Читать книгу Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland - Volker Elis Pilgrim - Страница 18
Der »Kujauismus« in der Hitler-Biografik
ОглавлениеDutzende Frauen haben sich Hitler 2 an den Hals geworfen. Er war umgeben von Männern wie Sand am Meer. Und doch spielte sich bei ihm auf der Horizontalen nichts eindeutig Belegbares und daher möglicherweise überhaupt nichts ab.
In Bezug auf diese bisherige Unnachweisbarkeit der intimen Angelegenheiten des multimörderischen deutschen Staatsführers muss das Ergebnis der Hitler-Forschung zu Beginn des 21. Jahrhunderts so zusammengefasst werden: Hitler war un-offenbart sexuell weder eindeutig »he« noch »ho«, sondern »low«! (Görlitz/Quint, S. 71, Recktenwald, S. 57, Bullock 64, S. 37, 392, Kershaw 98, S. 93, Kershaw 2000, S. 199, Joachimsthaler 03, S. 10 ff., 22, 118, 434, 454 ff., Sigmund 03, S. 94, Sigmund 08, S. 16 ff., Longerich 15, S. 175 f., 370 f.), während der Gesamt-Biograf Ullrich noch 2013 versucht, Hitlers Unter-Gürtel-Bedingungen auf die Hetero-Seite zu ziehen. (Ullrich, S. 299 ff., 689 f., 911 ff.) Trotzdem muss Ullrich resümieren: »Mit Bestimmtheit sagen lässt sich […] jedoch nicht«, ob Hitler »ein normales Liebesverhältnis mit Eva Braun pflegte.« (a. a. O., S. 689) – und bisher genauso nicht, ob Hitler »unnormale« Liebesverhältnisse mit Männern unterhalten hat, wie es der Historiker Lothar Machtan bei der Vorführung von Hitlers verheimlichtem Schwulen-Lebenslauf probiert hat. (Machtan, zweites Buch)
Schon jetzt kann das Ergebnis der Sexualanalyse Adolf Hitlers herausgestellt werden: Die Versuche, Hitler 2 ganz auf eine sexuelle Praxis-Seite zu ziehen, sind gescheitert.
Um das nachzuweisen, wird zunächst Hitlers Non-Heterosexualität mit rücksichtsloser Ausführlichkeit in sechs Kapiteln von ONANO über HETERO, ORALO, NEUTRO, AMORO bis zu ANALO ausgebreitet und das zu seinen Lebzeiten ihm nachgeredete PERVERSO angesprochen.
Die allein Zeugnis-orientierte, Hunderte Seiten umfassende Detail-Rekonstruktion in Bezug auf Hitlers nicht-existente Heterosexualität muss deshalb vorgenommen werden, weil sich bei der Erforschung der sexuellen Bedingungen Adolf Hitlers herausgestellt hat, dass alles, was von Hitler-Biografen – und neuerdings auch von Hitler-Freundin-Eva-Braun-Biografinnen – angeführt wird, auf Fehleinschätzungen und Irrtümern basiert, ja zum Teil von den Autoren und Autorinnen selbst gefälscht oder manipuliert wurde. Deshalb wird wie in Gerichtsverfahren nur mit geprüften Zeugenaussagen gearbeitet.
Was die Heterosexualität Hitlers betrifft, herrscht bis in das Jahr 2016 ein »Kujauismus« in der Hitler-Biografik.
Der Maler Konrad Kujau hat bekanntlich ab den 1970ern zuerst unzählige Einzelstücke Hitlers und danach ganze Jahrgänge von nicht existenten Hitler-Tagebüchern gefälscht und dadurch den Markt mit Hitler-Originalen zusammenbrechen lassen, sodass seriöse Herausgeber von Hitler-Schriften wie Eberhard Jäckel und Axel Kuhn zugeben mussten, dass in ihrer 1980 publizierten Sammlung der Hitler-Privatschriften im Zeitraum von 1905 bis 1924 an die 80 »Kujaus« enthalten sind, denen die Herausgeber wegen Nachlässigkeiten und Unprofessionalitäten bei der Prüfung von Originalen aufgesessen waren. (Jäckel/Kuhn 81) Jäckel/Kuhn sind nicht die Einzigen, denen das passierte. Auch der britische Hitler-Spezialist Hugh Trevor-Roper erlag anfangs seinem Glauben an die Echtheit von Kujaus gefälschten Hitler-Tagebüchern. (Sisman, S. 414, B. 12 f., 475 ff., 487 ff., 495 ff.)
