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III.

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Elfi stand im Türrahmen zur Küche der kleinen Dreizimmerwohnung und sah ihm beim Gemüseschneiden zu. Geübte Handbewegungen, aber ohne jeden Ehrgeiz, es mit den bekannten Kochstars aus den Fernsehsendungen und ihrer beeindruckenden Fingerfertigkeit aufzunehmen. Auf dem Herd stand bereits eine Pfanne auf mittlerer Flamme, – so nannte man es noch immer, obschon doch so gut wie alle inzwischen einen Elektroherd mit Glaskeramik-Kochzone hatten.

Das heißer werdende Öl breitete sich aus der Mitte aus. Daneben ein kleiner Topf mit Wasser, aus dem bereits die ersten Dampfwölkchen aufstiegen. Er gab anderthalb Tassen Basmati-Reis hinein, dann schob er das Gemüse mit dem Messer vom Holzbrett in die Pfanne, wobei ein gedämpftes Zischen zu hören war.

»Darf ich dir schon einmal etwas einschenken?«

»Was hast du denn Gutes?«

»Hier ist ein angenehmer Munzinger Weißburgunder von Clemens Lang. Trocken und dabei sehr ausgeglichen. Den hast du schon einmal bei mir getrunken.«

»Oh ja, ich erinnere mich. Gerne.«

Während er den Schraubverschluss der Flasche öffnete und zwei Gläser füllte, murmelte er noch:

»In zehn Minuten gibt’s was zu essen.«

Doch dann klingelte das Telefon und er drückte seinen Verdruss mit einem ärgerlichen Blick und hilflosem Schulterzucken aus, beschloss aber dennoch dranzugehen.

»Grabowski«, grummelte er mit bewusst unfreundlicher Stimme.

»Lutz, Heilbronn. Tut mir leid, dass ich dich so spät noch anrufe, aber im Dienst habe ich dich nicht mehr erreicht. Wir haben morgen eine Konferenz wegen der ermordeten Kollegin und da kommt ein erfahrener Profiler aus Stuttgart, der noch einmal alles durchsprechen will. Ich habe mir gedacht, dass es gut wäre, wenn du auch dazukommen könntest. Schließlich gibt es bei euch in Freiburg einen Fall mit derselben Täterin.«

»Mein Gott, so kurzfristig? Gibt es denn was Dringendes?«

»Nichts Sensationelles. Aber die neuen Spuren werfen eine Menge Fragen auf. Ich wollte dir wenigstens Bescheid sagen, falls es dir möglich ist. Übrigens kann ich dich beruhigen, wir fangen nicht so früh an, haben das erst auf elf Uhr angesetzt. Wir haben dann unsere laufenden Dinge schon hinter uns.«

»Das klingt schon besser.«

»Ich weiß doch, will es dir mit der Fahrerei auch so angenehm wie möglich machen. Aber wir müssen da endlich ein Stückchen weiterkommen, und euch betrifft es ja auch. Wir haben gerade eine SOKO Zelle eingerichtet, nur zu dieser Frau, die seit 15 Jahren schon in allen möglichen Fällen herumgeistert und immer rätselhafter wird. Besprich es mit deinem Chef. Du brauchst jetzt nicht zuzusagen, aber nützlich wäre es schon, dich dabeizuhaben. Wenn du um neun Uhr losfährst, kommst du immer noch rechtzeitig an. Und noch eins: Wir können anschließend zusammen Mittag essen, im ›Piccolo Mondo‹, wo wir schon einmal waren.«

»Das ist immerhin ein starkes Argument. Ich ruf dich morgen früh an und sag dir Bescheid. Ich denke, es wird gehen.«

»Wusste doch, dass ich mich auf dich verlassen kann. Bis morgen dann, Adale.«

»Ciao, Lutz.«

Elfi sagte nichts und fragte auch nicht. Sie hatte sich Grabowski gegenüber jede Neugierde abgewöhnt, um ihn nicht in Konflikte mit seinen Dienstgeheimnissen zu bringen. Als einem der führenden Beamten der Mordkommission ging einiges über seinen Schreibtisch, das als streng vertraulich einzustufen war und keinesfalls an die Öffentlichkeit kommen durfte. Das war insoweit selbstverständlich. Aber auch ihre Stellung in einem Anwaltsbüro, das auch gelegentlich mit der Verteidigung in Strafsachen befasst war, erforderte eine sorgfältige Diskretion. Allerdings ging es meist nur um Kleinkriminelle, Diebereien, Drogensachen – eher Unspektakuläres. Aber sie war sich, ebenso wie Grabowski, sehr bewusst, dass ihrer beider Hintergrundwissen auch unversehens in eine bedrohliche Konkurrenz geraten konnte. Verteidiger und Ermittlungsbeamte vertreten letztlich meist diametral verschiedene Interessen.

