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Duisburg Dellviertel, 24. April

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Im Arbeitszimmer von Knoop und Laurenzo herrschte Stille. Die Verkehrsgeräusche auf der vorbeiführenden Allee drangen nur bedingt in den Raum. Wenn man nicht genau darauf achtete, registrierte das Gehirn dies überhaupt nicht. Die Deckenbeleuchtung war ausgeschaltet. Nur der Schein der Schreibtischlampen machte die auf den Tischflächen verteilten Schriftstücke lesbar.

Die Sammlung von DIN A4 Blättern, die Knoop inzwischen mit Informationen gefüllt und danach sortiert hatte, hatten einen beachtlichen Umfang angenommen. Eigentlich war es Laurenzo gewesen, der die meisten Informationen herbeigeschafft hatte. Der Bursche hatte kaum Ahnung von Kriminalistik, aber in der Informationsbeschaffung aus dem Internet war er unschlagbar. Fragte Mikael nach einer Information, dann begannen Laurenzos Daumen auf den Bildschirm zu tanzen, bis der Taschencomputer ein Ergebnis ausspuckte. Das Tempo dieser Informationsbeschaffung war beeindruckend. Knoop merkte aber schnell, sein Kollege konnte zwar fix Antworten auf die Probleme finden, aber Knoop musste diese einordnen und bewerten. Andererseits musste Knoop selbstkritisch zugeben, eine solche Arbeit hätte er eigentlich vor seinem Besuch in Rheinhausen machen müssen. Er wusste, er neigte zu spontanen Handlungen. Diesmal hatte dieser Aktionismus glücklicherweise keine negativen Folgen für ihn gehabt. Er musste sich aber eingestehen, rückwirkend die Sache unterschätzt zu haben. Er hatte in ein Wespennetz gestochen. Dieses war weitaus gefährlicher, als er angenommen hatte.

Erst jetzt hatte er Fakten über die Rocker zusammengestellt. Dabei musste er erfahren, dieser Begriff war nur scheinbar amerikanisch. Ihn gab es im anglikanischen Sprachraum überhaupt nicht, vergleichbar dem Begriff Handy. Die treffendere Bezeichnung war >Biker<. Das Ursprungsland der Motorradbewegung waren zweifellos die Vereinigten Staaten von Amerika. Es gab diesen Zulauf schon zu einer Zeit, als sich Motorräder aus motorisierten Fahrrädern entwickelten. Wer den nordamerikanischen Kontinent kennt, seine geografische Ausdehnung und seiner Landschaft, die jeden Reisenden in ihren Bann schlägt, der wird verstehen, wie Motorradfahren auf diesem Kontinentteil schnell Anhänger fand. Nun stießen diese geografischen Dimensionen sehr schnell an eine Grenze, die zur Entscheidung zwang. Entweder gab man sich dem Rausch der Landschaft hin und empfand dies als Inbegriff von Freiheit. Der Preis dafür war die Unvereinbarkeit dieses Erlebnisses mit Beruf und Arbeit. Man konnte nicht Motorradfahren und arbeiten zugleich. So entstand der Ruf des freiheitsliebenden Rebellen gegen die als muffig empfundene bürgerliche Gesellschaft. Wer Freiheit nur so empfinden konnte, der war gezwungen schnell seinen Lebensunterhalt zu sichern. Dieser Weg führte konsequenterweise in die Illegalität, weil man nur so eine >schnelle Mark< machen konnte. Hier organisierten sich die, die man bei uns als Rocker bezeichneten.

Diejenigen, die Motorradfahren über die berufliche Existenz bestritten, fanden ihre Freiheit lediglich am Wochenende oder in der in Amerika kärglichen Urlaubszeit. Hier fanden sich Motorradfreunde zusammen, die einen Anteil von über 95 Prozent der Motorradfreunde hatten.

