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6.

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Dies ist das große Glück des Soldaten in solcher ungeheuren Zeit:

Er lebt in seinem engsten Kreise. Den füllt er aus, und dazu bedarf es des Einsatzes seiner letzten Kraft. Er hat nicht Zeit, aufs Ganze zu denken, das Ganze zu suchen — dies riesenmäßige, ungreifbare Millionenschicksal, auf das er ja doch nicht wirken kann. Er hat seine engumgrenzte Pflicht: die leistet er, und dann kann und darf er mit sich zufrieden sein. Was darüber hinaus liegt, das stellt er in die Hand — nun, in wessen Hand? In die Hand einer Macht, für die das Weltkind bislang keinen Namen hatte — nach der es nun, zum ersten Mal im Leben, ein nebelhaftes, banges, herzumschnürendes Sehnen empfindet. Es muss — es muss irgend so etwas geben . . . irgendwohin muss die Seele sich flüchten können aus dem Grauen, das sich ringsum zusammenballt, irgendwo muss sie niederlegen können Erinnerung und Hoffnung, Glück und Qual, Stolz und Scham, Jauchzen und Bangen. Irgendwo — ach, wo?!

Durch die Jagd der nach Stunden und Minuten genau eingeteilten Arbeit, durch den wilden Vorüberzug der Bilder eines neuen, ungeheuren Lebens, das unmittelbare, drängende, atemraubende Nähe ist, dringt nur matt und dumpf das Getös des fernen, unermesslich gewaltigen Weltgeschehens.

Befehl: von heute Abend sechs Uhr an ist das Regiment marschbereit. Verladung wahrscheinlich morgen früh. Wohin? nach Osten? nach Westen? Unbekannt . . .

Ein letztes fieberhaftes Arbeiten rumort in den staubdurchwirbelten Kasernengängen. Das Landwehrregiment soll unser Quartier wie ein Schmuckkästchen vorfinden.

Meine Offiziere sind endlich von ihren Kommandos zurückgekommen: der aktive Leutnant von der Osten, mir von den Übungen her bekannt, ein schlanker, fester, korrekter, straffer Berufssoldat, und Leutnant der Reserve Grabert, seines bürgerlichen Zeichens Geometer und Mitglied der kartographischen Abteilung des Großen Generalstabes, untersetzt, stramm, trocken, humoristisch, etwas derb in seinen Formen. Die Herren melden sich.

„Na, Sie haben’s gut gehabt, haben in der Welt herumsausen dürfen, während ich mit dem Feldwebel die ganze Mobilmachung allein schaffen musste . . .“

— „Wir haben auch nichts zu lachen gehabt, Herr Hauptmann“

Und sie berichten von mancherlei komischen und ärgerlichen Erlebnissen.

„Wie ist die Stimmung im Lande?“

„Über jedes Lob erhaben. Nicht die leisesten Schwierigkeiten mit den Reservisten. Das Kaiserwort: Ich kenne nur noch Deutsche, die Stellungnahme der Sozialdemokratie — uns kann nichts geschehen.“

„Ich merke, die Herren haben auf ihren Fahrten zum Zeitunglesen Muse gehabt“

Aus den knappen Erzählungen der Kameraden steigt etwas herzaufschwellend Herrliches empor: das Bild eines Volkes, das sich aufreckt, riesenhaft, urgewaltig, in nie erhörter Vollendung der Idee seiner selbst.

Für den Mittag hatte ich noch einen Übungsmarsch angesetzt.

Am Nachmittag führte ich meine Kompagnie zum Abendmahl in die alte, ehrwürdige, halbdunkle Garnisonkirche, die ein Stück preußischer Geschichte verkörpert.

Der Divisionspfarrer Jäckel sprach. Schlicht, mannhaft, soldatenhaft.

Und wie nun in langen Reihen meine Grenadiere niederknieten, kniend das heilige Mahl empfingen — wie die hochgeschwellte Seele das Bild in sich aufnahm dieses dämmrigen Gotteshauses mit dem mattschimmernden sparsamen Gold des Altars, dem fahlen Grau der Waffenröcke, den rührenden, kurz geschorenen Köpfen meiner Jungens in allen Abschattungen von Braun und Blond und Schwarz, dahinter der schwarze Talar des Pfarrers, sein ernstes, ehrenfestes Antlitz, von schwarzem Haar und Bart umrahmt, alles in Haltung, Gebärde und Wort von einer geraden, herben, evangelischen, preußischen, fritzischen Nüchternheit — da empfand ich ein inniges Begreifen und Umfassen der Schönheit unserer Zeit. Ja, es ist Preußengeist, Brandenburgergeist, der über dieser Stunde liegt. Scheinlos, farblos, wortlos. Tatgeist. Kantgeist.

