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V.

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Da sich mittlerweile am Beginn des Kapellenwegs eine umfangreiche Baustelle befand, hatte man die ganze Verkehrsführung ändern müssen. Allenfalls über die obere Mercy­straße konnte man in diese schmale Straße gelangen, die nun zu einer Sackgasse geworden war. Allein die Anwohner kannten sich noch aus, für Ortsfremde waren die steilen und kurvenreichen Gassen ohnehin verwirrend. Selbst Taxifahrer ließen die Fahrgäste unten in der Mercystraße aussteigen und erklärten, es seien nur einige wenige Schritte zu Fuß, näher könnten sie nicht heranfahren. Aber niemand murrte. Es war ein schöner, einigermaßen warmer Abend und alle waren so beschwingt von dem, was sie erwartete, dass solche Umständlichkeiten die Laune nicht verderben konnten.

Elfi und ihre Freundin Monique waren spät dran, die meisten Gäste waren schon da. Am Eingang des in der Dämmerung riesig aussehenden Gebäudes, einer pompösen Hangvilla in einem parkähnlichen Garten, wurden sie von einem schlanken Jüngling im dunklen Anzug mit Krawatte begrüßt, ein energisches, aber nicht unfreundliches Gesicht, die Haare rasiert, vielleicht war es auch eine natürliche Glatze. Er wies sie zur Garderobe und zeigte den Weg in die Halle, den sie anschließend zu nehmen hätten. Der Hausherr werde später die Gäste mit einer kurzen Rede begrüßen. Zwei Garderobenfrauen kümmerten sich um die Mäntel und händigten dafür eine Marke aus, ganz, als wären sie am Eingang eines Theaters.

Elfi trug zu einer schwarzen, weit geschnittenen Hose eine leichte türkisfarbene Jacke mit einem immer wieder hervorblitzenden Innenfutter in Pink und darunter eine weiße Bluse, durchaus elegant und doch gänzlich unspektakulär. Sie hatte eine natürliche Schönheit, von der sie überzeugt genug war, um nicht besonders auffallen zu müssen. Wenig geschminkt, nur die Lippen und ein kleiner Lidstrich, wirkte sie frisch und unbeschwert und niemand wäre auf die Idee gekommen, sich Gedanken über ihr Alter zu machen. Ihre Freundin Monique hingegen hatte sich in eine Robe gezwängt, die sich wie ein breites Band um ihren Körper schlang und sich erst um die Füße verbreiterte. Sie wirkte dadurch größer und schmaler, als sie war, vor allem aber reichlich damenhaft, weil sie aus dem gleichen bräunlich und gelb gemusterten Stoff einen turbanartigen Kopfputz trug, afrikanisch anmutend, dazu grell und kräftig angemalt. Die nackten Unterarme waren mit einem ganzen Bündel blechern scheppernder schmaler Silberreifen bestückt. Sie blickte erhobenen Kopfes triumphierend in die Runde, als sie nun die Halle betraten, den großen zentralen Raum dieses Gebäudes im Landhausstil.

Sogleich wurde Monique umringt von einer Schar Frauen unterschiedlichen Alters, die sie kannten, vermutlich Kundinnen ihrer Boutique.

