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i) Die Kunst des Schenkens und Nehmens: Abhängigkeit und Freiheit in Epistel 1,7.

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Horazepist. 1,7Das Verhältnis zwischen Horaz und Maecenas hält die Waage zwischen einer amicitia und einer clientela. Epistel 1,7 beschreibt dieses Verhältnis, indem Horaz hier ein ebenso zentrales wie sensibles Thema aus unterschiedlichen Perspektiven bespricht: die Kunst des Schenkens und Nehmens und die Auswirkungen von Freiheit und Abhängigkeit.1

Der Brief setzt mit einer scheinbar harmlosen Situation und einem vertrauten Tonfall ein, steuert aber damit sofort auf das zentrale Problem zu: Der Sprecher, der sich als vates tuus (11) bezeichnet, wendet sich an Maecenas als seinen dulcis amicus (12), den er um Nachsicht (venia, 5) für einen Wortbruch (mendax, 2) bitten muss: Unter dem Vorwand, sich fünf Sommertage frei zu nehmen, reist er nämlich nun ab, um aus der Ferne anzukündigen, dass er von August bis zum nächsten Frühjahr2 nicht in Rom sein werde. Dem Vorwurf, der wegen der Dreistigkeit dieses Vorgehens zu erwarten wäre, kommt Horaz zuvor, indem er seine angegriffene oder genauer noch seine gefährdete Gesundheit betont (quam mihi das aegro, dabis aegrotare timenti, | Maecenas, veniam, 4F.) und damit an die Fürsorgepflicht des Maecenas (3) appelliert. Die ungesunde Luft im Sommer, an die Horaz dramatisierend mit dem Verweis auf allgemein um sich greifende Todesfälle erinnert, macht die villeggiatura lebensnotwendig. Hinzu kommt die hochgefährliche officiosa sedulitas in der Stadt, die zu Fieberanfällen führt (8). Das rechtfertigt dann offensichtlich auch die Abwesenheit im Winter, denn der Dichter muss sich schonen und bei der Lektüre erholen (11‑12).

Der Ton des Briefes gilt in der Wissenschaft insgesamt als problematisch: Einerseits wird eine gewisse Dreistigkeit gegenüber Maecenas wahrgenommen.3 Andererseits deutet die Epistel jedoch auf einen vertraulichen Umgang mit dem Adressaten hin und weist einen humorvollen Ton auf, der nicht vernachlässigt werden darf.4

Es geht offensichtlich um die Möglichkeit, ein Stück Unabhängigkeit in der Abhängigkeit vom patronus zu wahren. Die Epistel bespricht das heikle Thema durch eine ganze Sequenz von erzählerischen Einlagen,5 die vom Calaber-Witz über die Fabel-Einlage vom Füchslein in der Mehlkiste und das Telemach-Zitat aus der Odyssee bis zur ausführlicher erzählten Geschichte des Volteius Mena, der zum Klienten des Philippus wird, reichen. Horaz akzentuiert damit jeweils unterschiedliche Problemstellungen und gibt i.d.R. auch exegetische Hinweise dazu.

Mit der Beteuerung, dass Maecenas den Dichter reich gemacht hat (tu me fecisti locupletem, 15), wird zugleich die erste der Erzähleinlagen als Vergleich eingeführt, bei dem Maecenas als idealer Geber charakterisiert werden soll. Der Witz führt einen kalabrischen Gastgeber ein, der seinem Gast, der höflich abzulehnen versucht, seine Birnen aufdrängt, indem er am Ende beteuert: „Nimm sie mit, sonst kriegen sie die Säue.“ Diesen Calaber zu übertreffen, ist auf den ersten Blick sicher nicht das größte Kompliment für Maecenas. Aber Horaz interpretiert den an sich leicht eingängigen Witz in einer moralphilosophischen Exegese, die das Verhältnis von Geber und Beschenktem mit der Zielsetzung verdeutlicht, warum Horaz sich im Unterschied dazu durch das Geschenk des Maecenas als locuples fühlen darf (epist. 1,7,20‑28):Horazepist. 1,7,20 28

prodigus et stultus donat quae spernit et odit: 20
haec seges ingratos tulit et feret omnibus annis.
vir bonus et sapiens dignis ait esse paratus,
nec tamen ignorat quid distent aera lupinis:
dignum praestabo me etiam pro laude merentis.
quodsi me noles usquam discedere, reddes 25
forte latus, nigros angusta fronte capillos,
reddes dulce loqui, reddes ridere decorum et
inter vina fugam Cinarae maerere protervae.

