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Hitler minus die Frauen

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Die nunmehr 14 Personen, die Hitlers unterbelichtete Heterosexualität bekundeten, teilen sich in drei Gruppen.

Erstens: Die Besuchs- oder Begegnungsfreunde wie Hoffmann (1.), Schwarz (2.), Hanfstaengl (4.) und die drei Münchener Freunde aus der 1913/14-Zeit (9.).

Zweitens: Die intervallisch Gerufenen und dann nonstop Anwesenden wie die Sekretärinnen Schroeder (3.) und Junge (11.), der Hausverwalter Döhring (5.), die Ärzte Brandt (12.) und Blaschke (13.), das Zimmermädchen Anna (14.) und auch die funktional temporär Permanenten wie Hitlers Münchener Vermieter Popp (9.)

Drittens: Die Ganzzeit-Körper-Nahen, die rund um die Uhr minütlich, zumindest von Stunde zu Stunde in Hitlers Gegenwart Weilenden, wie der Kammerdiener Linge (6.), der Zimmer-Freund Kubizek (7.), der Männerwohnheim-Genosse Hanisch (8.) und der Melde-Kamerad Brandmayer im Felde (10.).

Bei den letztgenannten ist die Nähe am engsten, weil sie über einen längeren Zeitraum ununterbrochen bestand und weder von Hitler noch von den Freunden/Begleitenden ausgesetzt wurde, solange die Gemeinschaft hielt. Kurze Abwesenheiten durch Dienste, Reisen, Tätigkeiten und Urlaube änderten an der prinzipiellen Enge zwischen Hitler und den genannten Personen nichts.

Die dritte Gruppe hat daher den höchsten Authentizitäts-Wert, weil die Nähe zwischen Hitler und den vier Männern wegen deren Funktion und Bedeutung für Hitler Eltern-Kleinkind-Beziehungs-ähnlich total war, was es sonst im Leben eines Erwachsenen nicht gibt, nur bei der ausgefallenen Position des Männerbünde-Führers und späteren Reichskanzlers, dem etliche Männer multifunktional ganz nah zur Hand gehen mussten. Die Total-Nähen zu Kubizek, Hanisch und Brandmayer ergaben sich Ausbildungs-, Wohn- und Kriegs-bedingt.

Wenn sich aus den Mitteilungen Kubizeks und Hanischs Hitlers Heterosexualität nicht ergibt, muss davon ausgegangen werden, dass sie zum Beobachtungs-Zeitraum in Hitler nicht vorhanden war. Brandmayer entblößt – ähnlich wie Kubizek – für die Zeit zehn Jahre später das Gleiche noch drastischer. Drastischer vor allem deswegen, weil Hitler jetzt im »Frau-baren« Alter ist. Doch Hitler wiederholt sein routinemäßig gegenüber Kubizek zum Ausdruck Gebrachtes: »Früher Mädchen nicht, jetzo Frauen nicht, und auch künftighin ›Klosterbruder‹ bin!«

Was aus dieser Haltung des jungen Hitlers hinsichtlich seiner Beziehung zu Frauen dann Jahrzehnte später zu Tage tritt – als es ernst werden sollte –, gibt der Von-Stunde-zu-Stunde-Nahe, Hitlers Leibdiener Linge, zu Protokoll: Für Eva Braun, die »Bettgenossin« eines solchen »Klosterbruders«, »ein entsagungsvolles Leben«.

Zu dem Von-Stunde-zu-Stunde-Nahen Heinz Linge gehören noch drei Weitere, die sich nach dem Ende des Dritten Reichs zu ihrer Position und zu Hitler geäußert haben – der Adjutant Julius Schaub, der Kammerdiener Karl Wilhelm Krause und der Leibwächter Rochus Misch.

Schaub war Hitler von 1925 bis 1945 ganz nah, weil Mädchen für alles = Bube für Jedes, eine Art Senior-Adjutant, der er dann 1933 auch positionell geworden war. Auf Schaub passt am besten Ullrichs Wort vom »ständigen Begleiter« Hitlers, (Ullrich, S. 313) das aus der Hetero-Begriffswelt für Intimst-Nahe entnommen ist, wo »ständige Begleiter« immer Bettgenossinnen und -genossen betrifft, im Schaub-Hitler-Fall jedoch beileibe nicht, sondern eher etwas wie ein Hund an der Leine, den sein Herrchen auf jedem seiner Ausgänge mit sich führt. Schaub wurde von Hitler für alles Ausgefallene andauernd herbeigerufen und zu Spezial-Aktionen beauftragt, wie am Schluss: »Verbrenne meine ganzen Hinterlassenschaften in der Reichskanzlei, am Prinzregentenplatz und auf dem ›Berghof‹!« (Schaub 46, 47)

Auch wenn es langsam lächerlich wirken wird, ständig den Lebensumstand Nähe zu superlativieren, muss darauf hingewiesen werden, dass der Naheste im Sinne von total und statisch unentwegt nah Hitlers frühester Reichskanzler-Kammerdiener Krause war – tätig ab 1934 mit einer kurzen Ungnade-Trübung, die sich jedoch zu neuer Nähe aufgeklart haben soll.