»Whow!«, hörte Elfi bewundernd und war eigentlich froh, sich bald aus diesem Kreis unauffällig fortstehlen zu können, um sich erst einmal einen kleinen Überblick zu verschaffen. Die Halle mit einer breiten Treppe nach oben war dicht gefüllt, die meisten drängten sich in unterschiedlich großen Gruppierungen, die sich jedoch deutlich voneinander unterschieden. Jüngere Leute, oft sehr bunt und fantasievoll angezogen, teilweise aber auch sehr leger, zeigten sich raumgreifend ausgelassen und unbekümmert. Dann gab es aber auch Ältere im dunklen Anzug mit Krawatte, bieder und ein wenig unsicher umherblickend, die Damen im Kostüm, immer eng neben dem Gatten, so steif, als sei dies ein Empfang beim Rektor der Universität. Unter ihnen konnte man einige Honoratioren der Stadt erkennen. Und es gab natürlich die mit dem großen Auftritt, die zu wissen glaubten, was sie dem großen Modezaren schuldig seien: bei genauerem Hinsehen jedoch manchmal mit geradezu erschreckender Geschmacklosigkeit eingekleidet, wenn auch neuen modischen Trends folgend, jedoch völlig unbekümmert, wie die Körper zu ihrer manchmal ziemlich lückenhaften Umhüllung passten. Tiefe Einblicke führten nicht unbedingt zu vorteilhaften Erkenntnissen. Die dazugehörigen Herren wirkten wie in die Jahre gekommene Gigolos mit geföhnter Frisur, manchmal auch mit Pomade im schwarzsträhnigen Haar. Unter ihren Armani-Anzügen konnte man einen täglich trainierten Bizeps vermuten. Aber es gab auch tadellos stilsicher und mit natürlicher Eleganz auftretende Paare, die mit Charme auffielen statt mit zähnefletschendem Grinsen, gewandet in schmiegsame Stoffe von harmonisch abgestimmten Farben, die zur persönlichen Ausstrahlung passten. Ihnen bedeutete Mode weder Verkleidung in fremde Rollen noch einen Blickfang à tout prix, sondern Ausdruck eigener Individualität. Eigenen Geschmack selbstsicher zu zeigen, war ihnen ebenso ausreichendes wie überzeugendes modisches Programm. Kurzum, es war eine sehr bunte Gesellschaft aus unterschiedlichen Bereichen, die nicht gerade in alltäglichem Kontakt miteinander zu stehen schienen.

Durch dieses Gewühl angeregt plaudernder Menschen bahnten sich jetzt einige junge Männer den Weg, alle im schwarzen Anzug und ähnlich aussehend wie jener am Eingang, glatzköpfig und mit undurchdringlicher Miene, in der Hand ein volles Tablett mit Sektgläsern, die sie ringsherum anboten. Einige der Gäste nahmen achtlos ein Glas, andere ließen sich erst auffordern und dankten höflich, es gab aber auch welche, die geradezu gierig danach griffen und bedenkenlos dabei ihren Nachbarn anrempelten. Elfi hielt sich am Rande und wartete, bis ein schon fast leeres Servierblech an ihr vorbeigetragen wurde, blickte den Kellner dankend an, der zustimmend zurückblinzelte, und ging mit ihrem Glas weiter, an einer größeren Gruppe blutjunger Schönheiten vorbei, in engen Kleidchen oder Hosenkombinationen, alle etwas zu mager, porzellanartig bemalte Köpfe mit üppigem Haar in kunstvollen Frisuren. Sie schauten streng oder gelangweilt aus, jedenfalls unfroh. Die dazugehörigen jungen Kerle teilweise als Macho oder Latino gestylt, obgleich sie bei näherem Hinsehen eher schmächtig waren, mit einer dunklen Brille, die ihnen auch nicht mehr Respekt verschaffen konnte. Offenbar waren dies alles Models, woher auch immer sie kamen, in Freiburg hatte Elfi solche Modeheftfiguren noch nicht gesehen.

Vom Eingang her drängten noch immer weitere Gäste nach, ein unermüdliches Geschiebe und Gewoge, in dem es bald kaum noch ein Durchkommen gab. Die freundlichen Kellner mühten sich nun nicht mehr, bis in alle Ecken vorzustoßen, sie hielten sich am Rande und wurden dennoch in kürzester Zeit ihre Sektgläser los. Das alles zog sich noch eine Weile hin, doch spürte man eine zunehmende Spannung. Immer wieder sah man einzelne Köpfe, die sich reckten und emporschraubten, um über die bunte Menge hinwegsehen zu können. Sie hielten kurz nach allen Richtungen Ausschau, wobei nicht klar war, was sie eigentlich suchten, und tauchten dann wieder ab und beugten sich ihren Gesprächspartnern zu. Dabei war es für wirkliche Gespräche ohnehin zu laut, es war mehr ein Zuwerfen von kurzen, witzig gemeinten Bemerkungen, ein Spiel um das Punktesammeln auf einer Beliebtheitsskala, belanglos und doch nicht ganz überflüssig, um für diesen Abend eine anerkannte Ausgangsposition zu finden. Männerspiele. Die Frauen beäugten sich kritisch und mit mehrdeutigen Kommentaren, gaben sich wie Freundinnen und vibrierten zugleich innerlich vor Konkurrenz.