Der Calaber ist prodigus und stultus, weil er das Geschenk geringschätzt und damit zugleich den Beschenkten auf die Stufe seiner Schweine herabsetzt, die mit dem Geschenk gefüttert werden. Damit ist die Aussage des Witzes selbst deutlich geworden. Mit Bezug auf Maecenas ist die Aussage wichtig, dass dem prodigus damit der Lohn für das Geschenk entgeht und die Beschenkten ingrati bleiben. Horaz will aber auf die Wirkung hinaus, die ein würdiges Geschenk auf den Beschenkten und den Schenkenden ausübt: Die Dignität des Geschenks überträgt sich auf den damit Geehrten. Es ist die Wertschätzung, die auf einem positiven Urteil des Schenkenden beruht, die wiederum auf den Schenker angenehm zurückwirkt, weil sich der Beschenkte dieses Urteils als würdig erweisen will. Soweit schließt Horaz die Interpretation mit einer Ich-Aussage ab: Er versichert, dass er sich auch des Maecenas als würdig erweisen wird.6

Die argumentative Funktion des Vergleichs mit dem Calaber muss noch auf die Ausgangssituation zurückgeführt werden: Maecenas soll die Dignität des Horaz auch weiterhin berücksichtigen, indem er die Gabe nicht als etwas abwertet, das durch eine ständige Anwesenheitsverpflichtung erkauft werden muss. Horaz verdeutlicht diese überzogene Forderung durch ein witziges Adynaton, das den Ausgangspunkt der Stadtflucht in Erinnerung ruft: die gesundheitliche Anfälligkeit des alternden Dichters. Wenn nämlich Maecenas auf die Anwesenheit besteht, muss er Horaz etwas schenken: die Jugend.7 Das kann Maecenas nicht. Also muss er Menschlichkeit und Fürsorge im Umgang mit schwachen Menschen zeigen. Wie in epist. 1,1 macht Horaz deutlich, was Maecenas erwarten darf und was nicht: Dichterische Kreativität in 1,1 und freundschaftliche Unterhaltung in 1,7 kann und soll niemand auf Kommando und kontinuierlich leisten.8

Umgekehrt wird mit der anschließenden volpecula-Fabel das Verhalten des Horaz charakterisiert (epist. 1,7,29‑36):Horazepist. 1,7,29 36

forte per angustam tenuis volpecula rimam
repserat in cumeram frumenti, pastaque rursus 30
ire foras pleno tendebat corpore frustra;
cui mustela procul: ‘si vis’ ait ‘effugere istinc,
macra cavum repetes artum, quem macra subisti.’
hac ego si conpellor imagine, cuncta resigno:
nec somnum plebis laudo satur altilium nec 35
otia divitiis Arabum liberrima muto.

Der Ich-Sprecher vergleicht sich als beschenkten Klienten mit einem Füchslein, das sich in eine Getreidekiste eingeschlichen hatte,9 nach dem Fressen aber so zugenommen hat,10 dass es nicht mehr ins Freie entschlüpfen kann. Den Rat des Wiesels an das Füchslein, wieder abzunehmen, also auf die Annehmlichkeiten der Abhängigkeit zu verzichten, bezieht Horaz auf seine Situation und antwortet dezidiert: Ja, er kann auf alle Annehmlichkeiten verzichten; nein, er tauscht die otia liberrima11 nicht gegen die Schätze Arabiens ein.12 Es bleibt jedoch trotz der resoluten Aussage ein gewisser Zweifel.13 Dass diese scheinbare oder drohende Absage an Maecenas anders akzentuiert ist, erkennt der Leser durch die nachfolgende dritte Einlage, das Telemach-Zitat aus der Odyssee (4,601ff.).HomerOd. 4,601ff.

