Читать книгу Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland - Volker Elis Pilgrim - Страница 31

Das Tochter-Vater-Verhältnis zwischen Braun und Hitler

Оглавление

12. Zeuge – Chirurg und Hitlers Begleitarzt Dr. Karl Brandt

Brandt bestätigte mit anderen Worten Traudl Junges Zeugnis »Braun-Hitler = nichts mit Erotik zu tun«. Brandt setzte den Akzent auf eine andere Gegenüberstellung: Hitler sei nicht der Mann von Brauns Träumen, sondern die Beziehung Braun-Hitler sei ein Versorgungs-Arrangement gewesen: »Es besteht kein Zweifel, dass Eva Hitler, den sie bis zuletzt als ›mein Führer‹ anredete, sehr geliebt hat. Hitler war sicher nicht der perfekte Liebhaber, den Eva sich in ihrem romantischen Herzen ausmalte, aber er umsorgte sie wie ein Vater und bemühte sich immer darum, ihr das Leben an seiner Seite so angenehm und glücklich wie möglich zu machen. Er überschüttete sie mit Charme und Freundlichkeit und gestattete ihr jeden kleinen täglichen Luxus, den das Leben auf dem Berghof erlaubte. Für Eva war es sicherlich schwer, sich in Hitlers Tagesablauf einzufügen.« (Brandt 99, S. 227)

Ulrich Schlie, der Herausgeber der Karl-Brandt-Erinnerungen Frauen um Hitler, geschrieben 1945 in amerikanischer Gefangenschaft, lobt Brandts »hohes Maß an Objektivität, das sich im Vergleich mit heute [1999] verfügbaren anderen Quellen ermitteln lässt. Der Ton der Aussage ist weder apologetisch noch anklagend. Karl Brandt war ein kluger und aufmerksamer Beobachter mit unbestechlichem Blick. Er war häufig am ›Berghof‹ zu Gast, um als intimer Kenner von Hitlers Privatleben gelten zu können.« (Schlie 99, S. 221)

Brandt hatte auf dem Obersalzberg ein Appartement in der ehemaligen Villa des Klavierbauer- und Hitler-Finanzier-Ehepaars Edwin und Helene Bechstein gemietet, »um für Hitler ständig erreichbar zu sein«. (Ullrich, S. 692) Brandt war oft auf Hitlers »Ruhesitz« Berghof, sodass er als vor allem in menschlichen Dingen bewanderter Arzt in die Lage versetzt wurde, die Art der Liaison Braun-Hitler zu durchschauen.

Über Hitlers Privatleben, in das auch das Braun-Hitler-Verhältnis gehört, summierte Ulrich Schlie: »Hitler suchte ihre [der Frauen] Gegenwart, das Gespräch mit ihnen, er liebte die leichte Unterhaltung und Zerstreuung […], doch zu mehr als unverbindlicher Plauderei gereichte keine seiner Beziehungen [zu Frauen]. In den Fällen, wo es von Hitlers Verehrerinnen zu eindeutigen Avancen kam, entzog sich der Diktator auf ebenso deutliche Weise. Hitler enthielt sich einer sexuellen Beziehung […] Und Eva Braun lebte in ihrem privaten Leben, wenn Hitler nicht dabei war, genau das aus, was der Diktator aus tiefstem Herzen verachtete: Sie rauchte, trank, tanzte, flirtete«. (Schlie 99, S. 221 f.)

Für Brandts »beobachtende Aufmerksamkeit« und »intime Kenntnis« der privaten Umstände Hitlers spricht als Erstes der Titel seines Aufsatzes Frauen um Hitler. Brandt schreibt eben nicht über »Hitler und die Frauen«. Diese auch von Ullrich wieder benutzte Wendung konzediert Hitler viel zu viel Subjektivität im Umgang mit Frauen. Ja, Frauen befanden sich um Hitler, waren an ihm interessiert, aber er hatte kein Verhältnis zu ihnen, geschweige denn ging sexuelle Verhältnisse mit ihnen ein.