Knoop erkannte schnell, er hatte bislang nur Kontakt mit der ersten Gruppe gehabt. Diese würde ihn wohl auch nur in seinen weiteren Ermittlungen interessieren. Diese Gruppe von Bikern, er würde gerne bei dem Begriff Rocker bleiben, waren ein in sich geschlossener Kreis von Menschen, die von einem Club-President diktatorisch geführt wurden. Dieser setzte Überordnung und Unterwerfung ein, um seine Ziele in dieser Organisation zu erreichen. Dabei schreckte er vor Gewaltanwendungen nicht zurück. Ihm unterstanden Funktionsträger, die denen in deutschen Vereinen ähnliche Aufgaben wahrnehmen. Es gab einen stellvertretenden Präsidenten (Vice President), einen Schatzmeister, aber auch einen ortskundigen Führer bei Ausflügen (Road Captain), oder einen Sicherheitschef, der für die Disziplin in der Gruppe verantwortlich war. Jede Funktion wurde durch einen Aufnäher auf der Kutte erkennbar gemacht. So entstand eine kleine Kommandoebene von Befehlsempfängern und ein großer Rumpf williger und fügsamer Untertanen. Was die Mitglieder zusammenhielt, war die Zuweisung zu einer genauen Position in einer festgefügten Rangordnung, die Zugehörigkeit zu einer gewalteinflößenden Einheit und die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz. Das Mitglied zahlte für diese Annehmlichkeiten mit bedingungslosem Gehorsam und einem Schweigegelübde. Insofern unterschied sich dies Gruppierung nur wenig von Organisierter Kriminalität.

Weil in diesem Sektor eine Vielzahl solcher Bruderschaften bestanden, hatten sich einige markante Unterscheidungsmerkmale durchgesetzt. Um die Zugehörigkeit zu unterstreichen, hatte jede Gruppierung eigene Kennzeichen, die sie >Patches< bezeichneten. Diese waren riesige Aufnäher, die auf ärmellosen Jacken, Kutte genannt, den Rücken verzierten. Knoop erinnerte sich an den bluttriefenden Totenkopf, den er heute anschauen musste. Des Weiteren wurden Gebietsansprüche erhoben und diese mit Gewalt verteidigt. Dabei scheute man sich nicht, Waffen aller Art einzusetzen. Ein Grund, warum es beim LKA eine eigene Abteilung gab, die sich mit solchen Vergehen beschäftigte. Der Zugang zur Gruppe war streng begrenzt. Man kannte Anhänger (Hang Arounds), die keinerlei Rechte hatten. Aus diesen hob man Ausgewählte aus, die sich für diese Aufnahme bewähren mussten. Sie durften wohl eine Kutte tragen, auf denen aber noch kein Patch aufgenäht war. Dies stand nur Mitgliedern zu, die aber erst ein Aufnahmeritual - z.B.: Saufen von Bier mit Motoröl - über sich ergehen lassen mussten. Der Preis dieser Mitgliedschaft war eine lebenslange Zugehörigkeit zur Bruderschaft und das bedingungslose Einstehen für die anderen Mitglieder. Eine Vollmitgliedschaft von Frauen war ausgeschlossen. Knoop lehnte sich in seinem Sessel zurück. Er stützte den Nacken mit seinen Händen. Was er hier vorfand, waren frühzeitliche Regeln und verstaubte Weltbilder, die das Wesensmerkmal solcher MCs, wie sich diese Motorradclub abkürzten, ausmachten.

Das Folgende interessierte Knoop besonders. Der kriminelle Charakter solcher Bruderschaften war schlecht zu beweisen. Man hatte sich als Verein eintragen lassen. Das deutsche Vereinsrecht, eigentlich gedacht, die Freiheit von Bürgern zu erweitern und zu schützen, deckte auf diese Weise kriminelles Verhalten. Erteilte die öffentliche Verwaltung ein Vereinsverbot, dann wurde dagegen geklagt. Häufig reichen die Beweise für ein Verbot nicht aus. Teilweise waren Verfehlungen Einzelner dem Verein als solchem nicht anzulasten. Andererseits existieren Kontakte aus Fitnessstudios, Schullaufbahnen oder durch Gefälligkeiten (Geldzahlungen), wodurch die Betroffenen vorzeitig von Razzien oder Verwaltungsmaßnahmen erfuhren und deshalb rechtzeitig gegensteuern konnten. Ein Beispiel aus den Akten imponierte Knoop besonders. Bei einer Razzia erwarteten die Beamten ein unverschlossnes Gebäude. Ein an die Haustüre gehefteter Zettel bat die Polizei, nicht zu viel zu zerstören und bitte den Hund nicht zu erschießen. Knoop war sofort klar, wenn er erfolgreich agieren wollte, dann durfte keiner von seinen Aktionen erfahren.

