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Duisburg Alt-Hamborn, 25. April

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Die Häuser links und rechts der Kurt-Spindler-Straße sahen von außen alle gleich aus. Der Architekt hatte sich wohl nur einmal die Arbeit gemacht, einen Entwurf zu planen, um diesen dann für alle Häuser, auch die der umliegenden Straßen, zu verwenden. Das wunderte nicht, denn hier wurde für die Masse geplant. Für die Bewohner war es nicht immer leicht, bei dieser Gleichmaß der Fassaden, den richtigen Eingang zu finden. Damals ging das Gerücht um, betrunkene Heimkehrer hätten verzweifelt versucht, ihr Heim zu finden. Hier fanden vor dem Ersten Weltkrieg Bergleute der weiter westwärts liegende Zeche 1/6 ihr zu Hause. Als man vor hundertfünfzig Jahren Unterkünfte für diese Berufsgruppe brauchte, waren Zweckmäßigkeit und niedrige Kosten die Bedingungen für die Neubauten. Der Facharbeitermangel hatte die Bergbauunternehmen gezwungen, über Bereitstellung von Wohnraum solche Kräfte an die Firma zu binden. Mit dem Untergang der Zechen in den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts brach dann auch die Bindung der Nutzer an den Bergbau ab. Fortan quartierte man hier ausländische Arbeitskräfte ein, die der technische Wandel ab den Sechziger Jahren nach Duisburg spülte.

In mitten dieses Wohngebiets betrieben die White Sculls einen Drogenumschlag. Die Lage war einfach ideal. Die geschlossene Bauweise der Häuserfronten brachte mehrere Vorteile mit sich. Alle Fronten sahen sich ähnlich. Die Verwechselung bei Observationen war somit gegeben. Überall waren Wohnungen und einen Drogenumschlag vermutete man eher in einem Gewerbegebiet oder einem abgelegenen Gebäude, aber nicht hier. Man konnte nicht zwischen den Gebäuden durchgehen, also den Drogenbetrieb nicht so einfach erreichen. Dieser befand sich in einem Anbau der Hausnummer 27. Vorne wohnten auf drei Etagen Mitglieder der White Sculls. Sie wussten nicht, was in ihrem Anbau geschah. Der frühere Zugang vom Wohnhaus zum Anbau war zugemauert und verputzt worden. Eine Razzia im Wohnteil hätte keine Verbindung zur Drogenstelle gebracht. Der Anbau selbst hatte keine Fenster. Ob es Tag oder Nacht war, man konnte keine Beleuchtung sehen. Somit machte dieses Gebäudeteil den Eindruck, unbenutzt zu sein. Die dunkelgefärbten Ziegel und der Schimmel in den Ritzen erweckten den Eindruck von Verlassenheit. Die Pflanzen, die an ihm hochrankten, unterstrichen den Eindruck. Nur über einen schmalen Weg, den man schlecht einsah, konnte man ihn von einem Garagenhof aus erreichen.

Franke Haseberg begann hier seine zweite Schicht. Tagsüber arbeitete er als Chemiefacharbeiter bei der Firma Röggler Chemie in Oberhausen. Das andere Bein stand im Drogenlabor der White Sculls. Auf dem Garagenhof zwischen der Kurt-Spindler-Straße und der Lessingstraße hatte er eine Garage angemietet, in der er eine Kawasaki Z1 unterstellte. Hier schraubte er als Hobby an seiner Maschine. Man kannte ihn und hielt ihn für einen harmlosen Zeitgenossen. Wenn es dunkel war, dann wechselte er zu seiner Nebenbeschäftigung. Hier portionierte er natürliche und Designerdrogen in handelsübliche Kleinpackungen. Es war eine lästige, aber unumgängliche Handarbeit. Die Großpackung brachte er am Körper mit, die zahllosen Tüten verließen, am Körper verteilt, die Umfüllstelle auf dem gleichen Wege.

