Читать книгу Hitler 1 und Hitler 2. Das sexuelle Niemandsland - Volker Elis Pilgrim - Страница 21
Tiefensexologische Analyse
ОглавлениеObwohl mit stärksten Worten Hitlers Heterosexual-Leben von sechs Zeugen abgekanzelt wurde, hatten sie keinen Nachhall in der Hitler-Biografik. Hitlers Sexualität blieb bis heute unter den Hitler-Biografen un-eruierbar. Prinzipiell verharrte jeder – außer Werner Maser – im Schema: »Kann sein, kann auch nicht sein.«
In der zitierten Kürze und mit dieser Auswahl bringen die sechs Zeugen immer noch keine Klarheit, denn ihnen stehen vier gegenüber – drei, die von wiederholten Treffen zwischen Hitler und Braun in Hitlers Münchener Wohnung am Prinzregentenplatz zum Zwecke des Austauschs von Intimitäten berichten, und eine Zeugin, die Empfängnis-verhütend Spezifisches zum Besten gab, woraus geschlossen werden sollte, es sei auf Hitlers Berghof regelmäßig zu vaginal-penetrierenden Sexualakten zwischen Hitler und Braun gekommen, an die auch noch Hitlers Gesamt-Biograf Volker Ullrich glaubt, der seinen Gegenstand heterosexuell so aufpeppt, als sei Adolf Hitler in Sachen Sex ein ganz normaler Mann gewesen. (Ullrich, S. 299 ff., 677 ff., Einzelheiten zu dieser Zeugin unter 7. Ja-Sagerin)
Zu den Vieren gehört die Abschrift eines Tagebuch-Fragments, das Eva Braun hinterlassen hat und in dem sie ihre Sexualität mit Hitler andeutet. Formelle und inhaltliche Echtheit des Zeugnisses sind in der Braun-Hitler-Biografik so umstritten, dass ihm ein ausführliches Kapitel gewidmet wird. Mit den vier Aussagen und dem einen Zeugnis stehen den sechs Neins fünf Jas gegenüber.
Aus der Reihe der sechs Nein-Sagenden muss in einer Serie von extra Kapiteln ein Zeuge separiert behandelt werden, der Leibdiener Heinz Linge, der sich in Abständen von Jahrzehnten dreimal widersprüchlich über Hitlers Heterosexualität geäußert haben soll – zum ersten Mal 1945/46 mit seinem Nein für die sowjetischen Interviewer. (Eberle/Uhl) Dagegen hätte Linge angeblich zweimal seine russische Nein-Position in ihr Gegenteil, eine deutsche Ja-Behauptung, gewandelt, 1955/56 (Linge 55/56) und 1980. (Linge 80/82)
Zeugen-Widersprüche sind in Verfahren jeglicher Art das Unangenehmste bei der Wahrheitsfindung, weil es äußerst beschwerlich ist, das Wirklichkeits-Entsprechende aus der 180-Grad-Kehrtwende-Zickzack-Bewegung eines Zeugen herauszubekommen: Hat der Zeuge zuerst oder später die Unwahrheit gesagt? Mindestens einmal muss er es bei einander widersprechenden Aussagen getan haben – in Linges Fall unternahm der Zeuge Falschdarstellungen möglicherweise sogar zweimal. Welche Aussage ist die falsche? Und warum hat der Zeuge sie in einem bestimmten Moment gemacht? Der Faktor Zeit hilft nicht, denn spätere Aussagen müssen nicht immer Wahrheits-Korrekturen der früheren sein, sondern können jetzt erst Lügen enthalten, die herauszufinden sind. Zusätzlich muss die Erklärung dafür geliefert werden, warum die Fälschungen zuerst oder später gemacht wurden.
In der Einschätzung von Hitlers Heterosexualität kann man mit diesem Patt der sechs Neins – von denen eines »wackelt« – gegen die fünf Jas keinen Schritt in Richtung Klarheit vorankommen.
