Читать книгу Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland - Volker Elis Pilgrim - Страница 23
Einziger Zeuge zu Hitlers Geschlechtsteil nie danach befragt
ОглавлениеVon den sechs soeben nur kurz zitierten Kontra-Zeugen kommen alle noch einmal oder mehrmals zu Wort, oder über sie werden weitere Einzelheiten berichtet, die ihre Aussage konturieren. Solch ein Verfahren mit einem Ein-bis-zwei-Zeilen-Zitat, um dann prompt in die »Liebesgeschichte« zwischen Braun und Hitler zu segeln, wie Görtemaker es achtmal gemacht hat, ist überholt. Ullrich geht genauso vor – mit zusätzlich vier weiteren Jas, die alle in der kommenden Ja-Liste zu durchleuchten sind.
Neben der Verteidigung der Aussage Schroeders, der 3. Nein-Sagerin, muss sogleich eine Konturierung des 4. Nein-Sager Ernst Hanfstaengl angefügt werden. Auch Hanfstaengl schien in einem Interview von seinem Verdikt, Hitler sei im »medizinischen Sinne impotent« gewesen, abzuweichen. Er schwenkte in die Relativierung eines »Doch-etwas«- und »Manchmal-Sex« ein: »Hitlers Potenz war teils beschränkt und teils ins Abnorme pervertiert […] Nach Mitteilung eines Reichsministers, dessen Namen Hanfstaengl nicht nennen wollte, der Hitler beim Ankleiden nackt gesehen hatte, war der Geschlechtsteil nur sehr gering entwickelt. Zu einer Befriedigung dürfte Hitler mit Frauen nur sehr selten und mit ganz bestimmten Typen von tadelloser Gestalt, wie z. B. Eva Braun, gekommen sein. Aus dieser teilweisen Impotenz resultierte der Sager, dass Deutschland seine [Hitlers] Braut sei etc. […]« (Hanfstaengl 51, S. 1)
Mit dem Zitat einer zweiten Aussage Hanfstaengls soll hier im Prolog des Geschichts-Prozesses »auf die Schnelle« nur darauf hingewiesen werden: Bei der Zeugen-Konturierung ergibt sich manchmal eine Verschärfung der Aussage, manchmal eine Abschwächung. Schwarz (2.), Schroeder (3.) und Döhring (5.) verschärften und präzisierten, Hoffmann (1.) begann später zu schwanken, worauf Görtemaker selbst schon hingewiesen hat. (Görtemaker 11 I, S. 41, 170) Aber darum Hoffmann ganz auf die Seite der Ja-Sager zu ziehen, wie Görtemaker es tut, ist schon wieder bedenklich, was sich später erweisen wird, sodass Hoffmann Anführer der Nein-Liste bleibt.
Der »Widerrufs-Linge« (6. Nein-Sager und 2. Ja-Sager [AMORO]) gerät zu einem der aufwendigsten Einzelthemen, das sich zum Buch im Buch verselbstständigt.
Bei Hanfstaengl scheint es sich zunächst um eine Abschwächung seines Stabbruchs über Hitlers Sexualität zu handeln. Hitler wäre »im medizinischen Sinne impotent« gewesen, ein »Neutrum«, ein »sexuelles Niemandsland«. Doch aus »nichts« und »nie« machte Hanfstaengl 1951 plötzlich »sehr selten«.