Es gab zwei Attacken Kujaus auf die Hitler-Forschung – zuerst fälschte er ab den 1970ern singuläre Blätter. Als er bemerkte, wie »easy« ihm alles für bare Münze mit harten Währungen abgenommen wurde, ging er daran, Hitler-Tagebücher zu fingieren, womit er dann Anfang der 1980er durch eine Papier- und Tinten-Probe aufflog. Die ersten Nachrichtenagenturen vermeldeten am frühen Nachmittag des 6. Mai 1983 »Alles Schwindel«. Kujaus Tagebuch-Fälschung wurde ein gesellschaftlicher Skandal um die Illustrierte Stern und konnte als kompletter Vorgang enttarnt werden. (Seufert)
Doch die Fälschungen von Einzelstücken treiben noch heute ihr Unwesen in der Hitler-Forschung. Sogar in den edelsten Archivhallen der Welt, den National Archives in Washington, lagern noch immer ungeknackte gefälschte »Frühschriften«, wie ein angeblicher Hitler-Liebesbrief an Eva Braun, von dem sich 2010 die Braun-Biografin Heike Görtemaker distanzierte, sich jedoch nur vier Jahre zuvor die Braun-Biografin Angela Lambert »reinreiten« ließ! (Görtemaker 11, S. 220, in Abgrenzung von Gun 69, S. 207, Lambert 06, S. 394 f.)
Jemand, der wie Adolf Hitler von seinem 15. bis Anfang seines 30. Jahres (zwischen 1904 und ab Ende 1918) in der männlich heißest-potenten Zeit fast 20 Jahre lang gar keine feuchten Mädchen- und Frauenspuren hinterlassen hat, solch ein Jemand kann entsprechend den Standards der modernen Sexualwissenschaft nicht für »hetero-voll« genommen werden.
Alles Spätere, das bis zur Lächerlichkeit einer »Eidesstattlichen Erklärung« über Hitlers »Normalität« geführt hat – wie bei seiner Kurzfrist-Freundin Maria »Mitzi« Reiter –, ist so ungeklärt geblieben, dass es um die auf Frauen bezogene Männlichkeit eines inzwischen 37-jährigen Mannes dürftig bestellt sein muss, dem posthum eine Frau notariell bescheinigen lassen will (soll?), er sei »ein ganzer Mann« gewesen. (Joachimsthaler 03, S. 184 ff., 188 ff., 196, Sigmund 02 F, Bd III, S. 728, Sigmund 08, S. 16 ff., 20 f.)
Den Biografinnen und Biografen Eva Brauns, Hitlers vor der damaligen Öffentlichkeit abgeschirmter Partial-Partnerin, gelingt es nicht überzeugend genug, die Flüssigkeit dieser Beziehung ein für alle Male »stichhaltig« aufzudecken oder das Verhältnis als ein ganzes Trockengebiet freizulegen. (Goertemaker 10, S. 51–94, 169 ff., Costelle, S. 89 ff., 107 ff., Frank J., S. 44 ff., 62 ff., 68 ff., 86 ff., 104 ff., 157 ff., Charlier/de Launay, S. 55 ff., 80 ff., 130 ff., Sigmund 98, S. 166 ff., Sigmund 05, S. 245 ff., Gun 68 I, S. 48 ff., 89 ff., 116 ff.)
Der einzige Pfahl im Sumpf der Unklarheit ist ein Späteinsteiger in die Hitler-Forschung: Anton Joachimsthaler. Er kanzelte unüberbietbar deutlich Hitlers Heterosexualität ab (Joachimsthaler 96, S. 261 ff., Joachimsthaler 03, S. 118, 455) – besonders mit Verweis auf immer wieder geführte Gespräche mit Hitlers Dienst-zweitältester Sekretärin Christa Schroeder, die sich selbst auch schriftlich zu dem Problem geäußert hat. (Schroeder 99, S. 155 f.) Doch Schroeder und Joachimsthaler konnten sich mit ihren Publikationen ab 1985 nicht durchsetzen. Der Mainstream in der Hitler-Biografik segelt unaufhaltbar weiter auf der Schimäre von Hitlers angeblich »normal« funktionierender Heterosexualität.
Und dabei wird fortgesetzt verdreht und geschludert – beides zusammen mehr als 10 Mal vom zweitneuesten Hitler-Biografen Ullrich in Deutsch und Englisch! Oder alte Fälschungen – wie die Teile in den Werner-Maser-Biografien zu Hitlers Heterosexualität und das von Maser dem Hitler-Leibdiener Heinz Linge untergeschobene »Diensttagebuch« mit Schlüsselloch-Durchblick auf ein imaginäres Braun-Hitler-Bett – werden in zig Sprachen bis jetzt neu aufgelegt. Nicht zu reden von den falschen Zeuginnen wie der ehemaligen Berghof-Hausverwalterin Gretel Mittlstrasser, der noch im Jahre 2000/01 für ihre erneuten Falsch-Aussagen große Auftritte in deutschen und englischen TV-Shows eingeräumt wurden (HETERO, 7. Ja-Sagerin).
