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Braun und Hitler getrennte Erotika: Kriegmachen und Kuppeln
Оглавление18. Zeuge – Hitlers Leibwächter, Kurier und Telefonist Rochus Misch
Zunächst hat Rochus Misch die gleiche Beobachtung gemacht, von der auch Zahnarzt Hugo Blaschke (13.) und das ehemalige Zimmermädchen Anna Plaim-Mittlstrasser (14.) berichten – sie hätten nichts bemerken können, das auf eine Liebesbeziehung zwischen Braun und Hitler hinwiese.
Anziehung zwischen Menschen vermittelt sich irgendwie, sogar bei Schauspielern auf der Bühne. Hitler und Braun haben sich zwar unentwegt vor ihrem Gehilfenkreis als Paar dargestellt, konnten aber ihre nicht vorhandene Anziehung nicht simulieren. Nichts an »Erotischem« (Traudl Junge [11.]) strahlte das Paar aus.
Anziehung zeigt sich sogar bei Paaren, denen man zum ersten Mal begegnet. Ja, Anziehung ist auch noch bei langlebigen Paaren zu spüren, deren Beziehung nicht mehr vor äußerster Spannung vibriert. Alle hier verwendeten Begriffe wie Anziehung, Spannung, Vibration hatten nichts mit dem Klima zwischen Hitler und Braun zu tun, das Misch einfing und der Nachwelt übermittelte: »Eva entsprach nicht gerade dem Ideal eines deutschen Mädchens, wie man es vielleicht erwartet hätte. Natürlichkeit und Bodenständigkeit waren ihre Sache nicht. Sie zog sich mehrmals täglich um, war immer sorgfältig geschminkt und trug kostbaren Schmuck. Ich habe nie irgendwelche Intimitäten zwischen Hitler und Eva beobachtet. Meine Kameraden ebenfalls nicht, jedenfalls sprach nie jemand darüber. Ich hätte es auch nicht getan, wenn mir etwas aufgefallen wäre. Soweit ich das mitbekommen konnte, riefen sich beide, wenn Eva auf dem Berghof und Hitler in Berlin war, nicht allzu oft an, keinesfalls täglich.« (Misch, S. 110)
Über dieses pure Aufhäufen des Beziehungs-restlichen »Mont Schamotts« hinaus steuerte Misch jedoch etwas Eigenes bei, mit dem er die Braun-Hitler-Beziehung als ein counter-erotisches Arrangement enthüllte, das den weiblichen Beteiligten daran oft nervte: »Nachdem Hitler im Herbst 1940 zwischen Berlin und Berchtesgaden regelrecht pendelte, war auch ich im Oktober, nach einem vorübergehenden Aufenthalt zu Hause bei meiner Frau, wieder auf dem Berghof. Ende Oktober verließ Hitler den Obersalzberg, um sich mit General Francisco Franco an der französisch-spanischen Grenze zu treffen [am 23. Oktober 1940 in Hendaye auf dem dortigen Bahnhof].
Kaum war Hitler abgefahren, nahm Eva das Heft in die Hand. Sie war eine Frau mit zwei ganz unterschiedlichen Seiten. In Hitlers Gegenwart war sie zurückhaltend […] Verließ aber Hitler den Berghof, änderte sich ihr Auftreten schlagartig. Man hätte die Limousinen noch die Serpentinen hinabfahren sehen können, da wurden schon die ersten Vorbereitungen für mancherlei Amüsements getroffen. Gerade noch sittsam wie eine Gouvernante, stellte sie nun alles auf den Kopf. Und fröhlich wurde sie dann, fröhlich und ausgelassen, beinahe kindisch.
An jenem Oktobertag, als Hitler nach Südfrankreich aufbrach, waren vom Begleitkommando nur mein Kamerad Karl Tenazek und ich zurückgeblieben. Schon bald darauf erschien Eva bei Karl und mir und lud uns ein, zu den anderen in die Wohnhalle zu kommen. Die Mädels bräuchten Tanzpartner. Ungläubig und zögernd folgten Karl und ich ihr. [Es war Mischs erste Erfahrung mit Eva Braun, der ›Frau mit den zwei Gesichtern‹ (letzter Garbo-Film)] Im Handumdrehen hatte sie eine kleine Party organisiert – mit Foxtrottmusik und kleinem Büfett. Wir naschten ein bisschen und unterhielten uns.
