Читать книгу Held des Weltraums: Mark Tolins Band 1-17 - Die ganze Serie - W. W. Shols - Страница 81
Die Hinrichtung
ОглавлениеMark Tolins gab sich keinen Illusionen hin. Henley mochte verrückt sein oder auch nicht; er würde sein nächstes Experiment durchführen, und dessen Ausgang ließ sich für sein Opfer voraussagen. Diese ganze Anlage lief vielleicht nicht auf eine Atomisierung hinaus, stand jedoch wohl einem elektrischen Stuhl in anderer Form nicht nach. Er war die Versuchsperson, so gebunden und gefesselt, dass er sich nicht frei machen konnte. Wenn sie diese Kapsel auf ihn herunterließen und Strom gaben, war es aus.
Von Poulter und Amos ließ sich nichts erhoffen. Amos stand treu ergeben zu Henley, und Poulter besaß allen Grund, einen Neugierigen zu beseitigen, wenn er selbst Henley nebenbei erpresste.
Biggy war die einzige Hoffnung. Er konnte sich ausrechnen, wo er ihn, Mark Tolins, zu suchen hatte. Leider besaß Biggy einen festen Schlaf. Es konnte lange dauern - zu lange -, bis er in Bewegung geriet.
Der Raum war still wie eine Totenkammer.
Endlich kamen Geräusche von der Tür.
Amos trat ein. Er trug einen schweren Raumanzug über der Schulter. Er ließ ihn auf den Klapptisch abgleiten und kam dicht an Mark Tolins heran. Seine Stirnhaut war stark gefaltet, sein Gesicht gefurcht, als fehlte ihm der Schlaf. Die Spuren des Kampfes hatten sich noch kaum verändert. Der gesamte Ausdruck hatte jedoch gewechselt. Das dunkle, düstere Gesicht war voll Ratlosigkeit und Bedrückung.
»Ich. hatte Sie gewarnt«, sagte er wieder einmal. »Sie hätten nicht wieder herkommen dürfen. Lauter Ungelegenheiten! Ich weiß auch nicht mehr, was ich tun soll Tote - immer wieder Tote! Und wenn ich Ihnen helfe, legen Sie Mr. Henley hinein.«
Das war mehr ein Selbstgespräch. Amos grübelte und wurde mit seinen Gedanken nicht fertig. Er schien auch unschlüssig zu sein. Und sein letzter Satz war geradezu ein Wegweiser.
»Hineinlegen?«, wunderte sich Mark Tolins mit einigem Nachdruck. »Haben Sie wirklich Angst, dass ich über seine Arbeiten schwatze oder gar die Presse und andere Leute auf ihn hetze? Ich weiß jetzt, was ich wissen wollte, und wenn Sie mir gleich eine Unterhaltung mit Mr. Henley ermöglicht hätten, wäre ich nicht wiedergekommen. Ich fürchte. Sie sind vor lauter Sorge um Henley ein bisschen durchgedreht.«
»Wie meinen Sie das?«
»Nun, ich habe diesen Darcay aufgelesen und. wollte erfahren, welche Bewandtnis es mit ihm hat. Mr. Henley hat mir gesagt, dass er ihn mit auf Außenstation. nehmen wollte, Darcay aber Angst kriegte und in seiner Ahnungslosigkeit durch die Schleuse ging. So etwas kommt vor, und damit ist die Angelegenheit aufgeklärt. Das hätte sich auch ohne dieses Theater mit Schlägerei und Stricken erledigen lassen.«
»Und das Mikroband?«
»Schwindel, mein Freund. Das Band wurde von Poulter besprochen, um mehr Geld aus Henley herausholen zu können.«
Die braunen Augen des Farbigen stierten geradezu.
»Das hat Ihnen Mr. Henley gesagt?«
»Wer sonst?«
»Aber ...«
»Vielleicht übertreiben Sie wirklich alles ein bisschen«, gab Mark Tolins zu bedenken. »Henley ist weniger bedroht, als Sie denken. Dieser Versuch, über die Raumkrümmung hinweg Zeit und Raum einfach zu überspringen, ist immerhin eine geniale Leistung, die ...«
»Raumkrümmung?«, fiel Amos ächzend ein. »Hat er Ihnen von Raumkrümmung erzählt?«
»Ja.«
Amos wischte sich über die Augen und seufzte.
