Читать книгу Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland - Volker Elis Pilgrim - Страница 27
Heterophobisch – Angst vor Mädchen und keine Jugendliebe
Оглавление8. Zeuge – Hitlers Wiener Männerheim-Kumpel Reinhold Hanisch
Über das erste halbe Jahr (zwischen Februar und Ende Juli 1910) von Hitlers 3 ¼-jähriger Zeit im Wiener Männerheim gibt es den sich ausführlich äußernden Zeugen Reinhold Hanisch, von dem mindestens zweimal Aussagen hinterlassen wurden – die erste nachweisliche gegenüber einem österreichischen Freund. Dieser Text ist später im Hauptarchiv der NSDAP gelandet. (Hanisch 36) Darüber hinaus gab es Gespräche zwischen Hanisch und den ersten beiden kritischen Hitler-Biografen Rudolf Olden und Konrad Heiden, die beide Hanischs Äußerungen mitunter ohne genaue Nachweise in ihre Hitler-Biografien einfließen ließen. Eine Publikation unter Pseudonym kam 1933 in Bratislawa [Pressburg] heraus, die unter anderem Hanisch zugeschrieben wurde. (Louisade) Hanischs zweite Aussage erschien 1939 nach seinem Tod 1936 in der US-Zeitschrift New Republic. (Hanisch 39)
Die Hitler-Wien-Zeit-Spezialistin Brigitte Hamann musste sich für ihre Beweisführungen mit Hanischs Glaubwürdigkeit als Zeugen zu Hitlers Wiener Umständen auch schon vor dessen Eintreffen im Männerheim auseinandersetzen. Trotz Hanischs biografischer Zwielichtigkeit in der Nähe zur Kriminalität und wiederholter Begehung von Delikten wie Diebstahl und Urkundenfälschung, trotz Hanischs Meldung unter falschem Namen bei seinem ständigen, fluchtartigen Wohnwechsel plädiert Brigitte Hamann zugunsten von Hanischs Glaubwürdigkeit zumindest in den Angelegenheiten von Hitlers sexuellem Fluidum. (Hamann 96, S. 265 ff., Joachimsthaler 2000, S. 331, Anm. 115)
Da die Beziehung zwischen Hanisch und Hitler im August 1910 im Streit geendet hatte, wollte das Hauptarchiv der NSDAP bei der Aufbewahrung und für die einstmalige Nutzung der Hanisch-Aussagen auf Nummer Sicher gehen. Hitler hatte Anfang August 1910 Hanisch durch einen anderen Männerheim-Freund wegen Veruntreuung zweier seiner Bilder anzeigen lassen. Hitler selbst machte am 5. August 1910 vor der Wiener Kriminalpolizei eine Aussage. Das Dokument des Polizeikommissariats im XX. Bezirk blieb erhalten und enthält Fälschungs-resistente Einzelheiten. (Hitler 80 I, S. 52)
Das Hauptarchiv der NSDAP veranlasste von einem ehemaligen Bekannten des später zerstrittenen Freundespaares Hanisch-Hitler eine eidesstattliche Erklärung vor einem Wiener Amtsgericht. In dieser Erklärung gab der Bekannte der ehemaligen Freunde, der Kunstprofessor Carl Leidenroth, zu Protokoll, dass vor Mitte 1910 Hanisch und Hitler eng miteinander befreundet gewesen wären und Hanisch regelmäßig auf dem Wiener Kunstmarkt alle damals von Hitler gemalten Bilder vertrieben hätte. Die eidesstattliche Erklärung wurde am 27. August 1935 abgegeben, noch vor dem »Anschluss« Österreichs an Nazideutschland nach dem Einmarsch der deutschen Armee im März 1938 (BAB, NS 26/64, Bl. 32)
Mag diese oder jene Einzelheit in den Statements von Hanisch zu dessen Gunsten ausgeschmückt worden sein, beim Licht auf Hitlers Hetero-Bedingungen gab es nichts zu Hanischs Gunsten zu drehen. Das Thema ist auch bei Hanisch auf genauso prinzipielle Weise wie bei Kubizek anti-heterosexuell konturiert.
