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Duisburg Ruhrort, 24. April

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Die Firma Europak war ein Unternehmen des Dienstleistungssektors. Sie hatte sich auf das Bepacken von Containern spezialisiert. Der nationale und internationale Güterverkehr - sei es per Lkw, Bahn oder Schiff – war ohne Container nicht mehr denkbar. Alles, was transportiert werden musste, konnte nur über diese Metallboxen befördert werden. Dabei spielt es keinen Unterschied, ob es sich um große Maschinenteile handelt, oder kleinere Stückgüter. Die Umschlagsmenge, die über solche Container tagtäglich erfolgte, hatte ein solches Ausmaß erreicht, dass eine Kontrolle des Inhalts kaum mehr möglich war. Großfirmen, die eigenständig mit den Containern arbeiteten, waren leichter haftbar zu machen, wenn irgend etwas Verbotenes aufgedeckt wurde. Nach den deutschen Außenwirtschaftsgesetzen war beispielsweise der Export von Kriegsgütern und Produkten, die dafür abgeändert werden könnten, genehmigungspflichtig. Ein Verbot ohne Kontrolle ist wie heiße Luft im Hochsommer. Hätte man die Absicht, nur ein Prozent der Umschlagsmenge zu kontrollieren, dann wäre eine solche Arbeit schon nicht mehr leistbar oder der Güterverkehr brach zusammen. Das Entladen eines Containers als Kontrollmaßnahme kam nur im Falle eines konkreten Verdachts infrage. Um diesen aussprechen zu können, musste man wissen, was die jeweiligen Containern enthielten. Die Entwicklung der Technik hatte es möglich gemacht, mit der Codierung des Containers auch der Inhalt zu digitalisieren. Damit begnügt man sich bei einer Kontrolle in der Regel.

Die Firma Europak hatte sich in einer Marktnische eingerichtet. Sie belud Container mit Stückgütern. Die verladenen Teilmengen wurden hier codiert und in eine Ladeliste aufgenommen. Sodann wurde der Containercode samt Ladeliste dem Zoll gemailt. Um dieses Geschäft durchführen zu können, war Europak vom Zoll lizenziert worden. Der daraufhin verplombte Container wurde dann innerhalb von Duisport zu Bestimmungsort transportiert, von wo aus er auf seine Bestimmungsreise geht. Duisport hieß die Trägergesellschaft, welche das gesamte Gebiet der ehemaligen Duisburg-Ruhrorter-Häfen managte. Wegen dieser weitverbreiteten Transportverbindung hatte sich Europak auf dem Gebiet logport 1 angesiedelt. Daneben gab es noch den Freihafen Duisburg, ein exterritoriales Gebiet. Güter, die sich hier befanden, hatten die Außenhandelsgrenze der Bundesrepublik Deutschland bereits überschritten. Von hier aus gingen die Container in den internationalen Güterverkehr.

Der Container mit dem Bestimmungsort Libanon stand geöffnet inmitten einer Freifläche der Firma Europak. Die Gabelstapler konnten so je nach Bedarf herumkurven. Nach dem Beladen sollte er versiegelt und dann zum Freihafen gebracht werden. Der Fahrer des Gabelstaplers hatte seinen Containercode in das Menü seines Fahrzeugs eingegeben. Daraufhin hatte das Programm eine Liste von den Paletten ausgespuckt, die in diesen Metallbehälter zu verladen waren. Klickte man den jeweiligen Listenpunkt an, dann wurde ein Lageplan sichtbar, wo man die Palette finden würde. Die Informationstechnik machte solche Arbeiten überschaubar und einfach.

Die Arbeitsorganisation von Europak war, wie in anderen Firmen auch, hierarchisch strukturiert. In der Entscheidungsebene saßen Deutsche, denen man viel Geld für ihre Arbeit zahlen musste. Ausgeführt wurde die Arbeit dann von Hilfskräften, die das bekamen, was gemeinhin als Mindestlohn bezeichnet wurde.

