überzeugend. In Ode 2,18 hat das Verhältnis zwischen Horaz und Maecenas eher eine positive Exempel-Funktion, und Maecenas wird dabei nicht direkt angesprochen.3
Wie eine erste Lektüre des Textes erweist, handelt es sich dabei um ein Gedicht „im Stil der philosophischen Predigt“ (K./H. 1, 234) bzw. um eine „Predigt gegen Verschwendungssucht und Habgier“ (Holzberg 2009, 146). Thematisch knüpft die Ode in der Gesamtkomposition des Buches vor allem an carm. 2,17 und 2,20 sowie an 3,1 an.
(Topische) Luxus-Elemente und (1-8) und die Selbstinszenierung des Dichters (9-14).
Horazcarm. 2,18,1-14In den Anfangsversen der Ode kontrastiert sich der Horaz-Sprecher als pauper mit der Figur des dives und stellt seine eigenen Kriterien entgegen (carm. 2,18,1‑14):
Non ebur neque aureum | ||
mea renidet in domo lacunar, | ||
non trabes Hymettiae | ||
premunt columnas ultima recisas | ||
Africa neque Attali | 5 | |
ignotus heres regiam occupavi | ||
nec Laconicas mihi | ||
trahunt honestae purpuras clientae. | ||
at fides et ingeni | ||
benigna vena est pauperemque dives | 10 | |
me petit: nihil supra | ||
deos lacesso, nec potentem amicum | ||
largiora flagito, | ||
satis beatus unicis Sabinis. |
Der Sprecher gibt sich bescheiden mit seinem „einzigen Landgut“ zufrieden und betont seine innere Aufrichtigkeit als Basis des Verhältnisses zum potens amicus. Zentral ist also der Gedanke, dass ein patronus nicht wegen seines Reichtums gewählt wird. Dies dient als Erklärung für die Behauptung in Vers 10: Paradoxerweise werde der Sprecher als pauper vom dives besucht (eine Verkehrung eines traditionell klientelären Abhängigkeitsverhältnisses), und zwar auf Grund seiner bescheidenen Aufrichtigkeit (9‑11).4 Dabei inszeniert sich der Sprecher offen als der Dichter Horaz und dankt seinem potens amicus Maecenas dafür, für ihn materiell gesorgt zu haben.
Die topischen Elementen für Luxus-Beschreibungen dienen dabei als Kontrast zur bescheidenen Dichterstimme. Einerseits greift der dives-pauper-Diskurs damit das Bakchylides-Modell wieder auf, indem er das letzte dort im Luxus-Trikolon vorkommende Element einführt (die πορφύρεοι τάπητες5) und danach mit at einen Gegensatz schafft, um die persönliche Ebene zu betonen (dies spiegelt sich im Bakchylideischen ἀλλά wider: at fides et ingeni | benigna vena est – ἀλλὰ θυμὸς εὐμενής).6 Andererseits weicht Horazens Darstellung vom griechischen Modell ab, indem sie sich mit einem römischen Charakter präsentiert – nicht zuletzt durch ein Element der clientela. Denn nach den prunkvollen Bauelementen werden als letztes Luxus-Symbol honestae clientae eingeführt, die für den Patron einen kostbaren Purpurmantel7 herstellen (7‑8): brave Hausfrauen also, die weben und die folglich an das Penelope-Bild erinnern.