Erneut geht es um die sozialen Positionen, die Schenkender und Empfangender einnehmen. Der Geber weist dem Beschenkten mit der Gabe eine Position zu, die dieser akzeptieren oder auch korrigieren kann (epist. 1,7,37‑45):Horazepist. 1,7,37-45

saepe verecundum laudasti, rexque paterque
audisti coram, nec verbo parcius absens:
inspice si possum donata reponere laetus.
haud male Telemachus, proles patientis Ulixei: 40
‘non est aptus equis Ithace locus, ut neque planis
porrectus spatiis nec multae prodigus herbae;
Atride, magis apta tibi tua dona relinquam.’
parvum parva decent: mihi iam non regia Roma,
sed vacuum Tibur placet aut inbelle Tarentum. 45

Zunächst sind die Vielschichtigkeit des Begriffes sowie der betreffende Vers in seinem Zusammenhang zu berücksichtigen: Zwar signalisieren die Anredetermini deutlich ein hierarchisches Gefälle zwischen cliens und patronus; doch dass hierbei rex nicht ganz negativ zu verstehen ist, ist evident: Der Ich-Sprecher gibt die Anrede zum einen humorvoll wieder, denn sie betont offenbar eine gewisse Unterordnung bzw. ein gewisses Gefälle im Verhältnis.14 Zum anderen erkennt Maecenas die Aufrichtigkeit des Horaz (saepe verecundum laudasti, 37) an, so dass der Ausdruck Respekt bezeugt.15 Indem Horaz coram und absens im Gebrauch der Anrede unterscheidet, werden die typischen Verhaltensweisen eines üblichen Klienten angedeutet: Wenn der rex nicht anwesend ist, wird anders über ihn gesprochen. Horaz dagegen beteuert, dass er in Maecenas’ Anwesenheit und Abwesenheit gleich spricht (und empfindet). Mit nec verbo parcius zeigt der Sprecher also deutlich, dass solche Termini, ähnlich wie im Falle von amicitia-Begriffen,16 auch als positiv bewertet werden können.

Andererseits erinnert der Hexameterschluss an epische Anreden. Recht häufig sind bei Homer Vokativ-Ausdrücke von Zeus wie Ζεῦ πάτερ oder Ζεῦ ἄνα zu finden. Als Formel kommt bei Vergil oft das auf Homers πατὴρ ἀνδρῶν τε θεῶν τε zurückzuführende Epitheton divum pater atque hominum rex für Jupiter vor.17 Der Horaz-Sprecher spielt offenbar humorvoll darauf an: Nicht umsonst ist ab dem Vers 40 ausdrücklich vom Homerischen Werk die Rede. Beim Telemach-Zitat (40‑43) werden sogar einige Odyssee-Verse paraphrasiert und wird eine Parallele zur Horazwelt hergestellt (dazu s.u.). Berücksichtigt der Leser außerdem, dass der Horaz-Sprecher Maecenas nicht selten humorvoll den Göttern gleichsetzt (erinnert sei z.B. an die Darstellung davon, was das volgus in sat. 2,6 von Horaz und seiner Nähe zu den „Göttern“, nämlich Maecenas und Augustus, hielt: deos quoniam propius contingis oportet, 52),18 dann ist diese parodistische Anspielung auf Maecenas als beinahe göttlichen rex und pater noch evidenter.

