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Der bucklige Raum

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Als er wieder zu sich kam, fühlte er sich wesentlich besser. Die dröhnenden Schmerzen im Kopf waren fast verschwunden. Das Gehirn arbeitete normal.

Für seinen Körper hatte sich nicht viel verändert. Er war immer noch so gefesselt, dass er weder Arme noch Beine bewegen konnte. Außerdem liefen dünne Seile um ihn herum, die ihn an die Unterlage banden.

Er befand sich mindestens einen Meter über dem Fußboden auf einer harten Platte, die aus Stein oder Kunststoff bestehen konnte, vielleicht auch aus Metall. Sie konnte der obere Abschluss eines Sockels sein.

Ungefähr einen Metier über ihm schwebte ein weißer Gegenstand, der wie ein umgestülpter Backtrog aussah und etwa zwei Meter lang und einen Meter breit war. In der hohlen Wölbung des Troges saßen dünne, spinnwebartige Gebilde, die jeweils von einem Kern ausstrahlten. Sie konnten aus eingelagerten Kupferdrähten bestehen. An den Schmalseiten drängten sich warzenartige Gebilde, aus denen hier und dort ein Porzellanrüssel heraussprang. Obgleich sich das Ganze schwer deuten ließ, machte es keinen behelfsmäßigen Eindruck. Unbestimmt erinnerte es an eine Bestrahlungsapparatur, wie man sie in Röntgenräumen findet.

Zu dieser Vorstellung passte der Rest der Einrichtung. Der Raum war klein, die Wände gefliest. Dicke Kabel durchbrachen sie an mehreren Stellen. Im Augenwinkel entdeckte Mark Tolins einen massigen Ölschalter, über dem schwere Isolatorenketten hingen.

Das Licht kam grell von den weißen Wänden zurück. Die Lichtquellen konnte er nicht sehen.

Seitlich und keine drei Meter entfernt, saß ein Mann an einem kleinen Klapptisch mit grüner Kunststoffplatte. Er schrieb etwas. Vor ihm lagen Zettel. Er trug einen weißen Schutzmantel.

Er wirkte groß, hager und schlaff. Sein Haar war grau und seit Monaten nicht geschnitten. Es stand in zerzausten Strähnen um seinen Kopf herum und staute sich dicht am Kragen seines Schutzmantels. Sein Gesicht war mager und wurde von tiefen Falten gefurcht, die es streckten. Die Mundpartie hatte einen Stich Pferd an sich, die Stirn war hoch und etwas zu steil. Es war in den Knochen und Konturen ein hartes, eigenwilliges Gesicht, besaß aber doch an der Oberfläche eine Weichheit, wie man sie bei Verträumten und Geistesabwesenden findet.

Der Mann drehte sich herum. Offenbar ging ihm auf, dass Mark Tolins bei Bewusstsein war. Er stand auf und kam heran. Das Licht fiel jetzt besser in sein Gesicht, so dass auch seine Augen sichtbar wurden. Es waren dunkle Augen, in denen gelegentlich etwas Stechendes auffunkelte.

»Ich bin James Henley«, stellte er sich höflich vor und deutete eine Verbeugung an. »Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie sich für ein Experiment zur Verfügung stellen. Sie brauchen keine Angst zu haben. Es ist nichts zu befürchten. Hoffentlich fühlen Sie sich wohl.«

»Ich bin gefesselt, Mr. Henley.«

»Selbstverständlich«, nickte Henley freundlich. »Das lässt sich nicht vermeiden. Es handelt sich um die präzise Festlegung, die wir für die Ortung brauchen. Dabei kommt es auf jeden Millimeter an. Ich bin sicher, dass es Ihnen nichts ausmachen wird.«

»Ich bin vom Gegenteil überzeugt«, erwiderte Mark Tolins höflich. »Ich möchte mich auch gern erst ein paar Minuten mit Ihnen unterhalten. Bitte lösen Sie einstweilen diese Stricke.«

Er durchschaute die Situation noch nicht. Sie befanden sich zweifellos allein in diesem Raum. Alles lag bei Henley. Henley konnte unmöglich glauben, was er da eben gesagt hatte. Wenn er aber nicht ganz bei Verstand war, half vielleicht freundliches Zureden.

Es half nichts. Henley schüttelte den Kopf.

»Das werde ich nicht tun, mein Freund. Es kostet zuviel Mühe, Sie genau auszurichten, und es würde Ihnen bestimmt nicht angenehm sein, wenn Sie nicht auf dem Titan landen, sondern auf einem unzuträglichen Gestirn oder gar irgendwo im Raum. Ich möchte Ihnen das nicht antun. Ich bin aber gern beredt, Sie über meine Arbeit zu unterrichten. Vielleicht bin ich Ihnen das sogar schuldig. Wenn Sie also irgendwelche Fragen haben ...«

»Ich bin gegen meinen Willen hier«, versuchte es Mark Tolins schroff von der anderen Seite her. »Sie sind im Begriff, ein Verbrechen zu begehen. Binden Sie mich sofort los!«

Henley lächelte wie ein Arzt, der einen ungeduldigen Patienten vor sich hat.

