Читать книгу Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland - Volker Elis Pilgrim - Страница 37
»Hitlers Verhältnis zu Eva Braun war eindeutig unnormal«
ОглавлениеDas Vertrackte bei der Beweisführung von Hitlers nicht existenter Heterosexualität: Oft erreichen die Auszugs-Zitate keine genügende Klarheit.
Erst die ungekürzte Schaub-Passage über die ewig wartende Eva Braun mit allen Facetten enthüllt die Wahrheit, zieht den in Richtung Braun sexuell nicht tätigen Hitler nackt aus und zeigt die Bescherung: Da »steht« einfach nichts bei ihm vor und für Eva Braun.
Was sollte die Eingemeindung Brauns in den Berliner Gattinnen-Mittagstisch? Sonder-Demonstration vor dem Entourage-Anhang oder Sonder-Kränkung der Pseudo-Partnerin? Eva Brauns ständige Enttäuschungen durch Hitler bis zu seinem Hochnehm-Geschenk des rosa-Diamanten-besetzten 15 000-Mark-Rings für nichts anderes als eine »Kapitalrücklage«! In Cash wäre die Geste weniger verhöhnend gewesen.
Auffällig die Eifersucht Eva Brauns auf Leni Riefenstahl, mit der sicher nichts war, wie Hitlers erste Sekretärin Johanna Wolf als 16. Zeugin sogleich sagen wird. Doch gerade auf die geistige Beziehung Hitlers zu Riefenstahl war Braun eifersüchtig – die Amateur-Filmerin für den Hausgebrauch auf die international akklamierte, höchst professionelle Cineastin Riefenstahl. Es handelte sich bei der Eifersucht Brauns auf Riefenstahl um eine reine Sach-Eifersucht, die auch belegt: kein sexuelles Verhältnis zwischen Braun und Hitler. Riefenstahl war eine geistige Konkurrentin Brauns und keine sexuelle, weil es bei beiden Frauen zwischen ihnen und Hitler nichts Sexuelles gab, auf das frau hätte eifersüchtig sein können.
Das noch Schlimmere bei der Beweisführung in Sachen »Hitlers Sexualität«: Viele Stellen über Hitlers Nicht-Heterosexualität geben ihren Wahrheitsgehalt erst nach mehrmaligem Lesen preis.
Zuerst erschien die Schaub-Erzählung fast unbrauchbar für ihre Einreihung in die Nein-Fraktion. Schließlich wirkt sie schlagend. Schaub könnte ohne seine bisher 22 Mitzeugen dastehen, wenn es um die Beantwortung der Frage zum Braun-Hitler-Verhältnis geht: Flüssig oder trocken?
Muss allein schon wegen Schaubs Ambiente des heterosexuellen Etwas-Fehlens im Raum eines Mann-Frau-Paares sein Bericht als 15. Nein-Zeugnis herangezogen und ernst genommen werden, so hat Schaub auch noch zusätzlich einen Ein-Wort-Blitz zum eigentlichen Problem des Verkehrs zwischen Braun und Hitler in die Hitler-biografische Ratespiel-Szene gefunkt. Schaubs Interviewer Robert Kempner ist wie alle damaligen alliierten Interrogateure der Mittäter aus dem Hitler-Umfeld an der menschlichen Zentralfrage interessiert: Haben Braun und Hitler oder haben sie nicht?
Und in Kempners geschicktem Kreuzverhör lässt Schaub die Wahrheit punktuell wie seine 14 Vorzeugen heraus: Sie haben nicht.
»Schaub: Es ist weder von Juden umlegen noch von Konzentrationslagern gesprochen worden.
Kempner: Von was denn? Von der Eva Braun? […]
Schaub: Ja, wenn wir auf dem Berghof waren. […]
Kempner: Über ihr Haar oder über Strümpfe, worüber denn?
Schaub: Ach Gott!
Kempner: Nicht ›Ach Gott!‹, ich will wissen, worüber Sie sich unterhalten haben.
Schaub: Dass sie ins Geschäft geht. Ich könnte Ihnen im Augenblick jetzt kein Thema sagen. […]
Kempner: Hat er sie sehr geliebt?
Schaub: Er hat sie sehr lieb gehabt.
Kempner: Was heißt das, das weiß ich nicht, was das heißt, wenn Sie in München sagen: ›Er hat sie gern gehabt‹. Hat er sie geliebt?