Unter dieser Voraussetzung wird offenkundig, warum der Dichter dem Adressaten provozierend seine Bereitschaft kundtut, alle Geschenke zurückzugeben (inspice si possum donata reponere laetus, 39): Die Homerische Anspielung in den Versen 40‑43 dient zur Veranschaulichung. Der Gestus des Menelaos gegenüber Telemach ist zwar im Rahmen der Homerischen Xenia zu verstehen, doch er deutet auch auf einen Überlegenheitsgestus des Königs gegenüber dem jungen Besucher hin.19

Es ist ein Signal des Reichen, der übertriebene Geschenke gibt, die aber den Bedürfnissen des Beschenkten nicht ganz entsprechen. Die vorbildliche Höflichkeit, mit der Telemach das unangemessene Geschenk zurückzuweist, ohne Menelaos zu beleidigen, wird zum Signal dafür, dass Horaz ebenfalls Maecenas davor bewahren möchte, als rex unangemessen zu schenken. Mit Menelaos gleichgesetzt zu werden, ist nun keine Schande. Und dass Horaz in den Werken Homers seine ethischen Modelle findet, hat er in epist. 1,2 schon betont. Aus dieser seiner Lektüreerfahrung in der Ruhe von Praeneste wagt er es, Maecenas seine Ergebnisse mitzuteilen. Mit der Parallele in den Versen 44f. zeigt er Maecenas, dass regia Roma zwar beeindruckend, doch für ihn nunmehr unpassend ist: Horaz will keine soziale Gleichstellung mit regia Roma und rex Maecenas – er akzeptiert den Unterschied, fordert aber, dass auch Maecenas die Folgen anerkennt und Horaz bescheiden leben lässt (parvum parva decent, 44).20 Dabei liegt das Schlüsselwort dieser Verse vor allem in der adverbialen Zeitangabe iam non (44). Denn der Sprecher inszeniert sich, ähnlich wie in Epistel 1,1, als erfahrener cliens, der seine Ruhe endlich genießen darf: Bemühte sich der jüngere Horaz-Sprecher unter großen Anstrengungen, die städtischen aliena negotia centum, die etwa in sat. 2,6 vorkommen, zu erledigen, so gehören sie nunmehr zur Vergangenheit. Damit knüpft er implizit auch an die Verweigerung der officiosa sedulitas und der opella forensis vom Epistelanfang an. Die Erwähnung von vacuum Tibur und inbelle Tarentum (45) erinnert außerdem indirekt an das Motiv der vita solutorum misera ambitione gravique des ersten Satirenbuches (sat. 1,6,129)Horazsat. 1,6,129 und an die topische Gegenüberstellung von Stadt- und Landleben, etwa in sat. 2,6 oder epod. 2Horazsat. 2,6Horazepod. 2 – doch in epist. 1,7 wird das Landleben an sich nicht gepriesen, und dies muss betont werden.21 Denn im Mittelpunkt steht die Thematik des richtigen Schenkens.

Dies wird auch in den gleich darauffolgenden Versen gezeigt, in der sog. Philippus-Mena-Anekdote (epist. 1,7,46‑95).Horazepist. 1,7,46-95 Dort erfolgt einerseits die Gegenüberstellung von Stadt- und Landleben, doch andererseits wird diese nur als Ausgangspunkt der Thematik des Schenkens und seiner Folgen im Rahmen des Kontrasts zwischen innerer Freiheit und Abhängigkeit genutzt. Dabei unterscheidet sich diese letzte Erzählung nicht nur durch ihre Ausführlichkeit, sondern vor allem durch die explizite Vergleichbarkeit der Situation: Hier wird im Rom der Gegenwart gezeigt, wie ein patronus-cliens-Verhältnis entsteht und sich zu Ungunsten des cliens entwickelt, obwohl der patronus Hochachtung für den cliens hegt und aus Fürsorge für ihn handelt. Aber durch diese Fürsorge verliert der cliens die Eigenschaften, die ihm zuvor die Aufmerksamkeit und Hochachtung des patronus verschafft haben.

In dieser beinahe 50 Verse langen Erzählung treten zwei Figuren auf: der erfahrene und reiche Redner Philippus sowie der wohl jüngere, schüchterne praeco,22 Volteius Mena. Zwischen den beiden wird sich ein freundliches patronus-cliens-Verhältnis entwickeln, das aber durch problematische Elemente gekennzeichnet ist. Ob Philippus und Mena Horaz und Maecenas widerspiegeln sollen, ist eine berechtigte Frage, die allerdings nicht einfach beantwortet werden kann.23 Beide Figuren dürfen zwar als „parabolic counterparts of Maecenas and Horace“ gelten; jedoch ist mit Shackleton Bailey 1982, 159 zu betonen: „these sorry couples are caricatures“.

