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IX.

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Als Grabowski kurz vor 21 Uhr in seine Wohnung im Stühlinger kam, müde von einer langweiligen Fahrt im ungewöhnlich leeren ICE, räumte er zuerst seinen kleinen Rollkoffer aus, hängte den Anzug auf einen Bügel und warf die schmutzige Wäsche in einen Plastikkorb im Bad. Unterdessen stellte er den Fernseher an und ließ die Nachrichten bei n-tv laufen. Der weltweite Überblick über die Veranstaltungen zum 1. Mai interessierte ihn nicht besonders, ohne hinzuhören, konnte er sich schon denken, was bei den zentralen Kundgebungen der Gewerkschaften mit kräftiger Stimme vor halbwegs leeren Plätzen getönt wurde, – dabei war die Beteiligung wieder einmal zurückgegangen. Doch die folgende Nachricht ließ ihn aufhorchen. Nicht nur, weil sie aus Freiburg kam. Der bekannte Modeunternehmer Legrand war heute Morgen im Garten seiner Villa erschossen aufgefunden worden. Über die näheren Umstände war noch nichts bekannt, ein Fremdverschulden könne nicht ausgeschlossen werden. Erste bestürzte Reaktionen, aber nichts Weiteres über die Umstände.

Er hätte natürlich gleich ins Präsidium laufen können, vielleicht erwartete man das auch von ihm. Von seiner Wohnung aus waren es höchstens zehn Minuten, ein Weg, den er jeden Morgen zu Fuß nahm. Er konnte sich denken, wie dort mit nur halber Besetzung jetzt aufgeregt die Arbeit organisiert wurde, er wäre hochwillkommen, obschon er erst morgen früh wieder zum Dienst erwartet wurde. Doch sogleich fiel ihm ein, dass Elfi vorgehabt hatte, zu diesem Hausfest bei Legrand zu gehen. Das sollte doch gestern erst gewesen sein? Und am Morgen danach hatte man Legrand gefunden? Sie gehörte also zu den Letzten, die Legrand lebend gesehen hatten? Was mochte sich dort abgespielt haben? Er musste erst mit ihr sprechen, jetzt gleich. Von ihr konnte er vielleicht mehr erfahren als von seinen Kollegen. Er würde sich vorher nicht bei ihnen blicken lassen. Er wollte nicht als ein gänzlich Unwissender bei ihnen erscheinen, einer, der erst einmal nur herumstand und fragen musste, bloß weil er einige Tage auf einem Lehrgang war und deshalb nichts mitbekommen hatte.

Elfi war gut gelaunt, wie eigentlich immer, und wollte ihn am Telefon gleich ausquetschen, wie es in Münster war, was er denn Neues gelernt habe, wie er die Abende verbracht habe unter lauter unbekannten Kollegen. Sie plauderte in völliger Unbefangenheit los, freute sich über seine Rückkehr und war gar nicht zu bremsen. Offenbar wusste sie noch nichts von Legrands Tod. Sie war erst spät in der Nacht nach Hause gekommen, ihre Freundin Monique hatte sie aus den Augen verloren, wer weiß, an wem die hängengeblieben war. Und dann hatte sie lange in den Tag hineingeschlafen und nur herumgetrödelt. Grabowski wollte ihren Redefluss nicht mit aufregenden Nachrichten unterbrechen und fragte nur, ob er noch gleich bei ihr vorbeikommen könne, was ihr dann höchst willkommen war.

Sie empfing ihn im Negligé und einem leichten Morgenmantel darüber und hatte in der Zwischenzeit ein paar kleine Käsehappen und saure Gürkchen gerichtet. Aus dem Flur sah er, dass im Schlafzimmer die Nachttischlampe brannte und das Bett einladend aufgeschlagen war. Sie war offensichtlich auf einen gemütlichen Abend eingestellt. Stattdessen saßen sie lange in der Küche, betroffen und ratlos. Elfi hatte den ganzen Tag kein Radio eingeschaltet und erst jetzt erfahren, was in ihrer unmittelbaren Nähe und doch von ihr unbemerkt geschehen war. Sie war schockiert und zugleich stand ihr der Abend in allen Details wieder deutlich vor Augen. Sie musste Grabowski alles von diesem Fest erzählen, das Interieur des Hauses beschreiben, Legrands Auftreten, das Verhalten der Gäste, auch des Personals, die ausgelassene Stimmung. Natürlich zählte sie auf, wer alles dabei war, soweit sie die Leute wenigstens dem Namen nach kannte. Und auch der Gänsemarsch der Honoratioren um Mitternacht kam vor, ein Abgang von großer Komik, über den schon auf der Party viel gelacht worden war. Dass in irgendeinem Hinterzimmer auch gekokst wurde, war schließlich nicht so ungewöhnlich, aber diese gespielte Entrüstung war doch reichlich albern. Wahrscheinlich hatte der eine oder andere, der hier den Moralapostel spielte, in kleinerer und etwas verschwiegenerer Runde selbst schon geschnupft.

