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VII

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»Ihr könnt ja oben schon mal anfangen, wir räumen die Bar auf. Mit der Zeit werden die restlichen Gäste sich dann wohl davonmachen. Viele sind es nicht mehr.«

»Hast du die beiden da hinten gesehen, im letzten Raum? Voll in Aktion.«

»Lass gut sein. Wo ist eigentlich der Chef?«

»Wen meinst du denn?«

»Den Chef vom Ganzen, Legrand.«

»Keine Ahnung. Der wird schon lange fort sein. Ich glaube nicht, dass der hier im Hause schläft.«

»Sicher nicht, so, wie es hier aussieht. Komm, lass uns anfangen, dass wir fertig werden.«

Es war schon lange hell, jetzt mochte es etwa acht Uhr sein. Die schwarzen Jacketts und die lästigen Krawatten hatten die glatzköpfigen Jungs längst ausgezogen und wurstelten träge und übermüdet in ihren weißen durchgeschwitzten Hemden herum. Mit großen Geschirrwagen fuhren sie die einzelnen Räume ab, leerten angewidert die abgestandenen, übel riechenden Reste von Gläsern und Tellern in einen Eimer und stapelten das schmutzige Geschirr und die Gläser in grüne Kunststoffkästen. Andere sammelten Papierservietten in einen blauen Plastiksack, räumten die leeren Platten zusammen, die wenigen Kanapees, die noch übrig geblieben waren zwischen Dekorationsfrüchten und Grünzeug, schoben sie auf einer Platte zusammen. Einer ging von Raum zu Raum und riss die Fenster auf, dass endlich der ganze säuerliche und widerwärtige Gestank aus Schweiß und Alkohol und anderen Ingredienzien der längst verendeten Party allmählich abzöge. Auch in den oberen Räumen waren sie in gleicher Weise zugange, einige trugen bereits volle Geschirrkästen in die Halle und türmten sie in einer Ecke aufeinander.

Plötzlich rief einer von oben, der auch dort die Fenster geöffnet hatte, die Treppe herunter:

»Da liegt doch tatsächlich einer im Garten und schläft.«

»Wird seinen Rausch ausschlafen. Das geht uns nichts an.«

Immer wieder fanden sich unvermutet in Nischen und Winkeln noch halbvolle Gläser und Flaschen, achtlos abgestellt und vergessen.

»Wann werden denn die Sitze und die Tische abgeholt?«

»Weiß nicht. Stapelt das alles erst einmal in einer Ecke zusammen, damit wir ausfegen können, alles andere ist nicht unser Bier. Wir ziehen dann ab.«

Der im Garten Liegende ging ihm nicht aus dem Sinn. Verstohlen sah er immer wieder aus dem Fenster, er lag so eigentümlich da, die eine Hand am Hals, die Füße verdreht, als wenn er gestolpert wäre. Genau war es nicht zu erkennen, weil die Äste eines Baumes teilweise die Sicht versperrten.

Die wenigen Gäste, die noch im Hause waren, darauf aufmerksam zu machen, wäre verlorene Liebesmüh, denn sie waren entweder kaum noch ansprechbar oder so mit sich selbst beschäftigt, dass sie nur abgewunken hätten. So beschloss der junge Mann, selbst nachzusehen. Vielleicht brauchte hier jemand Hilfe. Er ging durch die Veranda auf die Terrasse und die wenigen Steinstufen in den Garten hinunter, dann zwischen den Bäumen einige Schritte den Hang hinauf zu dem Mann im malvenfarbenen Anzug, der noch verdrehter, als es aus dem Fenster ausgesehen hatte, neben dem Weg im noch spärlichen Gras lag. Erst als er vor ihm stand, erkannte er ihn und sah zugleich, dass die Hand, die den Hals umklammerte, ganz blutig war. Er beugte sich zu ihm hinunter, sah die weit aufgerissenen, leblosen Augen, in denen noch das Entsetzen zu lesen war, und wusste sofort, dass er tot war. Zitternd richtete er sich wieder auf und stand da, sah nichts, dachte nichts, fühlte nichts, zweifellos im Schock, es war das erste Mal, dass er einem Toten begegnete.

