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IV.

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Graber saß an dem kleinen Tischchen in seiner Küche, das leer gegessene Müsli-Schälchen hatte er weggeschoben, die Teetasse rechts neben sich, die Kanne in bequemer Reichweite. Er blätterte durch die Zeitung, deren Feuilleton immer dünner und belangloser wurde, während im Lokalteil spaltenlang einer kranken Kastanie nachgeweint wurde, die leider gefällt werden musste. Unter den Todesanzeigen war kein ihm bekannter Name. Er schenkte sich eine weitere Tasse ein und während er den Zucker verrührte, überflog er den politischen Teil. Später auf dem Weg ins Büro nahm er sich meist am Zeitungslädele die FAZ mit, manchmal auch die Süddeutsche.

Er war wohl das, was man einen Morgenmuffel nannte, einer, der den beginnenden Tag erst einmal anblinzelte und sich dann noch einmal auf die andere Seite drehte. Einer, der erst langsam in die Gänge kam und mit einem gewissen Automatismus, der durch nichts gestört werden durfte, ins Bad schlich, später ebenso die Wäsche aus dem Schrank holte und erst mit der ersten Tasse Tee alle Sinne beieinander hatte. Die Zeitungslektüre war sein eigentliches Aufwachen, eine Stunde, in der er gerne allein war, sich sein Leben nicht anders vorstellen konnte.

Ein heiterer Tag, nichts Besonderes stand an, er hatte keine Eile, ins Büro zu kommen. Da fiel ihm etwas ein und er blätterte im Telefonbuch nach einer Adresse. Etwas später holte er sein Fahrrad aus dem Keller, gab den Reifen noch ein paar Stöße aus der Luftpumpe und schwang sich auf den Sattel, die Berggasse hinab, dann auf die Gundelfinger Straße. Nach etwa einem Kilometer bog er links in ein Industriegebiet ab und fand auch gleich die Einfahrt zu einem großen Autohaus. Der Parkplatz, der sich noch weit hinter das Gebäude ausstreckte, war vollgestellt mit Fahrzeugen, in einem Teil wurden vor allem Gebrauchtwagen angeboten, jedem war ein großer Zettel mit den wichtigsten Betriebsdaten hinter die Windschutzscheibe geklemmt, andere Autos waren wohl zur Inspektion oder Reparatur abgestellt. Fast alles waren Nissans. Graber, der sein Fahrrad an den Zaun gelehnt und mit dem Bügelschloss gesichert hatte, schlenderte zwischen den Autos umher, auch einige Geländewagen waren darunter, einen Patrol konnte er jedoch nicht entdecken.

Er ging in den Ausstellungsraum, in dem verschiedene neue Modelle, meist in Silbermetallic, sich dem Betrachter gefällig präsentierten. Im Hintergrund stand ein älteres Pärchen im Mantel mit einem Mann mit offener Lederjacke im Gespräch. Ungestört konnte Graber sich umsehen. Schließlich entdeckte er neben einer ausladenden Yukka-Palme, die ein wohl unvermeidliches Grün-Möbel solcher Ausstellungshallen war, einen Prospektständer, wohlbestückt mit Hochglanzbroschüren, auf denen vor tiefblauem wolkenlosem Himmel sich jeweils ein anderes Automodell im Sonnenlicht zeigte, darunter verschiedene Geländewagen. Er griff sich, was er für richtig hielt. Der Mann mit der Lederjacke eilte an ihm vorbei und sagte dabei:

»Ich komme gleich zu Ihnen, muss nur eben noch eine Kopie machen.«

Graber überlegte, was er eigentlich sagen sollte. Sollte er wirklich als potenzieller Autokäufer auftreten? Würde das nicht zur Folge haben, später mit einer Flut von Anfragen überschüttet zu werden: Haben Sie sich schon entschieden? – Über den Preis können wir selbstverständlich nochmals reden. – Ich habe zurzeit eine besonders günstige Finanzierung im Angebot. Und so weiter. Es war ihm unangenehm, sich nach einem Auto zu erkundigen, das er mit Sicherheit gar nicht kaufen wollte. Aber er brauchte ja seine Adresse nicht herauszurücken. Ich komme dann wieder vorbei, wenn ich mich entschieden habe. Oder vielleicht: Es kommt erst nächstes Jahr infrage, aber ich wollte mich schon einmal vorinformieren. Möglichst sicher auftreten, das verschaffte den größten Respekt. Unbefangen bleiben.

