Читать книгу Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland - Volker Elis Pilgrim - Страница 24
Das Landsberger Zeugnis zu Hitlers Ein-Hoden-Syndrom
Оглавление70 Jahre strauchelte die Hitler-Biografik wegen der sexuellen Frage auch in Anbetracht der physischen Beschaffenheit von Hitlers Genitalien und ließ sich von Werner Maser ab 1971 täuschen, Hitlers Geschlechtsteile seien »ganz normal« gewesen, denn Hitlers Leibarzt Theodor Morell hätte sie mehrmals untersucht und darüber Berichte hinterlassen. (Maser 71/01, S. 319 f./323 f., 480, Anm. 70 f.)
Die Hitler-Biografik wusste nicht ein noch aus, wie sie es halten sollte. Denn im sowjetischen Obduktionsbericht stand, Hitler hätte der linke Hoden gefehlt. (Bezymenski 68)
Volker Ullrich bevorzugte es, Maser blind zu folgen: »Nach allem, was wir aber aus den Berichten seines Leibarztes Theodor Morell wissen, der Hitler auch im Intimbereich untersuchte, waren die Geschlechtsorgane seines Patienten normal entwickelt. Alle Vermutungen, er sei unfähig gewesen, Frauen körperlich zu lieben, treffen demnach nicht zu.« (Ullrich, S. 300, 911)
Da geschah 2010 ein »Finde-Wunder« in der Hitler-Forschung: Ein Fürther Auktionshaus kündigte für den 2. Juli 2010 die Versteigerung eines Konvolutes von über 500 Schriftstücken aus den Landsberger Gefängnis-Akten an, unter ihnen Amtszeugnisse zu Hitlers Festungshaftzeit zwischen November 1923 und Dezember 1924. Der Freistaat Bayern konfiszierte das Material per Amtsgerichtsbeschluss, weil das auf dem Antiquitäten-Markt angebotene Konvolut aus Staatsakten bestand »die nicht auf legale Weise« hätten »veräußert werden« dürfen. (Fleischmann, S. 9 ff., Kellerhoff 15)
Der damalige Direktor des Staatsarchivs München, Peter Fleischmann, gab 2015 die für 90 Jahre zuerst nicht greifbaren und dann verschwundenen Akten heraus. Seine sorgfältig recherchierte, detailliert Rechts- und Fakten-verbindlich kommentierte Edition des Materials ist eine unschätzbare Bereicherung für die Hitler-Forschung, vor allem wegen des nun einsehbaren Materials zur Frühgeschichte der NS-Kristallisation in Bayern.
Ullrichs »Gewusstes« fasste im Wort »wir« ein Nichtwissen der gesamten Hitler-Forschung zusammen: Weder waren Hitlers Geschlechtsorgane normal entwickelt, noch gibt es Berichte des Leibarztes Theodor Morell über dessen Untersuchungen von Hitlers »Intimbereich«. Ersteres konnte niemand vor dem Auftauchen der Landsberger Festungshaft-Akten wissen. Letzteres zu widerlegen erfordert ein weiteres Buch im Buch, nämlich das Abschluss-Kapitel der Geschichts-prozessualen Zeugen-Vorführung, die Zurückweisung Morells als ersten Ja-Sager, als einen glaubwürdigen Zeugen in Sachen Hitlers Heterosexualität (ANALO).
Damit jedoch die Diskussion um Hitlers geschlechtliche Normalität oder Unnormalität in Bezug auf seine genitale Beschaffenheit und Aktivität besser geführt werden kann, muss schon jetzt eine der wesentlichsten, verspätet zu Tage getretenen Neuheiten im Wissen über Hitler aus dem Landsberger Aktenmaterial mitgeteilt werden: Am 10. November 1923 fand abends im Landhaus der Hanfstaengls, in das Hitler nach seinem gescheiterten Münchener Putschversuch am 8./9. November 1923 geflohen war, seine Verhaftung statt. Er wurde von der bayerischen Polizei umgehend in die Festung Landsberg transportiert. Dort musste er sich am 12. November 1923 das einzige Mal als Hitler 2 einer amtsärztlichen Untersuchung unterziehen. Mit seiner vom späteren chirurgischen Begleitarzt Hasselbach übermittelten »Scheu, seinen Körper ganz entkleidet zu zeigen«, konnte Hitler diesmal nichts ausrichten. Er musste sich als politischer Gefangener vor dem bayerischen Gefängnisarzt ganzkörperlich freimachen.
