Читать книгу Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland - Volker Elis Pilgrim - Страница 41

Gelegenheit macht keine Diebe

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Krauses Treffsicherstes ist »Kaum Gelegenheit dazu«, zum [Geschlechts]»Verkehr mit Hitler« nämlich.

»Kaum Gelegenheit« bezieht sich nicht darauf, keine Gelegenheit gehabt zu haben, »von einzelnen Parteigrößen Instruktionen für den Verkehr mit Hitler [zu] erhalten«. Denn Eva Braun war monatelang auf dem Berghof oder in ihrem Münchener Haus ohne Hitler und daher täglich bereit, von den Parteigrößen GV-Instruktionen zu bekommen – allen voran vom eigentlichen Berghof-Chef, Reichsleiter Martin Bormann, der mit seinen zehn Kindern und einer ständigen Geliebten wusste, wie Mann’s macht. Bormann hatte sich sogar eines Nachts auf dem Berghof beim »fest-umschlungenen« Tanzen mit Eva Brauns jüngerer Schwester Gretl einen Abgang verschafft, der ihn mitsamt seiner Mittänzerin straucheln und zu Boden stürzen ließ, wie Zimmermädchen Anna es beobachtete. (Plaim/Kuch, S. 78)

Es gibt genug Zeugnisse der Hitler-Dienenden zu deren real betriebener Sexualität. Hitlers Leib-Umfeld war »blutjung« und hatte was zur Sexualität zu sagen. Wenn dann so viele junge Leute in Angelegenheit Hitlers passen und sich zu seiner Sexualität negativ äußern, summieren sich ihre Aussagen zum Beweis: »Da war nichts!«

Zimmermädchen Annas Gabe zur scharfen Beobachtung der männlichen Unterwärts-Vorkommnisse hatte Bormann so gewurmt, dass er nach einem Vorwand suchte, um die ihm unangenehme Zeugin seiner Umtriebigkeit loszuwerden. Einen solchen Vorwand fand er darin, dass Plaim-Mittlstrassers Vater regelmäßig in die Kirche ging, was auch in der Nazi-Endzeit eigentlich nicht verboten war. (a. a. O., S. 113)

Bormann kündigte dem Zimmermädchen Anna. Eva Braun und alle anderen Dienenden waren entsetzt, weil sie die 20/21-jährige Österreicherin sehr gern hatten. Eva Braun intervenierte bei Hitler, der in diesem Fall hart blieb. Bormann muss ihm Plaim-Mittlstrassers Eignung zur Realitäts-Abtastung intimer Details klargemacht haben, sodass es in Hitlers eigenem Interesse lag, die unüblich wache junge Beobachterin loszuwerden. Plaim-Mittlstrasser musste nach nur eineinhalb Jahren wieder gehen. Alle anderen jungen Mädchen und jüngsten Frauen verließen den Berghof nur zum Heiraten von Hitlers jungen Gefolgsmännern.

Das Gemeine bei der Filterung der Aussagen über Hitlers nicht existente Heterosexualität: Seine Umfeld-Zeugen geben ihre schärfsten Einzelheiten ohne »Hab Acht« mitten in einem Satzfluss preis. Bei Plaim-Mittlstrasser und Schaub war es schon so. Im Krause-Text ist es gleichermaßen die Crux. Mit Bibelstechen im Buch, mit Querlesen und Überfliegen ist Hitlers sexueller Realität nicht auf die Spur zu kommen.

Hitler-Zeugen-Wahrheiten zu seiner Heterosexualität zu destillieren heißt demnach, immerzu den Textzug anzuhalten: Stopp! Was steht denn hier plötzlich? Und bei Krause steht: Eva Braun hatte »kaum Gelegenheit« zum GV mit Adolf Hitler. Diesem Satzteil wird sofort auch noch die Potenzialität des Vielleicht nachgereicht: »Wenn, dann auf dem Berghof oder in München«.

Das Detail der Krause-Information »kaum Gelegenheit zum Verkehr mit Hitler« wird immer sensationeller, je länger es herausgelöst aus dem Ganzen dasteht und allein betrachtet wird. Es entlarvt einen führenden Widersinn: Auf dem Berghof sind extra zwei »Führer«-»Geliebten«-Schlafzimmer mit zwei Verbindungstüren zueinander und einem Kofferraum in ihrer Mitte gebaut worden – eine gesamte Innenarchitektur für die »Gelegenheit« des Geschlechtsverkehrs und zwar »jede Nacht, jede Nacht«, wenn Hitler auf dem Berghof weilte. Und gemäß Krause hätte es auch in dieser »Führer«-»Mätressen«-Suite »kaum Gelegenheit« gegeben, wo doch die »Gelegenheit« für »jede Nacht, jede Nacht« extra in Stein gehauen und liebevoll eingerichtet worden war.