Mit einem gewissen Schaudern erinnerte sie sich an einen Mordfall vor sieben Jahren im Zusammenhang mit dem Raub des Kreuzes von St. Trudpert aus dem Augustinermuseum, in den auch ihre Kanzlei verstrickt war. Es handelte sich zunächst um den spektakulären Diebstahl des zentralen Stückes einer Sonderausstellung, eine der wertvollsten gotischen Goldarbeiten, dazu mit einer Fülle von kostbaren Edelsteinen besetzt, eine Leihgabe aus der Eremitage in Sankt Petersburg. Eine reichlich zwielichtige Person, Frau Wunderlich, an den Namen erinnerte sie sich bestens, obschon es nicht ihr richtiger Name war, wurde mit einer ziemlich obskuren Geschichte Grabers Klientin. (›Unsere‹ Klientin, dachte sie, weil sie sich völlig mit dieser Anwaltspraxis identifizierte.) Und dann wurde klar, dass diese Frau Wunderlich nicht nur an diesem Diebstahl beteiligt war, sondern Graber auch noch in die Hehlerei hineinzuziehen versuchte. Aber das war noch nicht alles. Am Ende kam sogar heraus, dass sie ihren Kumpan umgebracht hatte, um die Beute allein zu verscherbeln. Eine ganz üble Geschichte, besonders weil Frau Wunderlich ihre Klientin war und sich jetzt auch noch als Mörderin herausstellte. Graber hatte das alles selbst herausgefunden. Aber was sollte er damit nun anfangen? Er konnte ja nicht einfach zur Polizei laufen und seine Kenntnisse auspacken, auch wenn er es am liebsten getan hätte. Das wäre Mandantenverrat gewesen, eines der schlimmsten Anwaltsvergehen, das sich denken lässt. Nur Graber und Elfi wussten davon und kannten die Einzelheiten. Und das alles passierte gerade in der Zeit, als Elfi Grabowski kennengelernt hatte, noch ohne zu wissen, dass er bei der Mordkommission war und gerade diese Frau Wunderlich wie die Nadel im Heuhaufen suchte.

Aber Grabowski war unkompliziert. Er hatte ein natürliches Vertrauen zu Elfi. Wie anders hätten sie miteinander umgehen sollen? Er plauderte zum Beispiel ziemlich ungeniert aus dem Präsidium, meist ging es nur um Kollegen und Vorgesetzte. Die eigentliche Arbeit jedoch war allzu sehr Puzzlekram und Detailstöberei, deren Voraussetzungen und Begründungen für einen Außenstehenden viel zu viele Erklärungen nötig gemacht hätten, um irgendetwas zu verstehen. Im Übrigen versuchte er, sein Privatleben vom Dienst so gut es ging zu trennen. Das bedeutete, dass er nur in groben Umrissen von dem erzählte, was ihn gerade beschäftigte. Und schon gar nicht fragte er Elfi nach ihren Klienten aus, das ging ihn weder etwas an, noch wollte er davon wissen. Was aber nicht hieß, dass hier strikte Tabuzonen errichtet waren. Die notwendige Zurückhaltung musste jeder selbst herausfinden, darin waren sie schließlich beide geübt und konnten sich arglos aufeinander verlassen.

Während Grabowski in einer weiteren Pfanne zwei Hähnchenschenkel gebraten hatte, sie schließlich in einer Mischung aus Tomatenmark und Honig mit Rosmarin noch kurz schmurgeln ließ und unterdessen den Reis durch ein Sieb goss, um ihn anschließend zu buttern, hatte Elfi den Tisch gedeckt und nach den Servietten gesucht.

»Zum Glück nicht so früh. Ich hätte keine Lust gehabt, schon morgens um sechs auf die Autobahn zu müssen.«

»Abwimmeln kannst du es nicht?«, fragte sie vorsichtig.

Er richtete bedächtig die Teller an, indem er den Reis aus einer Tasse stülpte, so dass er eine hübsche runde Form bekam, den geröteten Hähnchenschenkel danebenlegte und jeweils zwei volle Löffel aus der dampfenden Gemüsepfanne dazugab. Dann setzten sie sich im Wohnzimmer an den Tisch.

»Abwimmeln will ich gar nicht. Der Fall ist ungewöhnlich interessant, nur mag ich keinen Stress. Dabei kommt nämlich nichts heraus. Ich habe die Devise: In der Ruhe ist die Konzentration und damit bin ich immer ganz gut gefahren. Es geht um eine Frau, der wir schon seit 15 Jahren nachjagen, ohne auch nur eine ungefähre Vorstellung zu haben, wer das sein könnte. In mehrere Mordfälle ist sie verwickelt, in zahlreiche Einbrüche, öfters in Gartenhäuschen und ähnliche Unterschlupfe, mit Autodiebstahl hat sie zu tun, auch mit Drogen, – jedenfalls haben wir eine Spritze gefunden mit Spuren von ihr. Und dennoch bleibt sie ein Phantom. Nichts passt zusammen und dennoch war sie immer in irgendeiner Weise beteiligt, gravierende Fälle, teilweise erschreckende Gewalttaten, die man einer Frau gar nicht zutrauen würde.«

»Wenn ihr das so genau wisst, dann seid ihr doch schon nah dran.« Es war als Frage gemeint.