Mit einem Male hörte man aus einer Ecke einen Schlagzeugtusch, mehrfach wiederholt, dazwischen eine lebhafte Saxophongirlande, schließlich einen ansteigenden Wirbel einer kleinen Trommel, der in einem kurzen Beckenschlag endete. Ohne dass es zuvor bemerkt worden war, war ER die Treppe heruntergeschritten, der berühmte und legendenumwobene Karl Legrand. Er befand sich nun auf einer der unteren Stufen, leicht erhöht über der Menge und eingefasst von einer Schar steril grinsender Mannequins, die jetzt wie auf ein Kommando mit ausgestrecktem Arm auf ihn deuteten und damit Aufmerksamkeit erbaten. Er stand im Scheinwerferlicht, braungebrannt, der silbern glänzende Wuschelkopf seiner Haare in wirkungsvoller Unordnung. Ein malvenfarbiger Anzug in weich fallendem Schnitt gab ihm etwas Jungenhaftes, zu dem auch das schneeweiße Hemd mit dem offenen breitgerüschten Schillerkragen passte. Das hatte eine lässige Eleganz, die keiner weiteren auffälligen Accessoires bedurfte, weil Legrand schon durch seine Erscheinung, seinen Blick und seine Gestik sich so zu inszenieren wusste, dass er stets der unangefochtene Zentralpunkt jeden Raumes war, den er betrat. Er strahlte mit offenem Mund und weißen Zähnen in die Menge, wobei er gelegentlich plötzlich den rechten Arm vorschießen ließ und auf einen (oder eine?) der vor ihm Stehenden wies und mit dem Blick eine besondere Begrüßung andeutete. Vermutlich hatte er diese Geste von amerikanischen Präsidenten bei ihrem gelegentlichen Bad in der Menge vor einer ihrer Ansprachen abgeschaut. In der Linken hielt er ein schnurloses Mikrofon, das er ein paarmal zum Mund führte, ohne von ihm Gebrauch zu machen, weil er den Applaus, der zögerlich eingesetzt hatte, dann aber immer mehr anschwoll, erst auskosten wollte.

Schließlich hob er zu einer launigen Begrüßungsrede an, bei der er den Eindruck vermittelte, als freue er sich über die Anwesenheit jedes Einzelnen ganz besonders, obschon ihm die Mehrzahl der Gäste vermutlich gar nicht bekannt war. Trotz Mikrofonverstärkung war keineswegs alles zu verstehen, aus seinen Handbewegungen war aber zu entnehmen, dass er am Schluss ebenso auf eine untere Etage wie auf ein oberes Stockwerk aufmerksam machen wollte und einlud, vom ganzen Haus Besitz zu nehmen. Gelegentliches Gelächter derer, die sich etwas näher befanden und auch seine Worte verstanden, ließ erkennen, dass er Stimmung zu machen wusste, spätestens am Ende seiner Rede merkte es jeder, als er nämlich der Musik einen Wink gab und mit deren Einsetzen selbst mit einigen sägenden Tanzbewegungen begann, wobei er »Let’s fetz!« ins Mikrofon brüllte. Beifall brandete auf und die Menge geriet in sich kräuselnde Wellen und ein Hin- und Herschwappen wie das Wasser im Hafenbecken.

Die Anordnung war so, dass in einem gewölbten Kellergeschoss ziemlich heiße Musik, vorwiegend Rock, von einer lautstarken Band gedröhnt wurde. Darüber, in der Halle, spielten Saxofon, Piano und Schlagzeug eine etwas gemäßigtere Tanzmusik, nur gelegentlich drangen ein paar heftige Bässe von unten herauf, eigentlich war es nur ein leichtes Vibrieren, das sich in der allgemeinen Fröhlichkeit schnell verlor. In den angrenzenden Gesellschaftsräumen ging es ruhiger zu, Sessel und Stühle standen an den Wänden, einige kleine Beistelltischchen. In einem der hohen Zimmer (mit Holztäfelung, vielleicht früher einmal als Bibliothek benutzt) war ein Buffet aufgebaut, nichts Üppiges, nur Fingerfood, aber doch lobwürdig dekoriert: Platten mit Kanapees für alle erdenklichen Beläge aus Schinken, Garnelen, Früchten, Braten oder Käse in immer neuen Kompositionen, die man sich selbst auf kleine Teller aufladen konnte. Gegenüber eine umfängliche Getränkebar. Und überall die freundlichen glatzköpfigen Burschen in ihren dunklen Anzügen, die aus irgendwelchen hinteren Räumlichkeiten ständig für Nachschub sorgten. Wem es auch hier noch zu laut und gedrängt zuging, konnte sich nach oben zurückziehen, die breite Treppe hoch, wo die Räume kleiner und niedriger waren. Hier gab es überall Sitzgarnituren und Tischchen, auf denen sich bereits Gläser und Weinflaschen befanden, für andere Wünsche standen die hilfsbereiten jungen Männer bereit.