Schaub: Er hat sie lieb gehabt. […]« (Schaub 10, S. 15)
Sollte sich jemandem das Nicht-Sexuelle der Beziehung Braun-Hitler aus Schaubs Bericht über die langen Zwischenzeiten als Brauns Warte-Zelebrierungen nicht auf Anhieb von selbst erschließen, so erschloss es der Nazi-Verhörer Kempner in seinem Interview mit Schaub. Kempner trieb Schaub mit den Begriffen »lieben« und »liebhaben« oder »gernhaben« in die Enge. Kempners Frage »Hat er sie sehr geliebt?« heißt un-obszön: War das eine Geschlechts-bezügliche Liebe? Schaub weicht aus, weil er den Fakt des geschlechtlichen Mangels in der Braun-Hitler-Beziehung kennt, das geschlechtliche Entgehen, das Eva Braun erleiden musste. Deshalb ihr oftmaliges Enttäuschtsein. Das allein ist der essentielle Mangel, für den Hitler Braun »irgendwie entschädigen« muss.
Im Deutschen ist der sprachliche Unterschied, um den der Ankläger und sein Angeklagter miteinander ringen, aufdeckend deutlich: »Sehr geliebt« heißt mit Geschlechts-Affekten und -Praktiken verbundene Liebe. »Lieb oder gern gehabt« bedeutet ohne Involvierung des Geschlechtlichen – sowohl in der Praxis wie in der Intention.
Schaub lässt im Interview mit Kempner die Wahrheit schließlich unumkleidet heraus, ja er wiederholt sie. Er lügt nicht, obwohl er seinen ehemaligen Chef nicht brüskiert, wie es viele von Schaubs Mitzeugen mit ihren einprägsamen Begriffen taten. Denn die Plakettierung des Verhältnisses Braun-Hitler als etwas Steriles ist eine Brüskierung, wenn nach 1945 eine als heimliche Mann-Frau-Geliebtenschaft fast zehn Jahre lang dargestellte Hausgemeinschaft als sexuell inaktiv entblößt wird. Spätestens ab diesem Moment setzt sich die Lawine der Unnormalitäts-Verdächtigungen in Bewegung, wofür der Zeuge Heinz Linge (6.) sich mit dem Satz stark gemacht hat: »Hitlers Verhältnis zu Eva Braun war eindeutig unnormal.«
Ist das Wort »unnormal« hier schon diffamierend genug, so unterstreicht der Hitler-Gefolgsmann es noch mit der Stützvokabel »eindeutig«: Für den Leibdiener des »Führers« gab es an der Unnormalität von Hitlers Verhältnis zu Eva Braun nichts zu deuteln. Es war »eindeutig unnormal«.
Ausgerechnet der Führer des Gesamtunternehmens deutscher Terror-Staat demonstrierte routinemäßig vor seinem direkten Umfeld eine Mann-Frau-Liaison, die im wesentlichsten Punkt eines solchen Verhältnisses nicht funktionierte, was sie wegen ihrer vor allem permanent fotografischen und Festivitäts-Darstellung hätte tun sollen.
Im englischen Original des Kempner-Schaub-Interviews vom 12. März 1947 für die Unterlagen der US-Nazi-Verfolgungs-Behörden heißt die Schaubsche Wendung »er hat sie lieb gehabt« »he was fond of her«.
Genau stehen wieder die beiden Gegensätze vom Lieben nebeneinander, indem Kempner Schaub zuerst fragt: »Was he in love with her?« Darauf Schaub erneut: »He was fond of her.« Kempner insistiert, will auf den Punkt kommen, wird ärgerlich, weil Schaub zunächst mit »Ach Gott!« ausweicht. Und dann kann er nicht anders und lässt die Wahrheit heraus, indem er Kempners »was he in love with her?« sein »he was fond of her« entgegenstellt.
Im Englischen sind die Gegensätze des Liebens noch klarer als im Deutschen: »in love with her« = mit Sex, »fond of her« = ohne Sex.
Für die schwerst Begriffsstutzigen wiederholt Schaub seine Aussage vom ›Ohnsex‹ des Braun-Hitler-Verhältnisses. (Schaub 47, S. 5 f.)