Als externer Beobachter beschreibt der Sprecher die Entstehung und den Verlauf des Verhältnisses. Die Erzählung ist in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil (46‑71) führt die Figuren in ihrer Ausgangssituation ein: Philippus wird als wohlhabender und alter Anwalt charakterisiert, der seine Aktivitäten auf dem Forum erledigt hat und sich auf dem weiten Heimweg befindet (46‑49). Der angehende cliens Mena wird dagegen erstens als ein namenloser Jemand (quendam, 50) vorgestellt, der von Philippus beobachtet wird. Schon die ersten Elemente deuten auf eine komische Inszenierung hin: Während sich Philippus aufgrund seines Alters über die zurückzulegende Wegstrecke zum Stadtteil der Carinae beschwert (48f.), wird Mena beim Barbier nach einem Haarschnitt beobachtet, wie er sich entspannt die Fingernägel manikürt (50f.). Er erweckt die Aufmerksamkeit des wohlhabenden Philippus, so dass dieser sich durch seinen Sklaven über die Herkunft und den Stand des Mannes informieren lässt (52‑54, ausdrücklich: quo sit patre quove patrono, 54).24 Nur durch diesen Bericht erfährt der Leser zugleich mit Philippus, wer dieser Jemand ist: Volteius Mena, ein freier Mann, der beruflich als praeco tätig und von geringem Einkommen, doch unbescholten ist (55f.). Er sei zudem fleißig und wisse seine Ruhe, das eigene Haus, Freunde, Spiele und Sport am Marsfeld zu genießen (55‑60) – ein einfacher Bürger also, der als honestus den idealen cliens-Typ darstellen könnte25. Daher lädt ihn Philippus zur cena ein.

Mena ist jedoch offensichtlich mit seiner bescheidenen Ruhe zufrieden, denn die Einladung lehnt er ab. Philippus ist überrascht und sein Sklave erklärt die Ablehnung maliziös mit der Angst oder Nachlässigkeit eines inprobus (60‑64). Am nächsten Tag trifft Philippus Mena allerdings auf dem Forum wieder; als praeco verkauft Mena dort dem gemeinen römischen Volk billiges Zeug (tunicato … popello, 65); Philippus grüßt ihn als Erster (66a). Da Mena als Bürger niedrigeren Standes als Erster hätte grüßen sollen, entschuldigt er sich: Aus Arbeitsüberlastung sei es ihm unmöglich gewesen, am frühen Morgen zu Philippus zu kommen (68, zur salutatio, denn Mena weiß von Philippus’ Interesse an ihm als cliens, lässt sich vermuten) oder ihn vorher auf dem Forum zu begrüßen (66b-69a). Philippus zeigt sich verständnisvoll und lädt ihn erneut zur cena ein. Dieses Mal kann Mena nicht ablehnen (69b-70). Der letzte Satz des Philippus betont das Verständnis für Menas Tätigkeit: ergo | post nonam venies; nunc i, rem strenuus auge (70b-71). Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Philippus für Mena ein Adjektiv verwendet, mit welchem der Horaz-Sprecher ihn am Anfang der Erzählung (46) charakterisiert hat: strenuus; es lässt sich folglich feststellen, inwieweit sich beide Figuren aus der Perspektive des Erzählers ähneln und worauf die Sympathie des Philippus für Mena basiert: auf inneren Werten – in diesem Falle: auf Fleiß und Arbeitseifer, d.h. Mena und Philippus gleichen sich in ihrer Selbsteinschätzung und ihrem Werteverständnis.