Knoop las das Gesammelte ein weiteres Mal durch. Ihm wurde klar, er würde sich bei der Aufklärung in ein gefährliches Fahrwasser bewegen. Er musste nicht nur die Zahl der Mitwisser begrenzen, er durfte auch zu Hause nichts über die Gefährlichkeit seiner Ermittlungen verlauten lassen. Sein Gedankengang wurde jäh gestört.

„Übrigens, Wissen Sie, Sie stehen in der Zeitung?“

„So?“ Knoop ärgerte sich selbst über seine dümmliche Reaktion.

„Tja, nicht Sie persönlich, aber unser Fall.“

Knoop hatte gestern der Pressestelle einige kurze Informationen zusammengestellt. Er hatte aber nicht wirklich damit gerechnet, ob die Zeitungen etwas daraus machen würden. „Und welche Zeitung hat da was gebracht?“ Gleichzeitig freute er sich, der Neue hatte >uns< gesagt.

„Ich weiß nur von der NRZ, aber ich kann nachschauen, ob auch die anderen etwas veröffentlich haben.“

„Gut, tun Sie das. Ich hole mir inzwischen eine NRZ.“

„Hey Mann, wo leben Sie denn? Warten Sie, ich lade den Artikel eben runter.“ Die Daumen zeigten wieder ein Eigenleben. „Hier, wollen Sie lesen?“ Er hielt das Smarty in Richtung Knoop.

Knoop wollte. Er stand auf, um das Gerät zu nehmen. Seine Freude war aber schnell verraucht. Der Artikel brachte mehr als Knoop gemeldet hatte. Ja, er wurde zwar nicht namentlich genannt, aber doch als Kriminalpolizei Duisburg angesprochen. Der Redakteur schien auch etwas gegen die Prostitution zu haben, denn die Tote war für ihn der Aufhänger, um über die wilde Prostitution in Duisburg zu schimpfen. Gut war indes, man hatte ein Foto der Toten mit veröffentlicht und die Leser aufgefordert, sich zu melden, falls sie diese Person kannten.

„Was sagen Sie zu diesem Artikel?“ Er reichte Carlos Laurenzo das Handy zurück.“

„Tja, also“, stammelte dieser. „Wird wohl schon so stimmen. Ist ja sowieso nur eine Nutte.“

Knoops Gesicht lief rot an. Er zählte bewusst bis Fünf, bevor er antwortete. „Herr Kriminalassistent Laurenzo, ich habe langsam den Eindruck, wir können keine Freunde werden.“

Laurenzo wechselte die Gesichtsfarbe. Es sah aus, wie ein ertapptes Kind mit knallrotem Backen. Auch die Daumentätigkeit erstarb. „Hab´ ich was Falsches gesagt?“

„Als Kriminalist sollten Sie nie, ich betone nie, etwas unkritisch übernehmen. Auch eine Zeitung denkt an Sensationen, selten an sachlicher Aufklärung. Und dieser Artikel, er klopfte mit dem Zeigefinger auf das Gerät, „ist tendenziös. Das zum einen. Das können Sie vielleicht noch nicht wissen. Was ich Ihnen aber übel nehme, ist die abfällige Bemerkung über diese Tote. Egal, was ein Mensch gemacht hat oder nicht gemacht hat, ob er seine Frau schlägt oder Kinderpornos guckt. Keine, und ich wiederhole mich auch hier bewusst, keine Tat rechtfertigt, dass man ihn dafür ermordet. Ein Richter kann nach Abwägung aller Fakten solch schlimmes Verhalten in sein Urteil übernehmen. Wir hier“, er schaute Laurenzo wütend in die Augen, „wir hier ermitteln für jeden Menschen, der umgekommen ist. Merken Sie sich das.“

Knoop drehte sich abrupt um und ging zu seinen Schreibtisch. Er ärgerte sich noch eine Weile über dieses Jüngelchen, dann ärgerte er sich über sich selbst, weil er nicht mehr wusste, wo sein Gedankengang unterbrochen wurde.