Anton Joachimsthaler stellte für die Herausgabe der Erinnerungen von Hitlers zweiter Sekretärin Christa Schroeder die Wirkungsdaten von Karl Wilhelm Krause in Hitlers Dienst zusammen und kam auf nur eine Nähe-Zeit von fünf bis sechs Jahren, während Krause selbst behauptet, er hätte zehn Jahre bei Hitler als Kammerdiener zu tun gehabt. (Joachimsthaler 85, S. 326, Anm. 99, Krause 49) Was Joachimsthaler 1985 schrieb, wurde ein bis zwei Jahrzehnte später von den SS-Spezialisten Williamson und Klubertanz und von ihm selbst differenziert: Krause, geboren 1911, trat mit 20 Jahren 1931 in die Marine ein. Bereits 1933 ist er in SS-Uniform als Begleiter Hitlers zu sehen, auf einem Foto, das Krause neben Hitler beim Besuch der Bayreuther Festspiele zeigt und das Joachimsthaler fast 20 Jahre nach seinen Krause-Daten veröffentlicht. (Joachimsthaler 03, S. 167) Krause selbst gibt an, dass sein Dienst als Kammerdiener Hitlers am 2. Juli 1934 begonnen habe. (Krause, S. 4/5)

In Bayreuth wirkt Krause auf dem Foto vom Sommer 1933 innerhalb der familiären Situation zwischen Hitler und den Wagners während der Festspiele wie ein Familienmitglied Hitlers. Als es Mitte 1934 zur Anheuerung Krauses für den Dienst beim Reichskanzler kam, hatte Hitler selbstverständlich schon Erfahrungen mit ihm gesammelt und sich nicht einen komplett Fremden »auf die Pelle rücken« lassen. 1939 entzündete sich das Zerwürfnis zwischen Hitler und Krause, weil Krause polnisches Mineralwasser anstatt des von Hitler befohlenen deutschen organisiert hatte. Nach dem Zerwürfnis gab es laut Krause jedoch eine Versöhnung zwischen Hitler und ihm, so dass eine reale Zeit der Hitler-Krause-Partnerschaft von etwa sechs bis sieben Jahren zusammenkommt und Krause mit seinen Zehn Jahren Kammerdiener bei Hitler nicht pur gelogen, sondern die Spanne der Nähe zu Hitler nur etwas ausgedehnt hat. (Krause, S. 69 ff/62 ff, Williamson »Krause«)

Julius Schaub skizzierte das Tun der Kammerdiener und damit die Ultra-Nähe zu Hitler: »Diener – Krause – von 1933 ab [Krause selbst sagt »1934«]. Mussten Wäsche herrichten, servieren und den Führer persönlich bedienen. Koffer packen, Hosen aufbügeln. Krause kam von der Marine, Linge und Junge von der Leibstandarte.« (Schaub 10, S. 46)

Kammerdiener Krause kann als Schatten beschrieben werden, den Hitler ganztags, vor allem morgens, abends und nachts nach sich zog. Das Wort Kammerdiener entstammt feudalen Bedingungen. Jemand »Niederes« war mit einer höheren Standes- oder Positions-gehobenen Person so verbunden, dass er deren Ganz-Körper-Bedürfnisse bis in die Schlafkammer hinein zu befriedigen hatte.

Den Telefonisten, Kurier und Leibwächter Rochus Misch kennzeichnet etwas anderes. Er war zwischen 1940 und Hitlers letzten Tagen 1945 in dessen unmittelbarer Nähe. Auch wenn in abgewandelten Funktionen, die ihn scheinbar nicht so nah wie Schaub und Krause bei Hitler sein ließen, bedeutete auch Misch für Hitler eine Unentbehrlichkeit, die am 22. April 1945, mitten im Untergang, in der Anordnung eines Zwischen-Befehlshabers im Bunker kulminierte: »Misch, Sie werden natürlich noch gebraucht!« (Misch, S. 203)

Aus den Schilderungen Mischs und den Fotografien in seinem Buch kommt heraus, dass er wie ein Sohn der Berghof-Familie wirkt – und zwar ein noch ziemlich junger Sohn, nicht einer, der schon außer Haus lebt, sondern einer, der noch verwachsen mit »Vater Adolf« und »Mutter Eva« ist.