Auf einem Resopaltisch entleerte er einen großen Beutel. Die blassblauen Tabletten kugelten teilweise über die Fläche. Mit seiner rechten Hand fing er die Ausreißer wieder ein und schob sie auf dem Haufen zurück. Er legte eine Tablette auf eine Minimassenwaage. Die digitale Anzeige quittierte er mit einem unmerklichen Kopfnicken. Unter einem Mikroskop schabte er einen Teil der Oberfläche ab. Dann warf er diese wieder auf den Haufen. Kein Mensch würde merken, wenn er hier ein Milligramm für sein Geld zu wenig bekam. Er löste das Pulver in einem Reagenzglas, träufelte mittels einer Pipette eine glasklare Flüssigkeit dazu und steckte das Ganze in ein Spektrographen. Während dessen Elektromotor leise summte, setzte er sein Smartphone in Gang. Er wischte zu einer Seite, die ihn interessierte. Hier listete man die Treffen auf, wo die nächsten Schlägereien stattfanden. Er liebte Prügeleien über alles. Das war der Kick, der ihn antörnte. Er konnte sich nichts Schöneres vorstellen als Gewebe schwellen zusehen, Augen, die sich nach einem Treffer schlossen, oder Knochen brechen zu hören. Er genoss es, wenn Großschnauzen wie kleine Kinder wimmerten und um Gnade baten.

Der Finger wischte sich die Liste herunter. Bei einem Eintrag aus Duisburg verharrte der Finger. Der Eintrag war so knapp, wie informativ: „DU, 1919, Sport 6 Röttgenw, 8p“. Er katschte vor Freude in die Hände. Das nächste Wochenende war gerettet. Der 19te Buchstabe des Alphabets war das S. Die Satan Sons riefen zu einer Schlägerei auf, was als Sport gesehen wurde. Sie fand am sechsten Wochentag statt, also Samstag. Treffpunkt war der Röttgenweg. Franke war sich nicht sicher, aber er glaubte, dies müsse in Rheinhausen liegen. Das würde er schnell abchecken. Um 20 Uhr sollte es losgehen.

Haseberg öffnete eine Schublade und entnahm ihr ein Messer. Üblicherweise verwendete man es zum Aufbrechen von Großwild. Die Klinge war drei Zentimeter breit, und 28 Zentimeter lang. Ihre Spitze war gebogen. Beide Flanken waren geschliffen und der Klingenteil, der dem Haken entgegen lag, ging nach der Hälfte in eine Säge über. Vorsichtig fuhren die Finger von Haseberg über den Kreuzschliff der Säge. Diese Waffe war sein ganzer Stolz. Er hatte sie bei einer Safari in Kenia in Nairobi im Fenster gesehen und sich sofort darin verliebt. Man erzählte ihm dort, damit könne man sogar Elefantenhaut zerschneiden, die als die Zäheste bekannt sei. Er hatte dies noch nicht probiert, wusste aber, menschliche Haut würde für diese Klinge kein Problem darstellen. Problemlos konnte er das gute Stück damals nach Hause schmuggeln. Er zog die Klinge entlang eines Blatt Papiers. Die Schneide war immer noch scharf wie eine Rasierklinge. Er führte das Messer immer mit, wenn er zu seinem Sport fuhr. Solange es sich bei der Keilerei nur um den Einsatz von Fäusten und Schlagringen handelte, dann verblieb sie in der Scheide. Bedrohte ihn jemand mit dem Stecher, dann trat seine Liebe in Aktion. Schon zweimal hatte er seinem Gegner am Bauch gesägt. Bei dem Gedanken daran zog ein Grinsen über sein Gesicht. Er erinnerte sich als das Gesicht seines damaligen Gegners von Euphorie beim Ziehen des Stiletts in Panik umschlug, als er seine Klinge zückte.

So, nun wurde es Zeit. Er hatte noch etwas einhundertundfünfzig Tütchen zu verpacken.

Der Flug des Fasans

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