Zum ersten Mal seit Plautus und Afranius kommt das Wort clienta literarisch vor. Die weibliche Form des cliens wird dort im Sinne von famula bzw. serva libertina gebraucht, wie aus den jeweiligen Passagen hervorgeht.8 Pseudo-Acron erklärt das Wort zwar ähnlich als familiares oder vicinae, doch hält der Kommentator sie gleichzeitig für die uxores clientium, welche der Ehefrau des Patrons beim Weben helfen. So deutet auch Porphyrio die Horaz-Stelle.9 Das Bild ist in der vorliegenden Passage allgemein gehalten, denn beide Assoziationen passen gut (sowohl die famulae weben für ihren Herrn als auch die Ehefrauen der Klienten für die Ehefrau des Patrons). Im Auftrag des Patrons (bzw. seiner Ehefrau, folgt man Ps.-Acrons und Porphyrios ἐξηγήσεις zur Passage) stellen also die clientae die wertvollen Textilien für diesen her. Dies deutet auf den hohen Stand des Patrons hin, der über verschiedene Elemente des materiellen Luxus verfügt, wie eben auch über ehrenvolle Klienten. Der Horaz-Sprecher kontrastiert sich damit und beteuert, solcherlei nicht zu besitzen, sondern nur den inneren Wert der Aufrichtigkeit aufzuweisen.
Mit dem Gegenbild, das der Horaz-Sprecher ab Vers 9 von sich gibt, knüpft er an das Motiv der Zufriedenheit in Satire 2,6 an.10 Die aus der so angestrebten vita rustica resultierende beatitudo wird allerdings nun als vollkommen inszeniert (satis beatus unicis Sabinis, 14): Es handle sich also nunmehr um ein Verhältnis, in dem divitiae keine Rolle (mehr) spielen. Denn indem Maecenas mit potens amicus genannt wird, legt der Sprecher einerseits offen, dass amicitia eine fundamentale Rolle spielt, andererseits dass er doch davon materiell profitiert hat. Dabei argumentiert er aus der Sicht des dives (nicht aus seiner persönlichen Sicht), denn er gibt sich mit dem einen Landgut zufrieden, das ihm sein amicus zugeteilt hat.11
Doch Maecenas wird hier nicht wie der dives der ersten Verse bewertet: Ihm wurde ja schon die Fähigkeit ethischer Bewertung bescheinigt (turpi secernere honestum, Hor. sat. 1,6,36) – folglich erkennt er die Aufrichtigkeit des Horaz. Dass der Sprecher ihn damit als Einzelfall betrachtet, wird durch die nächsten Verse betont, in denen ein dives avarus Ziel der Kritik wird. Dabei spielt die clientela-Thematik zum zweiten Mal eine wichtige Rolle.Horazsat. 1,6,36
Warnung vor Anmaßung gegenüber bedürftigen clientes (15‑28).
Horazcarm. 2,18,15-28Der zweite Teil der Ode konzentriert sich auf die Thematik der Vergeblichkeit menschlichen Ehrgeizes. Einem unbestimmten tu (17) – offenbar der Typus des reichen, überheblichen Patrons (nicht aber Maecenas)12 – wird vorgeworfen, er kümmere sich nur um den äußeren Wohlstand, während er sich seiner Sterblichkeit nicht bewusst sei (sepulcri inmemor, 19). Der Wohlstand schlägt sich topisch in Baumotiven wie marmor, domus, Baiae, die Vergänglichkeitsthematik in Motiven des Todes wie funus, sepulcrum, urgere nieder und wird damit zu einem deutlichen Signal für den ethischen Diskurs. Kritik an luxuria und avaritia, wie der Ich-Sprecher letztlich topisch exemplifiziert, stellt den geizigen Reichen also an den Pranger. Wegen seiner Grenzen- bzw. Hemmungslosigkeit versucht er nicht nur, die Natur zu bezwingen, sondern gefährdet sogar die Existenz anderer (carm. 2,18,15‑28):
truditur dies die | 15 | |
novaeque pergunt interire lunae: | ||
tu secanda marmora | ||
locas sub ipsum funus et sepulcri | ||
inmemor struis domos | ||
marisque Bais obstrepentis urges | 20 | |
submovere litora, | ||
parum locuples continente ripa. | ||
quid quod usque proximos | ||
