Читать книгу Der Flug des Fasans - Volker Buchloh - Страница 27

Oberhausen Lirich, 25. April

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Das Fahrlicht des Motorrades pendelte sacht über den Asphalt hin und zurück. Dies war immer dann der Fall, wenn es galt, eines der vielen Schlaglöcher zu umfahren. Der Mann fuhr zügig, aber nicht zu schnell. Er hatte wenig Zeit, aber er wollte nichts überstürzen. Er brauchte noch ein wenig Zeit, um zu überlegen, was er den Kumpeln sagen sollte. Wasser spritzte aus einigen Löchern empor, die er nicht vermeiden konnte zu umfahren. An seinen Lederstiefeln perlten die schmutzigen Tropfen herunter. Aber das beachtete der Mann nicht. In der Nähe seines Zieles änderte der Fahrer sein Verhalten. Er schaute sich um, ob er irgendetwas Verdächtiges bemerken würde. Aber alles blieb ruhig. Die Dunkelheit hatte die umliegenden Fabrikbauten zu einem diffusen Gebilde zusammengeschweißt. Die einzige Beleuchtung kam vom Scheinwerfer seiner Maschine und dieser schaffte gerade nur, einen schmalen Spalt aus dieser Finsternis herauszuschneiden. Er drosselte den Motor auf Leerlauf und betätigte die Bremse. Bevor er das kleine Tor öffnete, schaute er sich erneut um. Die Situation schien unverändert. Mit dem Öffnen des Einlasses ergoss sich eine Lichtflut über den Vorhof. Der Infrarot Stahl hatte angesprochen. Das interessierte den Mann am Lenker aber nicht mehr. Mit seinem Betreten der Halle erstarb das Gemurmel der Versammelten. Überschwänglich wurde er zu dieser frühen Stunde begrüßt.

„Der Boss ist da.“

„Hallo Spagetti.“

„Da ist Spagetti ja endlich.“

„Gut, dass du da bist, Bruder.“

„Na. Dann können wir ja endlich anfangen.“

Silvio „Spagetti“ Laufgen begrüßte die Anwesenden durch Heben seiner rechten Hand. Er hatte seinen Spitznamen seiner Mutter zu verdanken. Sie war gebürtige Sizilianerin. Mit der Ehe gab sie ihren Familiennamen Canterezza auf. Irgend eine sizilianische Identität sollte aber ihr Sohn haben. So wurde das Säugling nach ihrem Großvater benannt, der Mario gerufen wurde. Bei einem der Saufgelage schon zu Beginn seiner Mitgliedschaft bei den Satan hatte er diese Geschichte erzählt. Für seine Kumpel gab es keine Unterscheidung. Sizilien und Italien waren ein und dasselbe. Und Spagetti war eine italienische Nationalspeise. So hatte er seinen Spitznamen weg. Das blieb auch so, selbst als er sich zum Presidenten der Satan Sons machen konnte. Aber er wurde nun mit Anerkennung und Respekt ausgesprochen. Spagetti zog seine Maschine auf den Ständer und versuchte, den Schmutz seiner Stiefel durch mehrmaliges Auftreten abzuschütteln. Er zog die Tulpenhandschuhe aus und öffnete den Verschluss seines Helms. Das piratenförmige Tuch um seinen Kopf wurde sichtbar. Der Geruch von Öl und Benzin lag in der Luft.

„Kommt! Wir setzen uns drinnen zusammen. Chaos, holst du mir ein Bier?“

Frank „Chaos“ Rüsting war der Road Captain der Satans. Wortlos stapfte er den anderen voraus. Die Fratze mit dem langen, schmalen Gesicht auf dem Rücken seiner Kutte schien sich bei jedem Schritt zu bewegen. Die grüne Haut gab der Fratze ein unheimliches Aussehen. Die blutroten Augen täuschten eine Angriffslust vor, welche eine Drohung beschwor, sich von diesem Menschen fernzuhalten. Die anderen Clubmitglieder folgten ihm. Im Innern des Clubhauses schob man einige Ledersofas zusammen, dann flegelte man sich in die Polster.

„So, wer kann mir sagen, was da gelaufen ist?“ Silvio Laufgen legte die Stiefel auf das Polster des gegenüberliegenden Sofas. Er streckte seine rechte Hand aus. Chaos musste sich beeilen, die Flasche Bier in die fordernde Hand zu stellen. Erst als sein Chef trank, nahm er selbst einen Zug aus seiner Flasche. Laufgen rülpste laut und anhaltend.

Alle reden wild durcheinander. Der President legte seine Stirne in Falten. Dabei trat er ein zufällig nah stehendes Mitglied so hart vor den Oberschenkel, dass dieser durch den Raum segelte. Da wurde es schlagartig ruhig.