»Es ist die Angst. Sie dürfen sich nichts daraus machen. Sie werden nicht einmal einen Schmerz spüren. Sie werden hier das Bewusstsein verlieren und gleich darauf auf dem Titan wieder aufwachen. Das ist alles.«

»Titan? Der Saturnmond?«

»Gewiss. Ich habe ihn gewählt, weil er atembare Luft besitzt. Sie brauchen also wirklich nichts zu befürchten.«

Er musste verrückt sein. Er sah nicht danach aus, aber Verrücktheit brauchte sich nicht immer auszuprägen. Direkt schien er nicht ansprechbar zu sein, aber vielleicht kam man auf Umwegen an ihn heran.

»Sie wollen mich auf den Titan versetzen?«, fragte Mark Tolins nach einer Pause so leicht wie möglich.

»Gewiss«, bestätigte Henley. »Eine Minutensache! Ich lasse diesen Zerstrahler auf Sie herab, beschicke ihn von draußen mit dem Delta-Zyclotron, und schon sind Sie auf dem Titan, falls das Experiment glückt.«

»Und wenn es nicht glückt?«

»Keine Sorgen, mein Freund. Wir werden Sie für alle Fälle vorher in einen Raumanzug stecken, so dass Sie auch bei einer Fehlortung nichts zu befürchten haben.«

»Das beruhigt mich. Sie experimentieren mit Überlichtgeschwindigkeit, wenn ich richtig verstanden habe?«

Henley lächelte schlau und zufrieden.

»Das hat Ihnen wohl Amos erzählt, was? Er glaubt auch alles, was man ihm sagt. Natürlich ist es Unsinn. Überlichtgeschwindigkeit! Pah! Es ist überhaupt keine Zeitfrage. Die Zeit geht auf Null zurück. Ich arbeite bloß noch mit der Nullzeit. Das ist es, was diese Neun-malgescheiten nicht begreifen wollen. Eine Geschwindigkeit erhalten Sie nur durch die Zeit, denn schließlich besagt ja die Geschwindigkeit weiter nachts, als dass eine Strecke in einer bestimmten Zeit zurückgelegt wird. Eine Lichtgeschwindigkeit von 300 000 km/sek bedeutet, dass das Licht in einer Sekunde 300 000 km zurücklegt. Wenn die Zeit relativ wird, gibt es auch keine konstante Lichtgeschwindigkeit. Sie haben es bis heute nicht gemerkt. Und wenn die Zeit gleich Null wird, gibt es auch keine Geschwindigkeit mehr, so dass man ohne Zeit und ohne Geschwindigkeit auskommt. Verstanden?«

»So einigermaßen«, behauptete Mark Tolins im Plauderton. »Ich begreife nur nicht, wie Sie mich ohne Zeitaufwand und ohne Geschwindigkeit auf den Titan versetzen wollen.«

»Eine intelligente Frage«, lobte Henley. »Ich will Ihnen das gern erklären. Ich arbeite mit der Raumkrümmung. Schon einmal davon gehört?«

»In der Schule. Nach der Allgemeinen Relativitätstheorie soll der Raum gekrümmt sein, und zwar nicht nur als Ganzes, sondern an allen möglichen Stellen und in allen möglichen Ausmaßen.«

»Genauso ist es!«, strahlte Henley, ging zu seinem Tisch zurück und kam mit einem Blatt Schreibmaschinenpapier wieder heran. »Passen Sie auf. Das ist ein flaches Blatt. Angenommen, ich setze Sie hier an die rechte Schmalkante, natürlich in einer Miniaturausgabe, und Sie sollen an die linke Kante kommen, dann müssen Sie brav marschieren und brauchen Zeit und Geschwindigkeit, Klar?«

»Klar«, bestätigte Mark Tolins.

Henley hob das Blatt höher und klappte es in der Mittellinie zusammen, so dass die linke Schmalkante auf die rechte kam.

»Und jetzt, mein Freund? Da sind Sie auf der rechten Kante, aber jetzt ist die linke Kante direkt auf Ihrem Kopf. Eine winzige Bewegung, und schon sind Sie auf der linken Kante - ohne Marschiererei, ohne Zeit und ohne Geschwindigkeit. Wuppdiwupp - die Raumkrümmung! Das ist der ganze Witz! Nutze die Raumkrümmung wie diese Papierkrümmung, und schon kommst du mühelos überall hin. Wie gefällt Ihnen das?«

Er war verrückt! Er musste verrückt sein!

Oder doch nicht?

Seine Gedankengänge lagen völlig auf der allgemein anerkannten Linie der Wissenschaft. Er konnte sie sicher mit Vektoren und Tensoren und allen üblichen Symbolen mathematisch exakt beweisen. Wenn man einmal diese Raumkrümmung bejahte, lag es nahe, sie auszunutzen.

Er hatte die Henley-Werke aufgebaut und viel herausgefunden, was jetzt bereits technisch verwirklicht worden war. Konnte man ihm eine Geistesstörung unterstellen?