Karl Brandt fügte etwas zur »Treue« Hitlers gegenüber Eva Braun hinzu: »Die Frage, ob Hitler der Eva Braun treu war, halte ich für unsinnig. Für einen Mann in derart herausgehobener Stellung wie Hitler, von dem kein Schritt der Öffentlichkeit verborgen blieb, wäre jedes andere Verhalten unmöglich gewesen […] Eva Braun hatte auch keinen Grund, an Hitlers Treue zu zweifeln. Solange sie die Auserwählte an seiner Seite blieb, brauchte sie nichts zu befürchten. Immerhin hatte Hitler für Eva viel getan, als er sie aus dem gesellschaftlichen Nichts herausführte und an seiner Seite platzierte. Hitler und seine Eva waren sich gefühlsmäßig tief verbunden, und sicher hat er sie deshalb in ihren letzten Stunden des 30. 4. noch geheiratet (Das stand in der Presse).« (Brandt 99, S. 228)

Mit diesen Nachsätzen zur Treue Hitlers gegenüber Braun ist die Nachwelt wieder so klug wie zuvor: Treu bedeutet im Deutschen stets sexuell treu.

Karl Brandts Aussage spricht also nicht für sich allein gegen Sexualität zwischen Hitler und Braun, wie die Urteile der Zeugen Hoffmann (1.) und Schwarz (2.) = Hitlers Verhältnis mit Braun war »platonisch«, Schroeder (3.) = »nie Sex«, Hanfstaengl (4.) = »Hitler impotent«, Döhring (5.) = »es gibt keine Spuren von Sexualität«, Linge (6.) = Eva Braun war gegenüber Hitler eine »entsagungsvolle Bettgenossin« und Junge (11.) = die Braun-Hitler-Beziehung hatte »nichts mit Erotik zu tun«.

Brandts Aussage muss von der Schale konventionellen Dahergeredes befreit werden, um ihren Kern sichtbar zu machen: In der zeitbedingt moralisch etwas gewunden erscheinenden Erklärung Karl Brandts von 1945 kommt der Sachverhalt, den Brandt kennzeichnen wollte, trotz der Treue-Bekundung am Schluss seiner Einschätzung zum Ausdruck: Die Braun-Hitler-Beziehung war keine romantische Liebe, sondern eine Versorgungs-Angelegenheit.

So gibt Brandt seinen Eindruck über das Verhältnis von der Seite Eva Brauns wieder. Was Brandt weglässt, was in seinen Schilderungen aber durchsickert, ist die Perspektive von Hitlers Seite aus: Dessen Verhältnis zu Eva Braun hatte nichts mit männlicher Geilheit auf eine Frau zu tun.

Die Anglos haben für die »flüssigen« Beziehungen mit den »Döhringschen Laken-Rückständen« den unmissverständlichen Begriff »romance«. Romanzen gehen in der englischen Sprache immer mit Sex einher. Im Deutschen besteht diese Klarheit nicht, weil der Begriff hier zu ausgefallen ist und selten benutzt wird. Im Englischen ist er sogar eine Kategorie der Bücher-Einordnung in Bibliotheken und Buchhandlungen.

Gerade Karl Brandt war prädestiniert, diese Unterscheidung mit aller Zurückhaltung so zum Ausdruck zu bringen, dass klar wird: Das Hitler-Braun-Verhältnis war keine Romanze.

Brandts eigene Ehe mit der deutschen Meister-Schwimmerin Anni Rehborn ging aus einer Romanze hervor. Brandt wusste, was eine Romanze zwischen Mann und Frau ist. Brandt und Rehborn hatten im März 1934 geheiratet, als Brandt gerade 30 war (geboren Januar 1904).