»Es sind Spuren, die ebenso unspezifisch wie eindeutig sind, vor einigen Jahren hätte man sie noch nicht einmal lesen können. Immer ist es ihre DNA, Speichel, Hautzellen, Haare oder Ähnliches, die dabei gefunden wurden, aber sonst scheinen die Fälle nichts miteinander zu tun zu haben. Die Tatorte reichen von Süddeutschland bis nach Österreich und Frankreich. Bei dem Fall hier in Freiburg ging es um einen Trödelhändler, der erdrosselt wurde. Die Heilbronner Kollegin wurde gezielt erschossen, möglicherweise, weil sie einmal im Drogenmilieu tätig war und deshalb erkannt wurde. Und jetzt fanden sich ihre Spuren in einem Auto von einem Mann, der wegen Mordes an drei Georgiern im Raum Heppenheim in Untersuchungshaft sitzt.

Wir wissen nicht einmal, ob diese weibliche Person dabei als Täterin, Tatbeteiligte oder in einigen Fällen nur zufällig auftaucht. Und da versuchen wir natürlich, ob wir aus den jeweils ziemlich unterschiedlichen Begleitumständen so etwas wie ein Persönlichkeitsbild erstellen können. Bei den meisten Fällen waren wohl mehrere beteiligt, aber nicht immer die gleichen. Also halten wir uns vor allem an diese eine. Sie ist der rote Faden.«

»Und das soll irgendwann zum Erfolg führen?« Sie schaute ihn ungläubig an.

»Natürlich nicht direkt. Manchmal kommt man über einen Umweg besser zum Ziel. Wenn wir uns diese Frau genauer vorstellen können, finden wir vielleicht einen Schlüssel, der uns hilft, in all diesen unaufgeklärten Fällen weiterzukommen. Und am Ende wissen wir dann auch, was wir ihr anlasten müssen, es wird nicht gerade wenig sein.«

»Übrigens, dein Hähnchen schmeckt vorzüglich. Wo hast du nur immer diese guten Rezepte her?«

»Keine Ahnung. Ich koche ja nicht nach Rezept, sondern lasse mich anregen, aus Kochbüchern, in Restaurants. Und wenn mir etwas einleuchtet, improvisiere ich darüber. Aber es freut mich, dass du mit mir so zufrieden bist. Lass uns anstoßen.«

Später, als sie noch am Tisch vor leer gegessenen Tellern saßen, sagte Elfi:

»Wollen wir nicht am Sonntag ein bisschen rausgehen? In den Schwarzwald? Ich hätte Lust, mir mal wieder gründlich die Beine zu vertreten. Ich brauche Bewegung. Und dir würde es auch guttun.«

»Von mir aus gerne, da bin ich immer dabei. Es soll recht warm werden. Ich schau mal in die Karte, vielleicht finden wir etwas, wo man wandern und anschließend gut einkehren kann.«

»Dass du schon wieder ans Essen denken kannst!«

»Darf ich dir noch etwas nachschenken? Wandern und essen. Außerdem weiß ich eines schon jetzt: dass ich am Sonntag wieder Hunger haben werde. Ist das so etwas Besonderes? Täglich wenigstens einmal anständig essen, das ist doch nicht zu viel?«

Dabei musste Grabowski eingefallen sein, dass er für morgen auch die Aussicht auf einen Restaurantbesuch hatte, bei einem Italiener, den er noch in guter Erinnerung hatte. Doch das verschwieg er vorsichtshalber. Aber er war in Gedanken damit wieder in Heilbronn angelangt und sagte mehr vor sich hin:

»Ich glaube, ich werde da hinfahren.«

»Wohin, mein Lieber?«

»Ich dachte an morgen. Nach Heilbronn.«

»Hängt das nicht von deinem Chef ab, was der dazu meint?«

»Wenn ich ihm das plausibel mache und darlege, wie wichtig das ist, dann kann ich auch fahren. Letztlich hängt es also nur von mir ab. Und morgen wird es im Dienst ziemlich unerfreulich werden, da hau ich lieber ab.«

»Habt ihr Knies?«

»Das nicht. Aber vor sechs Wochen hat es eine ziemlich brutale Vergewaltigung gegeben und jetzt ist das Opfer plötzlich verschwunden, wahrscheinlich im Ausland. Das bedeutet, dass die ganzen Ermittlungen abgebrochen werden müssen. Die Kollegen sind deshalb alle sehr aufgebracht.« Eigentlich hatte er davon nichts erzählen wollen. Andererseits brauchte er es auch nicht zu verschweigen. Über Einzelheiten würde er aber bestimmt nichts sagen.

»Schrecklich. Habe ich gar nichts davon gelesen. Stand das in der Zeitung?«

»Ich glaube nicht. Wir würden das auch nicht sehr gerne ausbreiten. Das ist zum Schutz des Opfers besser so. Aber lass uns von anderem reden, das ist zu unerfreulich.«

Lorettoberg

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