Alles Behauptete von Hitler-Geschlechtsteil-Untersuchungen durch Ärzte wie Morell oder den Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten Giesing wird sich als Fälschung herausstellen (ANALO). Der Landsberger Gefängnisarzt ist der Einzige, der Hitler ganz nackt gesehen hat. Denn eine solche Gesamtkörper-Untersuchung Hitlers war nur diesem Landsberger Gefängnisarzt Dr. Josef Brinsteiner kraft dessen Amtsautorität gegenüber dem Gefangenen Adolf Hitler möglich.
Das hier interessierende Ergebnis zu Hitlers Geschlechtsteilen hielt Brinsteiner in einer knappen Zeile inmitten seines trocken deutlichen Untersuchungs-Befundes fest: »Hitler, Adolf, 35 J. l. Künstler, zuletzt Schriftsteller, München, 11. XI. 1923 nachts 10 ½ Uhr – […] gesund, kräftig / rechts[gestrichen: links]seitiger Kryptorchismus, Luxation des l(inken) Oberarms vor 2 T(agen) […] Anm. 10: [Kryptorchismus = Lageanomalie eines Hodens mit dauerndem Verbleib im Hodenkanal].« (Fleischmann, S. 417)
Eingetragen im »›Aufnahme-Buch für Schutzhaft-, Untersuch(ungs-) u(nd) Festungshaft-Gefangene 1919‹ bis 1933 der Anstaltsärzte Dr. Josef Brinsteiner und Dr. Hermann Eller der Gefangenenanstalt Landsberg am Lech.« (a. a. O., S. 405 ff.)
Ob bei den Untersuchungen von Hitler 1 im Reserve-Lazarett zu Pasewalk im Oktober/November 1918 und bei seiner polizeilich erzwungenen Musterung am 5. Februar 1914 in Salzburg vor der staatlichen Ärzte-Kommission Genital-Check-ups stattgefunden haben, ist urkundlich nicht übermittelt worden. Es existieren zu Pasewalk nur der Eintrag »Gasvergiftung« im erhalten gebliebenen Krankenbuch (Krankenbuchlager Berlin) und in den Zählkarten, ferner das Ergebnis der österreichischen Musterung: »Zum Waffen- und Hilfsdienst untauglich, zu schwach. Waffenunfähig.« (Jetzinger, S. 265)
Nur Josef Brinsteiner und fast ein Jahrhundert nach ihm Peter Fleischmann haben der Welt Hitlers Solotestis, seinen Monorchismus als Kryptorchismus überliefert.
Sven Felix Kellerhoff weist Ende 2015 in seiner Welt-Besprechung von Fleischmanns Publikation der Landsberger Gefängnis-Akten daraufhin, dass Dr. Brinsteiner »Nationalist war und Hitlers politische Ziele geteilt« hat. Brinsteiner kann demnach nicht aus Gehässigkeit oder einer »linken Position« heraus Hitler das Einhoden-Syndrom angedichtet haben, um ihn als abnorm zu brandmarken und damit politisch zu diskreditieren. (Kellerhoff 15) Wie wohlwollend Brinsteiner mit Hitler umgegangen ist, schlägt sich in seinem Gutachten vom 8. Januar 1924 nieder. Brinsteiner musste Hitlers Zurechnungsfähigkeit und demnach Verantwortlichkeit für den Münchener November-1923-Putsch amtsärztlich beurteilen. Der Gerichtsmediziner kam »zu der bestimmten Anschauung, dass Hitler stets Herr seiner freien Selbst- und Willensbestimmung war und in seiner Geistestätigkeit nicht krankhaft beeinflusst war.« (Brinsteiner, S. 92)
Die Zeugen Hasselbach, Maurice und Hanfstaengl sind amtsärztlich bestätigt worden: Hitlers Genitalien waren gemäß der überlieferten Landsberger medizinischen Diagnose beschädigt = nicht normal entwickelt.