Elfi hatte mit der Zeit eine Menge Bekannte entdeckt und wunderte sich, wen sie hier alles sehen konnte. Wo kamen die ganzen Schönen her? Natürlich hatten viele mit der Mode zu tun, Gesichter, die sie vom Einkaufen kannte, weil sie schon jahrelang am gleichen Ort arbeiteten, bei Breuninger, dem Modehaus Kaiser, einigen kleineren exquisiten Läden. Aber auch Geschäftsleute, Anwälte, Ärzte erkannte sie, Leute, denen sie auf diversen Einladungen schon begegnet war, Künstler, Musiker, regelmäßige Besucher des Konzerthauses oder des Theaters, alle Altersklassen waren vertreten, und fast schien es ihr, als seien es mehr Frauen als Männer, obwohl man sich da natürlich täuschen konnte. Und sogar die politische Prominenz der Stadt war zu finden, der Oberbürgermeister Salomon mit seiner Frau, die gerade an ihr vorbeitanzten, den Alt-OB Böhme mit seiner Frau hatte sie gesehen, den Bundestagsabgeordneten Gernot Erler, einige Stadträte, Frau Viethen, Attai Keller darunter, Herrn von Kirchbach, Herrn Dallmann, sogar den ehemaligen Rektor der Universität, Prof. Jäger, der kaum einen Tanz auszulassen schien.

Auch sie hatte getanzt, zunächst mit einem alten Bekannten aus Studentenzeiten, inzwischen Anwalt und Wirtschaftsberater, später einmal mit Herrn von Gayling. Immer wieder sah sie den Turban von Monique in der Ferne vorbeiwirbeln, jetzt mit Alexander Heisler in einem fast berührungsfreien, schnellen Getrappel, aber dann war es ihr ein wenig zu warm geworden und sie schlenderte zur Bar. Überall standen Grüppchen beieinander, die sich lieber an Gläsern als an Tanzpartnerinnen festhielten. Wilde Gesprächsfetzen drangen an ihr Ohr, kaum verständlich ohne Zusammenhang:

»… ein Kriminalroman …«

»Es ist doch furchtbar, wie alles skandalisiert werden muss.«

»… handelt von einem Physikprofessor hier.«

»Wer soll das sein? Weiß man das schon?«

»Der Medizinerskandal kommt auch drin vor.«

»Welche Mediziner denn? Der schöne Professor Friedl oder die Doping-Ärzte?«

»Und wie heißt der Autor?«

»Juli Zeh.«

Eine fünfte Stimme mischte sich ein: »Ist das ein Chinese?«

Lachen erklang: »Nei-hein. Juli Zeh wie August Daumen. Eine Dame.«

Elfi ließ sich erst einmal ein Mineralwasser geben, ging dann einige Schritte weiter. Hinter ihr standen nun zwei Frauen, die miteinander tuschelten:

»… so viel Geld habe ich nicht, woher soll ich das denn nehmen? Wir haben so viel im Urlaub ausgegeben …«