Und Legrand selbst? Sie hatte ihn mal da, mal dort gesehen, eher selten, immer umringt von Menschen, ein höflicher Gastgeber, wann zuletzt, wusste sie nicht zu sagen, aber sicher nach Mitternacht. Er wirkte unangestrengt, ausgeglichen, soweit man das als Fremder beurteilen konnte. Nirgends lag Streit in der Luft. Irgendwann saßen überall die üblichen Klüngel beieinander, abgesehen von denen, die unentwegt tanzten. Als Elfi gegen halb drei aufbrach, war wohl ein Drittel der Gäste noch da. Obwohl sie das nur schwer abschätzen könne, andererseits sei ein ganzer Schwung um diese Zeit aufgebrochen. Keiner habe gewusst, was sich im Garten abgespielt habe, alle seien völlig unbeschwert, dann aber auch müde gewesen. Wie lange das Fest noch gegangen sei, wisse sie nicht, sie habe den ganzen Tag noch mit niemandem gesprochen, nicht einmal am Telefon.

Grabowski hörte einfach zu, er hatte nicht viel zu fragen. Er wollte möglichst viel von dem ganzen Ambiente mitbekommen, der Atmosphäre einer Gesellschaft, die ihm wenig vertraut war, und je länger er Elfi zuhörte und in ihre Schilderungen eintauchte, bedauerte er, nicht dabei gewesen zu sein. Natürlich aus kriminalistischem Ehrgeiz, denn er nahm an, dass er vielleicht Beobachtungen gemacht hätte, die den Tod Legrands schnell aufklären würden. Oder war das ein klassischer Fall von Selbstüberschätzung? Aber auch, weil er den Eindruck hatte, dass an diesem Abend verschiedene Welten zusammengekommen waren, die ihm ebenso unbekannt waren, wie sie ihn auch neugierig machten. Zum einen war hier offenbar die ganze bessere Gesellschaft von Freiburg versammelt, die Tonangebenden, die Einflussreichen, dieses heimliche Netzwerk von Leuten, die eine Stadt mindestens ebenso regierten wie die, die an den Schalthebeln der Verwaltung und der Ämter saßen. Und zum anderen die Glamourwelt, die Schicken und die Reichen, von denen man sonst hier so wenig zu sehen bekam, die Models, die Schönen, die sich endlich einmal gestylt und herausgeputzt zeigen konnten. Wann gab es das schon? Und er konnte sich Elfi vorstellen, die doch eigentlich gar nicht dazugehörte, weder zu den einen noch zu den anderen, aber so genau beobachtet hatte. Je mehr sie davon erzählte, umso mehr bewunderte er, wie sie geschmeidig an diesem exotischen Korallenriff herumgeschwommen war inmitten dieses glitzernden Biotops von farbenprächtig auftrumpfenden Buntbarschen, langarmigen Sternchen und tropisch gezeichneten Falterfischen.

So wurde es spät, wenigstens zu spät, um noch zu seinen Kollegen zu fahren, sich gewissermaßen zurückzumelden mit der unweigerlichen Folge, dass er sofort in die Arbeit einbezogen worden wäre und sich die restliche Nacht noch hätte um die Ohren schlagen müssen. Elfi hatte ihn in ihren Bann gezogen und diese Bande waren stark genug, nicht einmal ein schlechtes Gewissen aufkommen zu lassen. Erwartet wurde er noch nicht und er würde morgen frisch und ausgeruht an die Arbeit gehen und vielleicht sogar besser vorbereitet als manche Kollegen. Elfi hatte ihm Eindrücke verschafft, die viele umständliche Befragungen ersetzen konnten. Mehr Rechtfertigung brauchte er nicht, um jeden Zweifel abzutun. Er sah sie voller Zärtlichkeit an, legte seinen Arm um sie und spürte eine innere Wärme, der er sich einfach hingab. In ihren Armen würde er die Nacht verbringen und das war gut so.

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