Читать книгу Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland - Volker Elis Pilgrim - Страница 25
Von klein auf kein »Standbild« fürs Weibliche hinterlassen
ОглавлениеDie Entdeckung der Landsberger Gefängnis-Akte zu Hitlers Monorchismus beantwortet die sexuelle Frage noch nicht, denn – wie Werner Maser in diesem Falle medizinisch richtig argumentierte – der Kryptorchismus führt nicht automatisch zu einer phallischen Impotenz. (Maser 71/01, S. 319 f., 323 f.)
Und das Hitlersche Ein-Hoden-Syndrom hat so gut wie gar nichts mit dem sexuellen Wunschverhalten eines Mannes zu tun, nämlich damit, worauf sich die Interessen des zweiten Teils der männlichen Geschlechtsorgane richten: Was wollte Hitlers Phallus? Für die Beantwortung dieser Frage ist für Hitler 2 schon die Richtung gewiesen worden: Lusthöhepunkte bei Gewaltakten gegen Männer (Hitlers Männermord-Orgasmus).
Aber was war vorher – zu Zeiten von Hitler 1? Und war der Männermord-Orgasmus wirklich der einzige Ausdruck von Hitlers Geschlechtsverhalten? Oder gab es nicht doch noch etwas Moderiertes, Temperiertes, Differenziertes?
Die Beantwortung der Frage wird virulent, da es scheinbar »die Frau an seiner Seite« gab, Eva Braun, die inzwischen von einer Schar angelsächsischer, deutscher und französischer Biografen als »Geliebte des Führers« gehandelt wird. Gegen diese Fehleinschätzung scheint kein Kraut gewachsen zu sein, vor allem dann nicht, wenn von den Autoren und Autorinnen Braun und Hitler immer nur mit Hetero-Fantasie-Versatzstücken betrachtet werden. Deshalb ist bei der »Zeugen-Befragung« Hitlers Interesse gegenüber dem weiblichen Geschlecht von Anfang an zu klären, ab dem Alter, in dem sich sexuelle Motivation zeigt.
Um die Sexualität Hitlers herauszufinden, muss bei den Zeugnissen zu seiner frühesten Jugend begonnen werden. Ist er jemals in die Fuß-Stapfen Adams getreten, von denen Kulturproduzenten und -produzentinnen immer wieder faseln, weil sie der Verführung eines Vergleichs erliegen: »Adolf und Eva«? (HETERO, 7. Ja-Sagerin) Und das bei jemandem – wie sich alsbald herausstellt –, der nicht einmal Schritte in diese Richtung gegangen ist!
Mit Ernst Hanfstaengls treffendem Begriff, Hitler sei »ein sexuelles Niemandsland« gewesen, kann schon in die Jugend Hitlers hineingeleuchtet werden. Es gibt eine Chorusline von Zeugen, angehäuft im ehemaligen Hauptarchiv der NSDAP zu dem Zweck der einstmaligen Verfassung einer monumentalen Hitler-Enzyklopädie, einer Dinosaurier-Biografie des Fulminanz-Zerstörers – vergleichbar mit Albert Speers geplantem, zum architektonischen Mega-Germania angeschwollenem Neu-Berlin.
So versammeln sich in den Akten des Hauptarchivs der NSDAP noch heute einträchtig fast alle Personen, die Hitler in seiner Jugend gekannt haben und die ihm nahe waren – der Linzer Hausarzt, ein Schul- und ein Klavierlehrer, mehrere Mitschüler, der Vormund, bestellt nach dem Tod des Vaters wegen Minderjährigkeit der Kinder, die Hausangestellte, ein jahrelang mit den Hitlers in der Wohnung der Mutter zusammenlebender Pensionsgast, eine Nebenmieterin, eine Café-Kassiererin …
In anderen Zusammenhängen wurden Interviews mit Hitlers älterem Halbbruder Alois junior, mit den zwei Schwestern Angela (halb) und Paula und den mütterlichen Verwandten vom Lande, Schmidt-Koppensteiner, gemacht. (zu den mütterlichen Verwandten Pölzl-Schmidt aus dem österreichischen Waldviertel in Koppensteiner, zu Alois Hitler jr. Interview mit dem Gerichtspsychologen der Nürnberger Prozesse, Gustave Gilbert, in Gilbert 50, S. 18 ff., zu Angela Raubal-Hammitzsch, geborene Hitler, ihre Aussage im Mai 1945 in Berchtesgaden vor dem US Counter Intelligence Corps, IfZ, ZS /A 22 (M 46 13 F), Joachimsthaler 03, S. 314, 325, 599, Anm. 641, zu Paula Hitler: »Besprechung zwischen Herrn Albrecht und Fräulein Paula Hitler, Berchtesgaden am 26. Mai 1945« in IfZ, Sammlung D I – 13, Interview mit der New York Times vom 5. März 1959 [Waite 77, S. 51] in Hayman, S. 19 f. und in Joachimsthaler 03, S. 580, Anm. 98, 102, 105)
Unter allen gespeicherten Aussagen über Adolf Hitler ist kein Hauch einer Andeutung zu finden, der heranwachsende Jugendliche hätte auch nur eine Zuckung zum anderen Geschlecht hin durchblitzen lassen – in Aussicht immerhin auf seine gesellschaftlich normierte Bestimmung als Mann, eine Frau zu nehmen und mit ihr Kinder in die Welt zu setzen. Bei den Beschreibungen des jungen Hitlers kommt das Thema Mädchen nicht vor.
Aus den originalen, in den Kartons und Mappen des ehemaligen Hauptarchivs der NSDAP betrachtbaren Materialien ergibt sich, dass das einstige Nazi-Institut nur sehr selten Eingriffe oder Schnitte in die schriftlich festgehaltenen Aussagen zur frühen Jugend Hitlers gemacht hat. Im Gegenteil: Die Beziehung zum anderen Geschlecht wäre das »Normalste von der Welt« gewesen und hätte in die Darstellung des Knaben und Jünglings Adolf hineingehört. Dieses »Normalste« fehlt jedoch über ein dutzendmal. (Bleibtreu, Bloch, Schichtl-Hörl, Wendt und BAB, NS 26/14, 17a, 65) Dass in die Interviews nach 1945 mit den Verwandten nicht retuschierend eingegriffen worden ist, um Äußerungen zu Hitlers Heterosexualität rauszuschneiden, versteht sich von selbst. (Gilbert 50, die Fundstellen zu den Schwestern in Toland und Kershaw, Koppensteiner bei Sigmund 06)
Mit dieser Tabula rasa in Hitlers Hetero-Angelegenheiten zu seiner Knaben- und Jünglings-Zeit geht es in der zeitlichen Reihenfolge des Heranwachsenden ohne Unterbrechung oder jemalige Kurskorrektur immer weiter.