»Nun, es ist ja egal. Ich kann nicht mehr. Ich mache nicht mehr mit. Keine Toten mehr! Wenn Sie mir versprechen, über diese ganze Angelegenheit zu schweigen, bringe ich Sie durch.«
Jetzt wurde Mark Tolins misstrauisch. So naiv konnte Amos unmöglich sein.
»Versprechungen sind billig.«
»Ich weiß«, nickte Amos trübselig. »Was bleibt mir aber anderes übrig, als mich darauf zu verlassen?«
»Sie müssen es wissen. Binden Sie mich los.«
»Gleich. Sie müssen mir aber erst noch versprechen, sich ruhig zu verhalten und keine neue Schlägerei anzufangen. Ich muss Ihnen nämlich den Raumanzug überziehen.«
Er musste auch verrückt sein. Der Raumanzug setzte eine völlige Entfesselung voraus. Amos konnte unmöglich erwarten, dass sie nicht genutzt wurde.
»Wozu den Raumanzug? Es genügt, wenn Sie mir die Bewegungsfreiheit zurückgeben.«
Amos schüttelte melancholisch den Kopf.
»So einfach ist das nicht. Poulter will Sie lebend nicht wieder hinauslassen, und die Wächter gehorchen ihm. Wir müssen erst das Experiment hinter uns haben.«
»Aha!«
»Nein, nicht, was Sie denken.. Das Experiment schadet Ihnen nichts. Das ist ein präparierter Raumanzug, der wie ein Farady-Käfig wirkt, also Sie völlig isoliert und nichts an Sie heranlässt. Glücklicherweise stecken wir unsere Versuchspersonen immer in Raumanzüge, damit sie nicht schutzlos sind, falls sie an anderen Stellen ankommen, als Henley beabsichtigt.«
Die letzten Worte klangen so eigenartig schmerzbewegt, dass sich Mark Tolins entschloss, seine Taktik zu wechseln. Er sprach jetzt ernst und kameradschaftlich.
»Wir befinden uns in einer sonderbaren Situation, nicht wahr? Vielleicht lässt sie sich durch ein offenes Wort vereinfachen. Sie sind kein Mörder, aber die Rücksichtnahme auf Henley verleitet Sie, Dinge zu tun, die Sie verabscheuen. Ein Toter mehr nützt Ihnen nichts. Vielleicht kann ich dies und jenes wieder in Ordnung bringen. Was ist mit Henley?«
Amos senkte den Kopf.
»Er ist verrückt. Er hat viel für mich getan, aber ich muss es endlich sagen. Er ist verrückt. Man merkt es ihm nicht sehr an, und sein Gehirn funktioniert sogar besonders gut, wenn es um technische Angelegenheiten aus dem Werk geht; aber dann setzt es plötzlich aus, besonders bei seinen privaten Forschungen. Er denkt sich die sonderbarsten Möglichkeiten aus und glaubt in allem Ernst, sie verwirklichen zu können. Und Poulter bestärkt ihn noch darin.«
»Sie auch, nicht wahr?«
»Ja, anfänglich ich auch«, gab Amos bedrückt zu. »Es ist nicht leicht, die Grenze zu ziehen. Sehen Sie, da arbeitet ein Mansch ganz normal, leistet sogar Hervorragendes und leitet ein ganzes Werk - und dann geht er unversehens über die Grenze. Wie soll man das gleich merken, wenn sonst alles in Ordnung ist? Man denkt an einen neuen genialen Einfall. der sich vielleicht auch verwirklichen lässt. Wo beginnt der Wahnsinn?«
»Es gibt Maßstäbe.«
»Eben nicht«, seufzte Amos. »Nehmen Sie zum Beispiel die Gravitation. Sie können sie durch ein Symbol ausdrücken, durch einen Buchstaben. Sie können ein Minuszeichen davorsetzen und erhalten damit eine negative Gravitation. Da steht sie auf dem Papier. Wenn nun jemand glaubt, dass es auch in der Wirklichkeit eine negative Gravitation gibt oder dass man sie irgendwie technisch erzeugen kann - ist das nun ein Wahnsinn oder nicht?«
»Ich verstehe. Sie vertrauten Henley.