Das Pärchen wurde nun verabschiedet, er hörte noch einige Gesprächsfetzen:

»– schicke Ihnen die Papiere zu. – Selbstverständlich. – So etwa 14 Tage. – Ja, genau, so machen wir’s. Einen schönen Tag noch.«

Dann kam der Verkäufer zu ihm, gab ihm die Hand, als seien sie gute Bekannte, warm und fest, und nannte seinen Namen. Er machte in seiner direkten und selbstsicheren Art den Eindruck, der Chef des Hauses zu sein. Graber stellte sich ebenso vor und sagte dann:

»Ich wollte mich gerne nach dem Patrol erkundigen.«

Sein Gegenüber lächelte ihn an, sah auf den Prospekt, den Graber ihm hinhielt, und meinte:

»Das ist aber nicht der Patrol, da haben Sie den Pathfinder.«

»Die sehen so ähnlich aus. Da habe ich wohl das Falsche gegriffen. Oder ist das nur eine Ausstattungsvariante?«

»Der Patrol ist eine ganz andere Klasse. Ich gebe Ihnen das Richtige.« Und er griff zielsicher hinter sich zum Ständer.

»Wissen Sie, die kann man nicht miteinander vergleichen. Der Patrol hat ganz andere Kräfte. Bis dreieinhalb Tonnen Zugkraft. Das ist etwas sehr Spezielles.«

»Man sieht diese Wagen verhältnismäßig selten hier.«

»Ja, das stimmt. Wir haben im Augenblick auch keinen auf dem Hof. Der Patrol wird nicht so häufig verlangt. Das ist ein sehr exklusives Fahrzeug.«

»Und wer kauft so etwas?«

»Das ist eine gute Frage. Ein Teil sind ausgesprochene Rallye-Fahrer. Die machen Trips durch die Wüste, Afrika-Touren in extremem Gelände. Da braucht man eben entsprechende Fahrzeuge. Sonst haben Sie keine Chance. Und dann gibt es natürlich auch Handwerker mit schwerem Gerät, die einen Anhänger haben fürs Gelände. Zum Beispiel ein Steinmetzbetrieb. Die brauchen so schwere Wagen.«

»Was meinen Sie denn, wie viele von diesen Karren hier in der Gegend unterwegs sind? Also nicht nur in Freiburg, sondern im weiteren Umkreis?«

»Ich würde schätzen: so um die 50, 60.«

Es entstand eine kleine Gesprächspause, in der sich beide höflich lächelnd anschauten. Graber fühlte sich irgendwie ertappt, denn er sah weder wie ein Wüstenabenteurer aus noch wie ein Handwerker von etwas robusterem Gewerbe. Er hatte eine schlanke, hochaufgeschossene Gestalt, die nichts Sportliches verriet, zarte Hände mit langen Fingern, und sein Kopf mit der Halbglatze und buschig herabfallendem, leicht angegrautem Haarkranz ließ eher an einen Professor denken als an einen zupackenden Werktätigen.

»Welche Farben werden denn im Allgemeinen bevorzugt?«

»Eindeutig silbermetallic.«

»Und schwarz?«

»Auch. Eigentlich nur silbern und schwarz.«

Graber näherte sich immer mehr seinem eigentlichen Thema. Der Verkäufer war so zurückhaltend und zugleich auskunftsbereit, dass Graber beschloss, ein wenig aus der Deckung zu kommen.