Shalih al Shalud war eine solche Hilfskraft. Man hatte ihn eingestellt, um einen der vielen Gabelstapler zu bedienen, die hier herumfuhren. Shalih war keine ungelernte Kraft. Gelernt hatte er Bauingenieurswesen. Er hatte auch als solcher mehrere Jahre gearbeitet. Als er vor zwölf Jahren seine Heimat, den Libanon, verlassen musste und nach Deutschland kam, hatten die deutschen Behörden seine Abschlusszeugnisse nicht anerkannt. Der Mann hinter dem Schreibtisch hatte von Testaten geredet und fehlenden Qualifikationen, die es ihm leider nicht möglich machten, Shalud in seinem gelernten Beruf unterzubringen. Shalih war froh, der Hölle im Libanon entflohen zu sein. Gleichzeitig war er dankbar, in Deutschland so bereitwillig aufgenommen worden zu sein. So fügte er sich in die Entscheidung dieser Behörde und biss in den sauren Apfel.

Ja, das Schicksal hatte es nicht gut mit ihm gemeint. Als Bauingenieur war es ihm gut gegangen. Er hätte nie daran gedacht, es könnte einmal mit ihm so enden. Er gehörte zum engeren Stab eines Konzerns, der Einkaufszentren oder Wohnblöcke baute. Und in einem Land, welches periodisch von Krieg heimgesucht wurde, gab es immer etwas zu bauen. Eigentlich war ein solcher Job eine sichere Bank. Jedenfalls hatte Shalud das geglaubt, als er hier anfing. Als die Hisbollah ihn dann drängte, verdiente Parteimitglieder als Facharbeiter einzustellen, hatte er noch geglaubt, sich dem widersetzen zu können. Als Schiit gehörte er der Bevölkerungsmehrheit an. Er hatte nie geglaubt, wie eine schiitische Partei, wie die Hisbollah, ihre eigenen Glaubensgenossen so befeinden könnte. Um seine Aufgabe als Bauingenieur wahrnehmen zu können, brauchte er verlässliche Arbeiter, qualifizierte Kräfte, keine faulenzenden Tagetotschläger. Als er sich den Anordnungen der Partei widersetzte, lernte er die politische Führung seines Landes so richtig kennen. Es begann mit Schikanen im Betrieb, später auch in der Nachbarschaft. Weil dies keinen Erfolg hatte, denunzierte man ihn. Schließlich deutete man einen Arbeitsunfall so um, dass man Shalud mit Gefängnis bedrohen konnte. Gefängnis oder Kuschen waren die einzigen Möglichkeiten, die ihm blieben. Kuschen bedeutete die Gefahr von äußerst schlampiger Arbeit. Kuschen bedeutete die Gefahr großer Gebäudefehler, schlimmstenfalls Einsturz. Bevor man ihn festnahm, konnte er sich und seine Familie mit einem Flug nach Deutschland in Sicherheit bringen. Aufgrund der Dokumente der Hatz gegen ihn bekam er problemlos seine Anerkennung als Asylant. Nur in seinem angestammten Beruf durfte er nicht mehr arbeiten.

Shalih al Shalud machte die Arbeit bei Europak schon seit knapp zehn Jahren. Er brauchte keine Positionsskizze, wo sich die nächste Palette befand. Allein die Codes der Positionsbestimmung reichten ihm, das Gesuchte zu finden. Er fuhr die Gabel in den Spalt der Palette, hob das Ganze hoch. An Scanner brauchte er nur vorbeizufahren. Das Lagerverwaltungsprogramm löschte die Palette als verladen. Der Scanner am Container addierte die Fracht auf die Ladeliste. Als Shalih aus dem Holraum zurückfuhr, bemerkte er den Lademeister Rüdiger Huthknecht vor dem Container.

„Hallo Ali, schaffst du den Container noch vor der Mittagspause?“

Shalih hatte lange gebraucht, bis er kapierte, die Deutschen konnten oder wollten sich fremdländische Namen nicht merken. Für die hießen alle Vorderasiaten >Ali<.