Um Hitlers Frauen-Aversion deutlich zu machen, hält Hanisch eine Episode fest, die ihm Hitler erzählt hatte: Um zehn-jährig war Hitler auf seinem Weg zur Schule von einem Bauernmädchen angemacht worden, in Panik geraten und weggelaufen und hatte dabei die Milchkanne des Mädchens umgestoßen. (Hanisch 39, S. 297)
Die Episode trieft vor Symbolik: Hitler befindet sich am Ende seiner dörflichen Schulzeit in Leonding und am Anfang seiner Pubertät. Jeden irgendwie am Weiblichen interessierten Jungen hätten die Avancen des Milchmädchens hoch erfreut. Nicht so den heterosexuell blockierten Adolf Hitler. Er kann nicht einmal ruhig weitergehen und das herausfordernde Mädchen stehen lassen. Er muss fliehen. Das ihm gezeigte Interesse einer Weiblichkeit schlägt ihn in die Flucht. Bei seinem Abgang ist er derart konfus, dass er die säulenhafte Milchkanne des Mädchens umstößt.
Eine noch so versprengte positive Bemerkung Hanischs zum erwachsenen »Hitler und die Frauen« (Ullrich) taucht nicht auf. Jetzt zwischen Februar und August 1910 ist Hitler bereits 20/21 Jahre alt.
Wenn ein naher Freund und enger Mitarbeiter Hitlers, dessen Bilder Hanisch verkaufte, nichts Bejahendes zum Thema Hitlers Heterosexualität beisteuert, dann muss er als 8. Zeuge inmitten der Nein-Fraktion zu Hitler und die Frauen gezählt werden. Die Liste der Neins bekommt mit Kubizek und Hanisch allmählich die Oberhand gegenüber den bisherigen fünf Jas. Damit ist fürs Erste das Zeugen-Patt überwunden.
Dem späteren Regierungs-Hitler muss im Umgang mit seinen Adjutanten, Dienern und Sekretärinnen zu Bewusstsein gekommen sein: So ganz ohne Jugendliebe steht er vor allen »Normalos« etwas blöd da. Flugs schüttelte er vor seiner Sekretärin Christa Schroeder zwischen einem Diktat seine Wiener »erste Geliebte Emilie« aus dem Ärmel. (Schroeder 85, S. 152)
Wieder sprang die Hitler-Wien-Spezialistin Brigitte Hamann bei und enthüllte Hitlers »erste Geliebte« als Emilie Häusler, die zwei Jahre jüngere Schwester von Rudolf Häusler, Hitlers Zimmer- und Wohngenossen, mit dem er im Mai 1913 von Wien nach München floh und dort monatelang zusammenlebte.
Hitler hatte Rudolf Häusler – geboren im Dezember 1893 – erst mit 18/19 Jahren kennengelernt. Die zwei Jahre jüngere Häusler-Schwester Emilie war zur Zeit von Hitlers angeblich »erster Liebe« mit ihr 16/17, keine Kellnerin, sondern ein viel zu behütetes Bürgermädchen, als dass ihre Eltern sie für ein paar Monate mal schnell Hitlers »erste Geliebte« hätten werden lassen. (Hamann 96, S. 517 ff.) Außerdem bereitete Hitler sich im Frühjahr 1913 auf seine Flucht nach München vor und hatte andere Sachen in der Mache, als ein Verhältnis mit einer Wiener Jugendlichen zu beginnen, was 1913 unweigerlich in Heiratspflichten, zumindest in Querelen mit den »Geliebten«-Eltern gemündet hätte. Also alles wieder reine heterosexuelle Virtualität wie bei der Linzerin Stefanie Isak.
Emilie Häusler kommt in keinem der Hanisch-Statements über Hitlers Wien vor. Wenn von Hanisch Namen genannt werden, dann nur die von Hitler-nahen Männern in dieser Zeit, darunter sogar von mehreren engen jüdischen Freunden Hitlers, erwähnt in Hanischs Heiden-Interview für die New Republic, (Hanisch 39, S. 272, 297) weggelassen in Hanischs Hauptarchiv-geordertem Notat.
Hitler-Forscherin Brigitte Hamanns Fiktionalitäts-Outing mit Hitlers »erster Geliebter« passt zu Hitlers Hetero-Phobie in Reinhold Hanischs Berichten, denen kein sonst noch existierendes Zeugnis über Hitlers dreijährige Wiener Männerheim-Zeit irgendetwas Kontradiktisches im Sinne von pro-heterosexuell entgegengestellt hat. (Hamann 96, a. a. O.)