Er mochte schon eine Weile so dagestanden haben, das Zeitgefühl hatte er verloren, als drüben vom Haus jemand aus dem Fenster des oberen Stockwerkes rief:

»Hey, was ist denn los? Was machst du denn da? Wir wollen fertig werden.«

Er war nicht in der Lage zu antworten. Stumm und mit hilfloser Geste deutete er auf den vor ihm Liegenden. Es dauerte nicht lange, bis erst einer, dann weitere seiner Kumpels angetröpfelt kamen und schweigend um den Toten standen, der in einer Blutlache lag, die sich unter dem Körper ausgebreitet hatte und im Boden versickert war. Als der Letzte aus ihrer Brigade eintraf, blickte er in die betroffenen Gesichter und stammelte:

»Mann, oh Mann, das ist doch Legrand!«, ein Satz von banaler Nichtigkeit und doch vermochte er es, die Starre zu lösen, um endlich das Naheliegende zu tun.

»Gib mal dein Handy. Wir müssen die Polizei anrufen.«

*

Das Polizeirevier Süd hatte sofort die Kriminalpolizei verständigt, dass ein Toter in einem Garten am Kapellenweg läge, wahrscheinlich Fremdverschulden, und war dann mit zwei Streifenwagen unter Blaulicht losgefahren. Auf die Polizeisirene hatte man verzichtet, weil der kurze Weg ohnehin keine Hauptstraßen berührte und wegen des Feiertages niemand in dieser Villengegend unterwegs war. Noch auf der Strecke gaben sie die wegen der Baustelle geänderte Wegführung durch, die von der Kripo kannten sich sicher hier nicht aus. Von der Kriminalpolizei war ein leitender Beamter mit einem Assistenten losgefahren, mehr konnte man nicht tun, bevor man Übersicht hatte.

Die Polizisten hatten nach einem flüchtigen Blick auf den Toten erst einmal die jungen Männer von der Catering-Firma nach den näheren Umständen befragt, ob sie den Toten kannten, wer ihn entdeckt habe, was sie hier zu tun hätten und Ähnliches. Ein Verhör war es nicht, eher der Versuch, die Zeit zu überbrücken, bis die Kripo käme, und dafür zu sorgen, dass niemand sich entferne. Als Kommissar Hopf endlich eintraf, wurde er kurz instruiert, dass gestern hier ein Fest stattgefunden habe mit fast 200 Gästen und heute Morgen der Hausbesitzer hier gefunden wurde. Hopf beugte sich über den toten Legrand, zog sich einen Gummihandschuh an und löste die Hand vom Hals. Man sah eine große Schusswunde, offenbar war die Halsschlagader zerfetzt. Hopf sagte zu seinem Assistenten:

»Hier darf nichts verändert werden. Ruf die Spurensicherung, volles Programm, das sieht nach Mord aus. Weiträumig absperren.«

Dann ließ er sich ins Haus führen und gleich ins obere Stockwerk. Zwei Polizisten wurden beauftragt, die Personalien sämtlicher noch anwesender Personen aufzunehmen.

»Und Sie haben ihn zuerst gesehen?«

»Ja, hier aus diesem Fenster, rein zufällig.«

»Wie heißen Sie?«

»Hamann.«

Niemandem war etwas Besonderes aufgefallen, keinerlei Streit oder Wortgefecht. Legrand war überall gesehen worden, mal da, mal dort, natürlich nicht lückenlos beobachtet, wann zuletzt, könne man nicht sagen. Er sei herumgelaufen, heiter, umschwärmt, überall der Mittelpunkt. Aber ein solches Fest sei natürlich auch ein großes Durcheinander, man schob und wurde geschoben, überall wurde getanzt, ein ziemlicher Lärm, allein schon wegen der Musik. Und sie hätten ja auch ihre Arbeit gehabt, seien nie zur Ruhe gekommen, pausenlos im Einsatz mit Nachschub an Essen und Trinken, leere Gläser abräumen, neue Gläser bringen … Wie es halt so zuginge bei so vielen Leuten. Und so anspruchsvollen zumal.

»Herr Hamann, dann erzählen Sie mir zunächst erst einmal, was das für ein Fest war.«

Das erwies sich als gar nicht so einfach. Denn Hopf hatte den Namen Legrand noch nie gehört und konnte sich deshalb auch keine Vorstellungen machen von den Dimensionen, in denen Legrand lebte. Dass das ganze Mobiliar dieses Hauses eigens für diesen Anlass von einer Ausstattungsfirma angeliefert worden war, dass dieser Modekönig noch gar nicht hier lebte, abgesehen von der Renovierung der Villa nur die Bilder hier hatte aufhängen lassen, dass alles andere von einer deutschlandweit tätigen Catering-Firma organisiert worden war, dies zusammengenommen erschien Hopf wie ein riesiger Bluff mindestens eines Mafia-Paten. Aber er kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, als er hörte, dass die ganze Hautevolee von Freiburg dabei gewesen war, nicht nur bekannte Geschäftsleute, Ärzte, Juristen, Professoren, sondern auch der Oberbürgermeister, Stadträte aller Fraktionen, die halbe politische Prominenz. Sie alle kannten diesen ominösen Legrand und hatten gestern noch mit ihm zusammen gefeiert, nur Hopf hatte den Namen noch nie gehört.