„Herr Knoop?“ Die Stimme schien zögerlich. „Herr Knoop!“ Laurenzos Stimme klang, als habe man ihn in flagranti beim Stehlen am Bonbonglas erwischt.

Knoops schaute auf. Sein Blick war schon nicht mehr so abweisend, wie er vorhin geschaut hatte. Er sagte aber nichts.

„Entschuldigung. So habe ich das nicht gemeint.“

Knoops Stimme klang versöhnlicher. „Das kann ich nicht beurteilen, was Sie gemeint haben. Aber ausschlaggebend ist das, was Ihren Mund verlässt. Ich will nicht nachtragend sein, aber ich muss Ihnen deutlich machen, wie meine Einstellung zu diesem Thema ist.“ Gottseidank war er so ärgerlich, dieser erbarmungsvolle Gesichtsausdruck von Laurenzo würde ihn noch nicht einmal zum Schmunzeln bringen. Andererseits wollte er die weiße Fahne als Friedensangebot akzeptieren. „Nehmen Sie doch mit der Zeitung Kontakt auf, ob es da Meldungen von Zeugen gibt, die uns interessieren. Uns interessiert alles. Vielleicht hat jemand die Tote erkannt? Und bei unserer Pressestelle machen Sie das Gleiche.“

Carlos Laurenzo nickte eifrig. Seine Daumen erwachten wieder zum Leben. Wenig später hörte Knoop, wie er sich zu dem Redakteur der Zeitung durchstellen ließ.

Knoop hatte bei dem Geplänkel den Faden verloren. Unruhig trommelten seine Finger auf der Tischplatte. Richtig, nun fiel es ihm wieder ein. Er wollte Fakten für sein neues Betätigungsfeld zusammenstellen. Er lud die Dateien, die von LKA zu diesem Thema bereitgestellt wurden. Der Motorradclub der White Sculls war eher eine Motorradgang als Friede, Freude, Eierkuchen. Den Vereinscharakter hatten sie nur angenommen, um damit Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen sie zu erschweren. Schon zweimal war ihnen das erfolgreich geglückt. Das Gericht hatte jedes Mal die vorgelegten Beweise der Staatsanwaltschaft als nicht bedeutsam eingestuft. Verfehlung Einzelner eben. Eigentlich handelte es sich um eine kriminelle Vereinigung, aber die gesetzlichen Lücken erschwerten diesen Nachweis enorm. Die Sculls waren im Drogengeschäft ebenso verwickelt wie in der Prostitution. Auch den Waffenhandel bedienten sie. Groß eingestiegen waren sie im Schutzgeldgeschäft als Sicherheitsunternehmen, meist in der Gastronomie. Es gab Hinweise, griechische und chinesische Gaststätten gehörten zu ihren Kunden. Aber die Angst der Kunden und die Schweigsamkeit der Vereinsmitglieder machten eine Beweisführung schwer. Jede Ermittlung war bislang im Sande verlaufen. So war ihr President, Georg Minkewitz, ein bunter Vogel. Anklagen wegen Körperverletzungen waren massenhaft vorhanden. Überführt wurde er nur zweimal. Er verstand es meisterhaft, Zeugen auftreiben zu können, die seine Unschuld oder Abwesenheit vom Tatort beglaubigten. Angeklagt war er auch, weil er einen Polizeibeamten krankenhausreif geschlagen hatte. Stolz trug er deshalb das Dequiallo-Abzeichen auf seiner Kutte. Er hatte sogar die Frechheit, dieses Kleidungsstück bei seiner Gerichtsverhandlung zu tragen. Er konnte aber drei Personen namhaft machen, die mit ihm zur Tatzeit im Westerwald eine Motorradtour gemacht hatten. Das Abzeichen auf der Kutte wertete der Richter indes nicht als Tateingeständnis. Erfolglose Ermittlungen von Drogenvergehen und Waffenhandel füllten mehrere Seiten der Akte, die Knoop ausdruckte. Die Seiten waren so umfangreich. Er musste die Blätter auf der Schreibtischplatte längs und quer aufstauchen, um sie dann lochen zu können.