Aber seit der ersten Ausgabe seiner Memoiren 1957 Unheard Witness ist er in seinem Urteil gefestigt, an dem er nie wieder rüttelt, wie aus allen seinen späteren deutschen und englischen Büchern und von seinen Fernseh-Auftritten entnommen werden kann (HETERO, 10. Ja-Sager Albert Speer) Die negativen Urteile Hanfstaengls und Speers über Hitler schärften sich im Laufe der Jahrzehnte des Abstands von ihrem einstigen Idol immer mehr. Deswegen summierte Hanfstaengl schließlich:
»Je näher ich Hitler kennenlernte, um so mehr kamen mir auch gewisse Anomalien zu Bewusstsein, die sich in seinem Verhalten gegenüber dem weiblichen Geschlecht zeigten … Seine offensichtliche Verliebtheit in meine Frau … seine dauernden Blumengeschenke, Handküsse und verzehrenden Blicke [seien] allein in seiner außergewöhnlichen Fähigkeit zur Selbstdarstellung und keineswegs in einem ursprünglichen erotischen Begehren zu suchen … Mit dem ihm eigenen Talent, sich und andere bis zur Glaubwürdigkeit betören zu können, lebte er sich auch in die Rolle des leidenschaftlichen Liebhabers hinein, ohne sie jedoch, wie ich zu behaupten wage, bis zur Vereinigung mit dem weiblichen Partner steigern zu können. Hitler war nach meiner Überzeugung im medizinischen Sinne impotent. Hierfür einen eindeutigen Beweis zu erbringen, ist mir ebenso wenig möglich, wie Zitate von Frauen vorzulegen, die mit oder gegen ihren Willen in die Verlegenheit gerieten, Hitler in seiner hoffnungslosen Lohengrinrolle zu erleben. Dem Sinne nach waren diese Äußerungen jedoch sämtlich auf die gleiche Tonart abgestimmt wie eine Bemerkung meiner damaligen Lebensgefährtin, die mir bereits in den Anfängen unserer Bekanntschaft mit Hitler erklärte: ›Glaube mir, er ist ein absolutes Neutrum, aber kein Mann – trotz seines dauernden Schmachtens.‹ Sowenig mir nun daran liegt, diese Intima um ihrer selbst willen zur Sprache zu bringen, so aufschlussreich erscheinen sie mir andererseits als ein Ergebnis aus allmählich oder nachträglich gewonnenen Einsichten in die Phänomenologie des Typus Hitler und seines ruhelosen Aggressionstriebes. Infolge eines psychischen oder organischen Defektes zum sexuellen Nonvaleur degradiert, entlud sich das aufgestaute Übermaß seiner Libido – gleichsam zur Selbstbestätigung seiner Männlichkeit – in neurotischen und schließlich in rhetorischen Ersatzreaktionen. Hierfür war Hitlers gelegentlicher Ausspruch kennzeichnend: »Die einzige Braut, die für mich in Frage kommt, ist die Masse, ist das Volk – ist Deutschland!« (Hanfstaengl 70, S. 61)
Auch schon im US-Geheimdienst-Papier für den US-Präsidenten Roosevelt vom 3. Dezember 1942 über Adolf Hitler hielt Hanfstaengl seine Beobachtung fest:
»Während der wahre Hitler für den Diagnostiker schwer fassbar ist, gibt es gewisse Fakten, die beweisen, dass seine sexuelle Situation unhaltbar, ja sogar hoffnungslos ist. Es scheinen psychische, wenn nicht auch physische Hindernisse zu bestehen, die eine tatsächliche und vollständige sexuelle Erfüllung immer unmöglich machen.« (Hanfstaengl 05, S. 357)
In Hanfstaengls Aussage 1951 gegenüber einem deutschen Befrager vom Münchener Institut für Zeitgeschichte untermauerte er seine Einschätzung mit dem Hinweis auf das »sehr-gering-Entwickelte« von Hitlers »Geschlechtsteil«. (Hanfstaengl 51, S. 1)
Der namenlose, von Hanfstaengl angeführte »Minister« konnte niemand anders sein als Hitlers früherer Fahrer und Diener Emil Maurice, der Hitler in ihrer sechs- bis siebenjährigen Freundschaft zwischen 1922 und 1928 bestens gekannt hat, weil beide frühe Kumpels waren, verbunden im Du und zusammengeschweißt in ihrer Haftzeit 1924 nach Hitlers versuchtem Münchener Novemberputsch 1923.