Misch gibt an vielen Stellen seiner Erinnerungen seine Verwachsenheit mit beiden dominanten Personen während seiner genau fünf Jahre in Hitlers nächster Nähe zu: »Fünf Jahre lang – die letzten fünf Jahre im Leben Hitlers – wohnte ich dort, wo Hitler wohnte: in der ›Führerwohnung‹ in der Alten Reichskanzlei, in den ›Führerhauptquartieren‹, zuletzt im ›Führer‹Bunker.« (a. a. O., S. 14) Misch vergaß bei dieser Aufzählung den Berghof auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden. Zehn Fotos vom Berghof präsentieren Misch auch dort in Hitlers nächster Nähe.

Diese drei Ganz-Nahen, der längstamtierende Adjutant Schaub (zwei Jahrzehnte), der früheste Regierungs-Kammerdiener Krause (fünf bis zehn Jahre) und der intensivste Schluss-Nahe, sich zurecht Der letzte Zeuge nennend, hinterließen Äußerungen, die im Abstand von 50 bis 60 Jahren publiziert wurden – Krause 1949, Schaub 2005 und Misch 2008. (Krause 49, Schaub 10, Misch) Schaub, Krause und Misch haben Extra-Beobachtungen zu Eva Braun festgehalten – zu sonst keiner anderen Frau im Zusammenhang mit Hitler.

Dieses Fehlen von anderen Frauen in den Mitteilungen von drei Ultra-Nahen Hitlers sagt wiederum alles über Hitlers vakante Heterosexualität, wie es in den gesammelten Jugend-Zeugnissen beim Hauptarchiv-Mann Bleibtreu zum Ausdruck kommt und wie es bei Kubizek, Hanisch und Brandmayer steht: Die Hitler-Lücke Frau.

Hitlers Lücke Frau wird von seinem zweitjüngsten Biografen Volker Ullrich geschickt gefüllt in dessen Kapitel Hitler und die Frauen. Denn es haben sich ja so viele in Hitlers Nähe gedrängt, wie Nazi-Frauen-Kritikerin Martha Schad in ihrem Buch Sie liebten den Führer nachweist, (Schad 09) vor allem Kultur-Frauen und Finanz-potente Oberschichts-Damen: Die Filmemacherin Riefenstahl, die Architektin Troost, die Pianistin Ney, die Ärztin und Schriftstellerin Kemnitz-Ludendorff, die Wagner-Schwiegertochter Winifred, die Philosophen-Schwester Förster-Nietzsche, die Filmschauspielerin Tschechowa, die Soubrette Slezak, die Diplomaten-, Flügelbauer-, Textilproduzenten- und Verlegergattinnen Dirksen, Bechstein, Quandt (spätere Goebbels), Bruckmann und [Helene] Hanfstaengl, die Politiker-Töchter Mitford und Mussolini (spätere Ciano).

In diesen Beziehungen zwischen Hitler und den Frauen wurde jedoch von Sexualität nicht einmal geredet, geschweige denn dieselbe praktiziert. Diese Frauen« rotierten alle um die Achse von Hitlers anderweitigem libidinösem Interessiertsein. Ihr »Beine-Breit« galt seinem Kopf, geschah aus ihren Gedanken, die sie für ihn öffneten. Anstatt Kindern stießen sie für ihn Valuta aus.

Das Wichtigste an der bald insgesamt 23-gliedrigen Zeugen-Kette zur Nicht-Existenz von Hitlers Heterosexualität: Alle sagen das Gleiche – teils mit verschiedenen, teils mit identischen Worten.

Zum Beispiel wird der Sachverhalt der »entsagungsvollen Bettgenossin«, den Heinz Linge gegenüber den sowjetischen Investigatoren für das Buch Hitler mit einem Satz pointierte, von Hitlers »ständigem Begleiter« Julius Schaub mit vielen Einzelheiten spezifiziert. Schaub kannte seine Generations-Genossin Eva Braun von Anfang der Braun-Hitler-Beziehung an und komprimierte die Prinzipien dieses Verhältnisses. Zentrum seiner Darstellung ist Eva Brauns »entsagungsvolles Leben als Hitlers Bettgenossin«, auch wenn Schaub dieses Leben mit novellistischen Beschreibungen kennzeichnet. Er macht das aber so ausführlich, dass der festgehaltene Sachverhalt Detail-getreu überzeugend und nicht nur begrifflich zum Ausdruck kommt.

Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland

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