Brandt umreißt das Außer-Romantische der Hitler-Braun-Beziehung mit mehreren Wörtern und Satzteilen: »Hitler war nicht der perfekte Liebhaber, den Eva sich in ihrem romantischen Herzen ausmalte. […] Er umsorgte sie wie ein Vater und bemühte sich immer darum, ihr das Leben an seiner Seite so angenehm und glücklich wie möglich zu machen. […] Immerhin hatte Hitler für Eva viel getan, als er sie aus dem gesellschaftlichen Nichts herausführte und an seiner Seite platzierte.«

Noch etwas Zweites prädestinierte Brandt dafür, den Unterschied zwischen Romanze und Versorgung mit seinen Formulierungen sichtbar zu machen: Brandt war neben Philipp Bouhler der leitende Mann, der Hitlers Euthanasie-Befehl vom 1. September 1939 organisatorisch und Verwaltungs-technisch in die Tat umsetzte und sowohl die Morde als auch die Menschenversuche supervisierte, wofür er vom amerikanischen Militärgericht in Nürnberg wegen begangener Kriegsverbrechen am 20. August 1947 zum Tode verurteilt und am 2. Juni 1948 hingerichtet worden war. Brandt hätte sich in seiner Funktion als Hitlers ärztlicher Begleiter nicht vor diesen Massenmord-»Karren« spannen lassen müssen. Seine Kollegen in der Position von Hitlers Begleitarzt, Hans Karl von Hasselbach und Werner Haase, haben das nicht getan.

Immer wieder ist darauf hinzuweisen: Niemand wurde unter Hitler zu den Ermordungen Wehr- und Hilfloser, zu den Greueln, »Abspritzungen« und Vergasungen in den KZs gezwungen. In Karl Bandts Psycho-Konstitution hat etwas gelegen, das ihn zum Töten Behinderter und Verhaltens-Abweichender drängte. Der Befehl Hitlers hat in Brandt lediglich etwas abgerufen, das nur ausgelöst werden musste. Bei der Euthanasie ging es im »größten Stil« um die Ermordung Hunderttausender »Unnormaler« in allen Hinsichten – körperlich, geistig, seelisch und sozial.

Als ab 1939 tödlich wirkender Norm-Fetischist ist Karl Brandt nun jedoch gerade besonders geeignet gewesen, das Verhältnis Braun-Hitler mit zurückhaltend feinsten Worten als »unnormal« zu kennzeichnen, etwas Ähnliches zu sagen, wie Hitlers Leibdiener Heinz Linge (6. Nein-Sager, Der »Führer« war kein »Ficker«): Hitler und Braun stellten vor etwa 50 Leuten des engsten Kreises ihr Verhältnis unter der Kategorie Romanze dar: doch »Führer« und »Geliebte« haben in Wirklichkeit die Versorgung einer gesellschaftlich Untersten durch den damals Obersten gelebt.

Unablässig wurden Fotos vom »hohen« Paar gemacht – manchmal allein, manchmal umringt von Teinehmern der Festivitäten – und in die Hände der Engsten lanciert. Immer mit dem Verbot der Veröffentlichung, aber nicht mit dem Verbot der Kenntnisnahme, der Betrachtung, des Aufstellens in den Privat-Wohnungen und der Info-Einsickerung in die Kreise von Verwandten und Freunden der Engsten.

Keine Hitler-Biografie, kein Gedenk-Aufsatz über ihn ohne Fotos vom »Duo infernal«, auch wieder bei Volker Ullrich 2013 und Ian Kershaw 2014. Da stehen oder sitzen Braun und Hitler ganz »normal«, ja allernettest zum Anfassen und Sich-Identifizieren für den Leib- und Geist-Zirkel um Hitler. (Ullrich, S. 688, 702, Kershaw 14, S. 33)

So sollte es schon ab 1936 sein. Und diese Bild-Paarschaft wirkt auf die Gemüter der Hitler-biografisch Tätigen bis heute. Die Publikationen der neuesten Braun-Biografien titeln mit den Paar-Fotos und erzielen schon allein damit erneut die Wirkung der heterosexuellen Stimmigkeit zwischen Hitler und Braun. (Lambert, Görtemaker)