Es gibt eine zweite Äußerung zu Hitlers Entwicklungs-gestörtem Geschlechtsteil, einen Hinweis, der in der Hitler-Forschung ganz untergegangen ist. Was sollte diese damit auch anfangen?! Sie ist schließlich keine Peepshow-Veranstalterin für das Panoptikum extrem ausgefallener männlicher Mitte-Leibes-Glieder. Jetzt aber, bei der Eruierung von Hitlers heterosexuellen Konditionen, spielt die Aussage von Hitlers zweitem chirurgischem Begleitarzt Hans Karl von Hasselbach eine Rolle: »Hitler hatte eine ausgesprochene Scheu, seinen Körper zu zeigen. Auch ich habe ihn daher nie ganz entkleidet gesehen und untersucht. Ob er eine körperliche Missbildung an seinen Geschlechtsteilen hatte, darüber könnte wahrscheinlich sein früherer Fahrer und Diener Maurice etwas wissen, dessen Adresse ich angegeben habe und der mir in der Gefangenschaft Andeutungen machte.« (Hasselbach 52, S. 2)
In Hasselbachs Aussage ist zweierlei enthalten:
Erstens: Hitler war extrem scheu mit dem Sehenlassen seines nackten Körpers. Sogar Hitlers fünf Jahre tätiger und während dieser Zeit ununterbrochen in seiner Nähe befindlicher chirurgischer Begleitarzt hat ihn nie unbekleidet gesehen.
Zweitens: Hasselbachs Hinweis auf Emil Maurice. Maurice ist der Einzige von den überlebenden Hitler-Nahen, der Hitler nackt gesehen haben könnte. Beide duzten sich und haben vorübergehend auch zusammen gewohnt.
Dem späteren Leibdiener Heinz Linge ist das Sehen des nackten Hitlers von Biograf Maser nur untergejubelt worden, es basiert auf keiner Realität. Linges sogenannte Aussage ist gefälscht worden. (Linge 80/82, AMORO)
Emil Maurice und auch der aus der 1914–1918-Kriegskameraden-Zeit »grenzenlos« nahe Ernst Schmidt sind auf die Ausstattung von Hitlers Geschlechtsteil nie angesprochen worden. In den Verhören von Hitler-Nahen ist eine gewisse Peinlichkeit zu bemerken, wenn sich die Fragen diesem Komplex zu nähern beginnen.
Was Anna Maria Sigmund über das Interesse der amerikanischen Besatzungsmacht an Hitlers geschlechtlichen Verhaltensweisen schreibt, stimmt nur theoretisch: »Im Mai 1945 erstellte der amerikanische Geheimdienst Richtlinien für die Einvernahme [offizielle Verhöre] hoher nationalsozialistischer Funktionäre. Die Frage nach Hitlers Sexualleben erhielt Priorität. Die Antworten der NS-Bonzen entpuppten sich allerdings als wenig ergiebig. Man erzählte bereitwillig von der Bewunderung des ›Führers‹ für schöne Frauen, von näheren Verhältnissen wussten sie – abgesehen von Eva Braun – nichts zu berichten.« (Sigmund 08 I, S. 53)
Werden Verhöre von Nazi-Mittätern und -Gehilfen im Fluss gelesen, entsteht der Eindruck der Feigenblatt-Fragen. Auch unter Männern, gerade unter ihnen, wird nicht aufs Eigentliche von Hitlers Sexualität gezielt, herrscht eine Umwölkung, die bei der Lektüre immer wieder Unmut erzeugt. Es kommen Momente, die das Interesse an Hitlers Sexualität pur umgehen, ja dieses Thema buchstäblich im Stich lassen: An eben dieser Stelle hätte jetzt ein Einstieg in genaues Sexuelles erfolgen, nachgehakt werden und jegliches Feigenblatt runtergerissen werden müssen.
Es geschieht nur einmal bei Robert Kempner. Aber auch da geht es alsbald nicht weiter, führt nicht tiefer (15. Nein-Sager Julius Schaub).
Dem Zeitalter fehlen bis heute die kategorialen Werkzeuge, um ins Sexuelle sprachlich wirklich einzudringen. Die Gespräche mit Nazi-Tätern über Hitlers Sexualität blieben demnach alle schamhaft. Die amerikanische Priorität gegenüber diesem Thema bestand nur auf dem Papier, konnte in der Praxis jedoch nichts Erhellendes ausrichten. Das sexuelle Aufklärungs-Blocken geschah schon, bevor die Befragungen losgingen.
Wie es sich gezeigt hat, haben die Amerikaner auf Hasselbachs Hinweis, Maurice nach dem nackten Hitler zu befragen, nicht reagiert. Hasselbach und Maurice hatten genug Zeit gemeinsam in einer Zelle verbracht, auf dass Hasselbachs Hinweis hätte ernst genommen werden müssen.