Knoop wollte Klarheit in seine Gedanken bringen. Dies gelang ihm am besten, wenn er eine unbedeutende Tätigkeiten durchführte. Er schaute zu Laurenzo herüber. Dieser war wieder mit seinem Smartphone beschäftigt. Eine Störung war somit ausgeschlossen. Der bei einer solchen Arbeit nicht benötigte Teil seines Gehirns beschäftigte sich weiter mit der künftigen Aufgabe. Es war, wenn man so wollte, ein Vorsortieren, oder das Anlegen von gedanklichen Notizzetteln. Wenn er sich dann dieser Ordnungsarbeit zuwendete, dann empfand er diese Vorarbeit produktiv für seine Überlegungen. Er entschied sich, seine Schreibtischplatte aufzuräumen. Diese hatte es so wie so nötig. Er ordnete Papiere, lochte Blätter und heftete ab - der sogenannte akademische Dreikampf. Hefter wurden beschriftet, dann entweder einem Ablagesystem zugeordnet, oder wurden mit anderen zusammengebunden. All dies waren Arbeiten, zu denen er manchmal zu bequem war, diese zu erledigen, oder zu denen er einfach keine Zeit dazu fand.

Zufrieden über diese neue Ordnung setzte er sich an seinen Arbeitsplatz und strich mehrmals selbstgenügsam über die leere Arbeitsplatte. Aus einem Schubgefache nahm er einige leere Blätter und aus einem Sammler einen der Kugelschreiber.

Wie ging er an diese Aufgabe heran?

Van Gelderen würde ihm nicht helfen. Den durfte er auf keinen Fall fragen. Schlimmstenfalls würde er ihn als ungeeignet einstufen und einem anderen Knoops Aufgabe zuteilen.

Dirk Spannhof würde wenig Lust verspüren, hier zu helfen. Er würde also keine wichtige Hilfe sein. Weitere Hilfsmöglichkeiten sah er nicht, noch nicht. Es stand also fest, er war auf sich allein angewiesen. Bei so einem normalen Nuttenmord war dies auch keine problematische Situation. Die Öffentlichkeit interessierte sich für ein solches Vergehen kaum. Das zeigte auch das Presseecho. Allen Tageszeitungen war dieser Vorgang nur fünf Zeilen wert gewesen. Laurenzo hatte dies ja eben bestätigt. Keine Zeitung hatte bei der Pressestelle der Staatsanwaltschaft nachgefragt, als man diese Nachricht herausgegeben hatte. Keiner fragte nach weiteren Informationen. Bei einem nachhaltigeren Presseinteresse, da war sich Knoop sicher, hätte van Gelderen selbst die Federführung beansprucht. Aber Kleinvieh machte auch Mist. Dieser Spruch seiner Mutter war ihm immer ein Leitmotiv gewesen. Er hatte eine Aufgabe zugewiesen bekommen – eine interessante, wie er fand – und diese würde er nach besten Kräften lösen.

Schön und gut, aber wie, ja, wie sollte er vorgehen? Er wurde jäh aus seinen Grübeleien gerissen.

„Wo kann man hier einen Kaffee bekommen?“ Laurenzo stand mit einer leeren Tasse vor seinem Schreibtisch. „Entschuldigung, wenn ich störe.“

Knoop war hochgeschreckt. Die Daumen hatten wohl vom ständigen Wischen Durst bekommen, dachte er. Knoop erklärte Laurenzo, wo er die Kaffeebude finden würde. Lautlos verschwand sein neuer Assistent aus dem Raum.