»Soll ich dir mal was verraten? Ist gar nicht so schlimm, wie du denkst.«

»Ja, du! Ihr habt da etwas andere Maßstäbe.«

»Nein, hör mir doch mal zu. Ich habe das doch nicht bezahlt, könnte ich mir auch nicht leisten. Ich weiß da eine Adresse in Merzhausen, findest du aber nicht im Telefonbuch, die verleihen Abendroben. Da sind erstklassige Stücke dabei, Designer-Mode, Marken, einfach alles. Es gibt Frauen, die alles nur einmal tragen und dann geben sie es wieder ab, die sind so und haben auch das nötige Kleingeld dafür. Solche Sachen findest du da. Das ist eigentlich ein Laden fürs Theater, die Stuttgarter Oper zum Beispiel arbeitet mit denen. Du musst aber nicht denken, dass du da Kleider findest von Freiburgerinnen, so etwas würden die nie machen. Die haben mehrere Läden noch anderswo und das wird alles schön vertauscht. Das gäbe sonst peinliche Situationen, wenn ich etwas anziehen würde, was Frau Haumichblau schon beim letzten Presseball getragen hat. Was die hier einkaufen, wird nur anderswo wieder angeboten. Und das Schöne ist: Die verleihen auch für zwei, drei Tage. Das kostet dann vielleicht 30, 40 Euro, und alles frisch gereinigt. Die haben ein so großes Lager, da kannst du auch alles andere dazubekommen – passend. Schuhe, Gürtel, Taschen, sogar Hüte. Ich gehe da immer hin, wenn ich einmal etwas Besonderes haben will. Meinst du, ich kaufe das alles? Paaah!«

»Ehrlich? Hätte ich nicht von dir gedacht.«

»Musst du ja nicht weitererzählen. Wenn du willst, gebe ich dir die Adresse. Kaufen kann man natürlich auch, und das ist dann etwas teurer, aber alles second hand. ›La scala‹ heißt der Laden. Ist etwas schwierig zu finden und hat auch keine normalen Öffnungszeiten. Wir könnten zusammen hingehen, wenn du willst.«

»Und das Kleid hier ist von …?«

Elfi war längst in das nächste Gemach weitergegangen, hatte dort eine Bekannte mit ihrem Partner getroffen. Hier war weniger Gedränge, sodass man auch einen Blick auf die Bilder werfen konnte, die überall an den Wänden hingen und von Spotlichtern beleuchtet wurden. Legrand schien eine riesige Sammlung zu haben, denn das ganze Haus hing voll davon. In der großen Halle waren es großformatige abstrakte Farbkompositionen, hier nun gegenständliche Arbeiten, darunter ein Bild von Martin Kasper, das einen leeren Affenkäfig im Zoo zeigte: gekachelte Wände und eine hellschimmernde Stahltür, dazu ein kalter Betonstrich, von der Decke hingen an Seilen große Baumäste als öde Kletterhilfen, der deprimierende Raum wurde von einem Oberlicht fahl erhellt. Die Bilder im nächsten Zimmer waren der Leipziger Schule zuzurechnen, besonders fiel ein Interieur von Susanne Kühn auf, das mit vielen kunstgeschichtlichen Zitaten arrangiert war, selbst Vermeer konnte man erkennen (ein seitliches Fenster mit Lichteinfall).

Im Untergeschoss, zu dem man über eine Treppe neben der Garderobe gelangte, heizte eine Band mit donnerndem Bass die Stimmung an. Unter den Tänzern sah man ekstatisch zuckende Einzelne mit geschlossenen Augen, die ihrem Narzissmus frönten, aber auch Paare, die berührungslose Spiegelfechtereien ausübten, gebückt oder in die Knie gehend, dann wieder sich aufstreckend, immer im gegenseitigen, sich anfeuernden Blick, oder welche, die sich in Figurentänzen übten und dabei Rock’n’ Roll-Wendungen und -Drehungen übten. Hier waren vor allem jüngere Gäste oder solche, die ihre Jugendlichkeit unter Beweis stellen wollten. Selbst Dieter Salomon hatte vorbeigeschaut, seine Jacke an die Wand gehängt und im schneeweißen Hemd einige Tänze in den Boden gestampft. Auch Gernot Erler, der alle um einen Kopf überragte, hatte man hier unten gesehen.