Aber dann kamen die Toten, nicht wahr?«
»Ja. Die Experimente missglückten. Die Versuchspersonen, die Poulter beschaffte, starben. Ich dachte, ich müsste mich damit abfinden. Wissenschaftliche Experimente missglücken im Anfang häufig. Das Ziel wiegt viel auf. Um die Leute, die Poulter brachte, war es vielleicht nicht schade. Dann kam ich dahinter, dass Poulter nur sein Geschäft mit Henley machten wollte. Er hatte viel früher begriffen, dass Henley nicht mehr normal war, und nutzte es aus. Ich habe versucht, mit Henley zu reden und Poulter abzuschieben, aber ...«
Er schloss mit einem müden Schulterzucken ab. Mark Tolins empfand Mit-leid mit ihm. Er hatte sich aus lauter Dankbarkeit und Treue zwischen Irrsinn und Verbrechen festklemmen lassen, und es würde nicht leicht sein, ihn herauszuholen.
»Ich werde Ihnen helfen«, versprach Mark Tolins. »Binden Sie mich jetzt erst einmal los, dann werden wir weitersehen. Ich besitze immerhin einigen Einfluss und kann manches besser bereinigen als Sie.«
»Ich weiß«, nickte Amos. »Poulter hat mir genug erzählt. Deswegen habe ich Ihnen ja auch alles gesagt. Aber wir müssen erst das Experiment durchführen, bevor ...«
»Hören Sie doch damit auf!«, unterbrach Mark Tolins kurz. »Mit einer Lüge und einem Scheinexperiment mehr ist niemand gedient.«
»Stimmt auch wieder«, gab Amos zu, zog ein Messer aus der Tasche und begann, die Schnuren zu durchschneiden, die den gefesselten Körper auf der Unterlage hielten.
Er kam nicht zu Ende damit. Nevin Poulter stand plötzlich im Raum. Er hatte eine Schusswaffe in der Hand, und sein Gesicht war höhnisch verzerrt.
»Das habe ich mir gedacht! Unser Amos hat seine eigenen Pläne. Den Schnüffler freilassen und zum Kronzeugen werden, nicht? Zurück, Amos, und das Messer aus der Hand!«
Amos behielt das Messer in der Hand und zog seine Muskeln zusammen. Seine dunkle Stimme war voll Hass.
»Von Ihnen lasse ich mir nichts mehr vorschreiben. Ich mache nicht mehr mit. Immer mehr Tote, weil Sie reich werden wollen. Es ist besser, wenn er in ein Sanatorium kommt.«
»Und Sie auf den elektrischen Stuhl!«, höhnte Poulter. »Das Messer weg - oder
Amos schnellte auf ihn zu - zwei Zentner Muskeln und Knochen, gegen die Poulter nichts zu setzen hatte als seine Waffe.
Er schoss.
Amos zuckte im Sprung.
Noch ein Schuss!
Amos schlug auf dem Fußboden auf, rutschte ein Stück weiter und blieb reglos liegen.
Die Luft roch nach Cordit.
»Narr!«, zischte Poulter, wenn auch sein Gesicht bleich geworden war.
Mark Tolins bäumte sich mit einem Ruck auf. Das letzte Stück Schnur, das ihn noch hielt, platzte.
Er war noch immer wie ein Paket zusammengeschnürt. Er wusste, dass er keine großen Aussichten mehr besaß, wenn er diese Sekunden nicht ausnützte. Er zog seinen Körper zusammen, so gut es ging, riss ihn mit einer mörderischen Anstrengung hoch und schnellte gegen Poulter.
Er erreichte ihn mit den Füßen, obgleich Poulter beiseite sprang, aber es reichte nicht aus. Poulter wurde an der Hüfte getroffen und flog gegen ein Instrumentenpult, während Mark Tolins mit voller Wucht und ohne Möglichkeit, den Sturz zu müdem, auf dem Fußboden aufschlug. Er blieb jedoch bei Besinnung.
Poulter kam heran. Er fletschte die Zähne. Mark Tolins schnellte herum, wobei er das Gefühl hatte, dass ihm einige Muskeln rissen, aber Poulter konnte leicht ausweichen.
Es war nichts zu machen. Poulter schlug mit dem Kolben seiner Waffe zu, und Mark Tolins konnte den Schlag gegen seinen Kopf nicht abwehren.