Deshalb muss in die Tiefe und in die Breite gegangen werden, was Seiten-verschlingende Folgen hat: Es müssen alle Zeugen zu Hitlers Heterosexualität, die heute dokumentarisch erreichbar sind, herangezogen werden. Dazu müssen auch die Minus-Botschaften – das Nichts-Sagende – präsentiert werden, falls es in einem bestimmten Zeugnis eigentlich einige Auskunfts-Späne zu Hitlers Heterosexualität hätte geben sollen, so beiläufig fallengelassen sie auch immer sind. Das blanke heterosexuelle Schweigen in einer Zeugenschaft über Hitler sagt selbstverständlich etwas aus. Ebenfalls müssen die Versäumnisse einer Mitteilung über Hitlers heterosexuelle Bedingungen eingesammelt und der Diskussion zur Verfügung gestellt werden. Zuzüglich ist es erforderlich, markante Äußerungen, wie die von den Flecken-losen Laken, komplett zu zitieren. Die Kürzel von zwei bis drei Zeilen geben keine genügende Kontur, wenn es um so etwas Kompliziertes wie die Sexualität einer öffentlichen historischen Person geht.
Klarheit über die Sexualität eines Menschen herzustellen ist in der Geschichtsschreibung das Komplizierteste überhaupt, weil bis in das 21. Jahrhundert hinein Menschen sich über ihre eigene Sexualität nicht schriftlich festgelegt haben und Geschichtswissenschaft nur mit Hilfe von Dokumenten, Zeugnissen und Zeugenaussagen möglich ist, um sich vom historischen Roman abzugrenzen, in dem fantasiert werden kann, was das Papier aushält. Die Schamschwelle in Sachen Sexualität reicht bis zum Beobachten des Geschlechtlichen bei anderen Menschen. Auch Umfeld-haft wird bei Sexualität eher weg-, als auf sie hingeschaut. Sex präsentiert sich im Bewusstsein der Öffentlichkeit immer nur mit den Daten von Heirat und Kindergeburten. Wenn beides wie bei Hitler im Verlaufe seines Daseins nicht stattfand, beginnt die Arbeit einer Montage aus Kubikmillimeter-kleinsten Steinchen.
Als Inge Jens 2010 aus Anlass der Publikation ihres Buches über ihre Ehe mit ihrem inzwischen dement gewordenen Mann, dem ehemaligen Tübinger Rhetorik-Professor und jahrzehntelangen BRBonn-Kultur-Träger Walter Jens, in einem Fernseh-Interview gefragt wurde, warum Sex in ihren Unvollständigen Erinnerungen nicht vorkomme, antwortete sie schlagfertig: »Das muss man können! Ich kann so etwas nicht.«
Auch die gängige Hitler-Biografik kann so etwas nicht und lässt die Gesellschaft mit ihrer Darstellungs-Abstinenz bis ins dritte Jahrtausend hinein im Regen stehen. Die bisherige Hitler-Biografik leistet sich ihre Enthaltsamkeit guten Gewissens, weil sie davon ausgeht, Sex gehöre zum Privatleben, Hitler habe jedoch als öffentliche Person politisch oder psychiatrisch geknackt zu werden und nicht sexuell.
Die 68er Protest- und die Nach-68-Emanzipations-Bewegungen fanden heraus: »Das Private ist politisch.« Und: »Das Politische konditioniert das Private.« Hinter diese überall verifizierbare Wahrheit sollte auch bei einer Hitler-Studie nicht zurückgefallen werden, vor allem dann nicht, wenn es darum geht, den deutschen Staatsterroristen als sexual-deviant freizulegen. Deshalb gilt es, mit dem Achselzucken der Hitler-Biografik Schluss zu machen, ihr Jacke-wie-Hose zu beenden, das Ungenaue und Unsaubere, ja bei den Hitler-Biografen Werner Maser und David Irving sogar das absichtlich Falsche zu überwinden. Wenn dargestellt werden soll, Adolf Hitler war eine sexopathia masculinis, darf es weder Hemmschwellen noch Aussparungen und Beiseite-Lassungen geben.