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VI.

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Dort oben reihten sich eine Reihe von Gemächern aneinander, die wohl alle nur für diesen Abend mit Klubmöbeln ausgestattet waren, Sitzgarnituren der bequemen Art in größerem Kreis arrangiert, jedoch nur ausgeliehen von einer Firma, die für solche Events oder Filmsets die nötige Ausstattung bereithielt. Von persönlichen Möbeln oder Einrichtungsgegenständen war nichts zu sehen, alles nur zweckmäßige Dekoration – mit Ausnahme der Bilder, die zwar sehr verschiedene Kunstrichtungen repräsentierten, aber kaum unter Gesichtspunkten allgemeiner Gefälligkeit ausgewählt waren. Es war ein Teil von Legrands Sammlung, die hier einen neuen Ort gefunden hatte. Und sie zeigte Vorlieben sehr individueller Art, war nicht nach repräsentativen Gesichtspunkten zusammengestellt und orientierte sich auch nicht an den Highlights des Kunstmarktes. Nicht, dass nicht auch einiges darunter gewesen wäre, um das ihn manches Museum zeitgenössischer Kunst beneidet hätte, aber es waren keine hochpreisigen Sensationsbilder darunter, die von den internationalen Auktionshäusern hochgepuscht wurden. Kein Polke, kein Baselitz oder Richter, obschon Legrand sich vielleicht einiges davon hätte leisten können, und was er von der heutigen Preisavantgarde besaß, hatte er sicher schon vor 20, 30 Jahren gekauft. Aber davon war hier nichts zu sehen, wahrscheinlich hingen solche Bilder noch in seiner Hamburger Villa.

In einem der Räume saß eine Runde zusammen, die vorwiegend aus Medizinern bestand, die sich gerade über das letzte Masur-Konzert beim Baden-Badener Festival unterhielten.

»Einfach Weltklasse.«

»Dieser Brahms, geradezu überwältigend.« Beim Gielen-Konzert in Freiburg mit Schreker, Bartok, Berg und Schönberg würde man sicher keinen dieser Begeisterten sehen können.

»Das ist mir einfach zu anstrengend. Nach einer Sectio ist mir nicht nach Schönberg.« Wieherndes Gelächter.

In diesem Moment kam Rolf Böhme herein und wurde respektvoll nachsichtig begrüßt. Man rückte zusammen, ein leerer Sessel wurde herbeigeschoben und bald hatte Böhme einen Zuhörer für sein Lieblingsthema gefunden, wie die Freiburger in der Nazizeit mit den Juden umgegangen waren. Die beiden setzten sich etwas abseits, direkt unter ein Gemälde von Peter Herrmann, aber sie beachteten es nicht. Im sehr schmalen Hochformat sah man vor türkisfarbenem Hintergrund, mit grobem Pinsel gemalt und doch äußerst effektvoll, ein Mädchen im schwarzen Kleid, die Träger verrutscht, mit breitem Grinsen. Der Clou war, dass nur der lachende Mund mit hässlichen Zähnen zu sehen war, schon in der Höhe der Nase war das Bild abgeschnitten, das nur Kleid, Dekolleté und die untere Gesichtshälfte zeigte.

Die anderen waren bald bei Themen aus der letzten Fakultätssitzung angelangt, opferten dies aber bald der sich ausbreitenden Fröhlichkeit. Einer, der vielleicht schon etwas angeschickert war, trällerte vor sich hin: »Pfingsten das liebliche Fest ist gekommen …« und wurde sogleich unterbrochen:

»Pfingsten noch nicht. Wir hatten ja gerade erst Ostern.«

»Aber mir ist so pfingstlich wohl bei diesem – wie nennen wir ihn? Eduard?«

»Legrand heißt er.«

»Ich nenne ihn Eduard.«

»Wovon redet der eigentlich?«

»Von Goethe. Heute ist doch Walpurgisnacht.« Und jetzt stimmten einige in die wiegende Melodie ein: »Wal-purgis-nacht, Wal-purgis-nacht«, die ihnen noch vom letzten Bayreuth-Besuch im Ohr war.

Es dauerte nicht lange, als Dieter Salomon in die Tür schaute, sich aber gleich abwandte, als er seinen Vorgänger im Amt entdeckte, und weiterzog. Dass die beiden sich nicht viel zu sagen hatten – und wenn, dann zu viel zu sagen gehabt hätten –, war allgemein bekannt. Sie gingen sich besser aus dem Weg. Aber unbemerkt blieb es nicht. Ein gutaussehender, verschmitzter jüngerer Mann machte ihm eine lange Nase nach und einige lachten. Vor der Tür kamen jetzt junge Leute vorbei, ein reges Kommen und Gehen. Eine langbeinige Schönheit hatte die Verspottung des Bürgermeisters mitbekommen und erwiderte unwillkürlich mit einer ausgestreckten Hand vor ihrer Nase die Geste, wobei sie den Schalkhaften verführerisch anlächelte. Wenig später standen die beiden im Flur und turtelten miteinander.