revellis agri terminos et ultra | ||
limites clientium | 25 | |
salis avarus? pellitur paternos | ||
in sinu ferens deos | ||
et uxor et vir sordidosque natos. |
Der Reiche wolle seine Villa am Strand noch auf das Meer ausdehnen, sonst halte er sich nicht für reich genug; dafür okkupiert er nicht nur die Strände, sondern beraubt auch seine Nachbarn ihres Landguts. Letzteres stellt eine Angelegenheit dar, die im römischen Recht streng verurteilt wurde. Die Grenzverschiebung des Grundstücks des Nachbarn (proximos | revellis agri terminos) sowie des Klienten (limites clientium | salis) wurde im archaischen Rom sogar als schweres sakrales Delikt empfunden.13 Wie noch gezeigt wird, knüpft dieses Motiv an archaisierende Elemente an, die den traditionellen ‚römischen‘ Charakter der Komposition betonen. Denn die sog. exaratio termini, also die Grenzverschiebung, ist ein Verstoß gegen eines der heiligsten Elemente der römischen Weltanschauung. Der Kult des Gottes Terminus wurde mythologisch auf König Numa zurückgeführt14 (wie auch der Fides-Kult). Ein Verstoß gegen die zwischen Anrainern vereinbarten Flurgrenzen stellte einen klaren Fall der ἀδικία dar (Plut. Num. 16,2) und führte ursprünglich sogar zur sog. Sazertät.15 Somit ist die Parallele zum Verstoß gegen die fides beim patronus-cliens-Verhältnis in dieser Ode offensichtlich:16 Beging ein Patron fraus gegenüber seinem Klienten (missachtete er also die fides), wurde er zum homo sacer erklärt (so die schon oben behandelte Lex XII Tab.: patronus si clienti fraudem fecerit, sacer esto)Lex XII tab.8,21 – genau wie derjenige, der die Grenzen des Nachbarn (oder noch schlimmer: der clientes)17 nicht beachtet.18 Eine solche Verletzung verschärft sich allerdings im patronus-cliens-Verhältnis, weil die Fürsorgepflicht verletzt wird. Dies lässt sich auch im folgenden Beispiel bemerken.
Nicht umsonst zitiert Servius in seinem Kommentar zu Aen. 6,609 genau diese Horaz-Stelle, um das nur durch ihn überlieferte Zwölftafelgesetz über das patronus-cliens-Verhältnis zu veranschaulichen: In der Katabasis der Aeneis (6,236‑899) beschreibt die Sibylle Aeneas den Tartarus (547‑636). Dort werden nicht nur aus Mythen bekannte Frevler schwer bestraft (an die die Sibylle in einer praeteritio erinnert: 601), sondern generell alle Frevler, deren Vergehen exemplarisch genannt werden.19 Dabei verleihen die patroni,20 die ihre clientes misshandeln bzw. betrügen ([quibus est] fraus innexa clienti, 609), zusammen mit denjenigen, die die eigene Familie (Geschwister und Eltern) misshandelten (was dem Zwölftafelgesetz nach ebenso zur ‚Sazertät‘ führte21), der Passage einen deutlich römischen Charakter. Schließlich präsentiert die Sibylle zahlreiche avari und sonstige Verbrecher (meistens Verräter).22 Sie betont dabei die Bedeutung der avari, die eine erheblich größere Gruppe darstellen.23 Der Horaz-Sprecher in carm. 2,18 scheint daran anzuknüpfen, indem er gerade an den avari und im Zusammenhang mit der clientela ein Beispiel des frevelhaften Übermuts zeigt. In beiden Fällen ist zwar eine allgemeinere Kritik an menschlichem Verhalten das Ziel der Aussage, doch indem die moralischen Vergehen im Rahmen des patronus-cliens-Verhältnisses inszeniert werden, sind sie für ein römisches Publikum tief in der eigenen Tradition verankert und erhalten auch eine archaisierende Patina – bei Horaz wird die kritisierte avaritia, die andere schädigt, als besonders schwerwiegendes Vergehen empfunden, weil sie sich gegen die traditionelle römische Institution der clientela richtet.