„Ratte, du warst doch dabei. Ich will sofort wissen, was da abgelaufen ist. Habt ihr kapiert? Sofort!“ Ratte war der Spitzname seines Vice-President. Mit bürgerlichem Namen hieß er Theo Speckert. Speckert hatte eine gedrungene Figur. Man sah sofort, dieser liebte das Essen. Den Spitznamen hatte er von seinen engstehenden Augen. Wenn er jemanden anschaute, dann hatte man tatsächlich den Eindruck, eine Ratte befände sich auf dem Sprung. Laufgen hatte ihn auf diesen Posten wählen lassen, weil er Kenntnisse von Wirtschaft besaß. Er hatte ein Studium der Betriebswirtschaft abbrechen müssen, weil er wegen eines versuchten Totschlags für fünf Jahre in den Knast musste. Danach hatte er keine Füße mehr auf den Boden der sogenannten bürgerlichen Gesellschaft setzen können. Die Kameradschaft der Satans hatte ihm die Anerkennung gegeben, die er vergeblich gesucht hatte. Und einer, der von Geld etwas verstand, war in diesen Kreisen eine Seltenheit. Außerdem war er Laufgen völlig ergeben.

Ratte zog an den Enden seiner Kutte. Er setzte sich auf die breite Armlehne eines braunfarbenen Ledersessels. „Die Polypen haben heute drei unserer Hotels besucht. Ich habe gehört, andere waren auch dran. Aber bei uns waren es gleich drei. Wenn ihr mich fragt, dann...“

„Im Moment fragt dich keiner.“ Der Ärger stand dem Presidenten im Gesicht geschrieben. „Warum haben wir davon vorher nichts erfahren? Wofür zahlen wir denn für unseren Mann bei der Sitte?“ President Laufgens Stimme klang ungehalten. Das Bier interessierte ihn auf einmal nicht mehr. Er knallte die Flasche auf den Boden. Schaum stieg nach oben. Durch die Verengung des Flaschenhalses spritzte er in alle Richtungen, bis er nur über den Flaschenhals herunter rann.

„Sicher“, versuchte Speckert zu beschwichtigen. Aber der sitzt in Duisburg. Diesmal haben die Wichser von Oberhausen die Planung übernommen und der Leiter der Duisburger Sitte...“ Er zögerte.

„Metaller!“, warf Jonny Töbela, der Sheriff der Satan Sons, ein.

„Richtig, Metaller. Der hat wohl diesmal dicht gehalten. Unser Mann wusste von rein gar nichts.“ Ratte zuckte mit den Schultern.

„Scheiße!“, schrie Laufgen. „Und was hat uns diese Scheiße gekostet, Vogel?“

Diederich „Vogel“ Drosse war der Schatzmeister des Vereins. Es war erkennbar sein Hausname, der ihm diesen Spottnamen eingebracht hatte. Er strich mit der Hand über seine Igelfrisur. Die Haare reckten sich nach der Behandlung sofort wieder in die Höhe. „Ich kann das nur überschlagsmäßig sagen. Die Bullen haben so an die hunderttausend beschlagnahmt.“

Ein Fluchen kam aus den Mündern seiner Kameraden.

Vogel bewegte beruhigend seine Hand. „Keine Panik, Brüder. Unser Gewerbe ist angemeldet, wir zahlen Steuer. Ich glaube nicht, die Bullen sind hinter unsere Finanzierungstricks gekommen. Sonst wäre das Finanzamt hier angerückt und nicht die Sitte. Es ging denen nur um die Tussis und die Freier. Die werden uns die Moneten wieder herausrücken müssen.“ Er strich das Leder seiner Hose glatt. „Wozu gibt es denn Gesetze?“

Die Runde lachte.

„Haben wir genug Reserven bis zur Erstattung?“

Ratte, der Vice, richtete sich in den Polstern auf. „Ich hole mir auch ein Bier.“

Vogel hob beschwichtigend die Arme. „Keine Sorge, Bruder. Wir haben noch einiges auf dem Drogenkonto. Sonst greifen wir auf unsere Reserven zurück.“

Ratte drehte sich um und lachte. Der Unmut verschwand langsam aus den Zügen des Presidenten. „Na, wenigstens eine gute Nachricht. Was ist mit den Tussis?“ Mit den Fingern schnippte er das ausgetretene Bier von seiner Hose. Trotzdem tropfte einiges auf sein Shirt. Das Bier gurgelte seine Kehle herab.