— Nun muss ich noch einmal zu meinen lieben Quartierwirten, um Abschied zu nehmen. In einer Stunde, um sechs Uhr, ist Regimentsappell auf dem Platz am Proviantamt. Ein Beisammensein der Offiziere wird sich anschließen. Es dürfte spät werden. Die wenigen Nachtstunden bis zum Aufbruch find’ ich wohl auf einem überzähligen Kasernenbett ein erstes Kriegslager.

Ja — und nun wären die Koffer unterwegs zum Bahnhof, kriegsmarschmäßig hab’ ich mich angetan, losgelöst von dem letzten Zusammenhang mit der Welt von gestern. Mit einem seltsam befreiten Abenteurergefühl schlendre ich der Kaserne zu, den vertrauten Weg. Ein Gefühl von trunkener Daseinsfülle, froh aufjauchzender Daseinslust. Als singe nun das Leben erst so recht an, das zu sein, was es hatte werden wollen . . .

Das ist es: sich erfüllen. Was du sangest, sollst du schauen und schaffen helfen.

Marschbereit steht das Regiment, die Bataillone in Hufeisenform aufgestellt. Es knarrt das nagelneue Lederzeug, über dem stumpfen Grau der Waffenröcke flammen die Zwölfen an den Helmbezügen in grellem Rot. Ein verhaltenes Fieber liegt über den Dreitausend. Wie oft standen wir so in Parade. Damals war’s Spiel, wenn auch ein ernsthaftes, bedeutungsvolles. Nun winkt uns des Spieles tieferer Sinn. Morgen geht’s ins Feld.

Du bist wach, so wach wie je im Leben. Und doch: dies alles ist mehr Traum als Wachen. Mehr Gedicht als Erlebnis.

Musik von der Landstraße her! Vor der Fahnenkompagnie der Regimentskommandeur mit seinem Stabe. Auf des Obersten bronzenem Gesichte wetterleuchtet feierliche Erregung. Umbraust von herben Marschrhythmen, schweben die Fahnen heran. Nicht die zerfetzten, blutgeweihten aus alten Kriegen. Ein Neues hebt an.

Die erste Kompagnie schließt das Viereck. In der Mitte hält Oberst von Reuter. Er spricht.

Was hat er gesagt? Ich weiß es heute nicht mehr — habe es vielleicht nie gewusst. Es ist ein großes Brausen in meiner Seele. Weltensturm. Gottessturm. Es ist ja nicht ein einzelner, der da spricht. Wir alle reden. Deutschland redet. Es redet das Vaterland.

Jetzt das Hurra — das dreifache Hurra des Grenadierregiments Zwölf für den Obersten Kriegsherrn. Dies ist ein Hurra, wie wir’s nur dies eine, dies einzige Mal gerufen haben. Einst wird das Regiment am gleichen Platze stehen und den gleichen Jubelruf in die Lüfte jauchzen. Das Regiment. Aber wer von uns wird dann noch dabei sein? Viele von uns werden fehlen. Das Regiment wird leben, wie Preußen, wie Deutschland leben wird. Wir alle sind sterblich. Diese drei sind unsterblich: Deutschland, Preußen, das zwölfte Regiment.

Die Bataillone rückten ab, der Kommandeur versammelte uns im Vortragsraum des Kasinos.

Er hielt eine erste Offizierbesprechung ab, versprach und erbat treue Kameradschaft, vor allem auch gegenüber Mannschaften und Unteroffizieren. Dann lud er zu einem „Satteltrunk“ — einem letzten Liebesmahl in dem vertrauten großen Kasinosaal. Wie viele haben ihn nicht wiedergesehen.

Ich hatte meine Offiziere geladen: die Leutnants von der Osten und Grabert, den Offizierstellvertreter Schüler, den Fähnrich Tettenborn, den Fahnenjunker-Unteroffizier Esche: der letztere ein schlanker, straffer Junge, noch nicht ganz fertig, doch vom besten Willen beseelt. Wir saßen zum ersten Male beisammen, das Offizierkorps der Zweiten.

Oberst von Reuter steht auf. Wir alle. Es wird still, unsagbar feierlich in dem weißen Saal, unter den ruhig leuchtenden Glühlichtkronen.