In der großen Halle darüber, wo man wenig von dem Lärm des Kellergewölbes hörte, nur gelegentlich das Wummern der Bässe wie ein untergründiger Pulsschlag zu spüren war, wurde ein maßvollerer Swing gepflegt, der auch älteren Herrschaften zum Tanzen angenehm war. Hier war nun mehr Platz, da alles sich in dem weitläufigen Haus verteilt hatte. Auch Legrand hatte sich hier gezeigt, wie immer umringt von einigen Models (oder die es gerne werden wollten), aber auch von einem größeren Kreis von Leuten umgeben, die die Nähe zu diesem Superstar suchten, und natürlich von den Fotografen. An eine richtige Unterhaltung war unter solchen Umständen nicht zu denken, so flogen Scherzworte hin und her, beifälliges Lachen im vertraulichen Einverständnis. Legrand hielt Hof, immer wieder von Blitzlichtern umspielt, was er keineswegs als Störung zu empfinden schien. Er war mit den Usancen der sogenannten Öffentlichkeit vertraut genug, um zu wissen, dass es nicht allein auf sein Konterfei ankam, sondern auch auf die, die sich an seiner Seite zeigen wollten. Auch ihnen zum öffentlichen Bild zu verhelfen, war er sich nicht zu schade. Denn die eigene Prominenz wurde nur beglaubigt, wenn man an der Seite wirklich Prominenter öffentlich in Erscheinung trat.

Doch irgendwann wurde er dieser herausgehobenen Rolle überdrüssig und tauchte unter im Gewoge der unüberschaubaren Gesellschaft. Mal sah man ihn tanzen, dann stand er wieder entspannt unter einer Gruppe, ein gut gelaunter Gastgeber, der jeden willkommen hieß und mit Komplimenten nicht geizte. Mal hier, mal dort, man hatte den Eindruck, dass er gerne mit jedem ins Gespräch gekommen wäre. Gleichwohl vermied er jede Förmlichkeit, die den Eindruck erwecken konnte, er fühle sich nur einer Gastgeberrolle verpflichtet. So bemühte er sich keineswegs darum, Gäste miteinander bekannt zu machen, er wäre damit auch sicher überfordert gewesen, da er von vielen nicht einmal die Namen gekannt hätte. Aber wo er hinzutrat, beförderte er jene zwanglose Stimmung, die es jedem ermöglichte, sich ins Geplauder zu mischen. Wenn es ihm gefiel, fing er mitten im Small Talk an zu tanzen, blinkerte einer Schönen aufmunternd zu und hatte sie schon gewonnen, aber es gelang ihm ebenso, den Tanz wieder zu beenden, seine kurzzeitige Partnerin in die Runde zurückzuführen, ohne dass sie sich verlassen fühlen konnte, und sich einer anderen Traube zuzugesellen.

Das Gewirr der Stimmen, die mal näher, mal entfernter durcheinanderwuselten und sich der Musik als ein farbig brummendes Grundregister hinzumischten, war nur selten zu verstehen, höchstens ein paar Satzfetzen, wenn man sich einem Gegenüber direkt zuwandte. Erhellendes war nicht zu erwarten.

»Ach, Sie sind auch hier?«

»Nun ja, die üblichen Verdächtigen eben.«

Legrand hatte sich inzwischen in die Nebenräume begeben und suchte etwas zu trinken. An der Getränkebar ließ er sich die Rotweinflaschen zeigen und wählte dann einen französischen Wein. Zu dem Pulk von Leuten, die dort mit Gläsern in der Hand herumstanden, sagte er:

»An den badischen Roten muss ich mich erst noch gewöhnen. Der ist mir oft zu fruchtig und ein bisschen direkt.«

Der Galerist Albert Baumgarten, der das hörte und schon längst mit Legrand in Kontakt treten wollte, widersprach heftig und nannte eine Reihe von Winzern der hiesigen Gegend, die tiefgründige und in ihrer Eigenart hervorragende Rotweine kreieren könnten. Da mischte sich Franz Armin Morat, der bekannte Kunstsammler mit dem weißen Rauschebart, ein und meinte zu Legrand, er müsse ihm insofern recht geben, als er unter den Weinen hier an der Bar auch den französischen bevorzuge. Mit den übrigen Umstehenden schloss sich ein kleines Weinseminar an, ohne dass Baumgarten die Gelegenheit fand, das Thema auf die Legrandsche Kunstsammlung zu lenken. Denn Legrand war längst weitergezogen und suchte nach einem Häppchen zu essen.

Mittlerweile kam zum dämpfenden Lärmpegel auch noch der Brodem der Ausdünstungen der eng Beieinanderstehenden.

»Ich muss mich einmal ein bisschen frisch machen.«

»Näschen pudern?«

»Pffh. Kommst du mit?«

Schließlich hatte sich Legrand in das Obergeschoss begeben, wo weitere Gäste auf ihn warteten.

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