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3.

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Der Morgen kam. Der Sonntagmorgen. Der Morgen des 2. August — des ersten Mobilmachungstages.

Die Pforten des Heimathauses hatten sich hinter mir geschlossen. Da oben an meinem Schreibtisch war „Volk wider Volk“ entstanden. Hier hatte ich zuerst den Sieg geschaut. Und nun . . . nun ging’s zu einem neuen — zum schwersten Kampf. Mit sechsundvierzig Jahren, graue Fäden im Haar. Ins Ungewisse, ins Ungeheure, ins Bodenlose.

Mein Weib am rechten Arm die Kinder abwechselnd am linken. Im feldgrauen Kriegsgewand, an der Feldbinde das Glas, die Pistole. Der Bub trug den Helm mit dem grauen Bezug.

Die Sonntagsglocken klangen. In dichten Scharen hasteten die Menschen den Pforten der Gotteshäuser zu.

Wir hatten uns Zeit genommen. Die letzte Stunde des Beisammenseins sollte ausgekostet werden in ihrer ganzen wehen Süße. Wir schritten durch den Park, Stuttgarts köstliches Prunkstück.

Eng gesellt, doch fast stumm. Nur der Junge schwärmte, schwatzte seine erregte Begeisterung ins dunkle Sommergrün hinaus. Wir Eltern sprachen noch diese und jene häusliche Angelegenheit durch. Und jedes kannte des andern geheimste Gedanken:

Es wird ja doch nicht . . . es geht ja doch noch alles gut. . . Mobilmachung ist noch kein Krieg.

Eine nur war ganz, ganz stumm. Töchterlein. Sie war immer eine kleine Schweigerin gewesen, die ihr Tiefstes und Bestes wortlos in sich verschloss. Und auf einmal fiel ihr braunes Köpfchen an meine Schulter, und fassungslos weinte sie, weinte, weinte. Herzenskind . . . diese Tränen vergess ich dir nie. Dies stumme, köstliche Liebesgeständnis. Mein Kind . . . mein Kind.

Nun stehen wir an der Ecke, wo die Schlossstraße in die Königstraße mündet. Ein rotes Plakat, von Menschen umdrängt:

„Libau wird von unserer Flotte bombardiert. Heftige Zusammenstöße zwischen deutscher und russischer Kavallerie.“

Das — ist keine Mobilmachung mehr. Das ist der Krieg. Feindesblut ist geflossen und deutsches Blut. Kein Zurück mehr. Es ist entschieden.

Und tief senkten sich meines Weibes Blicke sekundenlang in die meinen. Sie hatte verstanden. Und sie schenkte mich dem Vaterlande. Mich und all ihr Glück. Das große Opfern hatte begonnen.

Am Bahnhof ein ungeheurer Wirrwarr. Noch fast gar keine Uniformen. Der zweite Mobilmachungstag ist erst der eigentliche Reisetag für die Offiziere des Beurlaubtenstandes.

Dennoch Menschenfluten, Riesenhaufen von Gepäck, fieberisches Rennen und Stoßen. In die friedliche Sommerreisezeit, die Ferienzeit, ist das Grauen hineingeplatzt. Alles hastet heimwärts, verstört, zerfahren, rücksichtslos nur auf die eigene Sicherung bedacht.

Züge rennen aus und ein. Der Berliner Schnellzug wird dreiviertel Stunde Verspätung haben.


Welch ein Volk! Fotogr. Scherl



Reserve rückt ein! Fotogr. Scherl

Im Schwall der heimwärts Hastenden entdecke ich zwei liebe, verehrte Freundesangesichter. Max Grube ist’s und seine prachtvolle Kameradin Marie. Ein glücklich Vorzeichen. Dieser Mann hat mich einst mir selbst entdeckt. Er hat mein Schauspiel „Caub“, das ich als ahnungsloser, welt- und bühnenfremder kleiner Barmer Rechtsanwalt vor vielen Jahren hingestammelt, für das Königliche Schauspielhaus in Berlin angenommen und aufgeführt. Meine Verehrung und Dankbarkeit für Max Grube ist unauslöschlich. Wir werden zusammen reisen. Gutes Vorzeichen.

Man geht wartend auf und ab. Man plaudert. Man sieht sich ins Auge. Alles unbewusst, willenlos, im Halbtraum.

Und auf einmal ist der Zug da. Man nimmt die letzten Küsse. Man klettert hinein. Man stürmt ans Fenster. Da unten stehen sie — die drei Geliebtesten. Sie stehen und weinen.

O ihr —! Wär’s möglich — — Nein, nein, nein — es darf nicht sein! Weib, Kinder — auf Wiedersehen — auf — Wiedersehen . . .

Man sitzt in einem Abteil voll Menschen, die alle vor Erregung fiebern. Auf dem Wagenflur drängt sich allerlei Volk. Zwei Mädchen darunter, auf ihren Koffern kauernd: stumm und tränenlos ins Nichts starrend. Zwei Bräute fahren nach Berlin, sich kriegstrauen zu lassen.

Der Zug rollt durch die sommerprangenden Berggelände. An jeder Brücke, jedem Tunnel hält eine kräftige Männergestalt Wache, in Zivil, aber das Gewehr 88 stolz im Arme. Sie trugen schwarzrote Binden, solange wir noch auf württembergischem Gebiete waren — nun gelbrote, seit wir auf badischem Boden hinrollen. An allen Bahnhöfen haben sie ihre Wachtstuben eingerichtet, da schäumt das Bier. Der Landsturm. Natürlich alles Freiwillige. Denn einberufen ist er selbstverständlich nicht. Damals schien er uns eben gut genug, im Inlande Wachtdienst zu tun — wer ahnte, welch ungeheure vaterländische Not unsere Vierzigjährigen alsbald in die vorderste Linie reißen würde, in Wunden, Leiden, Tod, Schulter an Schulter mit der Jugend, Väter und Söhne Leib an Leib . . .

So ging’s quer durch Deutschland. Überall gab es zu sehen, zu staunen. Schon war das Land im Innersten aufgewühlt.

Die Gesellschaft der Freunde Max und Marie Grube war mir eine wahre Herzstärkung. Das wirre Streben und Ringen von siebzehn Jahren stand mir wieder klar vor der Seele, als ich Erinnerungen austauschte mit dem Manne, der meinen Anfängen der einzige Helfer gewesen, mich nach unendlich vielen bittren Enttäuschungen aufgerichtet hatte: „Sie machen „Ihren Weg!“

Nun hatte ich ihn gemacht . . . und plötzlich vor mir gähnte statt des Ziels ein Abgrund.

Vormarsch

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