Solche Schwierigkeiten in der sexuellen Zuordnung und Praxis-Erfassung hat außer Hitler kein weiterer Naziführer oder sonstiger Diktator gemacht. Bei Mussolini lief es bis zu seinem Tod heterosexuell einwandfrei ohne permanente intervallische Interrupti wie bei Hitler. Gemeinsam mit seiner ihm wichtigsten Mätresse Clara Petacci wurde Mussolini ermordet. Der italienische Faschistenführer hinterließ keine sexuellen Fragen. (Sigmund 08, S. 16, Knox, Ridley, Suttora)
Ebenfalls Hitlers deutsche Co-Führer geben sexuell nur eindeutige Antworten: Göring war zweimal verheiratet, hatte mit seiner zweiten Frau eine Tochter. Aus Himmlers Ehe ging eine Tochter hervor, aus seinem Verhältnis mit einer Nebenfrau entsprangen zwei Kinder. Bormann brachte es mit seiner Ehefrau auf zehn Kinder, hatte mindestens eine ständige Beifrau. Röhm hatte um sich herum als sexuelle Partner nur Männer. Die Nazi-Chargen ab Speer, Eichmann, Frank, Heß, Heydrich abwärts bis zu den Adjutanten dienen sofort mit gleicher genitaler Klarheit, sowie sich ein Interesse auf ihre intimen Angelegenheiten fokussiert. Aus allen ragte das hetero-promiske Glanzlicht über der deutschen Verdunklung der Humanität heraus – Joseph Goebbels.
Marianne Hoppe konturierte ihre Erzählung von Hitlers Gewalt- und Mord-unterflammter Onanie mit einer Episode, die ihr Goebbels 1936 aufgezwungen hatte, der ihr plötzlich von einem SS-Mann vor ihrem Berliner Haus angekündigt wurde. Mit goldenem Parteiabzeichen am Revers seines Anzugs dringt Goebbels ungebeten bei Hoppe ein, um ein weiteres Eindringenlassen von ihr zu erzwingen, das er bis zum Kniefall vor ihr einzuleiten versucht hat. (Hoppe, S. 76) Goebbels war bei Hoppe auch später nicht gelandet, als er sie in sein Berliner Stadthaus eingeladen hatte und sie mit einem 100 000-Reichs-mark-Scheck, den er ihr hinschob, beeindrucken wollte. Sie widerstand ihm abermals. (Kohse, S. 123 f.)
Goebbels hatte sechs Kinder mit seiner Frau Magda, der Hitler-Vertrauten und Karyatide des Nazistaates, ging zahlreiche nebeneheliche Beziehungen mit Frauen ein, die ihm erlagen, wie die tschechische Filmschauspielerin Lída Baarová. (Reuth 90, Thacker, Longerich 10) Die lesbisch grundierte Marianne Hoppe war mit ihrem Widerstand gegen Goebbels eine Ausnahme.
Beide Szenen männlicher Außergewöhnlichkeit – die penetrant aufdringliche Werbestrategie des sexuellen Dauer-Übertourers Joseph Goebbels und die vom Männermord angeköchelte Selbstbefriedigung des per Befehlsdistanz mordenden Serienkillers sui generis Adolf Hitler – sind von Marianne Hoppe so eigenwillig präzise festgehalten, dass sie nicht erfunden wirken und im Falle Goebbels’ vielfach von anderen Frauen bestätigt wurden. Nur die Unheimlichkeit des sexuell nekrophilen Männerverschleißers Adolf Hitler fand keine Entsprechung durch weitere Zeugen des Ungebührlichen und bisher keinen Anstoß zu einer Diagnose von Hitlers Sexual-Devianz.
Hoppe hatte den genauen Blick der Künstlerin, was sie mit unzähligen Bemerkungen über ihre Zeitgenossen bewies. (Kohse) Hitlers Masturbation vor der Kinoleinwand galt nicht der jungen Schauspielerin selbst oder der unweit von ihr sitzenden Magda Goebbels oder einer anderen eingeladenen weiblichen Gestalt des NS-Kulturbetriebs. Im Gegenteil, Hitler lud sich sexuell auf und alsdann mitten in der Schar seiner Gäste demonstrativ ab – direkt vor dem filmkomparsisch gestellten Männermassenmord, den er in der Realität zu seinem Ergötzen schon seit Jahren betreiben ließ und bald multimillionenfach steigern würde.