Im zweiten Teil (72‑95) ist der Verlauf des Verhältnisses bis zum Scheitern zu beobachten. Nach dem Besuch der cena bei Philippus entwickelt sich ein offenes patronus-cliens-Verhältnis zwischen den beiden Figuren: Der Erzähler signalisiert von Anfang an den wiederholten Besuch des Mena bei Philippus als eine Gefahr: Indem er Mena mit einem an einer unsichtbaren Angel gefangenen Fisch vergleicht (occultum … piscis ad hamum, 74), verdeutlicht der Sprecher, dass er das Leben als cliens als eine Freiheitsbedrohung betrachtet.26 Mena gerät nämlich als mane cliens et iam certus conviva (75) früh und abends in die Abhängigkeit des Philippus:27 Zur matutina salutatio verpflichtet, wird mit dem cliens auch als conviva zum Abendessen gerechnet. Wie vorher gezeigt wurde, knüpft das Substantiv conviva an convictor an und weist semantisch auf ein gewisses parasitäres Benehmen hin. Mena sieht die Gefahr nicht, die ihm droht – der Erzähler kennt sie dagegen gut: Mena habe sich durch den anscheinenden Wohlstand anlocken und täuschen lassen, und nun droht er, seine Freiheit zu verlieren.

Folglich wird Mena damit gleich am Versende gezwungen, Philippus auf Landreisen zu begleiten (iubetur | rura suburbana … comes ire, 75f.). Was gelassen und erfreulich beginnt, wird Mena bald zum Verhängnis: Philippus überzeugt Mena, ein Landgut zu erwerben, dafür leiht er ihm Geld und gewährt ihm ein Darlehen (80f.). Mit dem Erwerb des agellum beginnt jedoch für Mena die Katastrophe. Das sonst gelobte Landleben wird nun parodistisch als Verzweiflungsszenario dargestellt (82‑89). War Mena als vir urbanus ein gesunder und eleganter Mann, so ist er zum (abgearbeiteten) Bauern geworden (ex nitido fit rusticus, 83)28, der sich vor Anstrengungen zu Tode schuftet und aus Arbeitswahn und Sorgen zu altern beginnt (85).

Mit verum im Vers 86 wird die Anti-Idylle der vita rustica als Katastrophe präsentiert: Die Schafe wurden gestohlen, die Ziegen sind gestorben, die Ernte ist verhagelt, sogar der Ochse ist beim Pflügen verendet. Frustriert und zornig reitet Mena mitten in der Nacht zu Philippus (88‑89). Der Schluss der Erzählung wirkt humorvoll (90‑95): Schmutzig und mit ungepflegten Haaren (Verzweiflung betonende Elemente, als Gegenbild zur ersten Szene des Menas beim Barbier) lässt er sich plötzlich bei Philippus blicken (90). Scherzhaft deutet der patronus auf Menas offensichtliche Überarbeitung hin (durus … Voltei, nimis attentusque videris | esse mihi, 91f.), worauf die verzweifelte Antwort des cliens folgt (92‑95): Als miser (92) offenbart Mena seine Erschöpfung; die vom patronus gewollte vita rustica sei für ihn nicht geeignet. Pathetisch bittet er Philippus, ihn zurück in sein altes Leben zu lassen (95).

Die Frage ist natürlich, ob diese Bitte so einfach erfüllt werden kann. Sie ist hier zum einen mit der unerfüllbaren Forderung des Horaz an Maecenas, ihm die Jugend wiederzugeben, zu vergleichen, zum anderen ist sie mit der Ankündigung des Horaz in Beziehung zu setzen, dass er die Geschenke zurückgeben könnte. Das Verhältnis hat einen wichtigen Teil der Lebenszeit und Kraft des cliens in Anspruch genommen, die unwiederbringlich sind. Doch das Epimythion, mit der Erzählung und Brief schließen, betont, dass die Geschichte nicht dem Patron die Schuld zuweist, sondern den Beschenkten in die Verantwortung nimmt (epist. 1,7,96‑98):Horazepist. 1,7,96 98

qui semel aspexit quantum dimissa petitis

praestent, mature redeat repetatque relicta.

metiri se quemque suo modulo ac pede verum est.