„Meine Herren, nun ist der Augenblick gekommen, den wir alle als den höchsten in unserem Soldatenleben ersehnt haben: die Treue, die wir im Fahneneid unserm Allerhöchsten Kriegsherrn gelobt haben, werden wir durch die Tat besiegeln dürfen. Jeder von uns kennt in diesem Augenblick nur den einen Wunsch, den einen Vorsatz: der Ehre, die uns zuteilwird, sich würdig zu machen. Unser Soldatenleben war nur eine Vorbereitung auf diese Stunde und die, die kommen werden. Es werden ernste, schwere, verantwortungsvolle Stunden sein. Aber wir dürfen vertrauen auf unsere Führung, auf unsere brandenburgischen Grenadiere und auf uns selber. Wir kennen unsern Dienst. Wir alle geloben in dieser ernsten Stunde: bis zum letzten Blutstropfen unsere Pflicht zu tun. Dies Gelöbnis, meine Herren, erneuert das Offizierkorps des aktiven, mobilen Grenadierregiments Zwölf mit dem Ruf:

„Seine Majestät, unser Allergnädigster Kaiser, König und Oberster Kriegsherr — hurra!“

Nichts vom Feinde, nichts von Heldentum und künftigem Ruhm, nichts von Sieg und nichts von Tod — nur Pflicht und Dienst. Kein Hauch von Pathos, nichts, was entzünden, begeistern, berauschen könnte oder sollte. Ich hätt’s anders gemacht. Aber ich bin ja auch von anderem, westlichem, heißerem, rauschenderem Blut. Und doch imponiert mir’s, zwingt mich in seinen Bann.

Kann man phrasenloser, schlichter, preußischer sprechen?!

Unterirdisch durchglüht, wie diese Rede, ist unser ganzes Beisammensein. Was werden wir gesprochen haben? Ich weiß nicht ein Wort mehr. Wir ahnen ja so wenig, haben in diesen Tagen, wo die Welt sich auf den Kopf gestellt hat, nichts gehört und gesehen als die Pflicht des drangvollen Augenblicks. Ningsum alles Märker und Soldaten. Auch unsre Gespräche werden hart und nüchtern und klirrend gewesen sein wie Reuters Rede.

Meine jungen Herren gefallen mir recht wohl. Alles guter Zwölfer-Schlag. Keine Geisteshelden, keine Überflieger. Feste, verlässliche Jungen. Ich werde an ihnen haben, was ich brauche.

Und trinken können sie — allerhand Achtung. Vor uns auf dem Tische türmen sich die Sektflaschen. Ringsum werden die Köpfe heiß, die Gespräche lauter und rauer. Doch alles bleibt gemessen, frei von Überschwang. Wie sich’s gehört, wird keine Rede mehr gehalten. Aber auch in der Unterhaltung kein Wort der Überhebung, kaum eines der Begeisterung. Immer diese kühle, herbe preußische Nüchternheit. Es ist nicht gar so anders, als rückten wir morgen ins Manöver. Wie mag’s in dieser Stunde in rheinischen — wie mag’s gar in französischen Offizierkasinos zugehen.

Eine Nachricht, die uns alle aufjubeln machte: der König erneuert die Stiftung des Eisernen Kreuzes!

Schon oft hatten wir diese Hoffnung beredet: nun war sie Gewissheit geworden.

Ein jeder aber aus unsrer Schar, wie wir zum „Satteltrunk“ zusammensaßen, schwur sich’s in stiller Seele: entweder mit dem Kreuz — oder überhaupt nicht heimzukehren . . . Und ich — wie manchen meiner Helden hatte ich die einzige Zier erstreiten lassen: nun durft’ ich selber darum werben . . . Allmählich übermannte uns alle die Erregung der Stunde. Schließlich müssen wir doch wohl in etwas vorgerückter Stimmung gewesen sein.

Ich steige, nicht mehr ganz sicher auf den Beinen, zum Kompagnierevier empor, um mir eine Lagerstatt zu suchen. Hab’ ja kein Bett für diese Nacht.

Droben brennen die Lampen auf allen Korridoren. Überall Stroh gestreut, Körper an Körper schnarchen die angekommenen Mannschaften des zwölften Landwehrregiments. Ein Dunst zum Schneiden. Ich rette mich auf den Kasernenhof. Ich finde eine Bank, setze mich, um dort die zwei Stunden bis zum Wecken zu verduseln. Wüst ist mir der Kopf. Es fängt zu regnen an, ganz leise, ganz weich, wie stumme Tränen.

Vormarsch

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