Im nächsten Raum hing ein Bild in blau-beigen und rosa-hautfarbenen Tönen von Alexa Rudolph, das einen Engel im applizierten Kunststoff-Nachthemd zeigte, der nach einem bereits zerfetzten Regenschirm am Himmel griff, ein echter Schirm mit zerstörtem Gestänge war flach auf die Leinwand aufmontiert. Hier saß eine gänzlich andere Gesellschaft und der Oberbürgermeister war hochwillkommen. Es waren Unternehmer, Geschäftsleute, Vertreter der Industrie- und Handelskammer. Man flachste herum und fragte sich, warum denn der Unmüßig nicht da sei, ein allseits bekannter Bauunternehmer und Projektemacher, ob der etwa nicht eingeladen worden sei. Allerlei Spekulationen schlossen sich an, die bald bis zu ausgelassenen Vermutungen gingen. Salomon amüsierte sich köstlich, sagte aber nichts. Mit unbestimmbarem Interesse sah er schließlich auf andere Bilder an der Wand, lauter Original-Plakate von Jörg Immendorff aus der Mitte der 70er-Jahre. ›Sofortiger und bedingungsloser Abzug aller USA- und Marionettentruppen aus Indochina‹, las man da auf rotem Grund und ein ausgestrecktes Bein ragte ins Bild, das einen grünen kleinen Soldaten im Kampfanzug, der wie eine Kakerlake aussah, einfach wegkickte. Und auf einem anderen stand lediglich in gelben Lettern auf rotem Grund: ›Das tun, was zu tun ist.‹

Währenddessen war auf dem Flur ausgelassene Stimmung. Immer mehr standen dort, andere drängten vorbei. »Wo gibt’s denn hier was auf die Nase?« Lachen. Kichern. Mit Blicken wurde ein Weg gewiesen ans Ende des Ganges. Ein zartes Mädchen mit ausgehungerter Figur wedelte mit einer Scheckkarte herum und zog die Blicke auf sich. Ein dürres Weib voller Verführung, halb Kind, halb abgebrüht, dessen Faszination ein leeres Versprechen war und doch für Männer den Zauber der Vorhölle versprach. Einer rief aus: »Oh, gun-powder, wo gibt’s denn das?«

Man wurde weitergedrängt, zu einem kleinen hinteren Raum, in dem ein buntes Völkchen um einen Glastisch stand und sorgfältig ein kleines Häufchen weißen Mehls zu dünnen Strichen zog.

»Macht doch mal die Tür zu. Hier zieht es ja wie Hechtsuppe.«

»Geht nicht, da wollen noch mehr herein.«

Auf einmal drängte sich ein CDU-Stadtrat an all den Fröhlichen und Ausgelassenen vorbei, als suche er jemanden. Man machte ihm erstaunt, aber bereitwillig Platz, er blickte in jeden der kleineren Räume, sah sich kurz um und eilte weiter, schließlich fand er den Oberbürgermeister, ging auf ihn zu und flüsterte ihm etwas Dringliches ins Ohr. Salomon sah kurz auf, nickte und meinte dann:

»Danke, dass Sie mir das sagen.« Nach einigem Nachdenken fügte er an: »Sagen Sie auch dem OB-Ex Bescheid. Er sollte das gleichfalls wissen.«

Salomon sah sich in der Runde um, stand auf und meinte dann halblaut zu den anderen:

»Das läuft hier etwas aus dem Ruder. Ich werde jetzt gehen.«

Ein etwas betretenes Gemurmel setzte ein, verunsichert, fragend, und Salomon fügte hinzu:

»Ich jedenfalls möchte mich nicht gerne morgen in der Presse mit entsprechenden Fotos wiedersehen. Sie sollten sich das auch überlegen.«

Einige blickten irritiert umher, ein oder zwei lachten unbekümmert auf, schließlich gab einer das erlösende Stichwort:

»Koks.«

Sofort standen einige auf und verließen ebenfalls den Raum. Andere waren so in ihre Gespräche vertieft, dass sie zwar ein wenig Unruhe bemerkt hatten, sich aber nicht weiter darum kümmerten. Bei all dem Gedränge musste man doch froh sein, ein einigermaßen ruhiges Eckchen mit Sitzplätzen gefunden zu haben. Jemand beugte sich herüber und flüsterte:

»Nebenan scheint die Schnupfen-Fraktion zu sitzen. Da kriegt der OB natürlich kalte Füße.«

Schon längst etwas angeheitert, wunderte man sich über so viel Furcht vor Erkältungskrankheiten. Als einer, amüsiert vor sich hinglucksend, die Handkuhle zwischen Daumen und Zeigefinger zur Nase führte und dabei schniefte, hatte das Thema bereits eine neue Wendung bekommen, vollends, als jemand zu bekannter Melodie kollernd lossang:

»Ich schnupfe nicht, und wenn das Herz auch bricht …«

In einem anderen Raum wurde Rolf Böhme von hinten leise angesprochen:

»OB-Ex! Sie sollten das Fest besser jetzt verlassen.«

Böhme drehte sich verärgert um, denn ihn mit der Bezeichnung ›OB-Ex‹ anzusprechen – ein Spitzname, der längst gebräuchlich war –, verstieß gegen jeden Respekt, auf den er großen Wert legte. Als ihm aber einige weitere erklärende Worte zugeflüstert worden waren, grummelte er nur:

»Gut, dass Sie mir das sagen, danke.«

Überall brachen jetzt einzelne Leute auf, anscheinend vor allem die mit höheren politischen Ämtern. In Windeseile musste sich die Nachricht herumgesprochen haben. Einige suchten noch nach ihren Frauen, die etwas überrascht vom plötzlichen Aufbruch waren, aber doch auch gewohnt, ohne Fragen, die im Augenblick vielleicht unangebracht waren, jederzeit höheren Notwendigkeiten zu folgen. Jeder versuchte sich den Anschein zu geben, unauffällig das Fest zu verlassen, doch in der Halle, wo noch immer lebhaft getanzt wurde, kam es fast zu einem Gänsemarsch zwischen den Tanzpaaren hindurch, der nicht ganz unbemerkt blieb. Andererseits ging es auf Mitternacht zu und so schien es keine völlig ungewöhnliche Zeit zu sein, dass die Honoratioren sich auf den Heimweg begaben. An der Garderobe gab es natürlich einigen Andrang, aber jeder behielt sein kleines, ihm zugeflüstertes Geheimnis für sich, warum er schon jetzt davonstrebte.

Was in ihren Köpfen vorging, konnte man sich nur denken, ausgesprochen hätte es sicher keiner: Für die Notabeln gab es nichts Unangenehmeres, als mit den falschen Leuten oder auf einer falschen Party gesehen zu werden. Nicht, dass sie immer ein funktionierendes Gespür für das Richtige und Angemessene hätten und vor Entgleisungen und moralischen Fragwürdigkeiten gefeit wären, aber auf das öffentliche Bild pflegten sie zu achten. Der Schnappschuss, der eine peinliche Situation festhielt und immer wieder gezeigt werden konnte, der sich einprägte und zur Bekräftigung immer wieder herbeizitiert wurde, war unauslöschlich als ewiger Makel. Was nur mit Worten berichtet wird, lässt sich mit Worten auch entkräften, zerreden, umwölken und irgendwann unwirksam machen. Ein Bild hingegen scheint sich zu einem unverfälschbaren Muster einbrennen zu können und ist deshalb so gefürchtet. Auf einem Foto in einer Kokainhöhle festgehalten zu werden, womöglich im Hintergrund mit einem schniefenden Süchtigen, der den Strohhalm zur Nase führte, das konnte noch am selben Tag, an dem es verbreitet wurde, das Amt kosten. Dass man nichts davon bemerkt habe, würde keiner verstehen, dafür würde man noch zusätzlich verhöhnt. Und jeder konnte glauben, man selbst sei ein Kokser und gehöre in die Heilanstalt. Man konnte deshalb annehmen, dass die Flüchtenden dem aufmerksamen Kollegen aus dem Stadtrat, selbst wenn er der falschen Fraktion angehörte, überaus dankbar für seine Warnung waren. Ein besonderes Verdienst bestand ja gerade darin, dass er nicht nur seine Parteifreunde, sondern die ganze politische Kaste vor einem Super-GAU bewahrt hatte, einem Politikersturz quer durch die Reihen, mit unabsehbaren Folgen. ›Gerade noch einmal gut gegangen, danke!‹, musste sich mancher gesagt haben.

Das Fest ging umso fröhlicher und unbeschwerter weiter. Der Getränkenachschub schien unerschöpflich, dafür sorgten die glatzköpfigen jungen Männer in ihren schwarzen Anzügen, die Musik gönnte sich kaum eine Pause und wurde immer aufreizender, sowohl im Keller als auch in der Halle. Kaum einer, der jetzt nicht tanzte oder den Tänzern vom Rande her zusah, die Gesprächsrunden hatten sich nahezu aufgelöst. Völlig Betrunkene gab es nicht, nüchtern war keiner. Alle stimulierten sich in einem Rausch aus motorischen Rhythmen, ekstatischen Bewegungen und Vibrationen, eine Wachheit der Körperreflexe, ein gesteigertes Sein ohne Bewusstheit. Das konnte so weitergehen bis in den frühen Morgen, an Ausdauer würde es nicht mangeln, alle waren aufgeputscht genug, die ganze Nacht durchzuhalten. In den Morgenstunden des 1. Mai würde sich das Fest dann langsam vertröpfeln, einige dösten noch in den Ecken herum oder knutschten, während sich die Brigade der Caterer bereits ans Aufräumen machte, Gläser einsammelte und die Musiker müde ihre Instrumente zusammenpackten.

Lorettoberg

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