Damit bleibt offen, ob die Lehre auf den Horaz-Erzähler, auf Mena oder auf beide zutrifft.29 Ideal und Ziel, die Ruhe und innere Freiheit, gelten trotzdem für beide. Die Erkenntnis der eigenen Bedürfnisse liegt in der Verantwortung des Einzelnen, und die Konsequenzen aus der Erkenntnis zu ziehen, ist seine Pflicht. Damit knüpft der Erzähler zwar an die Aussagen über sich selbst (cuncta resigno, 34 und donata reponere, 39) an, doch diese Möglichkeit müsste Horaz nur dann wahr machen, wenn Maecenas ihm tatsächlich die Freiheit nähme.30 Damit das nicht geschieht, muss Horaz aufrichtig seine Bedürfnisse äußern, wie er es in der Epistel tut. Mena und den Sprecher verbindet, dass ihre angestrebte Ruhe auf der früheren Bescheidenheit basiert und dass die beiden folglich zu ihrer jeweiligen Ruhe zurückkehren möchten (Horaz legt Wert auf die Ruhe des Landes, da er die Kraft der Jugend nicht mehr besitzt, dank derer er in der Stadt gut leben konnte; Mena sehnt sich nach der Stadt, wo er seine Muße genießen darf).31 Zwar sind die Parallelen zwischen der Philippus-Mena-Anekdote und dem Verhältnis zwischen Horaz und Maecenas evident, so dass sich daraus eine gewisse Spiegelung e contrario ersehen lässt; doch dass Mena und Philippus mit dem Sprecher und Maecenas gleichzusetzen sind, ist zu bezweifeln. Dem Leser (und wohl auch Maecenas) wird ein Alternativszenario vor Augen geführt, als wolle der Horaz-Sprecher zeigen, was passieren könnte, wenn der Patron den Klienten überfordert.32

Dabei ist auch an die Landmaus- und Stadtmaus-Geschichte in sat. 2,6 zu denken, selbst wenn die Land- und Stadtthematik dort das Ziel des Diskurses ist: Meinte die vor den Molossi canes, die die insidiae der Stadt darstellten, erschrockene Landmaus: haud mihi vita | est opus hac (115f.), so bittet nun der vor Erschöpfung zusammengebrochene cliens urbanus: obsecro et obtestor, vitae me redde priori (95). Menas Selbstbezeichnung als miser knüpft ebenso an sat. 2,6 an, denn auch dort charakterisiert sich der Sprecher als miser (sat. 2,6,59, s.o.). Es ist dennoch bemerkenswert, wie sich der cliens in dieser Epistel sogar grammatikalisch als Objekt zeigt (redde me, wie früher Mena als quendam dargestellt wurde), während die Maus in sat. 2,6 durch die aktive Absage an diese Lebensweise ihre Selbstständigkeit zu betonen versucht.Horazsat. 2,6

In epist. 1,7 geht es also zum einen um das Selbstverständnis der patroni, die einsehen müssen, dass sie in das Leben der clientes massiv eingreifen, und zum anderen um die Selbstverantwortung der clientes, die erkennen müssen, was für sie gut ist, um notfalls auch unangenehme Konsequenzen aus der Selbsterkenntnis zu ziehen. In beiden Fällen ist es ein Erkenntnisprozess, der multiperspektivische Reflexionen voraussetzt, wie sie Horaz sich und seinem Maecenas auch anhand der Fabeln und Erzählungen spielerisch ermöglicht. Damit erteilt er ihm gerade keine Absage, sondern signalisiert im Gegenteil Vertrauen, weil er ihn in seine Gedankenwelt einbezieht und zeigt, dass die Freundschaftsbeziehung einen wichtigen Teil seiner Reflexionen ausmacht und er darüber eben auch mit dem Freund in angemessener Offenheit, ohne die Hochachtung und die sozialen Unterschiede zu verletzen, sprechen möchte und kann.33 Damit wird die libertas, die Maecenas dem Horaz ermöglicht, als Ideal inszeniert.

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