Knoop überlegte, wo er stecken geblieben war. Ach, ja richtig. Festlegung seiner Vorgehensweise. Nun, diese Frage war gleichbedeutend mit dem Problem verbunden, wie kam er an Informationen heran? Hier konnte ihm sein elektronischer Auskunftsgeber von Gegenüber nicht helfen. Eigentlich wusste Mikael viel zu wenig über die Umstände und Hintergründe dieses Vergehens. Sicherlich, er hatte einige Auskünfte bekommen und einiges herausgefunden. Aber wirklich Wichtiges war all dies nicht. Zu dem war dieser Mord in einer Szene geschehen, die als schweigsam bekannt war. Sein Besuch in dem Motorradclub der White Sculls hatte deutlich gemacht, wie verschwiegen diese Brüder waren. Sie würden sich keinesfalls in die Karten gucken lassen. Aber auch dieses Verhalten war im Grunde nicht Unerwartetes. Kein Täter posaunte seine Tat heraus. Ein kriminologisches Grundgesetz quasi. Aber das Knacken solcher Nüsse machte seine Arbeit ja so interessant. Knoop schrieb seine Gedanken nieder, wie sie ihm einfielen. Er ordnete nicht, sammelte nur. Auch verbiss er sich den Drang, Gedanken zu streichen, die ihm sofort als fraglich erschienen. Als ihm nichts mehr einfiel, warf er den Kuli auf das Blatt und erhob sich, um sich ebenfalls in der Kantine einen Becher Kaffee zu holen.

Am Automaten in der Kantine standen Dirk Spannhof und Carlos Laurenzo zusammen. Beide unterhielten sich über das Smarty, welches der letztere in der hohlen Hand hielt. Laurenzo schien wohl ein ziemlich aktuelles Gerät zu besitzen, denn Dirk ließ sich irgendwelche Funktionen erklären, die ihm neu erschienen. Normalerweise brühte Mikael seinen Kaffee immer frisch auf. Ulf Metzler, mit der er seinen Arbeitsraum teilte, war außer Haus. Bei einer Person lohnte sich der Einsatz ihres Kaffeekochers nicht. Abgestandener Kaffee, der stundenlang in einer Kaffeemaschine brodelte, war Knoop ein Graus. Er wollte seine Kaffeedurst schnell befriedigen, aber der Kaffeeautomat arbeitete ihm heute zu langsam. So schielte er zu den beiden Technikfreaks hinüber. Er verstand nur wenig davon, was die beiden an Informationen austauschten. Ein, zwei Mal versuchte er durch Fragen mit den beiden in ein Gespräch zu kommen, aber Spannhof und Laurenzo waren so beschäftigt, dass sie ihn überhaupt nicht wahrnahmen. Knoop fühlte sich fehl an Platze und schaute nach seinem Kaffee. Spannhof direkt anzusprechen und nach seinem aktuellen Arbeitseinsatz zu fragen, verbot ihm sein Stolz. Er gab diesen Einfall sofort auf, wie er entstand. Zudem beachteten die beiden Technikfreaks ihn nicht. Dampfend und zischend spuckte der Automat den letzten Rest des durch die gemahlenen Bohnen gepressten heißen Wasser in den Becher und beendete gurgelnd seine Aufgabe. So machte Knoop noch ein paar belanglose Bemerkungen, die so wie so keiner hörte, und ging in sein Zimmer zurück.

Erneut studierte Knoop seine Stichworte. Einige Punkte strich er heraus, die ihm als zu rechtsbeugend erschienen. Er war sich im klaren, er musste Unruhe in die Szene bringen. Am besten erschien ihm hier der andere MC, von dem Metaller gesprochen hatte. Es dauerte eine Weile, bis ihm der Name einfiel, den Metaller ihm genannt hatte. Richtig, Satan Sons war die Bezeichnung gewesen. Nur, wenn sich die Sculls und die Satan gegenseitig beharkten, sah er Möglichkeiten, an Informationen zu kommen. Denunziation schien ihn hier der erfolgversprechende Weg zu sein. Am liebsten hätte er Motorräder in die Luft gesprengt, Reifen zerstochen, oder eine Scheune in Winkelhausen angesteckt, um diese Schandtaten dann der anderen Seite in die Schuhe zu schieben. Mittel, die fraglos einen Krieg zwischen den beiden Gruppen ausgelöst hätten. Aber dies war illegal und würde kurz oder lang herauskommen. Nein, es war sein Ehrgeiz, mit gesetzlichen Mitteln sein Ziel zu erreichen. Er war überzeugt, er konnte diesen Weg erfolgreich beschreiten. Allerdings, Lücken des Gesetzes garantierten nicht nur Vorteile für den Verbrecher, sie galten auch für ihn.