Die Deutschen drehten sich später ebenfalls von dem Thema weg. In den überlieferten Maurice-Interviews kommt der »sehr gering entwickelte Geschlechtsteil« Hitlers nicht vor. Den Zusammenhang zwischen anomalia sexualis und destructiva masculinis wollten Vertreter des Abendlandes bisher nicht so genau kennenlernen.
Deshalb muss immer wieder auf die vorbildliche Vorgehensweise der sowjetischen Interrogateure für das Buch Hitler hingewiesen werden, die den ehemaligen Leibdiener Heinz Linge zu den Kern-Aussagen über Hitlers »eindeutig unnormales« Verhältnis gegenüber Eva Braun bewogen. (Eberle/Uhl, 6. Nein-Sager und 2. Ja-Sager, der »Widerrufs-Linge«, AMORO)
Doch dieser Klarheit von 1945/46 wirkten deutsche und Anglo-Interviewer zehn Jahre später, 1955/56, definitiv entgegen, sodass über die ganze Welt hinweg das Gegenteil verbreitet und 25 Jahre später, 1980/82, in einer der verborgensten Fälschungen durch einen Hitler-Biografen bis heute fixiert wurde. (Linge 80/82, »Widerrufs-Linge«, AMORO)
Was bei den widersprüchlich erscheinenden Hanfstaengl-Berichten erst einmal festgehalten werden muss: Mit Hitlers Heterosexualität stimmte etwas nicht. Dieser Eindruck bleibt auch bei Hanfstaengls Relativierungen von »Nie« in »Sehr selten«. Gerade solch ein Schwanken, eine derartige Unsicherheit zwischen absolutem und relativem Nein, machte es für Hitler 1 und Hitler 2 nötig, Dutzende Zeuginnen und Zeugen zu hören. Auch einigen anderen Umfeldern werden hier und da Unsicherheiten angekreidet werden müssen. Deswegen führt es zu gar nichts, nur mit zwei Görtemaker’schen Wackel-Neins zu kommen.
Wenige der späteren Zeugen haben mit Hitler dieselbe Wohnung geteilt wie sein früher Freund und Fahrer Maurice und wie seine Diener Krause und Linge oder sein längstamtierender Adjutant Schaub oder für einige Zeit mit ihm unter einem Dach gelebt wie seine Sekretärinnen Junge und Schroeder, seine Vermieterin Reichert und seine Haushälterin Winter. Ganz anders sind deshalb die Aussagen des Jugend-Umfeldes, das meist auf den Erfahrungen eines Zusammenlebens aufbaut.
Über Hitlers sexuelle Bedingungen Klarheit zu gewinnen erfordert Breitwand-Darstellungen eines neuen Zweitausender-Epos, das nicht nur in der Länge mit Tolstois Krieg und Frieden vergleichbar ist, sondern in dem es auch inhaltlich um Krieg oder Frieden geht.
Ein sexueller Frieden mit Eva Braun, den die Biografen Görtemaker und Ullrich mit den englischen Fassungen ihrer Werke bis zur Stunde der ganzen Welt einreden, hätte solch eine bisher nie gekannte Kriegstreiberei, ja einen Kriegstrieb des Staatsterroristen Adolf Hitler provoziert? Sexfrieden hätte mit Kriegstrieb Seit an Seit kooperiert? 50–70 Millionen tot – auf der Basis des Bettes mit Eva Braun?
Diesen Gartenzwergin- und Waisenknaben-Fantasien der Braun- und Hitler-Biografen muss mit den entschiedensten und ausführlichsten sexologischen Erwachsenheiten entgegengetreten werden.
Vier ihrer Ja-Sager werden dabei Görtemaker entrissen – Hoffmann, Kempka, Schaub und Speer. Die drei ersten wandern gleich zur Nein-Seite (1., 23. und 15.), Speer fällt bei der Prüfung des Zehnten Ja-Sagers hintenrunter. (HETERO)
Übrig bleiben Görtemakers drei Ja-Zeuginnen Winter, Schirach und Ostermayr-Schneider (5., 4. und 3.). Und die Abschrift von Brauns Tagebuch-Fragment setzt sich ebenfalls auf der Ja-Seite fest (6. Ja-Sagerin, ORALO).