»Einige sind noch im Haus. Unten, in den hinteren Räumen. Ich nehme aber an, dass das keine von den Prominenten sind. Bei einem solchen Fest weiß niemand, wann es zu Ende ist. Wir haben schon mal angefangen aufzuräumen, und so langsam verschwinden dann auch die Letzten.«

Hopf wusste wirklich nicht mehr, was er als Dringendstes zu tun hatte. So ließ er sich von Hamann erst einmal das ganze Haus zeigen. Falls man noch jemanden antreffen würde, müsste man wenigstens die Personalien notieren. Und irgendwoher müsste man die Gästeliste beschaffen, darum sollte sich sein Assistent kümmern. Hoffentlich war die Spurenkommission inzwischen eingetroffen. Er sah in den Garten, aber da waren nur zwei Polizisten, die inzwischen einige Meter um die Leiche herum Absperrbänder angebracht hatten. So ein Quatsch, dachte Hopf, der ganze Garten muss gesperrt werden. Niemand soll da herumlaufen, auch nicht die Polizei. Er schickte gleich jemanden los, dafür zu sorgen. Warum musste er auch ausgerechnet heute Bereitschaftsdienst haben. An einem solchen Feiertag, wo kaum einer im Haus war. Und dann eine solche Geschichte. In der nächsten halben Stunde kämen sicher die ersten Presseleute. Als er länger darüber nachdachte, beschloss er, den Kripochef anzurufen, jetzt gleich, zu Hause oder wo immer er sich finden ließ. Der musste sofort informiert werden. Hopf wollte nun wirklich nicht allein verantworten, was da möglicherweise alles auf ihn zukäme. Und im Übrigen absolute Nachrichtensperre. Keinerlei Auskünfte.

Der Kripochef wurde im Kaiserstuhl gefunden, auf einer Fahrradtour zum Maiausflug mit Freunden. Das war eine schon traditionelle Verabredung, die jedes Jahr stattfand. Start morgens um halb zehn, ein Rundkurs von etwa drei Stunden mit kleinen Pausen, dann um halb eins würde man sich in einem der Landgasthöfe zum ausgedehnten Spargelessen zusammensetzen. Es hätte ihn nicht ungünstiger treffen können. Kurz vor elf klingelte das Handy, gerade nach dem steilen Anstieg hinter Bötzingen auf die Vogelsang-Höhe, er war schon einigermaßen durchgeschwitzt in seinem zünftigen Fahrrad-Dress. Wie sollte er von dort aus zurück ins Amt kommen? Selbst wenn man ihn im Auto abholte, müsste er erst nach Hause gebracht werden, um zu duschen und sich umzuziehen. In Sportkleidung konnte er schließlich nicht den Chef spielen, eine pausenlose Sitzung leiten und anschließend womöglich vor die Presse treten. Und dann auch noch ausgerechnet Hopf, sicher nicht sein stärkstes Pferd im Stall. Da musste man sehen, wen man ihm zur Seite stellen könnte. Nicht ganz einfach, denn einige Kollegen waren wegen des Brückentages ohnehin im vorgezogenen Wochenende, um aufgelaufene Überstunden abzufeiern. Vielleicht Grabowski? Aber der war die ganze Woche auf einem Lehrgang in Münster, fiel also auch aus. Da musste ihm noch etwas einfallen.

Die Spurentruppe, mit einiger Verzögerung eingetroffen, war inzwischen emsig bei der Arbeit. Während noch alle Einzelheiten, ohne die Lage des Toten zu verändern, fotografiert wurden, wurde das ganze Gartengelände nach weiteren Spuren abgesucht, selbst das Projektil hatte man erst nach einiger Zeit gefunden, es steckte in einem Baumstamm, wo man es erst einmal beließ, um es nicht weiter zu beschädigen. Erst gegen Mittag konnte man die Leiche abholen lassen, die Blutlache unter dem Toten fotografieren, später würde man mit der Bildauswertung am Computer beginnen.

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