›Ihr müsst lustig sein‹, animierte Eva Karl und mich immer wieder. ›Ihr müsst tanzen‹. Eva wollte mich unbedingt mit einer Hausangestellten verkuppeln, die Gretl hieß. ›Ihr seid’s a schönes Paar‹, kicherte sie wie ein Backfisch. Beziehungen zwischen den weiblichen Bediensteten des Berghofs und den Kameraden aus dem Begleitkommando waren nicht selten. Irgendwann hatte sich auch das letzte Stubenmädchen einen Begleitkommando-Mann geschnappt, schien es. Auch von jenen, die – wie ich – vergeben [= verheiratet] waren, konnten nicht alle einem Techtelmechtel mit einem der Mädchen vom Berghof oder aus Berchtesgaden widerstehen. Viele waren lange von zu Hause weg. Ich hatte das Glück, Gerda [Mischs Ehefrau] wenigstens während der Aufenthalte in Berlin regelmäßig sehen zu können. Diese von Eva immer wieder in meine Nähe bugsierte Gretl war auf dem Berghof das ›Bar-Mädchen‹.« (a. a. O., S. 111 ff.)
Wieder wie bei Zahnarzt Blaschke (13.), Zimmermädchen Anna (14.), Adjutant Schaub (15.) und Kammerdiener Krause (17.) blitzt auch bei Telefonist Rochus Misch etwas Unverwechselbares, novellistisch Treffendes auf.
Die Erotik der Eva Braun begann erst nach der Abreise ihres Partners in Aktion zu treten, genauso wie für Adolf Hitler das Sado-Erotische = das Kriegmachende mit seiner Abreise zusammen mit seinen Militär-Mannen nach seiner Erholung auf dem Berghof endlich wieder fortgesetzt werden konnte. Jetzt ging auch Hitlers Tanzerei erst richtig los, wie Fotograf und Kameramann Walter Frentz Hitlers Frohlocken nach dem Sieg über Frankreich 1940 festgehalten hatte. Da enthemmte Hitler sich wirklich zu einem Bein-hebenden Tanz. (Toland 92, Frentz’ Hitler-Tanz-Bild-Folge neben S. 485 – in der deutschen Ausgabe von Tolands Biografie nicht zu haben! [Toland 76/77])
Schon im Jahr zuvor hatte Hitler getanzt – am 15. März 1939 nach dem k.o.-Schlag gegen den tschechischen Staatspräsidenten Emil Hácha, der auch physisch zusammengebrochen war, als Hitler ihm den Überfall seiner Angriffs- alias Wehrmacht auf Tschechien für den nächsten Morgen 6 Uhr angekündigt hatte.
»Überglücklich« nach dem »größten politischen Geniestück aller Zeiten«, (Goebbels) forderte Hitler seine Sekretärinnen Daranowski und Schroeder auf: »So Kinder, jetzt gebt mir mal da und da einen Kuss!« (Schroeder 85, S. 88)
Abermals entblößte Hitler den Zusammenhang zwischen Volkstotschlag und orgiastischer Juppheidie-Ausgelassenheit bis ins Körperlich-Erotische seiner verlangten Sekretärinnen-Küsse hinein. In Volker Ullrichs brillanter Darstellung des Politiker-killenden Hitler-Coups nun gegen die Tschechei entlarvt sich glasklar das »Gangsterstück aus Drohungen und Erpressungen, wie man es in der neueren Diplomatiegeschichte noch nicht erlebt hatte«. (Ullrich, S. 828 f.)