»Ich interessiere mich für einen schwarzen Patrol. Aber ich muss Ihnen das genauer erklären. Ich schreibe nämlich einen Krimi, in dem ein solches Auto vorkommen soll, und dafür brauche ich ein paar Informationen.«

»Ich dachte mir schon, dass Sie keinen kaufen wollen. Das wäre kaum ein Auto, das zu Ihnen passen würde. Aber wenn ich Ihnen trotzdem helfen kann, gerne.«

»Sie können Ihre Kunden einschätzen?«

»Doch ja, die erzählen schließlich auch von sich. Nennen die Motive, warum sie gerade dies und kein anderes Fahrzeug wollen. Man muss nur zuhören.«

»Fahren nicht auch noch andere Leute so ein Auto? Mehr als Statussymbol? Das ist doch ein so robuster und auftrumpfender Wagen, der hat fast etwas Einschüchterndes.«

»Natürlich, ich gebe Ihnen da vollkommen recht. Für mich wäre der auch etwas zu stark. Aber wir haben so einen Kunden. Gestern stand sein Auto noch zur Inspektion hier, da hätte ich es Ihnen zeigen können. Das ist ein ehemaliger Fremdenlegionär, der braucht so ein Auto. Das hat sicher mit seinem Ego zu tun. Der Wagen ist auch entsprechend hochgerüstet, Einstiegsleisten, Frontgitter, Ladekantenschutz, natürlich hat der auch Spezialfelgen, extra breite Reifen, alles vom Feinsten. Der hat noch mehr Fahrzeuge bei sich im Schuppen, alle bestens gepflegt. Der sitzt da drin wie in einem Panzer. Der braucht das, so ist eben sein Selbstbild. Fast ein bisschen gewalttätig, alles zur Seite drängend. Ist schon über 60 und schwelgt wahrscheinlich in Erinnerungen.«

»Und ist der Wagen schwarz?«

»Alles in schwarz, sogar das Frontgitter. Ich sag Ihnen: wie ein Panzer. Das hat der alles so bestellt. Ist natürlich ein Einzelfall. Das ist eben ein Auto für Individualisten. Aber da fällt mir noch ein anderer Kunde ein, eine Frau. Eine ganz kleine, zierliche Person mit blonder Lockenpracht, hochhackigen Schuhen und so weiter, und dann mit einem solchen Auto. Sie sagt, da fühle sie sich richtig wohl und sicher. Das müssten Sie sehen, wenn die in den Wagen hochsteigt und dann hinter dem Lenkrad sitzt. Ein wirklich komisches Bild. So etwas kommt auch vor. Ist auch ein schwarzer Patrol, aber mit Applikationen in gebürstetem Edelstahl, alles silbern glänzend. Wenn ich diese Frau beschreiben soll, die ist natürlich entsprechend extravagant angezogen, sehr elegant, aber wie soll ich sagen? Sie liebt Stoffe im Tigerfellmuster und solche modischen Sachen. Schon komisch.«

»Heißt das, ein Auto für halbseidene Leute?«

»Na ja, es ist eben ein bestimmter Stil. Das sind Angebertypen oder Leute, die ein bestimmtes Image ausstrahlen wollen. Ein Auto ist wie ein Kleid, das muss zu einem passen und soll ja auch etwas ausdrücken. Aber in der Hauptsache, würde ich sagen, sind es Extremsportler und solche, die schwere Anhänger ziehen müssen.«

»Und was kostet das? Ich meine, so voll aufgerüstet, mit allem Drum und Dran?«

»Da gibt es den Dreitürer, der ist kleiner und auch billiger, aber bei dem Fünftürer müssen Sie mit 40.000 Euro rechnen. Und wenn Sie den richtig hochbrezeln mit allen Sonderausrüstungen, können Sie bis zu 20.000 noch dazurechnen.«

»Ein teures Vergnügen.«

»Ist dann aber auch etwas sehr Besonderes.«

»Darf ich mir die Prospekte mitnehmen?«

»Na klar. Warten Sie, ich gebe Ihnen noch die Preisliste. Da ist auch das ganze Zubehör aufgelistet. Und wenn Sie weitere Fragen haben, kommen Sie einfach vorbei.«