Er wirkte ganz normal, ©in freundlicher, nachdenklicher Mann, der seiner selbst und seiner Sache sicher war. Seine Außen funkelten gelegentlich eigenartig, aber das brauchte nicht viel zu bedeuten.

»Eine großartige Idee!«, lobte Mark Tolins vorsichtig. »Ich fürchte jedoch, Sie werden die Zeit doch nicht ganz unterschlagen können. Sie haben zum Beispiel einen Mann auf den Prokyon versetzt, der plötzlich zwanzig Jahre jünger war.«

Henley grinste jetzt regelrecht.

»Ach das? Nun, ich will Ihnen etwas verraten. Dieser Mann auf dem Prokyon ist glatter Schwindel. Poulter ist ein brauchbarer Assistent, aber er hält mich für verrückt. Hübsch von einem Assistenten, nicht? Er hat das Mikroband selbst besprochen, um mir weiszumachen, dass mir jenes Experiment geglückt ist. Er hält mich für dümmer, als ich bin. Er will nur noch mehr Geld aus mir herausholen. Meinetwegen soll er es haben, aber ich durchschaue seinen Schwindel. Ich bin nicht so verrückt, wie er denkt.«

Mark Tolins fand ihn allmählich atemberaubend. Wenn Henley so seinen Assistenten durchschaute, musste er bei klarem Verstand sein. Andererseits war es freilich bekannt, dass bestimmte Geistesstörungen ein Nebeneinander von Irrsinn und präzisen Gehirnfunktionen durchaus zuließen.

»Warum werfen Sie ihn nicht hinaus?«

»Ich brauche ihn für meine Experimente«, antwortete Henley trockener. »Er muss mir auch die Versuchspersonen heranschaffen und dann die Toten beseitigen, wenn das Experiment missglückt ist. Wenn man diese Kerle nicht mehr bezahlt, laufen sie zur Polizei.«

»Ihre Experimente missglücken gelegentlich?«

»Hm, eigentlich immer«, gestand Henley nachdenklich. »Sie brauchen nichts zu befürchten, da diesmal meine Berechnungen bestimmt zutreffen, aber bisher war es noch keine reine Freude.«

»Immerhin haben Sie schon Teilerfolge, nicht wahr? Dieser Darcay, den wir im Raum fanden, ist doch wohl auch von hier aus versetzt worden?«

»Unsinn!«, lehnte Henley scharf ab. »Lassen Sie sich doch nicht solche Märchen erzählen. Wir wollten ihn vom Titan zur Erde schicken, aber er wurde unterwegs vor Angst verrückt und ging durch die Schleuse, bevor wir ihn halten konnten. Vermutlich hat er sich eingebildet, dort draußen eine Wiese zum Spazieren gehen zu finden.«

»Er war nicht der erste Tote bei Ihren Experimenten, nicht wahr?«

»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte Henley unfreundlich. »Auf ein paar Menschen kommt es doch wirklich nicht an, wenn sie allein schon durch Autounfälle zu Tausenden jeden Tag sterben. Diese Autofahrer sterben, weil sie keine Zeit haben, und meine Versuchspersonen sterben auch nur, weil ich ohne Zeit experimentiere. Wo liegt da der Unterschied?«

Mark Tolins gab es auf. Wenn Henley nicht verrückt war, so litt er doch an einem schweren Geistesbruch, der es ihm unmöglich machte, die Welt normal zu sehen. Es war letzt wichtiger für ihn, frei zu werden und aus diesem Raum herauszukommen, denn sicher war, dass Henley ihn zum Opfer eines Experiments machen würde, ohne dass ihn deshalb sein Gewissen zwickte.

Es gab eine Chance. Jim Darcay hatte sie hinterlassen. Wenn es gelang, Henley von einem sofortigen Experiment abzuhalten und ihn zu veranlassen, sein Opfer mit auf Raumfahrt zu nehmen, konnte manche Möglichkeit der Befreiung entstehen.

»Sie begehen einen Fehler, Mr. Henley«, lenkte er entsprechend ab. »Die irdischen Verhältnisse sind reichlich kompliziert. Wahrscheinlich missglücken Ihre Experimente nur deshalb. Sie hätten es vom Titan oder einem anderen Gestirn aus bestimmt weit einfacher.«

»Wem sagen Sie das?«, murrte Henley wieder zugänglicher. »Deshalb habe ich ja diesen Darcay mitgenommen. Poulter hält aber in Ihrem Falle nichts davon. Er meint. Sie könnten uns Schwierigkeiten bereiten und müssten deshalb schleunigst transformiert werden. Das hat natürlich auch etwas für sich. Aber vielleicht lässt er mit sich reden.«

Er stand plötzlich da, als hätte ihn jemand gegen den Kopf geschlagen, unglaublich zerstreut und geistesabwesend. Sekunden später schüttelte er den Kopf. Dann warf er sich ungelenk herum und ging hinaus.

Das Blatt, an dem er die Raumkrümmung demonstriert hatte, segelte träge zu Boden.


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