„Klar Chef, ich kann meine Pause etwas später machen. Kein Problem.“

„Das wäre toll. Der Lkw kommt nämlich...“ Er schaute auf seine Armbanduhr. „... in einer knappen Stunde.“ Als wollte er Ali aufmuntern, klatschte die flache Hand auf das Blech des Staplers. Dann drehte er sich um und ging in Richtung seines Büros. Saleh war sich sicher, Meister Rüdiger würde nun seine Mittagspause beginnen. Das war die günstigste Zeit. Nun würde keiner mehr fragen, was er da so machte. Hektisch setzte er seine Beladungsarbeit fort. Er hatte nun wenig Zeit.

Nachdem er zwei Paletten verladen hatte, brachte er die nächste an eine Stelle, an der man heute Morgen neue Ladungen angeliefert hatte. Keine neue Fracht war bislang dazugekommen. Mit geübten Blick sah er, was bereits registriert und codiert worden war. Die Palette, die er nun in den Container verladen wollte, stand noch auf einem Klein-Lkw. Sie war für den Container eigentlich nicht vorgesehen, musste aber herein. Dies war aber nur möglich, wenn man sie mit einer registrierten vertauschte. Es sah so aus, als machte der Wagenführer des Lkws in der Kabine schon seine Mittagspause. Als Shalih al Shalud näher kam, war von Pausemachen auf einmal nicht mehr die Rede. Während der Fahrer den Streifen mit dem Kennungscode von einer anderen Palette vorsichtig abzog, lud der Libanese die neue Palette von der Ladefläche. Diese Kennung platzierte der andere dann auf die neue Ladung. Die alte Ladung wechselte so Platz und Besitzer. Als der Gabelstapler am Scanner des Containers vorbei kam, bemerkte der Computer nicht die andere Ladung. Für ihn lief alles nach Programm. Der neue Inhalt war als Wälzlagerladung auf die Reise geschickt worden. Der Kennungscode würde bei Anfrage die Information anzeigen, wer für das Packen in der Firma verantwortlich war. Die ausgetauschte Palette landete auf der Pritsche des Lkws. Kein Mensch würde danach krähen. Immer wieder gingen beim Seetransport Container über Bord. Der Paletteninhalt würde in Duisburg Käufer finden. Egal, was es war, man konnte alles zu Geld machen.

Shalihs Fuß stand auf dem Umschlag, den der andere auf den Boden der Fahrerkabine gelegt hatte. Als Hilfsarbeiter verdiente man so wenig. Kein Zusatzverdienst war zu klein, um ihn nicht zurückweisen zu können. Er tröstete sich. Schließlich ging es ja auch um sein Vaterland. Er hatte ja nichts gegen den Libanon, sondern nur gegen die Verbrecher von der Hisbollah. Er bildete sich ein, die Waffen auf der Palette waren dafür bestimmt, diese verhasste Hisbollah zu bekämpfen.

Der Fahrer hatte einen Oberkörper ohne Hals. Er schüttelte seine langen, fettigen, blonden Haare. Er hieß Jonny Töbela und war im Hauptberuf der Sheriff der Satan Sons. Er startete seinen Lkw und lehnte sich in den Plastikpolstern zurück. Dann trat er mit seinen Springerstiefeln das Gaspedal durch. Der Motor heulte auf und beschleunigte den Lieferwagen. Das hatte ja wieder gut geklappt. Der Sheriff zuckte leicht mit dem Kopf. Am Eingang würde niemand kontrollieren, was hier heraustransportiert wurde. Hier war nur ein vorgelagertes Zollgebiet. Man überprüfte nur, was hier verladen werden musste. Töbela interessierte nicht, was diesmal auf der alten Palette war. Er wusste nur, was er auf den Weg gebracht hatte. Es handelte sich um Waffen. Was ihn nicht interessierte war, um welche es sich genau handelte. Nichtwissen war wichtig in so einem Geschäft. Vielleicht war es schon gefährlich zu wissen, ob Spagetti Laufgen, sein President, diesen Deal eingefädelt hatte.

Der Flug des Fasans

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