Auf der Hausfrauen-Seite der Eva Braun kommt ihre Spezialität der Destru-Erotik in Rochus Mischs Erinnerung zum Vorschein. Braun mutierte, sowie Adolf Hitler ihr den Rücken gekehrt hat, zur Kupplerin – mit k. o.-schlagenden Folgen gegenüber allen Ehefrauen und Partnerinnen der jungen Hitler-Begleitmänner, die sie dazu verführte, sich hinter dem Rücken der Soldaten-Frauen mit den Berghof-Mädchen einzulassen. Das ganze Haus sollte tanzen, wozu Braun es mit ihrer aus dem Boden gestampften Party zwang. Und Tanzen hieß dann unmittelbar anschließend: »In die gemeinsamen Betten mit Euch!«, »Ihr seid ein schönes Paar!«
Verblüffend ist Rochus Mischs Gegenüberstellung der beiden Braun-Existenz-Stadien: Bei Anwesenheit Hitlers = Gouvernante, bei seiner Abwesenheit = Kupplerin. Gouvernante ist das treffende Bild für das Komplett-Unerotische einer Frau.
Die Gouvernante stand zwischen Eltern und Kindern in gehobenen Familien des ausgehenden feudalen Zeitalters, abgeleitet vom französischen Wort »gouverner« = regieren und regeln. Das tat auch Eva Braun in der Position von Adolf Hitlers (Stroh-)»Hauswirtschafterin«, als die sie den jungen Männern des Begleitkommandos offiziell vorgestellt worden war. (Misch, S. 110) Aber Eva Brauns Eigentliches war der vorlusthafte Gruppen-erotische Tanz.
Kupplerin ist im Gegensatz zur Gouvernante eine erotische Kategorie: Die Kupplerin »verlustiert« sich an den von ihr gestifteten Paaren. Sie hat ein voyeuristisches sexuelles Naturell. Sie ist zwar nicht Gruppen-sexuell an den Paar-Stiftungen beteiligt, aber Gruppen-erotisch. Sie arbeitet in medias res für jegliches Horizontale. Und das erfreut sie, drastischer formuliert: Das geilt sie auf.
Ob Eva Braun mit eigenem Horizontalen am Gruppen-erotischen Vorgang Tanzen zwischen den Kriegern und den Mädchen beteiligt war, ist im Moment nicht wichtig zu klären, deswegen geschieht es erst in ORALO. Es genügt, den von Rochus Misch dargestellten Gegensatz der Braun-Befindlichkeiten hervorzuheben: Braun-Hitler, wenn zusammen = Gouvernante. Braun-Hitler, wenn getrennt = Kupplerin.
Alle um Eva Braun herum, die sie verkuppelte, waren jung. Misch war während seiner Zeit mit Braun und Hitler zwischen 23 und 28 (geboren 1917, eingestiegen bei Hitlers Mai/Juni 1940). In Mischs Alter waren auch die anderen »Begleitkommenden«. Eva Braun selbst (geboren 1912) war in der Misch-Hitler-Zeit 28–33. Kaum einer der Tänzer war über 30. Die uniformierten Männer wirkten auf Frauen stimulierend – ein Kriegs-fördernder erotischer Effekt auf das weibliche Geschlecht. Die Ursachen dieses selbstschädigenden Defekts wurden bisher Frauen-forscherisch weder gehoben noch abgeschafft. (Pilgrim 94)
Rochus Misch mochte Eva Braun, er glaubte ihrer und Hitlers Darstellung, ebenfalls der »Mätressen«-Show-Architektur am Berghof und in der Reichskanzlei und auch den Begegnungs-Riten. Er hat sich brav täuschen lassen. (Misch, S. 110 f., 113)
Aber Mischs unkontrolliertes Sensorium schert für seine Erzählung aus der Diener-Gefälligkeit aus, das Falsche registrieren und für echt halten zu sollen. Wieder ist wie bei Kammerdiener Krause (17.) Rochus Mischs Unbewusstes klüger als sein Bewusstes. Misch stellt die Atmosphäre dar, sowie Braun und Hitler getrennt waren und hält damit das Richtige fest: »Erotisch-sexuell« ging es bei dem »Paar des Grauens« erst dann los, wenn es sich trennte. Zusammen waren sie ein sich langweilender, monologisierender Hausherr und eine gouvernantische Hausfrau.