Jonny Töbela fühlte sich angesprochen. Er war als Sheriff des Vereins für die Aufrechterhaltung der Ordnung und Einhaltung der Regeln verantwortlich. Er ahndete kleinere Verstöße selbst. Nur bei massiven Verletzungen der Regeln entschied der Vorstand über die zu treffenden Maßnahmen. In der Regel war dies Laufgen selbst. Töbela war ein Riese. Bei jeder seiner Bewegungen schwangen riesige Muskelpakete mit. Allein schon seine Statur verbot jeden Widerspruch. Sogar muskelbepackte Mitglieder scheuten vor einer Konfrontation mit ihm zurück. Mit Ausnahme seines Kopfes war sein gesamter Körper mit Tattoos bedeckt. Spötter behaupteten, Jonny habe sich alle Clubregeln tätowieren lassen, um nicht immer im Regelbuch nachschauen zu müssen.

Töbela schüttelte seinen Kopf. Die langen fettigen Haare flogen hin und her. „Die haben nur drei von den Fotzen mitgenommen. Ich glaube, da war irgendetwas mit den Aufenthaltsgenehmigungen nicht in Ordnung. Aber ich meine, wir brauchen uns keine Gedanken zu machen. Seitdem die Weiber alle als Selbstständige bei uns arbeiten, haben die dafür zu sorgen, alle Auflagen zu erfüllen. Wenn nicht, dann werden die eben abgeschoben. Ihr Pech.“ Er schnipste mit den Fingern und bewegte dabei seine Hand nach hinten.

„Bis auf die Bulgaren“, wandte Droste ein.

Töbela winkte abwertend mit der Hand. „Die arbeiten auf der Straße, nicht in den Hotels.“

„Dann lassen wir wieder Frischfleisch aus der Ukraine kommen. Die Moldawier werden auch immer billiger.“ Laufgen furzte hörbar.

„Das sind die Gesetze des Marktes, Brüder.“ Der Vice lächelte als er sich wieder hinsetzte. Seine Flasche knallte mit des seines Presidenten zusammen. „Prost!“

Die anderen brachen in ein schallendes Gelächter aus.

„Na, dann ist es ja besser gelaufen als ich befürchtet habe.“ Laufgen trank seine Flasche leer und wollte sich erheben. „Dann können wir...“

Der Sheriff der Satan Sons beeilte sich, dazwischen zu kommen. „Brüder, ich habe da noch eine Sache. Ich weiß nicht, wie wichtig das ist, aber ich muss es Euch sagen.“

Alle schauten Jonny Töbela an. Auch Laufgen ließ sich erneut wie ein Stein in die Polster fallen. Er rülpste erneut und strich über seinen Bauch.

Jonny schüttelte seinen Kopf. Er fuhr mit seinen Fingern durch das fettige Haar. „Unsere Leute haben da was mitbekommen. Und zwar unabhängig von einander. In mehreren Puffs sogar.“ Er schaute in die Runde.

„Hey, Bruder, mach´ es nicht so spannend. Auf Laufgens Stirn erschienen Unmutsfalten.

„Okay! Die haben gehört, der Tipp für die Razzia kam von den Sculls.“

Die Empörung brach sich Bahn. Alle redeten durcheinander.

„Schnauze!“, schrie Laufgen.

Sofort erstickten die Geräusche.

„Ich weiß es von mehreren unterschiedlichen Stellen, so muss es gewesen sein.“

Wieder wirbelten die Stimmen durcheinander.

Mit viel Kraft knallte Silvio Laufgen die Flasche Bier wieder auf den Boden. Nur war diesmal zu wenig Bier darin. Da konnte nichts mehr austreten. „Das werden wir uns nicht gefallen lassen. Den Wichsern zeigen wir es“

„Genau!“ „Richtig!“ „Wir lassen uns nicht anpissen, Brüder! Von denen schon gar nicht! Das haben wir nicht nötig. Komm, wir fahren rüber und versenken die Schwuchteln im Rhein.“ Rufe aus dem Hintergrund begleiteten zustimmend die Worte des Presidenten.

Laufgen hob seinen Arm. „Hey, ihr Arschlöcher. Haltet alle mal eure Schnauze. Ihr habt doch nur Scheiße im Hirn. So etwas muss genau vorbereitet werden. Ich und Ratte werden dies machen. Morgen Abend haben alle hier zu sein. Habt ihr kapiert?“

Ein zustimmendes Murmeln erfüllte den Raum.

Laufgen lehnte sich gemütlich in seinem Ledersessel zurück. „Na gut, dann ist das beschlossene Sache. Hey Leute, ich geb’ `ne Runde. Chaos, bring mir ein Bier, Bruder.“

Der Flug des Fasans

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