Der Katalog der englischen Bedeutungen von »fond of« enthält eine reiche Auswahl von »gernhaben« oder »gern tun«. Mindestens zehn Beispiele fasst der modernste English-German-Collins unter »fond of« zusammen: Jemand ist Tier-»lieb«, ein Freund der Stücke von George Bernhard Shaw, mag Gartenarbeit, geht »liebend gern« einkaufen, tut etwas mit »Vorliebe«, hat jemanden im Laufe der Zeit immer »lieber« bekommen, verabschiedet sich »liebevoll« von einer Person, die ihm »ans Herz gewachsen« ist, ist seinen Kindern und Verwandten »allerliebst« zugetan … Keine einzige Bedeutung enthält Sex. Im Gegenteil, alles Mögen, Lieben als Gernhaben und Gern-Tun schließt Sexualität hundertprozentig aus.
Noch deutlicher kommt in der englischen Fassung des Interviews heraus, dass der 20 Jahre für Hitler tätige Adjutant Schaub Hitlers komisches Gernhaben der Eva Braun ohne Sexualität nicht verstanden hat – überhaupt dieses andauernd und zu allen Seiten hin von sich gegebene Hitler’sche Credo vom Nicht-Heiraten.
Jetzt kommt es am dicksten. Dieses Credo Hitlers bedeutete nicht etwa: Aber ins Bett gehen mit Demo-Freundin Eva, ja, allezeit. Nicht-Heiraten hieß für Hitler Nicht-»Sexen«, Nie-ins-Bett-mit-Frau.
Hitler habe Eva Braun die ganze Zeit in Schaubs Gegenwart immer mit »Fräulein Braun« angeredet. Schaub schüttelt den Kopf darüber, dass keiner von Hitlers »personals« das hätte verstehen können, weil ja alle diese Männer jung und verheiratet waren, alle mit Frauen ins Bett gingen. (a. a. O.)
Schaubs »lieb gehabt« und »sehr lieb gehabt« passt zu dem, was Hitlers jüngste Sekretärin Traudl Junge über das Verhältnis Braun-Hitler schon als Anfang-20-Jährige beobachtet hat: Hitler hätte sich gegen Kriegsende heftige Sorgen um »seine Eva« gemacht, weil sie immer ablehnte, in den Luftschutzbunker ihres Münchener Hauses zu gehen, wenn Fliegeralarm kam. Hitler sorgte sich um Eva Braun wie eine Mutter um ihr Kind – um etwas liebgehabtes Unersetzliches.
Ins Bett gehen kann »Mann« mit jeder, aber die Stelle eines Menschen am Herzen ist etwas Unersetzbares, das bei in Aussicht gestelltem Verlust Angst macht. In einer solchen Situation befand sich Hitler, wie Junge berichtet: »Sie geht nicht in den Bunker, obwohl ich sie dauernd darum bitte, und das kleine Häuschen wird eines Tages zusammenfallen wie ein Kartenhaus«, erzählte Hitler seiner Sekretärin »den ganzen Tag von Evas Tapferkeit.« (Junge 02, S. 120)
(Nachtrag zum aufdeckenden Kempner-Schaub-Interview: Das Wort »geliebt« = »in love with her« verwendet Schaub nur im Zusammenhang mit dem Verhältnis Hitlers zu seiner Halbnichte Geli Raubal. [Schaub 10, S. 69] Dass in dieser Beziehung Hitlers zu einer jungen Frau sein Geschlechtliches mitschwang – darüber ist sich die Hitler-Biografik unisono einig.)
Anton Joachimsthaler zitiert in seinem Buch Hitlers Ende aus einer Schaub-Befragung kurz nach dem April 1945, in der es mit anderen Worten um das Gleiche ging. Wieder wurde zwischen Interviewer und Interviewtem um die Art des Liebens zwischen Hitler und Braun gerungen. Die Kampf-Vokabeln waren in der englischen Übersetzung von 1996 »love« = mit Sex, wonach Schaub befragt wird. – Nein, »like« = ohne Sex, antwortet er. Und als Schaub mit noch größerer Deutlichkeit nachbessern soll, sagt er: Hitler »had affection for her« = Zuneigung für sie. (Joachimsthaler 96, S. 266) Das englische »affection« ist ein Gemütszustand, bleibt in der Körper-Region der Gefühle Mitte-Oben, geht jedoch nicht nach Mitte-Unten, wo die Geschlechtsorgane des Menschen nun einmal liegen.