Das Klingeln auf Seiten des angerufenen Apparates wurde von der Hörmuschel wiedergegeben. Der Ruf ging durch, aber auf anderen Seite ging keiner ans Telefon. Der Melderuf erschallte periodisch. Knoop klopfte ungeduldig mit dem Schreiber auf die Tischplatte. Er war sich sicher, jemand musste an der anderen Leitung sein. Er trank einen Schluck Kaffee. Er hatte gerade seinen Mund mit dem herben Getränk gefüllt, als sich am anderen Ende der Leitung jemand unwirsch meldete.

„Ja?“ Die Stimme war außer Atem.

Knoop verschluckte sich und hustete einen Teil der Flüssigkeit in seine Hand.

„Wer ist dort? ... Hey, melden Sie sich doch!“ Die Stimme klang nun wirklich ungehalten.

„Entschuldigung! Knoop hier. Ist dort Metaller?“ Seine Stimmbänder bemühten sich, normal zu klingen. Mehrmals räusperte er sich, bis er sich im Hals wieder wohler fühlte.

„Ach, Knoop. Sie sind´s. Ich dachte, so ein Spaßvogel wollte mich auf den Arm nehmen, weil sich keiner meldete. Ich muss erst einmal durchatmen. Komme gerade von einer Besprechung und höre mein Telefon die ganze Zeit bimmeln. Da bin ich gelaufen. Na ja. Ich bin auch nicht mehr der Jüngste. Was kann ich für Sie tun, Kollege Knoop?“

Knoops Stimme hatte sich gefestigt. „Entschuldigung. Ich habe mich am Kaffee verschluckt. Aber jetzt geht’s wieder. Herr Metaller, ich habe da eine Frage. Planen Sie in absehbarer Zeit eine Razzia gegen die White Sculls in Rheinhausen?“

„Ach, sind das die Brüder, welche die Nutte getötet haben sollen?“

„Ja. Ich war bei denen in Rheinhausen. Sie waren wenig kommunikationsfreudig. Ich dachte, wenn wir denen die Geschäfte erschweren, dann redet vielleicht der ein oder andere.“

Metaller schwieg. Nur ein Räuspern war zu hören. „Ich glaube, Sie versprechen sich zu viel davon. Aber das ist ja Ihre Sache. Nun gut, die Razzia. Wissen Sie, so mirnichts dirnichts ist eine Razzia nicht durchzuführen. Das wissen Sie doch. Das müssen wir vorbereiten.“

Die Leitung schien tot zu sein, als warte Metaller auf eine Antwort. Auch Knoop überlegte. Er war enttäuscht. Er hatte auf einen baldigen Termin gehofft. Nun löste sich alles in Luft auf.

„Wie lange dauert denn eine solche Vorbereitung?“ Mikael wollte den Gedanken nicht kampflos beerdigen.

Metaller lachte. „Vierzehn Tage bestimmt, wenn nicht länger. Planung. Genehmigung. Sie wissen ja.“

Knoops Enttäuschung spiegelte sich in seiner Stimme. „Na, dann kann man nichts machen. Ich melde mich dann wieder.“ Er wollte gerade auflegen, als er Bruno Metallers Stimme hörte. Blitzschnell wanderte der Hörer an sein Ohr. „Ich habe einen Moment nicht aufgepasst. Was haben Sie gesagt?“

„Ich sagte gerade, wenn es Ihnen um das Kennenlernen der Szene geht, dann habe ich da etwas für Sie. Wir führen morgen eine Razzia bei den Satan Sons durch. Ist noch geheim. Bitte reden Sie darüber nicht.“

Knoop atmete durch. „Bei den Jungs aus Lirich? Natürlich sage ich nichts. Darauf können Sie sich verlassen. Ich würde gerne dabei sein. Wann geht es morgen los?“

Mikael ließ sich von Metaller in groben Zügen erklären, wie der morgige Ablauf geplant war, welche Objekte durchsucht werden mussten und wo er sich einzufinden hatte. Dann trennte er die Verbindung.

Lange Zeit starrte Knoop auf das beschriebene Blatt, welches vor ihm lag. Eine andere Situation erforderte ein anderes Vorgehen. Als sein Plan in seinem Kopf entstand, brauchte er keine Notizen mehr zu machen.

Der Flug des Fasans

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