Der Vorhang senkte sich.
Als Mark Tolins wieder zu sich kam, lag er wieder auf der Bahre und sah die Zerstrahlungsapparatur über sich, Seine Glieder waren nicht mehr gefesselt. Dafür steckte er in dem schweren Raumanzug, den Amos gebracht hatte. Porter hatte die Zeit der Bewusstlosigkeit genutzt. Über den Raumanzug liefen wieder Stricke und legten ihn fest.
Nevin Poulter stand dicht neben ihm und hielt den Helm in den Händen, offenbar im Begriff, ihn über den Kopf seines Gefangenen zu schieben. Er grinste höhnisch.
»Aha, wieder da? Nun, dann können. Sie es wenigstens genießen. Falls Sie noch ein Testament zu meinen Gunsten machen wollen - das Experiment beginnt in wenigen Minuten.«
Mark Tolins fiel es nicht leicht, zu sprechen. Sein Kopf schmerzte. Poulter musste rücksichtslos zugeschlagen haben.
»Ihr Experiment heißt Mord, Poulter«, sägte er beherrscht.
»Ich experimentiere nicht«, höhnte Poulter. »Sie müssen sich an Henley wenden. Ich verdiene nur ein bisschen Geld dabei. Eigentlich schade, dass ich mit Ihnen keinen Handel abschließen kann. Sie könnten genug für Ihre Freilassung zahlen. Aber Sie sind mir zu gefährlich. Sie würden mich mit hineinziehen und mich für das verantwortlich machen, was Henley angestellt hat. Der Chef kommt ins bequeme Sanatorium und der Assistent in die Gaskammer nach St. Quentin, nicht?«
»Was ist mit Amos?«
»Sie, mein Lieber, haben ihn bei einem Befreiungsversuch erschossen, Henley wird sehr traurig sein. Kann ich noch etwas für Sie tun?«
»Ja. Sie können mir Ihren Anblick ersparen.«
»Pah!«, ärgerte sich Poulter und schob brutal den Helm über den Kopf Mark Tolins'. Er zog ihn ordnungsgemäß fest.
Jedes Theater braucht seine Kostüme. Wahrscheinlich verlangte der Irrsinn in Henley, dass seine Versuchspersonen für das gerüstet waren, was sie in seiner Vorstellung erwartete, und wahrscheinlich brachte es Poulter wieder zwanzig-tausend oder fünfzigtausend Dollar ein, wenn Henley zu der Überzeugung gebracht werden konnte, dass der neue Tote das Ergebnis eines vorschriftsmäßigen, aber missglückten Experiments war.
Die Welt ging vor der schmalen Sichtscheibe zu Ende. Poulter verschwand aus dem Blickfeld.
Gleich darauf verengte sich die Welt noch mehr. Die helle, umgekehrte Mulde mit den spinnwebartigen Gebilden kam von oben herunter und setzte sich auf den Katafalk auf. Viel Spielraum ließ sie nicht.
Schluss?
Noch nicht. Der Raumanzug war in Ordnung. Er setzte auf den Abschluss oder auf einen unbekannten Kontakt hin mit seinen automatischen Funktionen ein. Er blähte sich auf und legte sich zugleich als Druckanzug innen an. Die Heliumluft setzte ein. Der Thermostat begann zu arbeiten. Der Feuchtigkeitskondensator kam mit seinem charakteristischen leisen Schnaufen.
Lange konnte es nicht mehr dauern. Poulter hatte von Minuten gesprochen. Irgendwo nebenan stand wohl schon der irre Henley und wärmte sein Delta-Zyclotron an.
Ein schneller Tod, aber es war nicht leicht, ihm minutenlang entgegenzugehen.
Wahrscheinlich eine moderne Art der Einäscherung.
Mark Tolins registrierte, dass er die Zähne hart aufeinander gesetzt hatte. Er ließ es dabei. Man konnte dem Organismus schlecht verwehren, sich zu verkrampfen, wenn sich das dunkle Tor langsam öffnete.
Minuten?
Ewigkeiten schienen vergangen zu sein, seitdem sich die Schale gesenkt hatte.
Da glühte ein Spinnengewebe über seinen Augen auf.
Leb wohl, Biggy!