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8.
ОглавлениеEs war schon tiefdunkle Nacht, als unser Zug auf dem kleinen Bahnhof Elsdorf hielt. Endlich Erlösung für unsre Jungens vom zweitägigen Gerumpel im Gepäckwagen. Sie waren allesamt ein bisschen überfüttert und magenkrank vom Übermaß der Liebesgaben. Im fahlen Schein der Bogenlampen erkannten wir, dass das weitentlegene Dorf nun zu einem Hauptplatz des kriegerischen Eisenbahnverkehrs eingerichtet war. Geschrei, Gewimmel, Gestrudel. Wir sammelten unsere Kompagnien, würgten uns ins Freie, trotteten dem Orte zu. Erstes Quartier, in Freundesland, wohlvorbereitet, manövermäßig.
Andern Morgens in der Frühe begann der große Marsch. Eine Höllenhitze. Nur etwa 15 Kilometer wurden’s, doch die alten Reservisten ächzten unter ihrem Kriegsgepäck, viele purzelten in den Chausseegraben. Manch derbes Wort der Ermunterung war nötig. Rast in einem behäbigen Dorf. Ein Mann mit Hitzschlag: Roßberg hieß er, ein frischer, dreister Bursch, der mir schon in Frankfurt angenehm aufgefallen war. Ich nahm mich seiner nach Kräften an, ließ einen Bauernwagen für ihn anspannen.
Quartier in einem schmucken Dorf Oberzier. Ich hatte Ortsdienst, sah in den Nachmittagsstunden Wachen und Posten nach: denn schon sicherten wir kriegsgemäß unser Quartier: natürlich nur zur Übung. Wie ich den Ort umschritt: horch! ein dumpfer, weicher Ton von Westen: bu — bu. Und immer wieder bu — bu. Kanonendonner. Vielleicht von Lüttich, vielleicht auch nur — wie die ganz Gescheiten wissen wollten — vom Truppenübungsplatz Elsenborn. Auf jeden Fall: ein seltsames Gefühl.
Das manövermäßige Gepräge blieb den nächsten Tagen treu. Am Dienstagmorgen, bei schwülem, bedecktem Himmel, gab’s gar auf dem Vormarsch eine richtige Felddienstübung mit anschließender Kritik. Schöne Gelegenheit, mich immer mehr mit Alfred, ihn mit den Soldaten vertraut zu machen. Quartier in Stammeln, nachmittags Löhnungsappell. Ich benutzte ihn, mich eingehend mit meinen Leuten zu beschäftigen. Die Offiziere und Unteroffiziere mussten vortreten, der Kompagnie immer wieder ihre Namen nennen. Die Spielleute, die Trainfahrer, das Sanitätspersonal, kurz alle, die etwas Besonderes bedeuteten. Hier auch lernte ich meine Gefechtsordonnanzen etwas näher kennen: die Gefreiten Sauermann und Niestrawski. Der eine ein hagerer, wortkarger, straffer Märker, der andre ein gerissener, schwatzhafter, witziger und dreister Pole. Dazu Pohlenz, mein Spielmann, ein stämmiger, schnoddriger Berliner, immer die selbstgedrehte Zigarette im Munde. Willy Weise war auf seine Bitte inzwischen mein Pferdebursche geworden, stattdessen hatte ein etwas schlafmütziger Grenadier namens Zock die Sorge für meine Person übernommen. Müssigbrodt war mein Pferdehalter auf dem Marsch. Ich ordnete an, dass diese sechs: Sauermann, Niestrawski, Pohlenz, Zock, Weise, Müssigbrodt in Zukunft meinen „Stab“ zu bilden, mein Quartier zu teilen, sich möglichst in meiner Nähe aufzuhalten hätten. Sie schlossen sich im Lauf der nächsten Tage immer fester um mich zusammen, wurden meine Getreuen, bald meine Getreuesten.
Auch sonst gab ich mir Mühe, meine Schar immer genauer kennenzulernen, ins Wesen der Leute einzudringen. Ein erfreuliches, beglückendes Tun.