Der Horaz-Sprecher von carm. 2,18 zeigt Mitgefühl mit der Figur des armen cliens, der als Opfer des geizigen Patrons hilflos und wie ein unglücklicher Aeneas gezeichnet wird, der mitsamt seinen Penaten und mit Frau und Kind fliehen muss, während der patronus in seiner Habgier gnadenlos und unverantwortlich handelt.24 Dass dieser die Fürsorgepflicht verletzt hat, wird durch die Notdürftigkeit des armen cliens besonders betont. Denn nicht immer stehen die Klienten für pauperes, hier jedoch muss der dives-pauper-Kontrast zur Kritik an der übertriebenen luxuria und avaritia eingesetzt werden. Das lyrische Ich kann den avarus nur mit der Erinnerung an die eigene Vergänglichkeit, also mit einem topischen Argumentationsmuster, zur Erkenntnis seines Fehlverhaltens bringen – und mit ihm auch den Leser.
condicio humana als moralphilosophischer Diskurs (29-40).
Horazcarm. 2,18,29-40Ob man limites clientium auch im übertragenen Sinne verstehen darf – also als die Grenzen gebotener Menschlichkeit –, bleibt offen.25 Für den Dichter scheint dennoch eines klar zu sein: dass alle Menschen gleichwertig sind. Denn nach dem Tod seien materielle Güter überflüssig – ein aus epikureischen Vorstellungen hervorgehender ethischer Diskurs, der bei Horaz zu einer thematischen Konstante wird (im zweiten Odenbuch denke man nur an carm. 2,3; 2,14; 2,16)26. Damit mahnt der Sprecher seinen Adressaten an die condicio humana (carm. 2,18,29‑40):
nulla certior tamen | ||
rapacis Orci fine destinata | 30 | |
aula divitem manet | ||
erum. quid ultra tendis? aequa tellus | ||
pauperi recluditur | ||
regumque pueris, nec satelles Orci | ||
callidum Promethea | 35 | |
revexit auro captus. hic superbum | ||
Tantalum atque Tantali | ||
genus coercet, hic levare functum | ||
pauperem laboribus | ||
vocatus atque non vocatus audit. | 40 |
Das genaue Verständnis des dritten Teiles ist in der Forschung umstritten.27 Unabhängig davon ist für die vorliegende Untersuchung die Beobachtung wichtig, dass zentrale Motive des Gedichts in diesem dritten Teil konsequent unter dem Aspekt der Ewigkeit erneut betrachtet werden: a) Wurde vorher der reiche Patron als avarus charakterisiert (26), ist es nun Orkus, der rapax über den überheblichen dives erus triumphiert (30f.).28 b) Fand zudem die Habgier des dives in der von ihm errichteten Luxusvilla ihren Ausdruck (19ff.), ist jetzt vom eigentlichen Wohnsitz die Rede, der auf alle Menschen wartet, dem Palast des Orkus (30f.). c) Wurde der arme cliens aus seinem Landgut verstoßen (24ff.), so findet der pauper im Tod endlich Ruhe von seinen labores (38ff.).
Dass Horaz sich selbst zu Beginn des Gedichts als pauper darstellt (10), verstärkt den Eindruck einer Art von Solidarität gegenüber dem Opfer des dives avarus. Doch scheint es zu weit zu gehen, in Analogie dazu den Armen auch weiterhin mit Horaz gleichzusetzen und den Reichen dementsprechend als Maecenas zu verstehen.29 Dass der mahnende Ton ad personam gelesen werden soll, wird im Text nirgends bestätigt. Vielmehr bleibt die Selbstinszenierung des Horaz als pauper cliens und amicus des Maecenas auf den Anfang der Ode beschränkt und erfüllt den Zweck eines Exempels.