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1.7 Konsequenzen für die Kinderanalyse
ОглавлениеWas bedeuten die bisherigen Überlegungen für uns im kinderanalytischen Alltag? Wir werden in den Praxen alltäglich mit veränderten Lebenssituationen unserer Patienten konfrontiert. Auch die Patienten erscheinen in einem anderen Licht, klar abgegrenzte Störungsbilder sind kaum noch vertreten. Ein allgemein gesellschaftlicher Konsens über den Zwang, Lebenswege ohne nennenswerte Störungen oder Hindernisse zu bewältigen, scheint zunehmend als Maxime an die Erwartungen der Praxis heranzutreten. Damit steht der Praktiker keiner einfachen Aufgabe gegenüber. Zieht er sich auf sein althergebrachtes Muster im Berufsalltag zurück, besteht die Gefahr, dass ihm aktuelle gesellschaftliche Rahmenbedingungen aus dem Blickfeld geraten. In der Konsequenz wird er gesellschaftliche Strömungen kritisch bewerten, was nicht unbedingt ein Fehler ist. Dies könnte aber auch bedeuten, dass der Kinderanalytiker mit seinem Patienten nicht im aktuellen sozialen Rahmen arbeitet, in dem der Alltag und die Konflikte eingebettet sind. Die Kinderanalyse würde somit der Gefahr unterliegen, sich von aktueller gesellschaftlicher Realität abzuwenden.
Ferchhoff und Dewe (2016) beschreiben, dass nur noch ein geringer Teil von Jugendlichen mit klaren gesellschaftlichen Vorgaben aufwächst, da Individualisierung, Pluralisierung, Mobilisierung und Kommerzialisierung die früher vorherrschenden Strukturen stark verändert bzw. aufgelöst haben. Fließende Übergänge in den Entwicklungsschritten sind die Folge. Diese Schwierigkeiten müssen von den Jugendlichen kompensiert werden. Der zunehmende Druck der Selbstverantwortung für Jugendliche steht einer längeren Abhängigkeit von Elternhaus und Schule bzw. Bildungswegen entgegen. Gesellschaftlich ist mittlerweile die Entwicklung von Selbstverwirklichung und Eigenständigkeit durch das ganze Leben gegeben, dadurch hat sich der traditionelle Jugendbegriff, der einen Abschluss einer bestimmten Lebensphase bedeutet, merklich verändert (ebd., S. 37). Deutlich wird die hohe Ambivalenz heutiger Selbstentwürfe, einhergehend mit einer Veränderung herkömmlicher Störungsbilder.