Nach dem Löhnungsappell ließ ich aus einem Schulhaus eine Staffelei, eine Schiefertafel und eine Karte von Europa bringen und hielt meinen eifrig lauschenden Männern einen Vortrag über die allgemeine Lage. Nie hab’ ich aufmerksamere, dankbarere Hörer gehabt. Der deutsche Soldat ist kein Muschik, der stumpfsinnig ausführt, was befohlen wird: er will begreifen, mitdenken. Man soll ihn ehren, indem man ihm das Verständnis des Gesamtverlaufs erschließt: dann kann man alles von ihm verlangen.
Hiernach gab’s ein paar Stunden Rast. Wir Offiziere hatten einen Obstgarten aufgetan und saßen bei ländlichem Flaschenbier.
Plötzlich Ausrufe: Ein Flieger in Sicht!
Wahrhaftig: da schwebte über uns der erste Lüftekreiser!
Wir wussten: die unsern zeigen auf den Tragflächen, dem Steuer ein schwarzes Kreuz in der Form des eisernen. Also Gläser an die Augen! Er schwebt sehr hoch — kein Kreuz ist zu erkennen — ich wenigstens seh’ keins — Sie, meine Herren? Nein, ich auch nicht — ich auch nicht — ganz bestimmt, ’s ist ein Feind!
Eben will ich den Befehl geben, Gewehre zu bringen — da knattert’s auch schon los, ringsum, aus allen Fenstern und Gärten, wie verrückt . . . Nun sind auch wir nicht zu halten, lassen uns Büchsen geben, knallen auf den kecken Segler droben. Er steigt geschwind in die Höhe, entschwebt unangefochten. Ein Glück! Anderen Tages kamen strenge Befehle: einer von unsern Fliegern sei beschossen worden: in Zukunft dürfe ein Flugzeug nur auf Befehl eines Offiziers befeuert werden. Dieser übernehme durch den Befehl die volle Verantwortung . . .
Ja, das war unsere erste Heldentat im Weltkriege: die Beschießung eines eigenen Fliegers. Ich entsann mich Alfred Hardegens am Drahtzuger Weiher. Wie anders die Wirklichkeit als meine Fantasien. —
Der Zwölfte brachte uns, wiederum in heißem Marsche, bis Weisweiler bei Aachen. Vorher gab’s auf einem Sturzacker ein regelrechtes Kompagnieexerzieren. Alfred benahm sich musterhaft. Die drei Tage „mit der Nase auf ein Kochgeschirr“ hatten ihn völlig militarisiert. Nun konnte ich daran denken, Werners Erziehung in die Hand zu nehmen.
Im Orte war ein tolles Gewühl durchziehender Truppen. Ich wurde außerhalb des Dorfes einquartiert, ging nachmittags hinein, traf Graeser, der ein Stabsquartier erwischt hatte bei einer alten Dame, die eine niedliche Nichte zu Besuch hatte. Diese verehrungswürdige Gönnerin lud mich ein, in ihrem ganz und gar zeitgemäßen Badezimmer ein Bad zu nehmen: das vergess ich ihr bis ans Ende meiner Tage nicht. Dann saßen wir vier, die beiden Damen, Graeser und ich, im Schatten vor dem schmucken Haus am Markt bei Kaffee und Kuchen. Unsere Regimentsmusik spielte: „Es liegt eine Krone im tiefen Rhein . . .“ Wir sangen zweistimmig mit. Manöveridyll . . .
Auf einmal: Zusammenlauf an der Ecke. Eine lange Kolonne offener Autos sauste vorüber. Drinnen saßen: Leichtverwundete von Lüttich . . . im Schmuck ihrer frischen, blutdurchsickerten Verbände . . . Eine Stockung: wir traten heran, begrüßten und beglückwünschten die Offiziere. Mit einer seltsamen Mischung von Bewunderung, Neid und einer leisen Beklemmung: die haben’s hinter sich, haben die Feuertaufe bekommen, wissen, wie’s ist . . .
Weiter, weiter! Wieder ein heißer, heißer Marschtag. Vertrautes Gelände: Stolberg, Weiden, Haaren, mir von zahllosen Felddienstübungen bekannt aus der Zeit, da ich in Aachen ein Sommerleutnant bei den „Vähzigern“ war. Schließlich Ankunft in dem Industrievorort Forst. Ich quartierte mich bei dem katholischen Pfarrer ein, wurde mit offenen Armen aufgenommen und von den Eltern des Hausherrn, die sein Leben teilten, mit allen nur erdenklichen guten Dingen gelabt.