Über dieses ständige Seit-an-Seit von »Führer« und »Geliebter« hätte Brandt eigentlich die gleichen Worte verwenden müssen, die der spätere Widerrufs-Diener Heinz Linge 1955 und 1980/82 benutzte: »Führer« und »Geliebte« – das sei ein »Liebesidyll« von zwei »Turteltauben« gewesen, die nur zufällig aus regulativen Gründen nicht heiraten konnten. Aber auch ohne Heirat »ging zwischen denen die Post ab«. (AMORO)

Der Normspezialist Karl Brandt hätte so etwas zum Ausdruck gebracht, wenn diese Charakterisierung des Verhältnisses Hitler-Braun der Wahrheit entsprochen hätte. Stattdessen kommen Brandts Pincetten-Wörter »Auserwählte an seiner Seite«, die Hitler »aus dem gesellschaftlichen Nichts herausführte« und »an seiner Seite platzierte«, mit der er »gefühlsmäßig tief verbunden« war.

Aber mit was für Gefühlen? »Umsorgte sie wie ein Vater«, »ihr das Leben an seiner Seite so angenehm und glücklich wie möglich zu machen«, »er überschüttete sie mit Charme und Freundlichkeit« – und mit sonst gar nichts! Er schüttete eben gerade nicht seinen Samen in sie. In dieser Hinsicht ging Braun leer aus.

All das bedeutet in der Aufhäufung der Superlative immer noch nicht, Hitler hätte den Körper der Eva Braun glücklich gemacht, sondern nur ihr Budget. »Glücklich machen« ist im Deutschen ein anderer Ausdruck für Sex: Eine Frau glücklich zu machen heißt, sie sexuell zu befriedigen. Damit ist nicht gemeint, »ihr das Leben an seiner Seite so glücklich wie möglich zu machen«, wie Brandt es festhielt. Die Aufplusterung des ganzen glücklich gemachten Lebens der Eva Braun überdeckt nur, dass ein bestimmter Körperteil dieser Frau durch diesen Mann nicht glücklich gemacht wurde.

Brandts »Treue« Hitlers gegenüber Eva Braun hat deutlich mehr soziale und weniger sexuelle Implikationen, wie es in der Formulierung »an seiner Seite platzierte« zum Ausdruck kommt. Und die Unsinnigkeit der Frage von Hitlers möglichen Fremdgängen enthält auch den verschwommenen Hinweis darauf, dass es fraglich ist, ob Hitler und Eva Braun überhaupt miteinander »gegangen« sind.

Noch oft wird bei der Analyse von Zeugen-Texten zu Tage treten: Nicht immer wollte ein Autor das sagen, was er vortrug. Ja, nicht immer weiß er genau, was seine Worte zum Ausdruck bringen. Aber der Text weiß es. Und das allein zählt als Zeugnis für die nächsten Generationen. Karl Brandt macht den Unterschied zwischen Romanze und Versorgungs-Verhältnis und teilt etwas über Treue mit, wobei er nicht direkt sagt, um welche Treue es sich handelt, um eine sexuelle oder eine soziale.

Der Brandt-Text ist zweimal veröffentlicht worden. Anton Joachimsthaler zitiert ihn vier Jahre nach Ulrich Schlie in der Kurzfassung der englischen Version vom Januar 1946 vor den Nürnberger Investigatoren, gespeichert in der Musmanno-Collection. Da heißt es: »Klar, Hitler war nicht der ideale Liebhaber, den sich Evas romantisches Herz ausgemalt hatte, aber er war ein Mann, der sie unterstützte und sich um sie sorgte. Hitler versuchte immer, ihr das Leben mit ihm so angenehm und glücklich wie möglich zu machen.« (Joachimsthaler 03, S. 604, Anm. 811) »Unterstützen« und »sich um sie sorgen« bedeutet nicht, in sie verliebt zu sein, erst recht nicht auf sie geil zu sein.

Im Englischen heißt es bei Brandt »make life for her with him as pleasant and happy as possible«. Wieder fällt das allgemeine Wort »life« und kommen nicht etwa die Begriffe »relationship«, »defacto marriage«, geschweige denn »love-affaire«, die Engeres und Sexuelles bezeichnet hätten.

Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland

Подняться наверх