In München hätte das »Kaum-Gelegenheit« seine Berechtigung haben können, waren dort doch »Führer« und »Mätresse« mit zwei verschiedenen Wohnungen voneinander getrennt. Und es mussten aufwendige Arrangements für eine »Gelegenheit« getroffen werden. (ORALO)

Aber auf dem Berghof, auf dem Eva Braun seit 1936 mehr oder weniger als demonstrierte Hausherrin thronte, war die »Gelegenheit« zu Architektur geworden.

Das ganze aufwendig in das Haus Wachenfeld eingebaute Intim-Raum-Gezimmere kracht mit Krauses »Kaum-Gelegenheit« zusammen. »Kaum Gelegenheit« ist in seiner Nacktheit entlarvender als platonisch. Bei platonisch kann sich ein Irrtum in der Wahrnehmung eines Verhältnisses eingeschlichen haben. Vornehmlich bedeckt gehaltene Beziehungen sind nicht leicht auf ihren sexuellen Realitäts-Kern zu durchschauen. Aber zu sagen, auch in der »Führer«-»Geliebten«-Suite, die extra gebaut worden war, hätte es »kaum Gelegenheit« zum GV gegeben, ist die Spitze.

Der fürs Praktische um den Leib Adolf Hitlers zuständige Kammerdiener Krause lässt mit einem Hinweis zur Praktizierung des Gechlechtsverkehrs zwischen Hitler und Braun das ganze Konstrukt »Wenn der ›Führer‹ mit der Eva Braun …« einstürzen.

Die Bemerkung Krauses ist der zweite Hinweis darauf, dass Hitler und Braun das Schlafzimmer-Nebeneinander während Hitlers Anwesenheit auf dem Berghof gar nicht benutzt haben. Einer der beiden Demo-Partner in diesem Verhältnis musste weichen, um nicht einmal Wand an Wand neben dem anderen zu schlafen.

Den ersten Hinweis darauf gab Berghof-Zimmermädchen Anna, als sie sagte: »hat nie jemand genau gewusst, wo er geschlafen hat«. (Plaim/Kuch, S. 108)

Es gibt noch einen dritten Hinweis auf die Praxis des Nicht-im-Nebenzimmer-Schlafens während Hitlers Aufenthalten auf dem Berghof. Dieser Hinweis wird bei der Auseinandersetzung mit den Widersprüchen in den Aussagen des anderen Kammerdieners, Heinz Linge, behandelt (AMORO).

Krauses Satzteil »kaum Gelegenheit« legt erst einmal die Ungeheuerlichkeit bloß: Die im Berghof eingebaute »Führer«-»Geliebten«-Zimmer-Zuordnung war ebenfalls nur eine Hetero-Show und nicht etwas, das die Gelegenheit zum ständigen Geschlechtsverkehr schaffen sollte.

Es erübrigt sich fast anzufügen: In der neuen Berliner Reichskanzlei war ebenfalls eine »Führer«-»Geliebten«-Zimmerflucht eingebaut worden, hier genannt »Arbeits- und Gäste-Zimmer«, deren Benutzung durch Hitler und Braun für gemeinsame schöne Stunden Kammerdiener Krause ganz ausschließt, indem er sagt: wenn »Gelegenheit dazu«, dann »vielleicht auf dem Berghof und in München«.

Und Adjutant Julius Schaub (15.) hatte Eva Brauns Aufenthalte in Berlin ja auch als nichts anderes als die Wiederholungen des Wartens beschrieben, von Nazi-»Frauschafts«-Mittagessen mit den Partnerinnen der Dienenden, von Sich-die-Zeit-Totschlagen mit Einkäufen des Sinnlosen.

Da »Tuchfühl«-Krause – der Hitler so nah war, dass sich beide für einige Zeit dieselbe Unterhose teilten (Krause, S. 31 f./30 f.) – die Reichskanzlei als Ort der Gelegenheit nicht einmal erwähnt und da die dortige »Führer«-»Gäste«-Suite bisher von niemand Ernstzunehmendem für die Frequentierung von Hitlers heterosexuellen Aktivitäten reklamiert wurde, kann diese Nicht-Möglichkeit sogleich als Nicht-Gelegenheit ad acta gelegt werden.