Am Nachmittage fuhr ich mit der elektrischen Bahn am ehemaligen Kasino meines Regiments vorüber — Himmel, wieviel tolle Jugendstunden aus leichtsinniger Leutnantszeit erwachten! — in das altgeliebte Aachen hinein. Es war in ein Kriegslager verwandelt, fieberte von der Erregung der nahen Schlacht. Das Regiment, das jetzt hier im Standort liegt, hatte bei Lüttich die größten Ehren und die schwersten Verluste davongetragen. Ich trieb eine Stunde durch das kriegerische Gewühl.
Zum Abendessen wieder am Pfarrtisch! Wieder einmal empfand ich den Segen der Landsmannschaft. Wie rasch versteht sich rheinisch Blut und rheinisch Blut! Nach dem Essen zeigte mir der Pfarrer mit Stolz das Innere seiner stattlichen jungen Kirche, ein Wert privater Liebesspende. Dann saßen wir lang in dem umdunkelten Pfarrgarten und sprachen ernste Dinge: wie wir’s nun auf einmal wüssten, dass wir Deutsche alle Brüder seien, wie die Schranken der Bekenntnisse plötzlich gefallen seien, und über uns allen sich der eine Gotteshimmel wölbe.
Beim Gutenacht hieß der Pfarrer mich, den Andersgläubigen, niederknien und spendete mir den Segen seines heiligen Amtes.
Das war das letzte Quartier auf deutscher Erde. Von dort aus bin ich über die Grenze gezogen, ausgerüstet mit dem Segen eines katholischen Geistlichen, der ein ganzer Mann, ein ganzer Christ und ein guter Deutscher war.
Am folgenden Morgen ging’s in den Aachener Wald hinein. Dort sollten sich, so munkelte man, schon Freischärler herumtreiben. Wir haben nichts davon gemerkt.
Aber in anderer Beziehung wurde es für mich ein harter Tag. Ich hatte mir Wernern vorgenommen. Die kleine falbe Bestie war noch völlig roh und nicht in Form zu bringen. Schweißtriefend gab ich’s schließlich auf.
Nordwestlich Lontzen erreichten wir die belgische Grenze, marschierten ein Stück Weges an ihr entlang.
Dann gab’s bei Weißhaus Rast und Mittagbrot aus der Feldküche — zum ersten Mal aus der Feldküche. Die liebe, brave Feldküche! ohne dich wäre der Weltkrieg eine Unmöglichkeit gewesen. Du hast uns siegen geholfen.
Plötzlich waren wir jenseits der Grenze und hatten ganz vergessen, diesen historischen Augenblick auszukosten. Kaum eine Stunde später erreichten wir unser erstes Quartier in Feindesland: das Städtchen Henri-Chapelle.
Die Erzählungen der Blätter und die eingegangenen Befehle hatten uns vorsichtig gemacht.
Nicht anders als mit geladenem Gewehr und aufgepflanztem Seitengewehr die Häuser und Höfe betreten! Aus den Brunnen zuerst die Einwohner trinken lassen! und so weiter.
Ich fand Quartier im Hause eines Doktors, der als Militärarzt der Reserve im Felde stand. Vor fünf Jahren verheiratet, war er seit einem Jahre verwitwet.
Sein Verwalter empfing uns in flottem Deutsch, mit ausgesuchter Artigkeit, lud alle meine Herren zum Abendessen ein. Es gab prachtvolle Filets, der Sekt floss in Strömen: es war noch immer wie im Manöver . . .
Dann stieg ich in mein Schlafzimmer. Die übliche Louis-Seize-Einrichtung, aber so elegant und zuckersüß, wie wohlhabende, verliebte Eltern einer belgischen großbürgerlichen Familie sie nur für ein vergöttertes Töchterchen zusammenstellen können. Schränke mit blitzenden Spiegelscheiben, ein Bett, breit wie eine Arche und weich wie ein Liebestraum . . .
Mit unbeschreiblichen Gefühlen kroch ich unter die seidene Steppdecke. Das erste Quartier in Feindesland! Durchs offene Fenster sah ich fern am Horizont den Widerschein einer Feuersbrunst.