Eigentlich hatte Graber nicht besonders viel Neues erfahren und doch fuhr er beschwingt auf seinem Drahtesel zurück. In der Nähe der Endhaltestelle der Straßenbahn stieg er ab, schloss das Fahrrad an ein Straßengeländer und fuhr mit der Tram in die Stadt. Obschon er ziemlich spät in seine Kanzlei kam, saß niemand im Wartebereich. Dorthin ging immer zuerst sein Blick, noch ehe er Elfi begrüßte, die wie immer am Computer arbeitete.

»Wie war denn dein Mittagessen mit Herrn von Hübner, du hast mir noch gar nichts davon berichtet.«

Gestern Nachmittag hatte Graber es tatsächlich etwas eilig gehabt, zu einem Gerichtstermin zu kommen, den er fast vergessen hätte. So hatte er nur schnell seine Papiere und einen mit einem Gummiband zusammengehaltenen Aktenband zusammengerafft und war davongeeilt, zum Glück waren die Wege nicht weit und alles zu Fuß zu erreichen.

»Ein bisschen undurchsichtig. Von sich selbst hat er eigentlich kaum etwas erzählt.« Unter anderem habe er von Grundstücksgeschäften gesprochen, es sei aber unklar geblieben, worum es da ging. Immerhin habe er mehr beiläufig angedeutet, es gäbe auch einiges, bei dem er nicht so in Erscheinung treten wolle und das er mir vielleicht überlassen wolle. Aber darüber müsse man dann genauer reden, wenn es so weit wäre. »Er gab sich ganz als der wohlwollende ältere Kollege. Und da habe ich dann auch nicht weiter gefragt. Drängeln nützt da nicht.«

So erfreulich diese Aussichten für das Büro sein konnten, war Elfi doch auf ganz anderes neugierig, aber sie wartete geduldig seinen Bericht ab, der allerdings wenig konkret war. Diskret habe Hübner mit seiner Kreditkarte bezahlt, ohne ihn förmlich einzuladen, er sei ihm einfach zuvorgekommen. Von den übrigen Gästen habe er keine Notiz genommen, obschon er sicher von einigen erkannt worden sei, er sei ja auch eine auffällige Erscheinung, sehr weltgewandt. Den teuersten Rotwein habe er ausgesucht und gemurmelt: »Höchst erfreulich, den sollten Sie unbedingt auch probieren.« Und dann habe er noch etwas von einem neuen Nachbarn angedeutet, mit dem es hoffentlich keinen Ärger gebe.

»Ach ja? Mit wem denn?«

»Irgendjemand, der sich nebenan eine große Villa gekauft hat, irgend so ein Modeheini.«

»Etwa Legrand?«

»Heißt er so?«

»Tu doch nicht so, als hättest du den Namen noch nie gehört. Natürlich Legrand. Der kommt aus Hamburg. Und nächstens gibt er eine große Einweihungsparty, ich weiß es von Monique. Und weißt du was? Sie nimmt mich dorthin mit. Gerade gestern haben wir davon gesprochen. Sie hat so geschwärmt davon, dass sie mich richtig neugierig gemacht hat. Und was hat Hübner mit Legrand? Oder besser: gegen ihn?«

»Keine Ahnung. Es war wieder nur so eine Andeutung. Jemanden wie Hübner kann man nicht einfach so ausfragen. Da würde er vermutlich nur die Augenbraue etwas anheben und mich anlachen. Und anschließend wäre ich das Mandat los. Das ist ein Mensch mit sehr viel Diskretion. Hübner ist einer von der Sorte, die sich nie groß aufregen, aber mit zweifelsfreier Bestimmtheit ihre Interessen durchsetzen, ganz ohne Lamento, aber immer effektiv. Als Gegner würde ich ihn nicht gerne haben.«

Lorettoberg

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