Rochus Misch berichtete von Eva Brauns unvermutetem Liegen im unabgeschlossenen Gästezimmer der Reichskanzlei an einem frühen Morgen in der zweiten Hälfte 1940, in das Misch wie immer hineingehen wollte, um die neuesten Meldungen dem in seinem Schlafzimmer dahinter noch schlafenden Hitler auf einen dafür vorgesehenen Schemel zu legen.

»Sie [Eva Braun] war nur mit einem sehr dünnen Nachthemd bekleidet.« (Misch, S. 111) War das jetzt endlich die »Gelegenheit«? Es war die Rolle »Geliebte«, die Eva Braun mit solchen Tür-unabgeschlossenen Anwesenheits-Demonstrationen »an der Seite des Führers« zu spielen hatte. Gründe dafür werden im Laufe der Nachweis-Marter-Straße von Hitlers nicht existenter Heterosexualität immer wieder eingeschoben (HETERO, NEUTRO).

Das Besondere am Kammerdiener-Krause-Text: Er entsprang keinem Verhör wie bei vielen seiner 16 Vor-Zeugen, sondern ist ein prompt nach Ende des Dritten Reichs verfasstes und publiziertes Manuskript, in dem es wegen des mehrjährigen »induzierten Irreseins« (Bonhoeffer) zwischen Hitler und Krause auch noch unbewusst Wahrheits-Fontänen-haft zugeht.

Wieder schließt Krause in derselben Zeile, in der »kaum Gelegenheit« steht, mit etwas an, das sich auf die soeben gemachte Information »kaum Gelegenheit« zum GV mit Hitler zu beziehen scheint: »Es ist mir auch niemals aufgefallen, dass sich Göring jemals gut oder länger mit ihr [Eva Braun] unterhalten hätte […]« – Dieser Passus enthält etwas krass anderes und hat nichts mit der Information »kaum Gelegenheit« zum Verkehr mit Hitler zu tun.

Krauses »Es ist mir auch niemals aufgefallen« soll im Anschluss an »kaum Gelegenheit« eigentlich sagen: »Es ist mir auch niemals aufgefallen«, dass Braun und Hitler Geschlechtsverkehr miteinander hatten. Aber so unverblümt direkt wollte der ehemalige Rund-um-die-Uhr-Diener Krause seinen toten Herrn nicht denunzieren – genauso wenig wie Schaub das wollte. Und gegenüber Krause gab es keinen Investigator Kempner, der dem ehemaligen Kammerdiener die Wahrheit frontal herauslockte. Doch sie kommt unbewusst.

Markant für Krauses Zeugen-Qualität ist auch der von ihm mitgeteilte Gefühlsstand zwischen ihm und Eva Braun. Sie mögen einander nicht, stehen zueinander wie »Hund und Katze« und hatten 1935/36 einen Zank, nach dem sie miteinander fertig waren und sich nur noch grüßten.

Gerade dieses Nicht-Mögen schuf eine Distanz, aus der heraus die Beobachtung des permanenten Abschlaffens des »Führer«-»Geliebten«-Arrangements ins Funktionale möglich wurde, das über dem kompletten Braun-Hitler-Verhältnis hing.

Auch Haus-Verwalter Herbert Döhring mochte Eva Braun nicht, wie Zimmermädchen Anna berichtete. (Plaim/Kuch, S. 75, 110)

Daher sind es mit Zahnarzt Hugo Blaschke drei Männer in nächster Nähe Hitlers, die keinen Bezug zu Eva Braun hatten und deswegen qualifiziert waren, deren Verhältnis zu Adolf Hitler als Scheinverhältnis zu enttarnen. Gerade die gegenüber Eva Braun kalten Männer hatten ein Gespür für das Kalte der Braun-Hitler-Beziehung.

Weder Blaschke noch Döhring und Krause haben Eva Braun als Nutte etc. denunziert, als eine, die sich etwas »Unmoralisches« (Winter) herausgenommen hätte. Das Gegenteil liegt in den Äußerungen dieser Männer vor, mit dem sie die Realität des Verhältnisses Braun-Hitler trafen.

Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland

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